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Hoeneß ließ er schreien Kuhstall, Premier League, ein Hammer und einige Schweigeminuten: "Alles außer Fußball" - ein Porträt unseres Kolumnisten Thomas Hitzlsperger
VON STEFFEN DOBBERT

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Da kommt dieser Typ. Jenseits der 60, Visitenkarten und vielversprechende Stimme, Spielerberater aus Australien. Lust auf ein Probetraining? Thomas Hitzlsperger ist neugierig. Anders als die Kollegen aus Schalke oder Dortmund haben die Jugendnationalspieler des FC Bayern vor der U-17-WM im Winter 2000 keinen Vertrag mit ihrem Klub unterschrieben. Thomas trainiert sechsmal pro Woche und bekommt im Monat 400 Mark Taschengeld. Nach der WM liegt das Angebot vor ihm im Faxgerät: eine Woche bei Aston Villa in Birmingham.

Bis zu diesem Winter waren seine Eltern glücklich, weil er alle Entscheidungen so getroffen hatte, wie sie es auch getan hätten. Gedrängt haben sie ihn nie. Zehn Jahre hat er, der kleine Thomas mit dem großen Wumms im Fuß, die Jugendmannschaften des FC Bayern durchlaufen. Im metallicblauen Passat hatte sein Vater ihn mindestens drei Mal pro Woche vom Bauernhof zum Training kutschiert. Erst hatten sich einige Mitspieler darüber lustig gemacht, dass er am Wochenende nicht mit dem Gameboy spielt, sondern im Kuhstall ausmisten hilft. Thomas sagte dazu gar nichts. Dann wurde das Team älter und der Konkurrenzkampf gemein.

Thomas setzt sich durch, bis in die A-Jugend. Als er mit der U-17-Nationalmannschaft zur WM fliegt, zählt er zu den Bayernspielern, die den Sprung zum Profi schaffen können. Vielleicht hätte er diesen Schritt auch so geschafft, wenn er in München geblieben wäre, ohne all die Unruhe. Vielleicht hätte er einfach so weitermachen können. Bauernhof, Training, Bauernhof, Training, Bauernhof, Spiel.

Vom Angebot im Faxgerät erzählt er seiner Freundin, einem seiner fünf Brüder und seinem Chef. Sonst keinem. Er fährt zum Flughafen Richtung Birmingham. Thomas müsse wegen seiner Ausbildung zum Bürokaufmann eine Woche in eine andere Filiale nach Berlin, sagt sein Chef, wenn seine Eltern oder jemand vom FC Bayern fragt.

Am ersten Tag geht der Amateurtrainer von Aston Villa mit den Spielern in eine Betonhalle. Sie sollen gegen eine Wand schießen. Früher, wenn seine Brüder nicht mit ihm Fußball spielen wollten, schoss Thomas oft im Futtersilo hinter dem Bauernhof seiner Eltern gegen die Wand. Manchmal so heftig, dass die Farbe abbröckelte. Dem Trainer gefällt diese Schusstechnik. Er sagt, der Schuss von “Herman the German“ ist ein “Hammer!“ Am nächsten Morgen bietet Aston Villa Thomas einen Vertrag an.

Als er mit dem Angebot in der Tasche in München landet, tobt der Jugendleiter des FC Bayern, sein Vater flippt aus, und dann der Termin mit Hoeneß: Was ist das für eine Art und Weise? Zu so einem Mittelklasseverein. Frechheit. "Du bist hier beim FC Bayern! Wenn es wenigstens Real Madrid oder Manchester United wäre!" Thomas Vater zuckt mit den Schultern: “Mir hat der Junge ja auch nichts gesagt.“ Thomas sagt nichts. Im August 2000 fliegt er nach Birmingham.

In England habe er angefangen, selbst zu entscheiden, sagt Thomas heute. Im Nachhinein war der Wechsel sein wichtigster Entschluss. Weil es in Birmingham eine Herausforderung war.

Bei den Profis sitzt er noch nicht einmal auf der Auswechselbank. Nach dem Abpfiff sammelt er die Socken der Spieler ein und sortiert ihre Wäsche. Wenn er unter der Woche bei den Amateuren spielt, verlieren sie regelmäßig. Der Trainer sagt nicht mehr “Herman the German“, er brüllt durch die Kabine: "Thomas, fucking, tidy up ...“ Thomas sagt nichts.

Er stellt sich die Frage nach dem Sinn, die Antworten plagen ihn, aber Aufgeben ist keine Alternative.

Dann kommt der neue Trainer für das Profiteam. Im Winter 2002 spielen sie gegen Manchester United. Wechsel in der 63. Minute: Thomas läuft aufs Feld, das erste Mal in der Premier League. Der große Wumms in seinem Schuss beeindruckt die Zuschauer. In der nächsten Partie spielt er von Beginn und wird zum “Spieler des Spiels“ gewählt. Die Profis klatschen mit ihm ab. Der Termin mit Uli Hoeneß liegt fast genau zwei Jahre zurück. Thomas sammelt keine Socken mehr.

Irgendwann in England sei er erwachsen geworden, sagt Thomas Hitzlsperger. Bei Aston Villa wurde er Stammspieler, Nationalspieler, Publikumsliebling. Immer wenn “Hitz the Hammer“ den Ball berührte, schrien die Fans “Shoooot". Die Reporter kamen und fragten, wann er zurück zum FC Bayern wechselt. Er begann, sich mit anderen Dingen zu beschäftigen, nach fünf Jahren in Birmingham wechselte er zum VfB Stuttgart.

Heute geht er häufig zu Lesungen. Steigt in seinen Kleinwagen, fährt hin, hört zu, einfach so. Die Leute fragen dann, “Herr Hitzlsperger, was machen Sie denn hier?“ Er lacht dann, sagt, dass es doch ganz normal sei, sich in einer Buchhandlung für Bücher zu interessieren. “Na klar, stimmt!“, will man darauf antworten. Aber ist das so? Ein Profifußballer, der sein eigener Pressesprecher ist, der keinen flachen Fernseher besitzt, Daniel Kehlmanns Ruhm und Schweigeminute von Siegfried Lenz aus dem Stegreif kritisiert?

Als Lernfußballer hat ihn der Spiegel bezeichnet, weil er sich mit dem Mannschaftspsychologen ohne Vorbehalte unterhält, und weil er sich vor der WM 2006 einen Privattrainer suchte, um an seiner Fitness zu arbeiten. Vom Kuhstallausmisten zum Lernfußballer, könnte man sagen. Aber Thomas Hitzlsperger sagt solche Sätze nicht. Er sagt danke, bitte und manchmal auch gar nichts.

Alles ausser Fussball - Thomas Hitzlsperger

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