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Noch sprach man von der Heirat nicht, aber sie lag in greifbarer Nähe, und Fini galt als erwachsen, eine Stimme im Haus, ein Mensch, nicht mehr dem Schelten untertan, sondern Güte fordernd.

Und es änderte sich nichts, und vom Klappern der Maschinen erfüllt waren die Tage.

Tilly fand einen Freund und dachte Ludwigs nicht mehr und nicht des erlittenen Unglücks.

Niemanden hatte Fini mehr, zu dem sie sprechen konnte, und sie hätte gern erzählt, wie die Welt jetzt aussah, eine Welt ohne Geheimnis, ohne Furcht und ohne Erwartung.

Früher – wie war unser pochendes Herz gespannt, die Straße, die wir dahinschritten, von Geheimnissen erfüllt, wie lauerten die Abenteuer hinter jeder Ecke, um die wir biegen sollten! Nun ist unsere Erwartung ausgelöscht, auf unsern Wegen eine Stille ohne Grenze, eine Landschaft ohne Fernen verbergende Hügel, alles wissen wir, Anfang und Ende, männliche Armseligkeit und unseres eigenen Angesichts bittere Zukunft.

Verrauscht war die süße Musik des Unbekannten, der gute lockende Sang anbrechenden Lebens, verblaßt die leuchtende Weite unendlich sich dehnender Tage und ausgekühlt die bergende Wärme der Jugend. Vollendet ist unser kurzer Weg, und fremd ist uns der Mann; jeden Tag wird er fremder.

Fini sah, wie er mit anderen Menschen sprach, lässige Gebärde nahm er an und hörte keine Antwort mehr, Pfeifen köpfe schnitzte er, stundenlang hockend auf niederem Schemel, Schokolade, lange im Vorrat gekauft, barg er sorgfältig vor ihrem genäschigen Auge, hoch oben unter Pappendeckeln, auf staubübersätem Schrank, kleine und große Rippen, gelb vor Alter gewordene, und Silberpapier sammelte er in dichten Knäueln zur Verzierung der Pfeifenköpfe. Zwischen den Notenständern, den weiß lackierten, im Winkel gehäuften, hielt er Tabak und Zigarren, die er niemals rauchte und niemals hergab, sorgfältig wachend mit hundescharfem Aug’. Kleiderstoffe lagerten geschichtet in wachsam raschelndem Papier, gestapelt im Schrank, unter den Hüllen gilbender Notenblätter.

Es war keine Sünde, ihm etwas zu stehlen, man stahl sich selbst etwas. Und manche Stunde, in der er hockend auf niederem Schemel einen Pfeifenkopf schnitzte, schlich Fini herum, stieg sie behend auf die Stühle, die knarrten, und auf splitternde Ständer, Schätze raffend. Schickte sie einen furchtsamen Blick dann in Ludwigs geschäftigen Winkel, sah sie, daß seine Augen zugefallen waren und daß er mit selbständig schnitzendem Messer seine Köpfe fertigmachte, dieweil seine Sinne schliefen, und sie weckte ihn.

Dann, plötzlich aufgewacht, besann er sich, strich die Weste zurecht und sammelte mit gespitzten Fingern Holzstaub und Schnitzer und begann zu erzählen von Fahrten in fremdes Land und ewig leuchtenden Sonnen. Manchmal gingen sie nebeneinander halbe Tage lang durch endlose Straßen, in den Auslagen der Konditoreien lockte schaumgefüllter Teig, braunleuchtend und süß. Hungrig war Fini, nach glattem, gelbschmelzendem Eis in sanft gerundeten Schalen sehnte sie sich. Hungrig ging sie mit Ludwig durch die Stadt. Von bösem Asthma bedrängt, mußte er sich setzen, und er setzte sich nicht auf die grünen Stühle im schattigen Park, die man bezahlen mußte, sondern draußen auf die unbarmherzig besonnte, staubige Bank. Die Beine spreizend, zeigte er offene Hosenknöpfe und an den vorgestreckten Stiefeln ein vielfach geknotetes Schnürsenkel. Fini weinte, während sie sprach, sie weinte nach innen, Tränen trockneten, unausgeschüttet, gesammelte Tränenbäche trockneten in ihr. Schmerzhaft würgte sie das gesammelte Leid im Halse. Sah sie manchmal Frauen vorbeiziehen, die verkrüppelte Männer schoben auf dreirädrigen Karren, so trug jede der Frauen Finis Gesicht.

Einmal in der Woche oder zweimal war der gemeinsame Schlaf auf dem Sofa im Atelier, eine trostlose Hingabe, still und von verborgenem Weinen begleitet, wie eines Todkranken krampfhaft gefeiertes Geburtstagsfest.

Ein Brief von Ernst fiel in diese Zeit, sehen wollte er sie wieder. Sie trafen sich, wie vor Wochen, an derselben Stelle auf dem nächtlichen Marktplatz, fremd war der Druck seiner Hand, Fini ging nicht mehr im linden Regen seiner gütigen Worte. Hinaus fuhren sie, wie einst, mit der Straßenbahn, dahin unter hängenden Zweigen, die ansteigende Landstraße schritten sie schweigsam und legten sich am Wegrand hin in den Tau des Grases, umsungen von zirpenden Grillen.

Spät wurde es, ins Wirtshaus kehrten sie ein, eine Stube und Strohlager bekamen sie. Fini wartete mit wachen Augen auf den Morgen, gedrückt an die Wand, auf das raschelnde Bündel.

Joseph Roth: Gesamtausgabe - Sämtliche Romane und Erzählungen und Ausgewählte Journalistische Werke

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