Читать книгу Ina - Z. Bär - Страница 5
Kapitel 3
ОглавлениеDas Gebäude in dem die Feier stattfand war riesig. Das musste es auch sein, damit alle darin Platz fanden. Es gab verschiedene Eingänge. Trotzdem hatte sich vor jedem bereits eine lange Schlange gebildet und sie gingen nur träge voran, da sich jeder Gast autorisieren musste und danach noch auf Waffen abgetastet wurde. Die Sicherheitsbestimmungen waren hoch, da jeder Seraner der Rang und Name hatte dort war. Kilven ging direkt vor Ina durch die Kontrolle. Man musste sich nach der Autorisierung gerade hinstellen, die Beine spreizen und die Abtastung über sich ergehen lassen. Der Soldat kniete sich hinter Ina hin, tastete mit beiden Händen erst das eine und dann das andere Bein ab. Danach legte er seine Hände um ihre Hüfte, stand auf und tastete ihren Rücken ab, griff unter ihren Armen nach vorn auf ihren Bauch. Sie fühlte seinen Atem in ihrem Nacken, seinen Körper an ihrem und ein Schauer durchlief sie. Kilven betrachtete das ganze skeptisch. Sie klammerte sich an seinen Blick, wurde das Gefühl nicht los begrabscht zu werden. Die Hände des Soldaten wanderten nach oben, unter ihre Brüste. Es war vulgär. Er liess sich Zeit. Links und rechts von ihr, wurden die Offiziere wesentlich schneller abgefertigt. „Das reicht!“ Nilia’s streng autoritäre Stimme liess den Mann hinter Ina zusammen zucken. „Wenn sie mehr wollen, Soldat, sollten sie sie zum Essen einladen!“ Die Hände des Offiziers waren so schnell von ihrem Körper verschwunden, dass sie es kaum bemerkte. Er hatte nicht einmal den Mut, etwas Verteidigendes vorzubringen. Ina ging auf Nilia zu, der einige Schritte entfernt stand. „Vielen Dank Sir“, sie lächelte ihn an. Er starrte auf ihren Hals und runzelte seine Stirn: „Kommt.“ Er ging voran, zu einer Treppe die eine Etage hinauf führte. Alle Offiziere räumten sofort den Weg, sodass er in der Mitte der Treppe gehen konnte. Nilia ging quer durch verschiedene Räume, bis er sich schliesslich in einem Raum auf einem gepolsterten Stuhl niederliess. Kaum sassen sie dort, tanzten schon zwei Kellner in grüner Bekleidung heran. Auf ihren Tabletts standen Weingläser, Talila und Wasser. Nilia nahm sich ein Glas Talila, Kilven und Ina entschieden sich für Wein.
„Ihr solltet den heutigen Abend nützen. Alle wichtigen Personen Seran’s sind hier. Knüpft Kontakte. Ihr solltet einen, vielleicht sogar zwei Offiziere oder Senatoren für euch gewinnen. Beeindruckt sie, damit sie sich morgen noch an euch erinnern.“
„Das dürfte nicht schwer sein, Sir“, Kilven war sehr zuversichtlich. „Es ist schwieriger als du glaubst. Vielen Abschluss-Rekruten ist nicht bewusst, was für eine einmalige Gelegenheit ihnen hier geboten wird. Sie glauben, dass sie nur hier sind um zu feiern. So bleiben sie auch vielen wichtigen Leuten in Erinnerung, allerdings nicht so wie sie sollten. Feiern könnt ihr morgen, heute müsst ihr euch beweisen. Ich hoffe ihr seid ausgeruht, denn es wird eine lange und anstrengende Nacht“, Nilia's Ton hatte nichts nettes an sich. Es war diese Autorität, die Ina schon immer gehasst hatte. Doch sie bemühte sich: „An welche Leute sollten wir uns halten?“ Nilia sah sie an: „Diese Frage hätte ich von Kilven erwartet. – An hochrangige Offiziere und an Senatoren deren Namen man kennt. Aber gebt euch nicht mit Kommandeuren oder unbekannten Politikern ab. Und vor allem, haltet euch von euren Freunden fern. Entweder sind sie hier um zu feiern oder sie stellen euch in ihren Schatten.“ Wie nett! Nilia traute weder Kilven noch ihr zu, dass sie ihre Freunde in den Schatten stellten. Er ging einfach davon aus, dass es umgekehrt seien würde.
„Wir halten uns also an ihre Freunde?“ Fragte Ina entgegenkommend. Und wieder sah Nilia sie verblüfft an: „Nun, wenn du die Möglichkeit hast, auch andere zu beeindrucken, dann tu es. Eure Kontakte sind vielleicht auch einmal für mich nützlich, wenn sie jemanden davon abhalten sich auf die Seite meiner Feinde zu stellen“, er führte das Glas an seine Lippen und fuhr fort: „Ich werde euch einigen Leuten vorstellen. Aber nicht gemeinsam. Ich will nicht, dass ihr gegeneinander arbeitet. Und danach werdet ihr alleine zu Recht kommen müssen, ich werde noch meine eigenen Kontakte pflegen. – Wer von euch beiden will anfangen?“ Sein Blick wechselte von Kilven zu Ina. „Ich lasse Kilven den Vorrang“, warf sie ein, bevor Nilia die Entscheidung traf. „Gut“, er lehrte sein Glas und stand auf. Kilven stellte sein Glas hin und folgte ihm. „Viel Glück.“ Gab ihm Ina mit auf den Weg. Kilven drehte sich um und warf ihr eine Kusshand zu. Sie gingen in einen der anderen Räume. Ina wechselte den Stuhl. Setzte sich auf den von Nilia. Von dort aus hatte sie den ganzen Saal im Auge. Sie wollte die Zeit die sie hatte nutzen, um sich moralisch auf das vorzubereiten was sie erwartete. Was Kilven einige Stunden zuvor zu ihr sagte und Map ihr danach bestätigte, schwirrte immer noch in ihrem Kopf herum und sie hatte vor es zu ändern. Zumindest wollte sie es versuchen und sehen, was sich daraus ergab. Gemäss Kilven’s Aussage, sollte es für sie einfach sein, einen Eindruck zu hinterlassen. Ihr Blick schweifte durch den Saal. Sie beobachtete wie er sich langsam füllte. Betrachtete einige Offiziere die sich unterhielten. Ihre Aufregung wuchs weil sie fürchtete, Nilia’s Erwartungen nicht zu erfüllen. Eine Gestalt erschien vor ihr und setzte sich auf den Stuhl direkt neben ihr. Als ob es nicht genug andere freie Sitzgelegenheiten geben würde. Sie wandte ihren Blick um zu sehen wer es war, was sie sofort bereute. Kapitän Kadir, einer der Ausbilder der Rekrutenschule. Wie alle es taten, hasste auch sie ihn. Er sass da und lächelte sie kurz an: „Ganz alleine hier?“ Dabei streckte er ihr ein Glas Talila hin. Sie hatte keine Lust auch nur eine Minute mit diesem Mann zu verbringen. Wollte kein einziges Wort mit ihm wechseln. Doch er hatte den Rang eines Kapitäns und sie hatte ihm Respekt entgegenzubringen. „Nein. Und sie Sir?“ Ihre Stimme war kühl und hatte etwas arrogantes an sich. „Vollkommen alleine. – Ihr General und Ihr Freund haben sie verlassen?“ Er hatte eine strenge Miene. Ina nahm das Glas das er ihr immer noch hinstreckte. „Kilven lernt Nilia’s Freunde kennen und sie sitzen hier alleine herum. – Nilia hat seine Prioritäten gesetzt.“ Es klang fast wie eine Frage, auf die er aber keine Antwort benötigte.
„Wenn sie nicht ihre wertvolle Zeit mit mir verschwenden würden, hätte ich vielleicht auch die Gelegenheit wichtige Leute kennen zu lernen“, ihre Stimme war respektvoll aber nicht mehr. Kadir presste seine Augen etwas zusammen: „Ich soll sie also in Ruhe lassen?“ Ina hob ihre Hand leicht an um seine Frage zu bestätigen. Sie mit ja zu beantworten wäre respektlos gewesen. „Was stört sie an meiner Gesellschaft?“ Fragte er sofort. Ina atmete tief durch. Kadir drehte seinen Kopf einwenig: „Sie dürfen offen sprechen Soldat.“ Ina unterdrückte den Drang laut zu lachen. Bis vor einem Tag nannte er sie bei jeder Gelegenheit noch Rekrut. Jetzt war Soldat an diese Stelle gerückt. „Meine Ausbildung ist beendet. - Was wollen sie Sir?“ Nach wie vor bemühte sie sich um einen respektvollen Ton. „Ich möchte mich mit ihnen unterhalten Miss Ina“, dabei neigte er seinen Kopf etwas hinunter und sah in ihre Augen. Erstaunlich, dass er überhaupt wusste wie sie hiess. „Wieso? – Es gibt bestimmt interessantere Gesprächspartner für sie.“ Kadir neigte sich zu ihr hinüber und sagte in leisem Ton: „Ist das nicht offensichtlich?“ Ina sah in seine Augen. Sie benötigte einen Moment um zu begreifen was offensichtlich sein sollte. Erst als sie seinen Gesichtsausdruck sah, wurde es ist bewusst. Derart bewusst, dass sich ihr Magen zusammen zog. Den Würgreflex schluckte sie langsam hinunter und atmete tief durch: „Sie sind mindestens zwanzig Jahre älter als ich“, sagte sie schlicht und einfach.
Kadir lächelte sie an: „Ist das ein Hindernis?“ Dieses Lächeln erkannte sie zum ersten Mal in seinem Gesicht. Vielleicht lag es daran, dass sie bisher nie die Gelegenheit hatte, ihn länger als eine Sekunde aus dieser Nähe anzusehen. Oder es lag einfach daran, dass er während der letzten drei Jahre kein einziges Mal gelächelt hatte. Ina presste ihre Lippen aufeinander: „Vielleicht. – Aber es ist nicht nur das.“
„Was noch?“ Dabei führte er das Glas an seine Lippen.
„Sie haben mir die letzten drei Jahre jeden einzelnen Tag zu einer Qual gemacht. Ich habe sie mindestens fünf Mal täglich verflucht und wenn ein einziges Mal die Möglichkeit gehabt hätte, hätte ich ihnen einen Dolch in den Rücken gerammt. – Ihr Rang fordert Respekt von mir aber Höflichkeit haben sie nicht zu erwarten. Sir!“ Sie wollte keine einzige Sekunde länger als unbedingt notwendig in seiner Nähe verbringen. Ihre Wut liess sie ihn nicht nur durch ihre Worte fühlen. Er verzog keinen einzigen Muskel in seinem Gesicht. Blieb ruhig sitzen und betrachtete sie. Ina konnte nur hoffen, dass er bereits betrunken genug war, um sich am nächsten Tag nicht mehr an ihre Worte zu erinnern. Doch leider machte er nicht den Eindruck betrunken zu sein. Was, wenn er nun direkt zu Nilia ging und ihm davon berichtete? - Das wäre verheerend gewesen. Ina wollte aufstehen und gehen. Aber Kadir hielt sie an ihrem Arm fest und hinderte sie aufzustehen. „Ich werde gehen, Miss Ina“, er sah sie eindringlich an und fuhr fort: „In fünf Minuten komme ich zurück. Wenn sie dann noch hier sind, werde ich mich zu ihnen setzen und so tun, als ob sie das nie ausgesprochen hätten. Wenn sie nicht mehr hier sind, werde ich mich damit abfinden. – Aber sie sollten mir die Gelegenheit geben, ihnen meine anderen Seiten zu zeigen. Die sie in den letzten drei Jahren nicht zu Gesicht bekamen. Ich war ihr Ausbilder – Jetzt bin ich es nicht mehr“, diese letzten Worte betonte er merklich, machte eine kurze Pause und fuhr fort: „Auch ich habe Kontakte. – Wenn sie nicht meinetwegen bleiben wollen, sollten sie einfach eine günstige Gelegenheit nutzen und ihrem Gönner zeigen, dass sie mehr drauf haben als Kilven“, damit stand er auf und ging. Ina blieb atemlos und mit rasendem Herzen sitzen. Sein Verhalten war – seltsam. Sie sollte eine günstige Gelegenheit nutzen. Er war Kapitän und hatte mit Sicherheit viele Kontakte. Ina leerte das Glas Talila in einem Zug. – Es lag an ihr, was sie aus ihren Möglichkeiten machte. Also – Also mach! Auch wenn sie Kadir hasste, sie konnte ihn benutzen. Es war nur dieser Abend, bloss einige Stunden. Nilia würde erst in zwei bis drei Stunden auftauchen und dann wäre sie Kadir wieder los. Sie würde sich überwinden und das Beste aus der Situation herausschlagen. Wie hilfreich Kapitän Kadir wirklich war, würde sich zeigen. Wenn er überhaupt wieder kam. Nur ein Narr würde, nachdem was sie ihm an den Kopf geworfen hatte, wieder kommen.
Als ob er die Sekunden gezählt hätte, tauchte er nach genau fünf Minuten wieder auf. Sichtlich zufrieden über die Tatsache, dass Ina noch da sass. Sie wurde nervös. Wie sollte sie sich verhalten? So tun als ob nichts gewesen wäre? Kadir setzte sich wieder auf den Stuhl neben ihr und reichte ihr ein weiteres Glas Talila. Sie atmete tief durch und nahm es an. „Also, Miss Ina, was bieten sie mir für meine Kontakte?“ Sie schluckte leer. Natürlich hätte sie damit rechnen müssen. Kein Seraner tat etwas umsonst. Und schon gar nicht wenn man ihm fünf Minuten zuvor sagte wie widerlich man ihn findet.
Ina bemühte sich um einen sanften Ton: „Der Lohn fällt unterschiedlich aus. Je nachdem wie nützlich ihre Kontakte sind“, an diesen Worten wäre sie beinahe erstickt. Aber sie lehnte sich dabei in seine Richtung und schenkte ihm ein charmantes Lächeln. Kadir musterte sie lange: „Versprechen sie mir ein Abendessen.“
„Ein Abendessen?“ Dabei rechnete sie schon zusammen – zwei Stunden jetzt, ein Abendessen konnte sie gut und gerne in einer Stunde hinter sich bringen. – Das war erträglich. „Was ich ihnen biete, ist mehr Wert. Aber ich beschränke mich darauf. – Vorerst“, er lehnte sich in seinem Stuhl zurück und sah sich in dem Saal um während er auf ihre Zustimmung wartete. „Einverstanden.“ Zufrieden nahm er einen Schluck Talila: „Bevor sie sich in eine Konversation stürzen, sollten sie einige Informationen über die betreffende Person haben. Das dort ist Arai. Er war früher beim Militär, hat dann aber zur Politik gewechselt. Er ging mit Nilia zusammen auf die Rekrutenschule. Arai’s Vater war ein hochrangiger Offizier und doch war Nilia erfolgreicher. – Arai war schon fast verheiratet. Aber dann interessierte sich Nilia für dieselbe Frau. Arai fiel aus dem Rennen – Nilia gewann.“ Kadir's Worte drangen so deutlich und unverhüllt in Ina’s Ohren, dass sie sich unmöglich verhört haben konnte. „Nilia’s Frau wollte Arai heiraten?“ Obwohl es deutlich genug war, benötigte Ina eine weitere Bestätigung.
„Ja. Arai hat sich danach für eine andere entschieden, deren Familie nicht so einflussreich war. – Er glaubt, dass er es deshalb zu nichts gebracht hat. Aber es lag auch daran, dass er einfach kein Talent hatte. Als Senator ist er besser. Er macht Nilia das Leben schwer“, Kadir winkte einen Kellner heran und nahm zwei Gläser Talila. Eines davon reichte er Ina. Schon alleine für diese Information hätte er ein Abendessen verdient. „Das dort ist Sebiha“, er deutete auf einen Botschafter in weisser Robe. „Sein politischer Einfluss ist kaum abzuschätzen. Irgendwie schafft er es, mit allen Parteien ein gutes Verhältnis zu pflegen. Er stammt aus einer sehr guten Familie, schon sein Vater war Botschafter. – Er hat die Verträge mit den Tuma ausgehandelt und im Moment steht er im Gespräch, die Verträge mit der neutralen Vereinigung zu erweitern.“ Sebiha sah zu ihnen, als wüsste er, dass sie über ihn sprachen. Kadir hob kaum merkbar seine Hand leicht an, darauf nickte Sebiha ihm zu. „Da ist Sefo“, er deutete auf einen alten Mann der am Stock ging und dessen Rücken gekrümmt war. Ina hatte schon viel von Sefo gehört, ihn aber noch nie zu Gesicht bekommen. Natürlich hatte sie sich ihn anders vorgestellt. „Er ist ein exzentrischer Narr. Stellt sich gegen jede Veränderung und natürlich gegen alle Einflüsse von aussen. Sie sollten sich von ihm fern halten. Er wirft Botschafter Sebiha noch immer vor einen Fehler gemacht zu haben, als er die Verträge mit den Tuma abgeschlossen hat.“ Dabei ging es bei diesen Verträgen nur um den Waffenstillstand. Wie konnte das ein Politiker nicht gutheissen? „Eigentlich hasst er alle Botschafter. Sefo ist zu alt um noch bei der Politik mitzureden, aber bedauerlicherweise ist sein Einflussgebiet noch sehr gross.“ Es ging eine Zeitlang so weiter. Kadir gab ihr nützliche Informationen über jeden Senator und Offizier den er sah. Manche Dinge waren ihr bereits bekannt, andere noch nicht. Ina sog alle Informationen auf und hoffte, sich alles merken zu können. – Ein Notizbuch wäre jetzt praktisch gewesen. Die Flut der Informationen war gewaltig. Unmöglich sich alles einzuprägen. Ab und zu schweifte Kadir’s Blick auf ihren Hals. „Das mit ihrem Hals tut mir leid.“ Es dauerte einige Sekunden bis Ina reagieren konnte, sie rechnete mit weiteren Informationen zu einem Offizier, aber nicht mit so etwas. Unbeabsichtigt griff sie mit ihrer Hand an den Hals. Sie hatte es beinahe vergessen. „Es war ja ihre Pflicht“, antwortete sie in selbstgefälligem Ton. „Das war es.“ Ina reagierte nicht darauf. „Sie sind eine gute Kämpferin“, fügte Kadir weiter an. „Nicht gut genug. - Ich habe verloren.“
„Sie hätten vielleicht gewonnen, wenn ich nicht die Regeln verletzt hätte“, Kadir achtete auf ihre Reaktion als er das sagte. Ina lächelte, sagte aber nichts dazu. Es war unwahrscheinlich dass sie gewonnen hätte. Gegen ihn hatte noch nie ein Rekrut gewonnen und vielleicht auch sonst niemand. Er drückte seine Augen etwas zusammen: „Sie wussten, dass dieser Griff nicht erlaubt ist.“
„Ich kenne die Regeln.“ Doch immer wenn sich ein Rekrut auf die Regeln berief, wurde ihm gesagt, dass es im Krieg keine Regeln gäbe. „Wieso haben sie es nicht eingewendet?“ Ina biss sich auf die Zunge, damit nichts Dummes ihren Mund verliess: „Uns wurde beigebracht es hinzunehmen. Sie waren nicht der einzige der gegen die Regeln verstossen hat. Und abgesehen davon spielte es keine Rolle mehr, es war die letzte Woche.“ Kadir betrachtete sie lange: „Wollen sie Revanche? – Ohne Regelverstoss.“ Ina sah ihn von der Seite an. Revanche. Noch einmal verlieren. Darauf konnte sie durchaus verzichten. „Weshalb bieten sie mir das an?“ Kadir lehnte sich näher zu ihr: „Ich nutze gern jede Gelegenheit zum üben.“ Sicher doch. Eher nutzte er eine weitere Gelegenheit sie zu quälen. „Sie Unterrichten an der Rekrutenschule – können sie dort nicht genug üben?“
„Ich kehre zurück in den Dienst.“ Sie dachte einen Augenblick nach. Ina wollte auch nicht aus der Form kommen. Natürlich konnte sie mit Kilven trainieren – aber sie kannten einander zu gut, es war nicht dasselbe. Doch mit Kadir? Darauf hatte sie keineswegs Lust. Nur, wie würde er reagieren, wenn sie ablehnte? Vielleicht würden dann keine weiteren Informationen seinen Mund verlassen. Eine Stunde und sie hatte soviel erfahren wie selten zuvor. – War es das nicht Wert? Wohlmöglich würde sie bei einem Kampf weitere Dinge in Erfahrung bringen. „Wann und wo?“ Seine Gesichtszüge wurden zunehmend zufriedener: „Morgen.“
„Nein. Sie werden mir doch etwas Vorbereitungszeit zugestehen?“ Dabei schenkte sie ihm ein überzeugendes Lächeln. „Dann entscheiden sie.“
„In einigen Tagen.“ Irgendwie hoffte sie jetzt doch diesem Kampf zu entgehen und ihm nicht mehr zu begegnen. „Sebiha“, Kadir erhob sich und reichte Sebiha freundschaftlich die Hand. Ina stand ebenfalls auf, und beobachtete ihre Begrüssung. Offenbar kannten sie sich gut. Sebiha warf einen neugierigen Blick zu Ina, bis Kadir sie vorstellte: „Das ist Miss Ina.“ Sie reichte Sebiha ihre Hand zur Begrüssung: „Es ist mir eine Ehre, Botschafter Sebiha“, dabei gab sie sich die grösste Mühe so höflich wie möglich zu sein. Auf den Lippen des Botschafters lag ein schmeichelhaftes Lächeln. Er umschloss ihre Hand mit seinen, zog sie etwas nach oben, drehte sie um, sodass er ihre Handfläche sah, schob mit der anderen Hand ihren Ärmel zurück, neigte seinen Kopf und küsste ihr Handgelenk: „Das ist also Ina Norak“, er liess ihre Hand wieder nach unten gleiten. Ina sah ihn mit grossen Augen an, als er sich auf den Stuhl rechts von ihr setzte. „Sie sind doch nicht etwa alleine hier Miss Norak?“ Norak. Diesen Namen hatte sie seit Jahren nicht mehr gehört. „Oh, Verzeihung. Bevorzugen sie es mit Miss Ina angesprochen zu werden?“ Er bemerkte ihre Verunsicherung. „Was sie bevorzugen, Botschafter. – Ich frage mich nur, woher sie mich kennen“, Sie hatte sich wieder gefasst. „Hm. Neven hat häufig von ihnen gesprochen“, Sebiha sagte es in einem beiläufigen Ton. Ina’s Atem stockte. „Neven?“ Mehr brachte sie nicht heraus. Es war ernsthaft zu bezweifeln, dass Neven oft über sie gesprochen hatte. „Ach, das habe ich vergessen. Neven hat ihnen ja nie etwas über seine Arbeit erzählt und natürlich auch nicht über die Leute in seiner Umgebung. – Wir hatten früher oft gemeinsame Angelegenheiten. Bis er sich für einen anderen Weg entschied.“ Eine nette Umschreibung für Neven's Verrat. „Sie kannten einander offenbar gut. Wenn sie wissen, dass er nicht über seine Arbeit gesprochen hat“, entgegnete ihm Ina freundlich, obwohl es eine Lüge war. Neven sprach häufig, sogar sehr häufig über seine Arbeit. Doch Botschafter Sebiha erwähnte er nie. Zumindest erinnerte sie sich nicht daran. „Er hat sie von der Politik und dem Militär ferngehalten. Neven wollte nicht, dass sie etwas damit zu tun haben und hat daraus kein Geheimnis gemacht. – Er wollte das aus gutem Grund“, Sebiha blickte dabei in den Saal hinein und musterte einige Personen sehr eindringlich. „Aus gutem Grund?“ Ina war neugierig was für ein Grund das sein sollte. „Die Politik ist nichts anderes als ein Netz aus Geheimnissen, Lügen und Verschwörungen. Neven wollte nicht, dass sie sich mit dieser Art von Personen herumschlagen müssen.“ Ina lächelte. Ja, Neven hielt sie von solchen Personen fern. Aber er sprach über sie. „Offenbar muss ich mich doch mit dieser Art von Personen herumschlagen.“ Sebiha drehte seinen Oberkörper zu ihr und entgegnete ihren Augen bestimmt: „Sie sagen das zu einem Botschafter?!“ Ina war sich nicht sicher, ob sie ihn verärgert hatte oder vielleicht sogar beleidigt. Sein Gesichtsausdruck und seine Stimme liessen keine Folgerung zu. Also zauberte sie ihr verführerischstes Lächeln auf die Lippen: „Sie haben damit begonnen, Botschafter Sebiha.“ Er legte seinen Arm auf die Stuhllehne: „Sie wagen es, mir die Schuld zu geben?“ Seine Stimme wurde strenger. Ina sagte nichts darauf, es war nicht notwendig, da sie ihm einen eindeutigen Blick zuwarf. „Sie sollten sich entschuldigen!“ Ina verstand nicht, wo sein Problem lag. Ein Botschafter sollte sich doch besser kontrollieren können. Sie hatte keine Lust kleinbei zu geben, das musste sie die letzten drei Jahre tun. „Vielleicht sollte ich das Sir. Ich werde es aber nicht tun“, sie sprach langsam und kontrolliert. Eine Entschuldigung war für die Bestätigung seiner eigenen Aussage wirklich nicht angebracht. „Wie bitte?!“ Jetzt wurde er etwas lauter und verlieh seiner Stimme noch mehr Strenge, die Ina noch mehr verunsicherte und damit auch ärgerte. „Ich werde mich nicht für eine Schlussfolgerung entschuldigen. Sir.“ Der Botschafter zog seinen rechten Mundwinkel etwas hoch, es war kaum zu erkennen: „Sie sollten ihre Meinung noch einmal überdenken und sich für ihre Unverschämtheit entschuldigen!“ Einen Augenblick glaubte sie, er würde lächeln. Sie betrachtete sein Gesicht ganz genau, sah auf seine Mundwinkel, die er vorher etwas verzerrt hatte. Aber er hatte eine eiserne Miene aufgesetzt. „Es gibt keinen Grund mich zu entschuldigen. Wenn sie mich für unverschämt halten, steht es ihnen frei zu gehen.“ Ihr Mund war trocken, ebenso ihre Kehle, ihr Herz raste, ihr Atem war flach. Sie hatte gerade einen Botschafter aufgefordert zu gehen! Legte sich mit einem Botschafter an. Sebiha starrte sie mit kalter Miene an. Sie versuchte seinem Blick stand zu halten. Er schien durch ihre Antwort schockiert zu sein. Sie selbst war es auch und bereute schon längst was sie gesagt hatte. Aber ihre verfluchte tumanische Unbeherrschtheit. Diese tumanische Ader hatte sie schon immer in unnötige Probleme gebracht. – Wahrscheinlich musste sie sich jetzt wirklich entschuldigen und konnte von Glück reden, wenn sie danach mit dem Kopf unter den Armen verschwinden durfte. Nach einigen unendlich langen Sekunden zogen sich seine Mundwinkel nach oben. Er lachte: „Mutig. Wirklich sehr Mutig.“ Kadir hatte ein Lächeln auf seinem Gesicht. Ina versuchte einen Gedanken zu Fassen, irgendeinen klaren Gedanken. – Sie lachten.
„Jeder andere Rekrut entschuldigt sich spätestens nach der ersten Aufforderung. – Sie haben Korage!“ Ina rang nach Luft. Kadir nahm ihr Glas Talila, das auf dem kleinen runden Tisch stand und reichte es ihr: „Spülen sie ihren Schock hinunter.“ Ina führte es an ihren Mund, brachte aber keinen Tropfen über ihre trockenen Lippen. „Geht es wieder?“ Sebiha’s Mundwinkel verharrten noch in einem Lachen. Er fand es sehr amüsant. Ina schluckte schwer, er hatte mit ihr gespielt. Auf eine Art war sie glücklich über diesen Zustand, da sie ihre Worte längst bereute, auf eine andere Art ärgerte sie sich darüber, dass er das getan hatte. Sie wollte sich ihren Ärger über diese Komödie nicht anmerken lassen und antwortete so kühl sie konnte: „Die Entschuldigung lag mir bereits auf den Lippen. – Wenn sie sie also noch hören wollen.“
„Sie haben sich nichts anmerken lassen. – Liegt das an Neven's Erziehung oder an ihrem Blut?“ Sebiha's Augen funkelten. „Ich fürchte, es liegt an meiner Arroganz Botschafter.“ Ein Kellner kam vorbei und räumte den Tisch ab. Ina griff sich auf seinem Tablett ein Glas Wasser. Sebiha beobachtete sie: „Woher wussten sie, dass sie es riskieren können?“ Seine Hand lag auf seinem Mund. „Ich wusste es nicht“, gab Ina zu. Sebiha studierte ihr Gesicht, als ob er darin lesen könnte: „Entweder sind sie wirklich dermassen Arrogant, dass ihnen egal ist mit wem sie sich anlegen oder sie spielen dieses Spiel schon besser als ich in ihrem Alter.“
„Ich wusste nicht, dass wir hier sind um zu spielen“, Ina ärgerte sich allmählich über ihn und sein Verhalten. Nun versuchte er sie zu verstehen, was ausgeschlossen war, denn teilweise verstand sie sich selbst nicht und sie hatte keine Lust auf ein Machtspiel, da sie dazu verurteilt war es zu verlieren. Sebiha schwieg einige Sekunden. Er legte seinen Ellenbogen auf die Lehne seines Stuhles und stich mit seinen Fingern über den Mund: „Wenn es wirklich ihre Arroganz war, dann leben sie riskant Miss Ina“, sein eindringender Blick haftete unverschämt lange auf ihrem Gesicht. „Ist das so?“ Sie versuchte ihrer Stimme einen gleichgültigen Unterton zu geben, obwohl ihr Ärger immer grösser wurde. Sie hatte nicht vor, sich mit ihm über ihre Person zu unterhalten. „Sie sprechen erst und dann denken sie darüber nach. Arroganz, gepaart mit dem Mut den sie bewiesen haben, ist gefährlich. – Ich hoffe um ihretwillen, dass es sich um Intelligenz gepaart mit Mut zum kalkulierten Risiko handelt“, nun begann Sebiha auf seinem Daumen herum zu kauen, während er auf ihre Antwort wartete. Was wollte er? Eine Rechtfertigung? Eine Erklärung? Immer noch eine Entschuldigung?! „Sagen sie es mir, wenn sie es herausgefunden haben, Botschafter.“ Ina lächelte in sein Gesicht obwohl sie ihn hätte anspucken wollen. Arroganz, gepaart mit dem Mut den sie bewiesen haben! – Wie falsch er doch lag. Es war Arroganz gepaart mit Dummheit. Sie machte immer wieder denselben Fehler, sprach bevor sie dachte. „Oh. Sie versuchen meine Neugier zu wecken. Wirklich gut“, seine Hand machte eine eigenartige Bewegung. „Sie glauben mich durchschauen zu können“, Ina wollte seine Neugier keineswegs wecken. Sie wollte dieses Gespräch beenden. „Ich glaube? Nein. Ich habe sie durchschaut“, Sebiha streifte kurz Kadir's Blick. „Wenn sie meinen Sir“, während sie das sagte, liess sie ihren Blick durch den mittlerweile gefüllten Saal schweifen. Er war Arrogant und von sich selbst überzeugt. Wie sie solche Leute doch hasste! Sebiha strich sich mit seinem Daumen über die Lippen: „Ist es Gleichgültigkeit?“ Seine Stimme war herausfordernd. „Ist es Zwanghaft?“ Ina stellte die Frage, ohne sich dabei an Sebiha zu richten. „Was ist Zwanghaft?“
„Ihr Verlangen. – Alle mit denen sie sich unterhalten sofort durchschauen zu können“, noch immer würdigte Ina ihn keines Blickes. „Das ist nicht mein Verlangen und schon gar nicht Zwanghaft“, Sebiha’s Stimme hatte sich unmerklich verändert, sein Gesicht nicht. Er hatte eine eiserne Miene und seine Hand versperrte Ina die Sicht auf seinen Mund. „Sie wollen alle sofort in eine Kiste zu ihresgleichen stecken und hören nicht auf zu spielen bis jeder in einer Kiste ist. – Sie sind gereizt, weil sie mich noch keiner Kiste zuweisen konnten. – Ich glaube es ist Zwanghaft“, mit ihren Fingern entledigte sie sich eines Fussels, der an ihrer Hose klebte, und verdeutlichte Sebiha so noch mehr ihr Desinteresse an diesem Gespräch. „Und sie, Miss Norak oder Miss Ina, ziehen merkwürdige Schlüsse. Sie sollten sich nicht auf ihre Schlussfolgerungen verlassen, geschweigedenn darüber sprechen.“ Ina konnte seinen Blick fühlen, auch wenn sie ihn nicht sah. „Wieso? Weil sie zutreffender sind als ihre?“ Sie war wütend und hatte keine Lust dieses Gespräch fortzuführen, keine Lust sich von einem Botschafter durchschauen zu lassen. „Weil sie sich das nicht leisten können“, Sebiha's Gesichtsausdruck war nichts sagend und er fuhr fort, da sie ihn ignorierte: „Neven hätte ihnen beibringen sollen, ihre Meinung für sich zu behalten.“ Neven! Wer war er, dass er sich das Recht herausnahm über Neven’s Erziehungsmethoden zu sprechen? Das letzte Bisschen ihrer Beherrschung fand an dieser Stelle ein Ende. „Vielleicht hätte er das tun sollen. Vielleicht hat er es getan. Vielleicht sollte ich ihren Rat annehmen und vielleicht sollte ich mich sogar bei ihnen entschuldigen. Aber vielleicht sollten sie einfach mit ihrem Spiel aufhören. Ich habe nicht vor, mich von ihnen oder sonst irgendjemandem durchschauen zu lassen!“ Nun hatte sie sich ihm zugewandt. Ihre Augen fesselten seine. „Aufhören? - Haben sie Angst zu versagen?“ Er setzte ein zweifelhaftes Lächeln auf. Ina lachte: „Sie haben bereits versagt Sir. – Ich könnte also mit meiner Niederlage sehr gut leben“, ihr Tonfall war herablassend. Dann stand sie auf, ging zwischen dem kleinen Tisch und Kadir durch, beugte neben Kadir ihren Oberkörper hinunter, legte dabei eine Hand auf sein Bein, die andere auf die Stuhllehne und flüsterte in sein Ohr: „Halten sie meinen Platz frei, ich komme wieder wenn sie sich in angenehmerer Gesellschaft befinden.“ Kadir’s Augen klebten einen Moment an ihrer Hand auf seinem Bein, bis er hörte was sie sagte. Er sah sie an. Als sie sich wieder aufrichtete, suchte sie seinen Blick. Sie wusste, dass Sebiha sie beobachtete und jedes ihrer Worte hören konnte. Ohne Sebiha noch eines Blickes zu würdigen verliess sie die beiden. Marschierte stolz quer durch den Saal zur Tür hinaus. Auf dem Weg dorthin sprach sie jemand an, es war Ilean, den sie ignorierte und einfach weiterging. Er folgte ihr.
Sebiha sah Ina hinterher, bis sie den Raum verlassen hatte. Dann erst bemerkte er Kadir's Blick: „Du hast sie verscheucht.“ Wirklich? Sebiha fragte sich noch, was genau geschehen war. Sie hatte mit ihm gespielt. Ihn herausgefordert. Ihn vielleicht sogar beleidigt. Das konnte er noch nicht so genau abschätzen. Also musste diese Beleidigung sehr gut verpackt gewesen sein. „Ihre Hand war auf deinem Bein.“ Doch Kadir tat es mit einer Handbewegung ab. „Deine Rekrutin? Ich habe noch nie einen Rekruten gesehen, der freiwillig am Tag der Abschlussfeier mit einem seiner ehemaligen Ausbilder spricht. Geschweigedenn mit einem von ihnen zusammen sitzt. Eine gute Kadettin?“ Sebiha fügte diese Frage an, da er zu gut wusste, dass er auf alles andere keine Antwort bekommen würde. Kadir drehte sein Glas langsam in der Hand: „Gut. Aber sie bekommt nicht gerne Befehle.“ Sebiha sah erneut zu der Tür, durch die Ina den Saal verlassen hatte: „Eine interessante junge Frau. So fesselnd. Schade, dass sie schon gegangen ist. Ich hätte mich gerne noch weiter mit ihr unterhalten.“ Kadir lehnte sich gemütlich in seinem Sessel zurück: „Du hast sie verscheucht“, auch er sah zu der Tür. „Ich hätte das nie getan. Wenn man die Gelegenheit hat, als frischer Soldat mit einem Botschafter an einem Tisch zu sitzen, einfach gehen. Das ist eigenartig – so“, Sebiha konnte es noch nicht formulieren. „Überheblich?“ Schlug ihm Kadir vor. Aber das wollte er nicht behaupten. Es war nicht überheblich, es war einfach ungewohnt. Kadir neigte sich zu ihm herüber und lachte ihn verlogen an: „Du bist beleidigt, weil ein frischer Soldat es nicht für notwendig empfand, sich von dir in die Enge treiben zu lassen.“ Sebiha schüttelte seinen Kopf: „Nein. Ich glaube sie hatte Angst. - Wir haben sie eingeschüchtert.“ Kadir lachte: „Wir? Wenn, dann warst du es. Aber das bezweifle ich“, er stand auf. Sebiha sah ihm irritiert entgegen: „Wohin gehst du?“ Kadir leerte sein Glas und stellte es auf den Tisch: „Nilia ist auf dem Weg hier her.“
Ina blieb im nächsten Saal abrupt stehen, sodass Ilean gegen ihren Rücken lief. Sie atmete tief durch und drehte sich um. „Was ist los Kleines?“
„Nichts!“ Ina war gereizt, wütend. „Aber natürlich“, Ilean nahm sie in seine Arme. Sie erwiderte seine Umarmung nicht, war mit ihren Gedanken woanders. „Ich gratuliere zu deinem Abschluss Kleines“, er liess sie wieder los, legte seinen Arm um ihre Schulter und ging mit ihr zu einem Tresen am Rand des Saals. „Erzähl es mir Kleines“ dabei spitzte er seine Lippen. Ilean war einen Kopf grösser als Ina, deshalb nannte er sie immer nur Kleines. Sie hob ihre Hand, schüttelte ihren Kopf, atmete laut aus. Danach sah sie durch den Raum, während sie sich auf die Lippen biss. „So schlimm?“ Fragte er etwas besorgt. „Ich! Ich!“ Ina wusste nicht was sie sagen wollte. Ihre Wut wurde immer grösser, dabei war ihr nicht einmal klar, ob sie auf sich selbst oder auf Botschafter Sebiha wütend war. „Du hast mehr als eine Stunde mit Kadir an einem Tisch gesessen?“ Ilean versuchte ihr die Antwort abzunehmen. Ina fuhr mit ihrer Zunge über ihre Lippen und nickte. Er hatte sie also zusammen gesehen und war ihr nicht unterstützend zur Seite getreten! „Er hat dich Botschafter Sebiha vorgestellt?“ Und wieder nickte sie ausser Atem, obwohl sie keine sportliche Höchstleistung vollbracht hatte. „Und du hast den Botschafter nach zehn Minuten alleine mit Kadir dort sitzen lassen?“ Ina sah auf den Boden und nickte. Sie musste verrückt sein. Hatte einen Botschafter sitzen lassen. Ging einfach! Nein! Schlimmer! Sie ging nicht einfach! Sie hatte ihn vorher noch beleidigt! „Du hast dich von Kadir verabschiedet?“ Wieder nickte Ina. Versuchte zu schlucken. „Wo deine Hand lag möchte ich an dieser Stelle nicht erwähnen. Und was dein Mund an seinem Ohr gemacht hat, möchte ich nicht wissen.“ Ina sah in Ilean’s dunkle Augen. Ihr Körper fing an zu zittern: „Ich bin verrückt!“
„Das auch. Aber vor allem bist du Dreist. Ich meine, Kadir! Was tut deine Hand auf seinem Bein?! Du hättest Botschafter Sebiha’s Gesicht sehen sollen! Du hättest mein Gesicht sehen sollen. Und wieso bist du gegangen? Botschafter Sebiha! Jeder wünscht sich, ein einziges Wort an ihn richten zu dürfen. Es gibt sogar Offiziere, die den Boden vor seinen Füssen ablecken würden, nur um von ihm beachtet zu werden. Wieso bist du gegangen?!“ Die Fassungslosigkeit in seiner Stimme war nicht zu beschreiben. „Er hasst mich!“ Ina's Stimme war leise, perplex.
„Was hast du getan?“ Sie schüttelte ihren Kopf: „Ich habe mich nicht entschuldigt und dann, dann habe ich mich auf einen Dialog mit ihm eingelassen. Und dann, dann war es meine Arroganz. – Ich habe ihm gesagt, dass – dass er verloren hat.“
„Was hat er verloren?“ Ilean verstand nicht was sie meinte. „Dass er gegen mich verloren hat.“ Er sah sie lange an. „Ein Wort traf das andere, es ging zu schnell, ich konnte nicht – ich konnte nicht aufhören.“ Ilean starrte in ihre Augen. Schliesslich nahm er sie erneut in seine Arme und dieses Mal erwiderte sie die Umarmung. Sie umschlang ihn mit ihren Armen. „Oh Kleines“, er hielt eine Hand auf ihren Kopf und stütze sein Kinn darauf ab: „Das war dumm von dir.“
„Ich weiss“ Ina war verzweifelt. „Unglaublich dumm, Kleines“, Ilean's Verdeutlichung war keineswegs mehr notwendig noch in irgendeiner Weise hilfreich. Aber so war er nun Mal. Ehrlich! „Ich weiss. – Nilia wird mich umbringen, wenn er das erfährt“, diese Gewissheit war noch erdrückender, als die Tatsache, was sie Sebiha alles gesagt hatte. „Das ist anzunehmen.“ Eine Zeitlang standen sie einfach so da. „Stören wir?“ Es war Saira. Ilean nahm seine Hand von Ina’s Kopf, er wollte die Umarmung lösen, aber sie hielt in fest. Wollte niemanden sehen, von niemandem gesehen werden. Er legte seine Hand auf ihren Nacken und blieb in dieser Position. „Was ist los?“ Saira wusste, dass etwas nicht stimmte. „Unser Kleines hat keinen guten Tag.“
„Wieso?“
„Sie hat bisher den ganzen Abend mit Kadir verbracht“, erklärte Ilean. „Ach! Wir sind jetzt ja da. Können deinen Abend noch retten“, Davut hatte den Ernst der Lage noch nicht erkannt. Dafür war er schon zu betrunken. „Und?“ Fragte Saira, die wusste, dass das noch nicht alles war. „Er hat sie Botschafter Sebiha vorgestellt“, berichtete Ilean weiter. „Und?“ Aufregung lag in Saira's Stimme. „Unser Kleines hat ihn beleidigt“, nach diesen Worten von Ilean sagte keiner von ihnen irgendetwas. Sogar Davut hatte es begriffen. Sie standen da und waren über Ina’s Unverfrorenheit schockiert. „Kapitän Kadir“, warnte Saira unheilvoll. „Er kommt doch nicht her oder?“ Ina drückte ihren Kopf immer noch in Ileans Brust. „Ich bin hier“, Kadir’s Stimme war ruhig. Ina presste ihre Augen zusammen, ballte ihre Hände zu Fäusten, atmete tief durch und ärgerte sich darüber, ihre eigene Dummheit an diesem Abend schon wieder übertroffen zu haben. Ilean klopfte mit seiner Hand sanft auf ihren Rücken und flüsterte in ihr Ohr: „Du musst jetzt irgendetwas tun Kleines. Er wartet.“ Was wollte er? War er gekommen um ihr zu sagen wie deplaziert ihr Verhalten war? Sie hatte nicht vor, sich etwas anmerken zu lassen, obwohl die Situation offensichtlich war. Ina liess Ilean los und versuchte ihrer Stimme einen aufgestellten Klang zu geben: „Kapitän.” Kadir betrachtete sie skeptisch, schliesslich holte er Luft: „Soldaten, sie haben mit ihrer Zeit sicher besseres zu tun, als hier rumzustehen“, dabei wechselte er den Blick von Saira zu Davut und Ilean. Ilean sah zu Ina, um festzustellen ob er sie mit Kadir alleine lassen konnte. Saira packte Davut am Arm und zog ihn weg. Ilean folgte ihnen. Kadir stellte sich an den Tresen neben Ina und bestellte zwei Talila. Die Gläser wurden hingestellt und er schob eines zu Ina. Wenn sie weiter so viel trank, würde sie es morgen vielleicht vergessen haben. Nicht aber der Botschafter, Kadir oder Nilia, wenn er erst davon erfahren hatte. Sie drehte das Glas in ihren Händen und wartete darauf, dass Kadir etwas sagte. Aber er schwieg. Offenbar hatte er nicht vor ihr zu sagen wie dumm sie war. Er leerte sein Glas und deutete dem Kellner, der hinter der Bar stand, es wieder zu füllen. Sie standen einfach nur da, ohne etwas zu sagen und ohne sich anzusehen. Nach einigen Minuten des Schweigens hielt es Ina nicht mehr aus: „Wieso sind sie hier, Sir?“
„Wieso sind sie hier?“ Er sah sie nicht an als er die Frage stellte. „Ich bin hier, weil es Nilia von mir verlangt“, Ina's Antwort war ausweichend. „Und wieso sind sie hier?“ Er liess nicht nach. Natürlich hatte sie schon das erste Mal begriffen, dass er wissen wollte wieso sie gegangen war, sie hatte aber keine Lust darauf einzugehen. „Sie wissen weshalb.“
„Weiss ich das?“ Ina stiess ihren Atem aus: „Ich habe einen Botschafter beleidigt.“ Kadir sah sie an: „Sie haben ihn nicht beleidigt. Sie haben seine Herausforderung angenommen und ihn beeindruckt.“
„Natürlich. Ich habe ihn mit meiner Dummheit und Arroganz beeindruckt!“ Ina’s Sarkasmus war kaum zu übertreffen. Kadir schwieg. „Ich hätte einen besseren Eindruck hinterlassen, wenn ich mich einfach nur betrunken hätte.“ Kadir drehte sich zu ihr: „Glauben sie das?“
„Was ich glaube Sir, spielt keine Rolle.“ Er nickte. „Wieso sind sie hier Sir?“
„Um ihnen zu helfen Miss Ina.“
„Und wie wollen sie mir helfen?“ Ina glaubte nicht, dass ihr noch zu helfen war. Ausser jemand riss ihr den Kopf ab bevor Nilia es tat. „Nicht so“, Kadir’s Stimme war ruhig. „Nicht so?“ Was meinte er damit?
„Mit ihrer negativen Einstellung kann ich ihnen nicht helfen.“
„Was für eine Einstellung sollte ich nach diesem Auftritt denn haben?!“ Ina wäre am liebsten in der Menge untergegangen. „Dieselbe die sie hatten als sie gingen. – Stolz.“ Und er wirkte sogar noch überzeugt davon. „Sir, wissen sie nicht was passiert ist?“ Ina fragte sich, ob er mitbekommen hatte was sie getan hatte. Oder ob sein Gehör so schlecht war, dass er es nicht hörte. „Ich weiss es besser als sie Soldat.“
„Dann sagen sie es mir. Was ist da passiert?“ Ina wurde allmählich wieder aggressiv. Kadir hielt sie hin und das konnte sie nicht ausstehen. Er sah in ihre grünen Augen: „Wollen sie meine Hilfe?“
„Wollen sie, dass ich sie darum bitte?“ Sie hatte nicht vor das zu tun. „Nein. Ich will wissen ob sie daran interessiert sind, dieses Spiel fortzusetzen.“
„Spiel?!“ Ihr Magen verkrampfte sich. „Wie sie selbst so treffend festgestellt haben, hat Sebiha angefangen mit ihnen zu spielen. Sind sie interessiert weiter zu machen?“ Kadir's Stimme hatte nicht dieselbe Strenge wie auf der Rekrutenschule. „Nein. Ich habe keine Lust auf sein Machtspiel!“ Dass seranische Botschafter es wirklich nötig hatten ihre Macht an jungen Soldaten zu demonstrieren war widerwärtig. „Kein Machtspiel. Ein Wortspiel. Nicht mehr“, erwiderte Kadir ruhig. „Und das soll ich ihnen glauben Kapitän?“ Kadir entgegnete ihr mit einem Blick der so viel sagte wie: Weshalb sollte ich sie belügen? „Ist ihm langweilig, dass er das tut?“
„Er hält seinen Geist wach Miss Ina und – ja, manchmal kann es einem Botschafter bei solchen Veranstaltungen langweilig werden.“ Ina beäugte Kadir ungläubig. „Sie können mir glauben oder nicht. Es ist ihre Wahl. Wobei letzteres sehr dumm wäre“, Kadir wandte sich wieder von ihr ab und sah durch den Spiegel, der hinter dem Tresen befestigt war, durch den man den ganzen Saal beobachten konnte. „Weshalb wäre es sehr dumm?“
„Weil sie seine Herausforderung bereits angenommen haben. Wenn sie jetzt aufgeben, sind sie ein Feigling.“ Das war sie ganz gewiss nicht! „Ich habe ihn beleidigt.“ Der Kapitän neigte seinen Kopf: „Das sieht er anders. Im Moment bedauert er, dass sie gegangen sind“, dann neigte er sich zu ihr hinab: „Er war sprachlos. Aber wenn sie sich im heute nicht mehr stellen, weiss er, dass sie ein Feigling sind.“ Ina spielte mit ihren Fingern an ihrer Lippe. „Worüber denken sie nach?“ Sie sah ihn an. „Ich bin kein Feigling.“
„Ich weiss. Aber er weiss es noch nicht.“
„Dann tun sie das, wofür sie gekommen sind. Helfen sie mir.“ Kadir sah sie einen Augenblick an: „Bisher haben sie sich als würdig erwiesen. Ihr ganzes Verhalten hat ihn verblüfft. Und dass sie gegangen sind ohne sich von ihm zu verabschieden, damit haben sie es auf die Spitze getrieben.“ Er winkte einen Kellner heran: „Wasser!“ Befahl er ihm kurz. „Achten sie darauf, dass sie klar denken können.“ Kadir dachte einen Augenblick nach. Ina’s Augen klebten an seinem Mund. „Weil sie ihn dazu herausgefordert haben, wird er alles daran setzen, sie in eine Kiste zu ihresgleichen zu stecken.“ Jetzt war es auch noch ihre Schuld! „Hat er das noch nicht?“ Ina war überzeugt, dass Sebiha sie längst durchschaut hatte. „Nein. Bisher sind sie ein Rätsel für ihn. – Und er mag Rätsel. Er wird es sie wissen lassen, wenn er glaubt sie durchschaut zu haben.“ Wenn es Sebiha tatsächlich gelang, sie zu durchschauen? Wenn er tatsächlich begriff, dass es einfach nur ihre Unbeherrschtheit war, die sie dazu trieb, dann würde er den Spass an ihr schneller verlieren als er ihn gefunden hatte. „Danke.“ Kadir lächelte sie an: „Dafür müssen sie sich nicht bedanken.“
„Doch Sir. Ich dachte, ich...“, Ina unterbrach sich selbst. Es war Kadir. Sie hatte nicht vor ihm ihre Gedanken offen zu legen. „Das hätte kein anderer Offizier getan.“
„Sie wissen weshalb ich es tue Ina“, seine Stimme war leiser als zuvor. Eine Seranerin hätte es wohlmöglich nicht einmal gehört. „Ja. – Für ein Essen.“ Die Enttäuschung über ihre Antwort stand ihm ins Gesicht geschrieben. Ina wollte nicht weiter darauf eingehen, sie entschied das Thema zu wechseln: „ Ist er noch dort?“
„Ja. Nilia leistet ihm Gesellschaft.“
„Dann sollten wir wohl zurück“, damit wollte Ina einem Gespräch mit Kadir aus dem Weg gehen. „Nein. Lassen sie Sebiha noch etwas warten. Geben sie ihm genug Zeit um anzunehmen, dass sie nichts weiter als ein Feigling sind.“ Kadir reichte ihr seinen Arm: „Sie werden später noch lange Sitzen müssen, vertreten wir unsere Beine ein wenig“, Er nahm ihren Arm und legte ihn unter seinen. In langsamem Schritt gingen sie durch die Säle. Sie waren ungefähr eine Stunde unterwegs und unterhielten sich über verschiedene Dinge. Ina erhielt einen vollkommen neuen Eindruck von Kadir. Sie war erstaunt darüber, wie anders er war. Wie falsch sie ihn eingeschätzt hatte. Kadir schien ruhig und sehr bedacht zu sein. Sie fragte ihn über sein Leben aus, um zu erfahren wer er war. Sein Vater, ein Bauer des Mittelstandes, verwendete seine gesamten Ersparnisse um seine Ausbildung zu finanzieren. Kadir war das älteste von drei Kindern. Nachdem er in den Dienst eingetreten war, wurde sein Sold verwendet um die Ausbildung seiner beiden Geschwister zu finanzieren. Sein Bruder, der fünf Jahre jünger war, wurde Berater beim seranischen Militär. Seine sieben Jahre jüngere Schwester wurde Schneiderin und machte, nicht zuletzt wegen Kadir’s Erfolg beim Militär, eine gute Partie bei ihrer Heirat. Kadir selbst war nie verheiratet. „Wieso habe sie nie geheiratet Sir?“
„Ich konnte mich nie dafür entscheiden.“
„War diese Entscheidung so schwer?“ Die meisten Seraner in seinem alter waren längst verheiratet. Viele sogar schon zum zweiten Mal. Einem zu begegnen, der es noch nicht war, war äusserst selten. „Ich war ständig unterwegs. – Und keine Frau hat Lust, einen Mann zu heiraten der kaum auf Seran ist. Es sei denn, sie tut es wegen seinem Rang“, Kadir versah sie mit einem kurzen Seitenblick. Ina wunderte sich darüber, dass er sich überhaupt darauf eingelassen hatte, ihr zu antworten. Um nicht wieder in ein unangenehmes Schweigen zu verfallen, fragte sie weiter: „Wie viele waren es?“ Wobei diese Frage eigentlich sehr indiskret war.
„Spielt das eine Rolle?“ Dabei zog er ihren Arm etwas fester unter seinen. Spielte es eine Rolle? Für Ina nicht wirklich. Doch er sollte mit offenen Karten spielen, wenn er schon sein Interesse an ihr demonstrierte. „Waren es so viele?“ Ina's Ton war leicht unterschwellig. „Es waren einige. – Aber nicht viele“, Kadir's Augen hafteten auf ihrem Gesicht, um ihre Reaktion darauf nicht zu verpassen. Doch sie gab ihm keine Anhaltspunkte, die irgendeinen Schluss zuliessen.
Sebiha sass noch am selben Platz, als sie den Saal wieder betraten. Ihm gegenüber hatten sich Nilia und einige Offiziere, die Ina nicht kannte, niedergelassen. „Sind sie bereit?“ Ina atmete tief durch: „Ja“, eigentlich meinte sie nein. Kadir ging unbeirrt weiter auf die kleine Gruppe zu. Die zwei Stühle links von Sebiha waren noch frei. Sebiha sah Ina interessiert an, als sie mit Kadir auf ihn zuging. Nilia drehte seinen Kopf, um zu sehen wer Sebiha’s Aufmerksamkeit auf sich zog. Er stand auf und begrüsste Ina mit einem Kuss auf die Stirn. Auch alle anderen Offiziere erhoben sich. Nilia machte Ina mit jedem einzelnen von ihnen bekannt, bis hin zu Sebiha. „Das ist Botschafter Sebiha“, Nilia's Augen verzogen sich zu kleinen Schlitzen, als er Ina eindringlich anstarrte. Wohlmöglich sollte es soviel heissen wie: beeindrucke ihn! „Ich hatte das rätselhafte Vergnügen ihr Protegé kennen zu lernen bereits, General“, wandte Sebiha ein. Nilia war die Überraschung über diesen Zustand und über Sebiha’s Ausdrucksweise anzusehen. „Zweifelhaft“, erwiderte Ina beiläufig. Einige Offiziere hatten sie nicht gehört, alle anderen warfen ihr fragende Blicke zu. Sebiha liess seine Augen auf Ina’s Gesicht ruhen: „Was ist Zweifelhaft?“
„Unser Vergnügen Botschafter. Sie sagten Rätselhaft, meinten aber doch Zweifelhaft“, dabei lächelte sie ihn an. Diesmal hatten sie alle Anwesenden gehört und sie wechselten untereinander schockierte Blicke. Jeder wartete auf Sebiha’s Reaktion. Ina fühlte Nilia’s strengen Blick in ihrem Nacken aber sie hielt Sebiha’s Blickkontakt. „Nein, Miss Norak. Ich meinte Rätselhaft. Unser Vergnügen war Rätselhaft.“
„Für mich war es Zweifelhaft. Um in Gegenwart anderer nicht zu erwähnen, dass es wohlmöglich nicht einmal ein Vergnügen war.“ Niemand gab einen Laut von sich. Einige Offiziere hielten sogar ihren Atem an. Ina rechnete damit jeden Augenblick von Nilia zu Recht gewiesen zu werden. Ihr Herz raste. Sie fühlte die Blicke der Offiziere und wurde unsicher. Sebiha zog seinen rechten Mundwinkel etwas nach hinten: „Sie haben Glück. Ich hätte ihren Stuhl beinahe anderweitig vergeben, da ich annahm sie würden nicht wiederkommen“, Sebiha lud sie mit diesen Worten auf den Stuhl neben sich ein. Wobei keiner der Offiziere begriff, weshalb er das tat und weshalb er Ina nicht zu Recht wies. Nach Kadir's Begrüssung setzten sich alle wieder auf ihre Plätze, wobei das vorher geführte Gespräch nicht weiterging. Man staunte noch über Ina’s Frechheit Sebiha gegenüber und über seine Reaktion darauf. „Was hat sie dazu bewogen wieder zu kommen?“ Dabei warf Sebiha Kadir einen vielsagenden Blick zu. „Das hier, Botschafter, ist mein Platz. Die Frage ist eher, was sie dazu bewogen hat zu bleiben?“ Ihre Stimme war klar und freundlich, obwohl sie sich immer noch nicht sicher war das richtige zu tun. „General Nilia“ gab Sebiha kurz als Antwort. Ina sah kurz zu Nilia, dessen strenger Blick sie beinahe in Fetzen riss, wandte sich dann aber sofort wieder an Sebiha: „Was ist mit General Nilia?“
„Der Anstand, Miss Norak, untersagt es mir, einen General alleine sitzen zu lassen. Vielleicht hat Neven vergessen ihnen das beizubringen“, sein Tonfall war freundlich und herausfordernd zugleich. Niemand ausser Ina und Kadir verstand seine Andeutung. „Oh doch. Neven hat tatsächlich einmal gesagt, dass ich einen General nicht alleine sitzen lassen darf. Botschafter“, ihre Betonung lag auf seinem Titel. Sebiha lehnte sich in seinem Stuhl zurück: „Schade, dass er ihnen nicht sagte, dass dasselbe auch für Botschafter gilt. Aber wahrscheinlich ging er davon aus, dass sie über genug Intelligenz verfügen, um diesen Schluss selber zu ziehen.“ Ihr Wortwechsel wurde von allen gespannt mitverfolgt. „Botschafter, weder sie noch ich, würden uns anmassen, aufgrund unserer selbst vermuteten Intelligenz, derartige Schlüsse zu ziehen“, Ina's Stimme war Zuckersüss, ihr Lächeln verführerisch, ihre Worte berechnet. Der Offizier, der neben Sebiha sass, biss beinahe den Rand seines Glases ab. Sebiha’s Finger lagen auf seinen Lippen. Man wartete gespannt auf seine Antwort. Ina wich mit ihren Augen nicht von seinem Gesicht. Sie suchte nach etwas, das ihr zeigte, dass sie so weiterverfahren konnte. Es dauerte einige Sekunden bis Sebiha Antwortete: „Ich werde Neven über sein Versagen bei ihrer Erziehung informieren, wenn ich ihn das nächste Mal sehe“, er war ihr ausgewichen, hatte das Thema gewechselt. War das ein gutes Zeichen? „Tun sie das“, Ina hatte nicht vor sich auf ein Gespräch über Neven einzulassen, deshalb hielt sie ihre Antwort kurz, um ihm keine Kontermöglichkeit zu geben. „Ich würde ihn bitten, eine Liste seiner Versäumnisse zu machen. Seiner Versäumnisse und ihrer Fehler. Allerdings ist zu befürchten, dass diese Liste sehr lang werden würde“, er sprach wieder über Neven, sie konnte ihm nicht ausweichen. „Wenn sie das tun, Botschafter, haben sie meine Erlaubnis, den Teil betreffend Arroganz, für ihren eigenen Gebrauch zu kopieren“, ihr Mund trocknete aus. War das zuviel? Wie lange würde Nilia noch schweigen? Seine eiserne Miene haftete an ihr. Vielleicht hätte sie es auf später verschieben sollten, wenn Nilia nicht mehr da war. Sebiha sah sie mit seinen nichts sagenden Augen an. Dann nickte er: „Was werden sie mit ihr tun General?“ Wandte er sich Nilia zu. „Es gibt bereits Pläne“, Nilia versteckte seine ausweichende Antwort hinter einem gespielt zufriedenen Gesichtsausdruck. „Ich habe gehört, dass sie noch einen Jungen von der Strasse finanziert haben General. Hat es sich gelohnt?“ Es war Kapitän Arton, der diese Frage einwarf. Nilia entgegnete selbstgefällig: „Er hat als einer der Besten abgeschlossen.“
„Ich denke darüber nach, das auch zu tun. Können sie mir sagen, wo sie diesen Jungen gefunden haben?“ Wollte Kapitän Quirin von ihm wissen. „Auf der Strasse“, Nilia’s Antwort war prompt und kühl, damit brachte er alle zum lachen.
Es wurde viel getrunken und geredet. Je länger der Abend wurde, umso banaler wurden die Gesprächsinhalte. Und je banaler die Gesprächsinhalte wurden, desto mühsamer wurde es für Ina, diesen Gesprächen zu folgen. Bis sie Sebiha’s verstohlene Art bemerkte. Beiläufig fragte er seine bereits betrunkenen Gesprächspartner über Pläne und Ideen aus. Sie haftete ihre Ohren an seinen Mund und erfuhr so einige Dinge die sie erstaunten. Nilia verliess den Tisch im Verlauf des Abends. Somit waren Ina, Sebiha und Kadir die einzigen nüchternen Personen in dieser Gruppe. Nach einigen Stunden fühlte sie ihre Beine nicht mehr, ihr Rücken schmerzte und ihr Nacken war steif. Als ob Kadir es ihr angesehen hätte, lehnte er sich zu ihr und fragte so leise, dass es niemand hören konnte: „Schmerzen?“ Ina wollte ihren Kopf zu ihm drehen, aber ihr Nacken verunmöglichte es. Also drehte sie ihm ihren Körper zu: „Ein wenig.“ Kadir warf einen Blick durch die Runde: „Kommen sie.“ Ina runzelte ihre Stirn. Jetzt gehen? Wo es gerade interessant wurde? „Hier werden sie nichts mehr erreichen. Keiner von denen wird sich morgen noch an ihren Namen erinnern oder daran, wie viele Geheimnisse er Sebiha verraten hat.“ Sie schmunzelte bei seinen letzten Worten. Kadir stand auf und reichte ihr seine Hand. Ina nahm sie danken an, da sie nicht wusste, ob sie noch auf ihren Beinen stehen konnte. Sebiha wandte sich ihr sofort zu als er bemerkte, dass sie im Begriff war zu gehen. „Miss Ina“, er stand auf: „Sie wollen doch nicht gehen ohne sich von mir zu verabschieden? – Ein zweites Mal würde ich es ihnen nicht verzeihen. Nicht an einem Abend“, dabei schenkte er ihr ein freundliches Lächeln. Sie biss sich auf die Lippen: „Dann habe ich wohl Glück, dass wir uns bereits in einem neuen Tag befinden.“ Sebiha’s Lächeln wurde breiter, er griff ihre freie Hand, zog sie hoch, drehte sie, schob den Ärmel nach hinten und küsste ihr Handgelenk: „Ich hoffe, General Nilia verschwendet ihr Talent nicht. Und ich hoffe, sie bald wieder begrüssen zu dürfen Miss Ina. – Es war eine Freude“, er hielt ihre Hand noch fest. Wollte sie scheinbar nicht los lassen ohne eine Antwort von ihr erhalten zu haben.
„Es war eine Herausforderung“, entgegnete sie ihm mit Charme. „Einigen wir uns auf: freudige Herausforderung“, Sebiha neigte seinen Kopf ein wenig seitwärts nach unten und betrachtete sie mit etwas zusammengedrückten Augen. Mit einem sanften Kopfnicken gab sie ihm ihr Einverständnis. Er liess ihre Hand los und setzte sich wieder. Die Offiziere dieser seltsamen Runde nahmen nicht wahr, dass sie und Kadir gingen. „Fühlen sie ihre Beine noch?“ Es war ein seltsames Gefühl, als Kadir ihren Arm unter seinen zog und mit ihr langsam durch den Saal auf die Tür zuging. „Seit etwa einer Stunde nicht mehr“, Ina wunderte sich, dass sie es überhaupt schaffte ein Bein vor das andere zu setzen. „Wie lange wird das hier noch dauern?“
„Noch lange“, Kadir ging mit ihr auf ein Fenster zu. Auf der rechten Seite des grossen, runden Fensters, das von der Decke bis zum Boden reichte und von einer zur anderen Wand ging, lehnten sie sich an die Mauer. Von diesem Fenster aus, konnte man auf die ganze Stadt sehen. Der Unterschied zwischen dem reichen und dem armen Teil Seran's war hier deutlich zu erkennen.
Die beiden Monde standen über dem Gebäude, es musste also ungefähr vier Uhr morgens sein. Alle Säle waren noch gefüllt. Viele der Anwesenden waren betrunken oder zumindest angetrunken. Ina beobachtete Abschlussrekruten die versuchten sich wichtig zu machen, andere die einen guten Eindruck hinterlassen wollten und solche, denen wohl niemand sagte worum es ging oder die es nicht nötig hatten jemanden zu beeindrucken. Wobei diese Sorte zweifellos überwog. Ihr fielen Offiziere auf, die das Verhalten der frischgebackenen Soldaten studierten und andere, denen es egal war. Mit einem Schlag war Ina hellwach. Sie hörte eine Stimme. Suchte das Gesicht dazu. In einer kleinen Gruppe von angetrunkenen Offizieren und Soldaten fand sie ihn und neben ihm stand ein weiteres Gesicht das sie niemals vergessen würde. Sie war ihnen einmal begegnet. Ein einziges Mal in ihrem Leben. Doch diese Begegnung reichte aus, um ihr ganzes Leben zu verändern. Ina’s Körper versteifte sich. Sie hielt ihren Atem an und starrte in ihre Richtung. „Ist etwas?“ Kadir unterbrach die Stille.
„Nichts!“ stiess sie hinaus. „Natürlich“, er liess sie merken, dass sie ihn nicht überzeugt hatte. Dann folgte er ihrem Blick bis zu der Gruppe jener Offiziere und liess seine Augen wieder zurück auf Ina gleiten: „Kennen sie ihn?“
„Wen?“ Sie konnte ihre Augen nicht von ihnen losreissen. „Ifeta – Kennen sie ihn?“ In Kadir's stimme lag etwas Abwertendes. „Nein! – Ja – Nein“, sie stotterte. Kadir stellte sich vor sie, um ihr die Sicht auf Ifeta, den sie anstarrte, zu versperren. Mit seinen eindringlichen, dunklen Augen suchte er ihren Augenkontakt und hielt ihn. „Können wir gehen?“ Obwohl er sich über ihre Bitte wunderte, nickte er kurz, reichte ihr seinen Arm und ging mit ihr in einen anderen Saal an einen Tresen. Nach zwei Gläsern Talila und keinem einzigen Wort fragte Kadir schliesslich: „Wollen sie darüber reden?“
„Nein!“ Ina’s Antwort kam ihm wie ein Pfeil entgegen geschossen. Er akzeptierte es und schwieg. Sie standen lange da, ohne miteinander zu sprechen. Doch Ina genoss die Stille. Sie hatte an diesem Abend genug gesagt, war müde, ihre Gedanken waren durcheinander gewirbelt und sie wollte einfach nur da stehen und ihre Umgebung beobachten. Kadir tat dasselbe. Stand da und beobachtete. Hin und wieder wechselten sie einige Worte miteinander, aber es ergab sich kein Gespräch daraus. „Kapitän“, Saira’s Förmlichkeit, die wie aus dem Nichts aufgetaucht war, war kaum zu übertreffen. Kadir begegnete ihr mit derselben Form: „Soldat.“ Dann wandte sie sich zu Ina: „Ich gehe. Davut kann kaum noch gerade stehen“, Saira kam etwas näher zu Ina, damit sie in ihr Ohr flüstern konnte: „Soll ich dich von diesem Ekel befreien?“
„Richte Davut Grüsse von mir aus, wenn er wieder bei Verstand ist“, entgegnete Ina offen, so dass es Kadir auch hören konnte. Bei diesen Worten verdrehte Saira die Augen, verabschiedete sich in aller Form von Kadir und ging mit Davut in den Armen davon. Kadir betrachtete Ina lange und ungeniert. „Weshalb sehen sie mich so an, Sir?“
„Wollten sie nicht auch gehen?“
„Wenn ich gehen wollte, Kapitän, würde ich nicht auf Unterstützung warten“, Ina sprach direkt und kühl. Der Abend dauerte bereits zu lange, um noch Höflichkeit vorzutäuschen. In Kadir's Augen erkannte Ina ein kleines Aufblitzen von Triumph. „Das bedeutet nur, dass ich gerne hier stehe und beobachte. – Mehr nicht“, füge Ina hastig an. Auf keinen Fall wollte sie ihm den Eindruck vermitteln, dass sie seine Gesellschaft mochte. „Natürlich“, seine Miene sagte den Rest. Er wusste, dass sie ihre Meinung über ihn geändert hatte. „Allerdings. Ich habe tatsächlich vor zu gehen Kapitän“, noch länger mit Kadir dort zu verweilen, hätte er als eindeutige Aussage auffassen können. „Ich werde sie Nachhause begleiten.“
„Das müssen sie nicht tun“, Ina wollte noch alleine sein. Doch Kadir hatte nicht vor, das zu zulassen: „Der Anstand lässt nicht zu, dass ich sie spät Nachts alleine gehen lasse.“ Bei diesen Worten musste sie unwillkürlich lachen. Denn die Sonne war bereits aufgegangen. Mit einer Handbewegung gab sie ihm ihr Einverständnis.
Die Sonne blendete, als sie das Gebäude verliessen. Ina hatte Mühe damit, sich an den grellen Lichtunterschied zu gewöhnen. Sie drückte ihre Augenlieder zusammen und hielt schützend ihre Hand davor, doch sie war fast blind. Kadir hatte diesen Makel an ihr während der Rekrutenschule zur genüge kennen gelernt. Also nahm er ohne ausflüchte ihren Arm und führte sie sicher bis zur U-Bahn. Im Untergrund war die Beleuchtung nicht so grell und sie sah die Hindernisse auf ihrem Weg wieder. Ihre Beine waren schwer, und die Treppe die hinunter führte, schien endlos zu sein. In der High-Speed-Bahn sassen sie schweigend nebeneinander. Ina war zu müde um ein Gespräch zu führen. Wie bereits die Treppe, kam ihr die Fahrt endlos vor. Ihre Augenlieder wurden schwer, das Bild vor ihren Augen verschwamm. Es war nicht nur Müdigkeit. Kadir stand auf. Ina folgte ihm neben die Ausgangstür. Ihre Beine waren wackelig, daher hielt sie sich an einem Riemen, der von der Decke hing, fest. Als die Bahn stoppte, rutschte ihr der Riemen aus der Hand, ihre Beine knickten zur Seite und sie landete in Kadir's Armen. Für ihn war es ein Vergnügen, sie in seinen Armen zu haben. Er sah mit einem charmanten Lächeln auf sie hinunter, als er ihr half sich wieder aufzurichten. Ihr war es unangenehm. Sie stiegen aus und gingen in den Fahrstuhl. Als er sich in Bewegung setzte geriet sie ins Schaukeln, wollte sich an der Tür abstützen, doch diese war weiter weg als sie dachte. Ihre Hand griff ins leere. Mit Sicherheit wäre sie hingefallen, wenn sie sich nicht mit ihrer anderen Hand an Kadir's Arm geklammert hätte. Um sie herum begann sich alles zu drehen. Kadir's Blick ruhte auf ihr. Aber Ina hatte die Tür fixiert, wartete darauf, dass sie sich endlich öffnete, die Luft kam ihr stickig vor, sie hatte das Gefühl erdrückt zu werden. Endlich, die Tür ging auf, liess sie wieder zu Luft kommen, dafür wurden ihre Augen aber wieder gequält. „Wollen sie sich einen Augenblick setzen?“
„Nein, es wird schlimmer“, es würde nicht mehr lange dauern bis sie sich nicht mehr auf ihren Beinen halten konnte. Kadir nahm ihren Arm unter seinen und ging los. Er hätte sie irgendwohin bringen können, ohne dass sie es bemerkt hätte. Ina war so gut wie Blind. Ihre Knie wurden weich. Ihre Augen fühlten sich an, als ob jemand mit Nadeln hinein stechen würde. Ihrem Kopf ging es nicht besser. Grässliche Kopfschmerzen! Sie fürchtete jeden Moment einzubrechen. Ihre Stirn war feucht von ihrem kalten Schweiss. Ihre Hände zittrig und nass. Allmählich wurde ihr übel. Kadir legte seinen Arm um sie, seine Hand in ihre Seite, um sie zu stützen. Noch vor wenigen Stunden, hätte sie ihn dafür angespuckt, doch jetzt war sie ihm Dankbar. „Können sie noch gehen?“ Er klang irgendwie besorgt. „Ja“, entgegnete Ina forsch.
„Sind sie sicher?“ Kadir hatte sie schon mehr als ein Mal so gesehen. Nur war er bis her noch nie in dieser Position. „Wollen sie mich tragen?“
„Das wäre eine Möglichkeit.“ Zweifellos hätte er das sofort getan. „Ich habe nicht vor, den Bediensteten die Grundlage für ein Gerücht zu liefern. Sir.“ Kadir antwortete nicht darauf. Da sie nichts sehen konnte, hoffte sie, ihn mit ihrer Antwort nicht zu sehr getroffen zu haben. Er bog ab, stoppte kurz und ging weiter als die Worte: „Sie dürfen passieren, Sir“, erklangen. Vor der Tür blieb er stehen. Er holte Luft um etwas zu sagen, als jemand die Tür öffnete. Einen kurzen Augenblick herrschte Stille. „Kommen sie Kapitän.“ Es war einer der Bediensteten, den Ina noch nicht kannte. Sie gingen die Treppe hoch, um eine Ecke, dann in einen Raum und weiter. Ina hatte die Orientierung verloren, sie hatte keine Ahnung wo im Haus sie gerade waren. „Dein Mündel hat wohl zuviel getrunken“, Madam Nilia’s Tonfall war herablassend. Doch vor allem war ihre Aussage nicht zutreffend. Ina hörte Schritte, die rasant auf sie zugingen. Eine Silhouette erschien vor ihren Augen. „Ina“, Kilven's Stimme hatte etwas Entsetztes in sich. Er legte seine Hände auf ihr Gesicht, dann auf ihre Hüfte. Kadir liess sie los und ehe sie begriff was geschah, hatte Kilven sie hochgehoben und trug sie weg. Ina legte ihre Arme um Kilven's Hals und ihren Kopf an seine Schulter. Es schien ihm keine Mühe zu bereiten, sie so in ihr Zimmer zu tragen. Dort angekommen, legte er sie sanft auf ihr Bett und strich mit seiner Hand über ihren Kopf: „Hörst du mich Ina?“ Seine Stimme war besorgt, sanft, weit weg.