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Ein goldener Morgen

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Die Strahlen der sommerlichen Morgensonne ergossen sich durch das Blattwerk. Obwohl dem jungen Drew Still, jetzt sieben, der Weg durch die Wälder Virginias bekannt war, erschien er ihm an diesem Morgen unwirklich. Ein zäher, kühler Dunst zerstreute das Licht und verlieh der Waldluft eine köstliche Frische. Alles schien wie verzaubert. Der Junge blieb verwundert von der stillen Schönheit des Ganzen stehen. Welch großartiges Werk eines allwissenden und freigebigen Schöpfers! Als er sich auf den Weg durch die Schlucht zu einem Bach machte, der unter der Steinbrücke hindurchfloss – ein Pfad, den er mit seinen Brüdern Edward und James schon oft gegangen war – fühlte sich dieser Ort ganz anders an. Ein seltsames Gefühl. Angst überkam ihn, eine dunkle Vorahnung. Lauerte etwas auf ihn? Eine reale Angst – in dieser Gegend gab es Bären und Luchse, sogar Pumas. Doch irgendetwas zog ihn weiter.

Ebenso gefährlich waren Begegnungen mit den kriegerisch Gesinnten unter den Ureinwohnern des Landes. Die Familie Still und ihre Nachbarn rund um Jonesville teilten sich die Wälder mit den Cherokee-Indianern. Auf den Spuren der Entdecker »Long Hunter«, Daniel Boone, Bigfoot Spencer und anderer hatte man 1775 begonnen, eine Straße durch die Wildnis in Richtung Westen zu bauen. Das Heimatland der Indianer erwies sich als ideales Farmland für die Weißen. Die Gemeinde rund um Jonesville erfuhr die meisten Neuigkeiten von denen, die diese Strecke bereisten und hier eine Rast einlegten, um für ihre Weiterreise nach Cumberland Gap ihre Vorräte aufzustocken. Nach den 40 Jahre zurückliegenden Kriegen hatte seitens der Ureinwohner eine gewisse Toleranz geherrscht, doch seit der Verabschiedung des Indianer-Umsiedlungsgesetzes von 1830 wuchs ihre Unruhe. Was später »der Pfad der Tränen« genannt werden sollte, war zwar immanent, aber dennoch nicht voraussehbar.

Doch ein 7-Jähriger lässt sich von solchen Überlegungen der Erwachsenen nicht abschrecken. Die von jener Schönheit und Stille geweckte Neugierde und Begeisterung trieben Drew an. Normalerweise wurden Ausflüge in die Wälder geplant und von ihm in Begleitung eines Familienangehörigen unternommen. Doch an diesem Morgen war er spontan aufgebrochen. Er wollte weitergehen und entdecken. Seine Füße bewegten sich vorsichtig, die Augen und Ohren nahmen alles ringsum wahr. Während er den gut ausgetretenen Pfad entlanglief, strichen seine Finger über weiche Blätter. Steinchen rieselten durch das Laub auf seine Schultern herab und verrieten die Anwesenheit eines Grauhörnchens, das flink über das Ende eines schmalen Astes huschte, den Zweig mit seinem Schwanz umschlingend und nach reifen Walnüssen suchend. Drew konnte das Ingweraroma der zerbrochenen Schalen riechen. Das leichte Rascheln der Blätter dort oben verriet die Position des pelzigen Gesellen. Hätte er sein Gewehr dabeigehabt, wäre das Tierchen wohl auf dem Mittagstisch gelandet. Drew bewegte sich und das trockene, goldene Laub der Walnussbäume knisterte unter seinen Schuhen. Das Hörnchen erschrak und sprang auf einen höheren, sicheren Ast. Es stieß einen Warnruf aus und die Antwort seiner Kameraden lenkte den Jungen ab, als sie über die Lichtung huschten. Dann war alles wieder still.

Ganz einfache Dinge schienen an diesem Morgen wundersam. Das Hörnchen hatte einen Schwanz; wie praktisch. Drew war neidisch. Es war schwierig auf Bäume zu klettern. Das Hörnchen war klar im Vorteil. Der Eichelhäher hat Flügel. Der kleine Drew, ein geschickter Jäger, hatte jedes dieser Geschöpfe schon einmal fachmännisch zerlegt und dabei seine individuelle Anatomie erforscht. So unterschiedlich sie lebten, so starben sie. Fell oder Gefieder – absolut verschieden. Die Knochen einigermaßen ähnlich, doch offensichtlich auf ihre Anforderungen angepasst. Jedes schien die unterschiedlichen Launen ein und desselben Schöpfergeistes widerzuspiegeln. Wie weise.

Drew erreichte den Bach und hielt an der steilen Böschung inne. Sein Ziel war der geheime Treffpunkt auf dem Felsvorsprung unterhalb der natürlichen Brücke. Er folgte dem Bachlauf, der leise vor sich hin plätscherte durch die Felsen in den grünen Tunnel aus Unterholz. Da vorne lag das erweiterte Flussbett und hinter ihm das Naturwunder der steinernen Brücke. Drew setzte sich auf einen moosbewachsenen Stein am Flussufer, genoss die Kühle und den wiederkehrenden Ruf der Walddrossel in der Ferne. Er stocherte mit einem Stock in der spiegelnden Wasseroberfläche des Bassins, drehte kleine Steine auf dem Grund des Baches herum und scheuchte einen Krebs, der sich durch Schwanzschläge fortbewegte, von einem Versteck ins nächste. In der tiefen Stille des Morgens warfen die Wände des Tales das Echo der rollenden Steine und des aufspritzenden Wassers zurück.

Schließlich erreichte er die Brücke, einen natürlichen Tunnel aus Kalkstein, und setzte sich in den Schatten der Felshöhle. Spuren durchgesickerten Grundwassers hinterließen sonderbare Muster im Felsen und gaben ihm einen Einblick in den unterirdischen Teil der Welt. Seine Brüder und er pflegten sich Abenteuergeschichten zu erzählen von indianischen Heldentaten, Früchte ihrer lebhaften Vorstellungskraft, wenn sie in ihrem Versteck oberhalb des Flusses zusammensaßen. Über diesem Platz schwang ein Geheimnis.

An jenem Morgen konnte er, in seine Träumereien versunken, schon bald nicht mehr Äußeres und Inneres unterscheiden und die Sonnenwärme vermischte sich mit der Wärme ehrfürchtiger Bewunderung in seiner Brust. Er begann ein Zwiegespräch, in dem er dem Schöpfergeist für all diese Gaben, diese Welt, sich selbst und seine Familie dankte.

Drew stand auf und lief ein Stück weit den Pfad hinunter, der eine Biegung über den felsigen Bergrücken machte und schließlich zurück zur Farm führte. Während er tiefer in den Wald hineinging, dachte er über sein Leben nach; die häufige Abwesenheit seines Vaters, der sich »dem heiligen Wort« verpflichtet hatte, Begegnungen mit den Ureinwohnern, in der Schule die Probleme mit Professor »Prügelberg«. Ja, das Leben war hart. Zu Hause hatte Drew seine eigenen Verpflichtungen: Umgraben, Hühnerfüttern, Pferdestriegeln. Indem er sich ins Zeug warf wie die Hörnchen, half er seinen Leuten, sich auf den Winter vorzubereiten.

Ihm fiel wieder ein, dass die Erwachsenen in seiner Familie und in der Nachbarschaft immer häufiger vom Weiterziehen sprachen und fragte sich, wie lange diese Wälder wohl noch sein Zuhause bleiben würden. Das ausgedehnte Tal zwischen den Bergen bildete in dieser Region zwar eine weite Ebene, doch der dünne Erdboden durch den der Kalkstein zu Tage trat, war nur schwer zu bestellen. Seine eigenen Eltern hatten bereits erwogen, nach Missouri zu ziehen oder sonst irgendwohin, jedenfalls weiter westlich. Er dachte über das Land dort nach. Würde es dort auch Eichhörnchen geben, Hasen, Truthähne und Rehe? Drew fühlte sich in dieser Welt von Virginia sehr wohl, in der Natur, so wie sie zu ihm sprach über die Ordnung und Schönheit und über die liebevolle göttliche Weisheit. Hier kannte er sich aus, fühlte sich daheim und mit allem verbunden. Und die Natur versprach, ihn noch mehr zu lehren.

Für heute beendete er seinen Rundgang, kletterte den Bergrücken hinauf, verließ den Wald und betrat die Lichtung, wo die elterliche Farm stand.

»Pa!!«

Zu Drews Überraschung kam Abraham Still eben in leichtem Galopp um den Hügel in Richtung Haus geritten.

»Du bist eine Woche zu früh! Oh Pa, ich freue mich so sehr, dich zu sehen.«

Ma ließ ihre Wäsche in den Bottich auf der Veranda fallen und lief ihrem Mann entgegen. Abraham stieg ab und band sein Pferd fest. Er überreichte Drew die Zügel, umarmte seine Frau und tätschelte den jüngeren Kindern den Kopf.

»Habt ihr euch alle gut benommen und eurer Mutter geholfen? Mary, waren sie dir in der Küche eine gute Hilfe? James, ist der Hof in Ordnung? Du und dieser Ort seid jedenfalls ein Lichtblick für schmerzende Augen. Die Straße nimmt einen Mann ganz schön mit, seinen Verstand, weißt Du. Man weiß ja auch nie, was einem der Tag und die Meilen so bringen werden. Wie auch immer: Die Leute waren gütig und mir geht’s gut. Drew, was hast du so angestellt? Hast du die Hühner vor dem Wiesel beschützt? Hast du deinen Brüdern geholfen, das Getreide zu ernten?«

»Sieht alles gut aus, Pa. Nur eine Henne verloren, und das wegen der Tyrannen in der Schar, sie haben auf sie eingehackt, wie sie das eben so tun. Das Wiesel hat aber nicht ein einziges gekriegt. Wir hatten genug Eier zu verkaufen und ganze vier Dollar verdient.«

»Der Herr war uns in diesem Jahr mit der Farm gnädig. Und er war für mich in diesem Jahr auf der Straße ein Schutz vor den Heiden und dem Wetter. Lobet den Herrn! Gibt es denn hier etwas zu essen für einen hungrigen Mann?«

»Komm herein Pa und ich mache dir ein schönes Abendbrot«, bot Martha an.

»Gerne, meine Liebe. Ich habe einen Bärenhunger.«

Als die Dämmerung die Ecken des Zimmers verdunkelte und die Lampen angezündet wurden, versammelte sich die Familie um Pa, um seinen Abenteuern auf der Straße zu lauschen. Drew hatte sich an die Ellbogen seines Vaters gehängt und wartete darauf, dass dieser zu erzählen anfing. Er wusste, dass er ihn nicht drängen durfte. Abgesehen von der Erschöpfung, musste sich sein Vater auch erst in seinem Kopf zurechtlegen, was er ihnen mitteilen wollte und wie. Drew wusste, dass sein Vater manches für sich behielt, um seiner Familie Sorgen zu ersparen. Sie alle konnten das spüren.

»Dieses Mal, das muss ich wirklich zugeben, hatte ich ganz schön Angst. Eines Abends, es war schon spät, hatte ich das Pferd überredet, den Fluss zu durchqueren, damit ich auf der anderen Seite mein Lager aufschlagen konnte. Hinterher waren wir beide nass und erschöpft. Ich habe ein Feuer gemacht und auf einmal heulte ein Wolf. Normalerweise gibt es ja in der Gegend keine, wie ihr wisst.«

Drews Augen wurden größer und seine ungeteilte Aufmerksamkeit war auf jedes Wort seines Vaters gerichtet. Abraham fuhr fort.

»Ich war beunruhigt, ja ich hatte Angst, und doch war ich voller Vertrauen. Nun, Wölfe mögen kein Feuer. Also entfachte und versorgte ich gleichzeitig vier Feuer, um einen Schutzkreis um mich zu bilden. Dazu begann ich »On Jordon’s Bank« zu singen, so laut ich eben konnte. Klar, dass es eine lange Nacht wurde. Ich wartete darauf, zu erfahren, wer hartnäckiger war: Ich oder die Biester. Sie sangen, aber ich sang lauter. Und bevor mir die Puste ausging, sandte mir der liebe Gott den Morgen. Ich ritt ein paar Stunden weiter und konnte schließlich bei alten Freunden ein wenig Schlaf nachholen.«

»Oh Pa, solche Sachen ertrag ich nicht«, weinte Mutter halb im Ernst, »erspare uns die Details!«

»Na ja«, fuhr Abraham fort, »die Jungs sollen die Realität des Glaubens lernen – nicht aus Büchern, nicht mal allein aus der Heiligen Schrift. Sie müssen lernen, dass der Glaube etwas ist, das man zum Leben braucht. Er erfüllt dich, überwältigt dich.«

Er richtete seinen Blick auf Andrew. »Drew, ein Mann muss seine Überzeugungen leben. Anders geht es nicht. Das Leben ist zu kurz.« Er hielt für einen Moment gedankenverloren inne.

»Mir ist klar, dass einige der Leute hier im Umkreis sich wünschten, mein Predigen hätte bald ein Ende. Ich weiß, dass euch das alles sehr belastet. Ich weiß das, aber es ist etwas, das ich tun muss, eine Berufung. Da ist eine glühende Stimme in mir, die sich nicht beruhigen lässt. Sie sagt, dass die Welt, wie wir sie sehen, dieses Leben in Mühsal und Sorge, nicht alles ist, wofür wir bestimmt sind. Da ist mehr, da gibt es Hoffnung, es gibt ein Jenseits und unser Heiland zeigt uns den Weg. Er hat ihn mir gezeigt, klar und deutlich, und er drängt mich, dies auch den anderen mitzuteilen. Außerdem kann ich beim Reiten ein wenig Linderung in Körper und Seele bringen, so wie John Wesley1 es vorgeschlagen hatte.«

Pa fuhr fort: »Ein Mann kann seine innere Stimme ignorieren, aber dann stirbt er vor seiner Zeit als lebendes Gespenst. Viele hören diese Stimme niemals. Sie werden dennoch geboren und leben ein oberflächliches Leben. Drew, wir haben nicht alle denselben Weg, doch du musst deiner inneren Stimme folgen. Die Wahrheit ist zu kostbar, um sie zu ignorieren. Diese Stimme und die Gnade, die in ihr liegt, ist für einen Mann das, was der Regen für das Getreide ist. Sie erhält uns, das ist Leben. Gefahr, Mühsal bedeuten nichts angesichts der Verpflichtung, der inneren Stimme zu folgen.«

Abraham legte seinen Arm um seinen jungen Sohn. Drew senkte verlegen den Kopf.

Der Vater fuhr fort: »Ich sehe dich in den Wäldern und auf den Feldern. Ein Teil deines Verstandes beobachtet ständig und fragt nach dem Wie und Warum der Dinge. Du liest die Natur, liest sie wie ein Buch. Das wird dir von Nutzen sein. Ein Mann muss die Weisheit des Schöpfers in der Natur erkennen. In den Flüssen und Wäldern und Bergen. Und seinen Platz finden. Wenn du dir selber und deiner inneren Stimme treu bleibst, wird es dir gut ergehen. Du wirst etwas erreichen und eine Hilfe für andere sein. Ich weiß, das wird sich bewahrheiten. Ma, danke, das Abendessen war mal wieder königlich.«

»Das habe ich mehr als gerne für dich getan. Ich freue mich, dass es dir geschmeckt hat.«

Martha legte ihre Arme um den Hals ihres Mannes.

»Du weißt, du bist mein Prinz, doch ich sorge mich um dich.«

Pa küsste seine Frau auf die Wange, bevor er das Thema wechselte: »Eigentlich wollte ich es erst später anbringen, aber ich sag’s doch lieber gleich, dann hab ich es vom Herzen. Wie ihr wisst, hat die Kirche in Erwägung gezogen, eine Schule zu eröffnen, eine besser geeignete Schule, in New Market, Tennessee. Holton Seminary wollen sie sie, glaub ich, nennen. Der Vorstand des Kirchenrats fragt, ob ich im Gründungskomitee mitarbeiten würde. Ich überlege es ernsthaft. Wenn ich mich dafür entscheide, heißt das zwar Umzug, aber auch eine bessere Ausbildung für die Kinder und vielleicht nicht so lange Wege für mein Pferd und mich. Ich würde mehr zu Hause sein.«

Ma hörte nachdenklich zu. »Umzug? Wir haben zwar darüber gesprochen, dass wir vielleicht mal weiter Richtung Westen ziehen. Aber nicht so bald.«

»Ich weiß, dass es nicht so einfach ist, wie es sich anhört. Wir werden das besprechen. Ich habe meine Entscheidung noch nicht bekannt gegeben. Sie lassen mir Zeit bis Ende des Monats. Lasst uns darüber beten. Und jetzt, Drew, zeig mir deine Hühner.«

Feuer in der Prärie!

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