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XIX

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Aber sie erwachte, geweckt vom unermüdlichen Gezwitscher eines frühen Vogels und dem Sang schmelzenden Eises auf metallenem Fensterbrett. Von Dächern gezackt, blaute hoch der Himmel, aus geöffneten Fenstern drang Lärm der nachbarlichen Kinder. In früher Stunde kam ein Leierkasten in den Hof, wie ein Bote des Stadtfrühlings. Es sah so aus, als käme heute eine Nachricht von Rabold oder als käme er selbst. Als die Schritte des Briefträgers enttäuschend verhallt waren, beschloß Fini, in die Straßen zu gehn, draußen auf ihren Mann zu warten, wer weiß, ihm vielleicht in den Straßen zu begegnen. Hinaus ging sie, von hastenden Menschen umgeben, von der Sonne begrüßt und der guten Luft des lächelnden Märztags. In das Zentrum der Stadt ging sie, schritt sie, mit rüstigen, jungen Füßen, durch die breiten Straßen.

Sie verließ die Stadt, sie kam an den fluß und folgte seinem Lauf. Die Sonne stand hoch, sank tiefer, rann aus dem Himmel in den Fluß, daß beide sich röteten. Da setzte sie sich ans Ufer. Ein alter Angler stand und wartete auf seinen Fang. Der Ton einer abendlichen Flöte kam, im Ufergras zirpten die Grillen.

Fini saß, aber es war ihr, als ginge sie weit und hoch, höher hinauf in den Himmel, auf goldenen Wolken, Wolken aus Scharlach, Treppen aus Purpur. Sie führten aufwärs zu Rabold. Er stand und wartete. Ausgebreitet waren seine Arme, Fini zu empfangen.

Den Hunger fühlte sie nicht, aber er fraß sie auf, saß in ihren Eingeweiden, umklammerte ihr Herz – und sie fühlte ihn dennoch nicht. Die Müdigkeit ihrer Füße fühlte sie nicht, sie lag weich am Ufer und glaubte zu schweben. Treppen aus Wolken trugen sie, sie brauchte nicht emporzuklimmen.

Wie einen fernen Schatten sah sie den alten Angler am andern Ufer. Der Alte wuchs und stand wie ein Diener ehrfürchtig und wartend am Eingang. Hatte ihn Rabold vorausgeschickt, sie zu empfangen?

Sie nickte ihm zu, sie wollte ihn streicheln, da griff sie ins feuchte Gras, sank, glitt, glaubte, sie wäre auf einer Wolke ausgeglitten, und wollte sich hochraffen, aber sie konnte nicht mehr. Jetzt erst überfiel sie die Müdigkeit, nie mehr würde sie Rabold erreichen. Warum kam er nicht, ihr zu helfen?

Sie fiel ins Wasser, tat noch einen leisen Schrei, sank unter, und der Strom führte sie mit, barg sie vor den Blicken der Welt. Drei Meilen weiter fand man sie, ihren aufgeschwemmten Leib, Wasserrosen und grüne Pflanzen im Haar, den Mund halb offen.

Sie kam in den Polizeibericht, der keine Ursachen anzugeben wußte. Ihre Leiche lag in der Totenkammer, kam in die Anatomie; denn es fehlte an Leichen, man nahm auch aufgeschwemmte. Niemand wußte, daß sie in den Himmel hatte gehen wollen und ins Wasser gefallen war. Sie zerschellte an den weichen Treppen aus purpurnen und goldenen Wolken.

Joseph Roth: Gesamtausgabe - Sämtliche Romane und Erzählungen und Ausgewählte Journalistische Werke

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