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Ob mir nicht heiß sei mit dem zugeknöpften Hemd, stellte Mamdoh seine Frage an mich in den Rückspiegel. Ich schüttelte verneinend den Kopf, auch auf den Spiegel gerichtet. Ich hatte am Nacken eine Wunde, die ich mit dem zugeknöpften Kragen des weißen Hemdes zu verstecken versuchte. Mamdoh grinste und wandte sein Gesicht auf die Straße. «Das wird halt die neue Mode sein», flüsterte er vor sich hin. Mein Vater reagierte nicht, er schaute im Spiegel zu mir. Sein Blick war tadelnd. Meine Mutter lachte gezwungen und sagte, dass die Mode spinne. Ihr wäre es natürlich ganz lieb gewesen, wenn wir gar nicht darauf gekommen wären. Sie wechselte geschickt das Thema und fragte Mamdoh nach seinen verheirateten Töchtern, wie es ihnen gehe in den neuen Familien. Mamdoh antwortete mit dem alten Spruch, dass jede Tochter ein Geschwür auf dem Herzen sei. Mutter hakte nach, was den drei verheirateten Töchtern fehle, ob ihre Männer oder Schwiegermütter sie unwürdig behandelten oder ob die Familien arm seien. Mamdoh ging nicht drauf ein, sagte nur, er hätte alles dransetzen sollen, dass sie ein Studium gemacht hätten. Dann konzentrierte er sich auf die Straße.

Die letzte Nacht vor unserer Reise in das Heimatland meiner Eltern hatte ich im «Black Paradise» verbracht. Es war stickig heiß gewesen, der Kellner hatte alle Fenster geöffnet, wir waren wie Verrückte am Tanzen, als würden wir Bauchwürmer hinausschwitzen. Die einen Männer hatten am Stehtisch weißes Pulver auf einem Plastikteller geschnüffelt, während sie laut stöhnten und dann schallend lachten. Die anderen tanzten die ganze Zeit auf der Bühne Brust an Brust, also nackte Haut an nackter Haut, eingetaucht in an­­dere Welten. Die jungen Männer zeigten gerne ihre ge­­pfleg­­ten Körper, wie ein Gemüsehändler es mit seiner besten Melone machen würde, und dass das Fett am Körper, ein Überbleibsel des Winters, verbrannt war. Ich war mit mei­nem dichten Brusthaar, auch das ein Er­­be der Beytofamilie, die große Attraktion, denn seit Kurzem sind Brust­­haare in unserem Kreis sehr gefragt. Mein Telefon vibrierte alle zehn Minuten, ich nahm es nicht ab, weil ich wuss­­te, dass es meine Eltern waren, die vor der Reise unruhig waren und Angst hatten, ich würde nicht mitkommen und die Reise absagen, wie es in den letzten Jahren ein paarmal geschehen war. Doch ich hatte fest im Sinn, mein Versprechen, mitzukommen, das ich ein Jahr zuvor gemacht hatte, einzuhalten. Damals hatte mein Vater mich mit allen Mitteln, finanziellen und moralischen – sogar dem Versprechen, mir ein frucht­ba­res Ackerfeld im Heimatland zu kaufen, was ich absurd fand –, überzeugen wollen, mitzukommen. Ich war siebzehn und weigerte mich mit Erfolg. Und er hatte die Geduld aufgebracht, noch ein Jahr zu warten. Für dieses Versprechen hatte mir der Vater zum ersten Mal erlaubt, ins Ausland zu fliegen, zusammen mit Manuel.

Als nach Mitternacht das Lokal voll und nun alle berauscht waren, aus ihnen Energie, Schönheit, auch Freude sprudelten, wollte ich mit meinem Freund Manuel hinausgehen, um mich von ihm zu verabschieden. Denn ich traute mich immer noch nicht, in Gegenwart anderer Menschen meinen Freund auf den Mund zu küssen. Bei mir war da so etwas wie ein Knoten, und ich weigerte mich. Ich hatte auch nie gesehen, dass mein Vater meine Mutter in Anwesenheit anderer Leute küs­ste.

Manu, mit dem ich eine Informatiklehre machte, war nach einem strengen Arbeitstag betrunken gewesen, und er wollte mich nicht gehen lassen. Wir hatten im Park, im Dunklen, zwischen den Bäumen, eine Zunge auf die andere gelegt, uns lange geküsst, als wäre es unser letztes Mal und dies unser letzter Tag im Leben. Er war außer sich gewesen, hatte seine Zäh­­ne in meinen Nacken gedrückt. Erst als das heftige Gewitter vorbei gewesen war, wir unseren Saft entladen hatten und auf dem Kiesboden gekrümmt lagen wie ausgepresste Zitronen, war mir bewusst geworden, was los war. Die Wunde hatte so gebrannt, dass es kaum auszuhalten war. Auch ihm war es peinlich, dass er mich gebissen hatte. Wir fanden in der Nacht einen Spray in der Notapotheke, besprühten die Wunde, und ich ging nach Hause. Meiner Mutter, die auf mich gewartet hatte, war mein farbiges Halstuch nicht entgangen, das wir mittels großer Lügereien von der schläfrigen Angestellten der Apotheke erhalten hatten. Mutter hatte das Tuch zerrissen und natürlich gemeint, die Zahnspuren seien von einer Frau. Sie schimpfte mich heftig aus und bemerkte, dass sie diese Frau nicht verstehe, die einen Mann in den Nacken beiße. Ich übergab ihr den roten Glückskäfer aus Stoff, den Maria, die Mutter von Manuel, auf die Reise mitgegeben hatte. Sie bedankte sich und steckte ihn in ihre Reisetasche. Dass sie meinte, eine Frau habe mich gebissen, war meine Rettung. Wie meine Eltern reagierten, wenn sie wüssten, wo und wie ich die letzte Nacht verbracht hatte, wollte ich mir gar nicht vorstellen. Da wäre erst richtig die Hölle los gewesen. Dann wäre ihre Welt untergegangen, wie sie es immer ausdrück­ten, wenn sie vor irgendeinem Problem standen.

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