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Knochen, Dannecker und der antijüdische Verfolgungsapparat

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Bereits im Herbst 1944 hatten die Behörden des befreiten Frankreich damit begonnen, Beweismaterialien für die von den deutschen Besatzern im Lande begangenen Kriegsverbrechen zu sammeln und Zeugenvernehmungen durchzuführen. Gegen das Führungspersonal des Besatzungsregimes wurden Verfahren eingeleitet, darunter gegen den Militärbefehlshaber Otto von Stülpnagel (der 1948 im Pariser Gefängnis Cherche-Midi Selbstmord beging), gegen Abetz (dessen Prozeß 1949 stattfand) und gegen Karl Oberg und Helmut Knochen, die Chefs der deutschen Polizei in Frankreich, die 1954 vom Ständigen Militärtribunal Paris zum Tode verurteilt, später begnadigt und 1962 in die Bundesrepublik entlassen wurden.62 Die vorbereitenden Verhöre in der Affäre Oberg-Knochen führte der militärische Untersuchungsrichter Lequette, und obwohl der Komplex der Judenverfolgung in Frankreich im Prozeß nur am Rande behandelt werden sollte, befragte Lequette die Angeklagten zwischen 1948 und 1950 ausführlich dazu. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich vor allem Knochen längst eine elaborierte Aussage- und Verteidigungsstrategie zurechtgelegt, denn er hatte im Jahr 1946 während der Kommissionssitzungen des Nürnberger Internationalen Militärtribunals, die parallel zum Hauptprozeß stattfanden, dem stellvertretenden französischen Hilfsankläger Henri Monneray im Kreuzverhör Rede und Antwort stehen müssen. Sehen wir uns zunächst seine Nürnberger Aussagen und die historischen Sachverhalte an, zu denen er befragt wurde.

Der SS-Sturmbannführer Dr. Helmut Knochen kam aus dem Amt VI des Berliner Reichssicherheitshauptamts, also vom SD-Ausland. Er hatte seit 1936 zu der jungen, akademischen Elite des SD gehört und war bei seiner Ankunft in Frankreich gerade 30 Jahre alt. Mit 32 Jahren wurde er zum Standartenführer und Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des SD ernannt. Wie kaum ein anderer verkörperte er die Generation der um 1910 geborenen, hochqualifizierten Polizeitechnokraten,63 deren Einflußnahme auf die gesamte Besatzungspolitik in Frankreich weit über ihre offizielle Funktion hinausging, die eine Schlüsselrolle bei der Durchführung der „Endlösung“ spielten und die zwischen 1942 und 1944 für den Umschlag der deutschen Besatzungsherrschaft in ein Terrorregime verantwortlich waren.

Da nun der Sicherheitsdienst des Reichsführers-SS durch das Internationale Militärtribunal zur kriminellen Organisation erklärt werden sollte, versuchte Knochen 1946 in Nürnberg – mit Unterstützung der Verteidiger Gawlik und Merkel64 – erst einmal, den SD von der Gestapo abzugrenzen und zu beweisen, daß er selbst über keinerlei Exekutivbefugnisse verfügt habe, als er im Auftrag Heydrichs mit einem Sonderkommando von etwa 20 Mann Ende Juni 1940 in Paris eintraf, wo er vorerst dem „Beauftragten des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD für Belgien und Frankreich“, Max Thomas, unterstellt wurde.65 Seine anfängliche Tätigkeit sei, so sagte Knochen gegenüber Monneray aus, rein „nachrichtendienstlicher“ Art gewesen, und dies sei bis Mai 1942, als er zum Befehlshaber der Sipo-SD ernannt wurde, so geblieben.66 Damit nahm er eine stereotype Auskunft zahlloser in Frankreich eingesetzter, belasteter Polizeibeamter vorweg.

Das vom Reichssicherheitshauptamt zusammengestellte „Sonderkommando Paris“, dem neben Herbert Hagen, der ebenfalls aus dem SD bzw. dem Amt VI kam, eine Gruppe von Gestapoleuten unter der Führung Karl Boemelburgs und mehrere spätere Leiter regionaler Sipo-SD-Dienststellen angehörten, gelangte mit den ersten Besatzungstruppen in die französische Hauptstadt.67 Es wurde zunächst im Hôtel du Louvre einquartiert und begann Knochen zufolge sofort mit der Ausforschung von Personen und der Sicherstellung von Unterlagen verschiedener Organisationen, die als feindlich betrachtet wurden – sozialistisch-kommunistische und jüdische Organisationen,68 Emigranten, Freimaurer. Außerdem wurden Informationen über die französische Polizei gesammelt und deren einschlägige Dossiers ausgewertet.69 Daraus fertigte man Berichte für die deutsche Militärverwaltung, die Geheime Feldpolizei, die Botschaft und das Reichssicherheitshauptamt an.70

Nach der Zusammenarbeit mit den Militärbehörden gefragt, räumte Knochen ein, es habe gleich zu Anfang Zwischenfälle gegeben. Die Wehrmacht habe eine Verstärkung der Geheimen Feldpolizei verlangt, aber kein SS-Kommando in Frankreich gewollt; außerdem hätten keine klaren Befehlsgebungen vorgelegen.71 In der Tat hatte es der Unterstützung Görings bedurft, um Knochens Leute überhaupt nach Paris zu bekommen, und sein Kommando wurde zeitweilig von allen Verbindungen nach Berlin abgeschnitten. Auch die Frage der Dienstkleidung scheint Probleme bereitet zu haben. Ob das Sonderkommando von Beginn an SS-Uniform trug, wie Knochen aussagte, oder in Uniform der Geheimen Feldpolizei auftrat, wie Heydrich Anfang Juli 1940 in einem Bericht an Himmler beklagte, ist nicht eindeutig zu klären. Eine zweite Gruppe aus dem Reichssicherheitshauptamt, von Heydrich noch im Juli zur Verstärkung Knochens entsandt, war jedenfalls mit Uniformen der Geheimen Feldpolizei ausgestattet und vorübergehend in diese eingegliedert worden.72

Die von Knochen angedeuteten Rivalitäten, seine unklare Stellung und seine Schwierigkeiten mit den Militärs dürften dazu geführt haben, daß Anfang Oktober 1940 zwischen dem Oberbefehlshaber des Heeres, von Brauchitsch, und Himmler ein Kompromiß vereinbart wurde. Von Brauchitsch erklärte sich nunmehr damit einverstanden, daß die Angehörigen des Sonderkommandos die Uniform der SS trugen, ohne ihnen allerdings Exekutivbefugnisse einzuräumen, für die auf Anforderung die Geheime Feldpolizei als Vollzugsorgan der Abwehr zuständig bleiben sollte. Die Aufgabengebiete der Sicherheitspolizei im besetzten Gebiet wurden ebenfalls festgelegt, an erster Stelle stand die „Erfassung und Überwachung von gegen das Reich gerichteten Bestrebungen“ der Juden, Emigranten, Logen, Kommunisten und Kirchen.73 Damit war, wie Dannecker Anfang 1941 unterstrich, „die Zuständigkeit für die Behandlung der Judenangelegenheiten“ dem Beauftragten der Sipo-SD für Belgien und Frankreich bzw. Knochens Pariser Dienststelle übertragen worden74 – und zwar durch einen Erlaß der Wehrmacht und zum gleichen Zeitpunkt, als die Militärverwaltung die ersten antijüdischen Verordnungen herausbrachte.75

In seiner Argumentation in Nürnberg machte sich Knochen also die Tatsache zunutze, daß die Wehrmacht seinem Kommando zunächst die Ausübung exekutiver Funktionen verweigert hatte. Dies allerdings änderte sich rasch, denn schon im März 1941 wurden Knochens Kompetenzen durch den Ende Oktober 1940 eingesetzten ersten Militärbefehlshaber in Frankreich, Otto von Stülpnagel, nicht unwesentlich erweitert. Auch hier handelte es sich um einen vorläufigen Kompromiß. Die in Frankreich eingesetzten Sonderkommandos der Sipo-SD, neben der Dienststelle Paris die inzwischen eingerichteten Außenstellen in Bordeaux, Rouen und Dijon,76 wurden nun zwar ausdrücklich dem Militärbefehlshaber unterstellt und sollten ihre Aufgaben – wiederum wurde die „Erfassung und Überwachung der Juden, Kommunisten, Emigranten, Logen und Kirchen“ vorrangig genannt – nach dessen „Weisungen und Richtlinien“ erfüllen. Auch blieb es im Grundsatz dabei, daß für „Exekutivhandlungen“ Ersuchen an die Geheime Feldpolizei zu richten waren. Doch zugleich konzedierten die Militärs, „in dringenden Fällen“ könnten Einsatzkommandos der Sicherheitspolizei „auch selbständige Verhaftungen, Haussuchungen und Beschlagnahmen durchführen“ oder der französischen Polizei „im Auftrage des Militärbefehlshabers“ unmittelbar Anweisungen geben. Wörtlich hieß es weiter: „Verhandlungen grundsätzlicher Art mit zentralen französischen Dienststellen führt im Rahmen ihres Aufgabenbereichs die Dienststelle Paris der Sipo/SD.“77 Dieser Erlaß sanktionierte eine Ausweitung des Handlungsspielsraums, die längst begonnen hatte, denn Knochens Büro hatte sich bereits einen privilegierten Kontakt zur Pariser Polizeipräfektur und zur Sûreté verschafft,78 und auch das Judenreferat ging sogleich nach seiner Einrichtung dazu über, unter Umgehung der zuständigen Abteilung der Militärverwaltung Aufsichtsfunktionen über französische Polizeidienstellen auszuüben und diesen Direktiven zu erteilen. Welche Rolle spielte der Referatsleiter Dannecker und wie beschrieb Knochen die Stellung des Judenreferats?

Der 28jährige SS-Obersturmführer Theodor Dannecker, ein früherer Mitarbeiter Eichmanns in der seinerzeit von Hagen geleiteten Judenabteilung II 112 des SD-Hauptamts, war nicht mit dem Sonderkommando, sondern erst Anfang September 1940 nach Paris gekommen. Wie Knochen in allen Verhören79 gleichlautend wiederholte, hatte Dannecker seinen Auftrag aus Berlin mitgebracht, unterstand unmittelbar dem Reichssicherheitshauptamt, Amt IV (Gestapo), erhielt seine Befehle von Eichmann und Himmler, operierte selbständig und wurde der Dienststelle Knochens – inzwischen ein großer Gebäudekomplex in der Avenue Foch – nur organisatorisch zugeordnet.80 Auch an den sogenannten „Montagsbesprechungen“ mit den Abteilungs- und Referatsleitern der Dienststelle soll Dannecker, einer späteren Angabe Knochens gemäß, niemals teilgenommen haben.81 Infolgedessen habe er, Knochen, sich in „Judendingen“ nicht „einschalten“ können, Danneckers Anweisungen „auf dem jüdischen Sektor“ seien für ihn verbindlich gewesen, von ihm als Dienststellenleiter unterzeichnete Schriftstücke seien ihm von Dannecker vorgelegt worden. Schließlich verstieg er sich gegenüber Monneray zu der Behauptung, die Sipo-SD hätten an den „Judenaktionen“ Danneckers „grundsätzlich nicht“ mitgearbeitet.82 Für die Nürnberger Verteidiger mochten diese Aussagen brauchbar sein, um den SD womöglich vom Vorwurf der Beteiligung an der „Endlösung“ zu entlasten. Der französische Ankläger hielt dagegen, er frage „nicht nach Grundsätzen, sondern nach Tatsachen“. Er verwies auf die große Anzahl von Dokumenten, die über Knochens Schreibtisch gegangen waren und versuchte, die Zuständigkeiten zu klären:

Monneray: Welches war die Stellung Danneckers?

Knochen: Dannecker hatte einen Sonderauftrag von Eichmann. Eichmann war im Amt 4; er unterstand dort Müller.

Monneray: Welches war sein Befehlsverhältnis zu Ihnen?

Knochen: Er unterstand mir disziplinär und sachlich.

Monneray: Bekam er die Durchführung seines Auftrags voll von Berlin? Was war der Zweck seines Aufenthalts in Paris?

Knochen: Er hatte die Vorbereitung einer vorgesehenen Auswanderung der Juden durchzuführen.

Monneray: Sie wollen Deportierung sagen?

Knochen: Es war damals die Auswanderung der Juden nach dem Beispiel der Vorbereitungsarbeiten in Wien und Prag auch für die übrigen Länder vorzubereiten.

Monneray: Auswanderung wohin?

Knochen: Auswanderung nach mehreren Projekten; einmal das Palästinaprojekt.

Monneray: Sie wollen doch nicht sagen, daß eine freiwillige Auswanderung der Juden vorgesehen war?83

Tatsächlich hatte Dannecker viereinhalb Monate nach seinem Eintreffen in Frankreich am 21. Januar 1941 ein längeres Papier vorgelegt, das die bisherige Tätigkeit des Pariser Judenreferats zusammenfaßte und in dem sich – nach den Worten von Joseph Billig84 – die Konturen der „Endlösung“ in ihrem frühesten Stadium abzeichneten: Vertreibung aller Juden aus Europa und Ansiedlung in einem „noch zu bestimmenden Territorium“. Dannecker leitete sein Papier mit dem Hinweis ein, Heydrich sei vom „Führer“ über Himmler bzw. Göring beauftragt worden, ein „Endlösungsprojekt“ auszuarbeiten, das Hitler inzwischen vorläge. Das läßt auf außergewöhnlich genaue Informationen schließen. So liefert dies Dokument einen der wenigen Belege für den damaligen Stand der Planungen in Berlin, die – wie Götz Aly vermutet hat85 – bereits zu diesem Zeitpunkt auf eine „territoriale Lösung“ durch Deportation aller europäischen Juden in die zu erobernden Gebiete der Sowjetunion zielten:

Gemäß dem Willen des Führers soll nach dem Kriege die Judenfrage innerhalb des von Deutschland beherrschten oder kontrollierten Teiles Europas einer endgültigen Lösung zugeführt werden.

Der Chef der Sicherheitspolizei und des SD hat bereits vom Führer über den RF-SS, bezw. durch den Reichsmarschall Auftrag zur Vorlage eines Endlösungsprojektes erhalten. – Auf Grund der bei den Dienststellen des CdS und des SD vorhandenen umfangreichen Erfahrungen in der Judenbehandlung und dank der seit längerer Zeit geleisteten Vorarbeiten wurde dann das Projekt in seinen wesentlichsten Zügen ausgearbeitet. Es liegt dem Führer und dem Reichsmarschall vor.

Fest steht, daß es sich bei der Ausführung um eine Riesenarbeit handelt, deren Erfolg nur durch sorgfältigste Vorbereitungen gewährleistet werden kann. Diese müssen sich sowohl auf die einer Gesamtabschiebung der Juden vorausgehenden Arbeiten als auch auf die Planung einer bis ins einzelne festgelegten Ansiedlungsaktion in dem noch zu bestimmenden Territorium erstrecken.86

Zugleich bildete das Dokument die Blaupause für sämtliche antijüdischen Maßnahmen des Jahres 1941 im besetzten Frankreich. Dannecker umriß im weiteren die Voraussetzungen für künftige Massendeportationen und forderte zu diesem Zweck die Einrichtung eines „Zentralen Judenamts“, das dem „Erkennen und Herauslösen der Juden“ aus der französischen Gesellschaft und der „Verwaltung der Juden und ihres Besitzes bis zum Abschubtermin“ dienen sollte. Geplant war ein riesiger Verfolgungsapparat, der nach Danneckers Vorstellungen folgende Aufgaben übernehmen sollte:

 die Führung der „Judenkartei“, die aufgrund Verordnung der Militärverwaltung vom 27. September 1940 inzwischen von der französischen Polizei angelegt worden war; außerdem sonderpolizeiliche Funktionen, wofür ein bereits arbeitender „Spezialdienst für Judenfragen“ bei der Pariser Polizeipräfektur, über den sich Dannecker die Aufsicht gesichert hatte, angegliedert und ausgebaut werden sollte – später wurde daraus die französische „Judenpolizei“ (PQJ);

 die „Ausschaltung der Juden aus dem Wirtschaftsleben“; dazu sollte der „Kontrolldienst kommissarischer Verwalter“ (SCAP) in das Judenamt integriert werden, der seit Ende 1940 auf französischer Seite für die „Arisierung“ von Vermögen zuständig war und der wiederum von der Abteilung Wirtschaft der Militärverwaltung überwacht wurde;

 das „Juden-KZ-Wesen“; gemeint waren Internierungsmaßnahmen, und zwar auf der Grundlage des Gesetzes der französischen Regierung vom 4. Oktober 1940, „wonach zunächst einmal jüdische Ausländer in besonderen Konzentrationslagern untergebracht werden können“;

 die Aufsicht über eine zu schaffende „jüdische Zwangsvereinigung“, die spätere Union générale des Israélites de France (UGIF), für die Dannecker ebenfalls schon vorgearbeitet hatte, indem er einen „Koordinationsausschuß“ aus Vertretern jüdischer Wohlfahrtseinrichtungen hatte zusammenrufen lassen;

 die Kontrolle der Durchführung des französischen „Judenstatuts“ vom 3. Oktober 1940;

 der Aufbau eines „Instituts zur Erforschung der Judenfrage“ und die „Lenkung der antijüdischen Propaganda“.87

Das Amt sollte unter französischer Leitung stehen, die Dienstaufsicht müsse, so Dannecker abschließend, zuständigkeitshalber vom Beauftragten der Sipo-SD ausgeübt werden. Im Lauf des Jahres 1941 wurde das gesamte Programm Zug um Zug umgesetzt, wenn auch nicht unter dem Dach eines „Zentralen Judenamts“. Irgendwelche organisatorischen Vorbereitungen für eine eventuelle Auswanderung der Juden – auf die Knochen in seiner zitierten Aussage abstellte – wurden allerdings zu keinem Zeitpunkt getroffen. Schon kurz darauf nämlich, im Mai 1941 (fünf Monate bevor Himmler ein generelles Auswanderungsverbot erließ), ordnete das Reichssicherheitshauptamt an, die Auswanderung von Juden aus Frankreich und Belgien zu verhindern.88

In den folgenden Wochen wurde Dannecker bei der Militärverwaltung und bei der Deutschen Botschaft vorstellig, um den Aufbau des „Judenamts“ voranzubringen, vor allem aber um die ersten Schritte zur Internierung von Juden im besetzten Gebiet einzuleiten. Beide Vorhaben waren eng miteinander verbunden. Am 28. Januar 1941 diktierte er ein Schreiben an den „Chef der Militärverwaltung“ – gemeint war Kriegsverwaltungschef Best –, das er sich von Knochen unterzeichnen ließ. Unter Berufung auf einen Ende Oktober 1940 ergangenen Erlaß Heydrichs89 schlugen Knochen und Dannecker darin die Errichtung von Konzentrationslagern zwecks Inhaftierung der in Paris lebenden ausländischen Juden vor und regten eine Besprechung mit allen beteiligten Pariser Stellen an.90 Es gab zwei Gesprächsrunden, die eine bereits am 30. Januar.91 In einer Zusammenkunft mit hochrangigen Vertretern der Militärverwaltung – neben Best waren u.a. der Leiter der Gruppe Polizei des Verwaltungsstabs, Waldemar Ernst, und Hans Crome vom Kommandostab anwesend – erläuterte Kurt Lischka, der kurz zuvor ernannte Stellvertreter von Knochen, im Beisein Danneckers die Planung des „Zentralen Judenamts“. Dabei paßte sich Lischka taktisch an die Linie Bests und der Militärverwaltung an, indem er schloß, „die weiteren Dinge müßten den Franzosen überlassen bleiben, um die Reaktion des französischen Volkes gegen alles, was von den Deutschen komme, auf diesem Gebiete auszuschalten; die deutschen Stellen hätten sich also nach Möglichkeit nur auf Anregungen zu beschränken“.92

Die nächste Besprechung folgte am 28. Februar 1941. Dannecker selbst trug der Führungsspitze der Deutschen Botschaft, Abetz und Achenbach, seine Argumente vor: die Tatsache der massenhaften Internierung ausländischer Juden durch die Vichy-Regierung in Lagern der unbesetzten Südzone und die angebliche Gefährdung der Sicherheit der Besatzungsarmee durch „jüdischen Propaganda“ – Argumente, die man ins Feld führen könne, wie der ebenfalls anwesende Legationsrat Zeitschel protokollierte, um den Militärbefehlshaber zu veranlassen, „dem SD Vollmachten zur Inhaftierung aller Juden zu geben“ und für einen „schlagartigen Einsatz“ entsprechende Truppen zur Verfügung zu stellen.93 Im Licht der Besprechungsniederschriften erscheint die Haltung der Militärs zurückhaltender,94 während die Botschaft Danneckers Projekt von Anfang an begrüßte.95 Jedenfalls bemühte sich Zeitschel im Anschluß an das zweite Treffen, die Dinge zu forcieren. Er riet Achenbach, einen vom Botschafter selbst gezeichneten Brief an die Militärverwaltung zu richten, der „vielleicht etwas energischer gehalten“ sein könne als das Schreiben Danneckers und Knochens vom 28. Januar, „mit der Weisung, möglichst umgehend dem Wunsche des SD zu entsprechen und unverzüglich eine Besprechung der beteiligten Stellen herbeizuführen, um Klarheit und Zusammenarbeit zwischen der Militärverwaltung, dem SD und der Deutschen Botschaft in der Judenfrage zu erreichen“.96 Ein solches Schreiben von Abetz liegt nicht vor; aber es ist nicht auszuschließen, daß die Botschaft die Aktivitäten des Judenreferats nicht nur weiter unterstützte, sondern auch entsprechenden Druck auf die Militärs ausübte. So sieht es zumindest Joseph Billig, der von einer Rollenverteilung ausgeht, die letztlich zur „Entente“ aller beteiligten Stellen geführt habe.97

Anfang März 1941 fanden Verhandlungen zwischen Botschafter Abetz, dem neuernannten französischen Regierungschef Darlan und dem Generaldelegierten für die besetzten Gebiete de Brinon statt, an denen auch Knochens Dienststelle, die Militärverwaltung jedoch bemerkenswerterweise nicht beteiligt war.98 Diese Verhandlungen, die ersten nach einer längeren politischen Krise im deutsch-französischen Verhältnis, führten im Ergebnis dazu, daß die Vichy-Regierung am 29. März ein „Generalkommissariat für Judenfragen“ (CGQJ) einrichtete.99 Zwar entsprach das Generalkommissariat nicht ganz den Aufgabenstellungen, die Dannecker dem von ihm konzipierten „Zentralen Judenamt“ hatte übertragen wollen, es sollte sich aber – vor allem nachdem dessen erster Leiter Xavier Vallat durch den notorischen Antisemiten Darquier de Pellepoix ersetzt worden war – als eines der wirksamsten Instrumente der deutsch-französischen Kollaboration bei der Judenverfolgung erweisen. Noch unter Vallat erließ Vichy im Sommer 1941 ein zweites, verschärftes „Judenstatut“100 sowie ein eigenes Gesetz zur „Arisierung“ und oktroyierte den Juden eine Zwangsvereinigung auf. Über die Frage, woher der Generalkommissar für Judenfragen seine Anweisungen erhalten sollte, von der Militärverwaltung, namentlich von Best, oder vom Judenreferat, gab es bis zur Ablösung Vallats im Frühjahr 1942 Streitigkeiten.101

Was jedoch die Lagerinternierung und den von Dannecker geforderten „schlagartigen Einsatz“ gegen die jüdische Bevölkerung der Nordzone betrifft, so wurden die Weichen von der Militärverwaltung selbst gestellt. Ende März ordnete Best die Schaffung von „Internierungsmöglichkeiten“ und die erste Massenverhaftung von ausländischen Juden im besetzten Gebiet an,102 die dann tatsächlich am 14. Mai 1941 von der französischen Polizei, nicht von deutschen Truppen, durchgeführt wurde. Bei dieser Razzia wurden mehr als 3.700 jüdische Männer, überwiegend polnischer Staatsangehörigkeit, in Paris festgenommen und in zwei Lagern der Nordzone (Pithiviers und Beaune-la-Rolande) interniert. Sie bildete den Auftakt für weitere, ebenfalls vom Militärbefehlshaber angeordnete Verhaftungswellen im August und Dezember 1941. So läßt sich zusammenfassend sagen, daß das von Anfang an gespannte Verhältnis zwischen der Pariser Dienststelle der Sipo-SD einerseits und dem Militärbefehlshaber andererseits keineswegs eine Einigung über zunehmend schärfere Maßnahmen gegen die jüdische Bevölkerung in Frankreich behinderte.

Inwieweit war Knochen in die Vorbereitungen zur „Endlösung“ involviert, wie hat er die beschriebenen Vorgänge bei seinen Verhören dargestellt? Seine Verteidigungsstrategie beruhte wie gezeigt schon in Nürnberg im wesentlichen auf zwei Behauptungen: zum einen versuchte er zu beweisen, daß die Exekutive gänzlich in militärischer Hand gelegen habe, und zum anderen strich er die Selbständigkeit Danneckers und dessen unmittelbare Unterstellung unter Eichmann heraus, um seine eigene SD-spezifische Tätigkeit von jeder Beteiligung an Maßnahmen gegen Juden abzugrenzen. In den Jahren 1948 bis 1950 baute Knochen diese Strategie gegenüber dem Pariser Untersuchungsrichter Lequette, dem er als Beschuldigter im Militärgerichtsverfahren gegen Oberg und Knochen gegenüberstand und der ihm Zug um Zug Dokumente vorhielt, nach allen Seiten aus.

Lequette wollte sich von Knochen erklären lassen, ob die Judenverfolgung in Frankreich wie im übrigen besetzten Westeuropa in zwei Stadien abgelaufen sei, wobei man die Juden zuerst gesellschaftlich ausgrenzte und sie später nach dem Osten transportierte, um sie arbeiten zu lassen oder umzubringen. Knochen bestritt, daß es einen im voraus geplanten Zusammenhang zwischen der Isolierung der Juden und ihrer anschließenden Deportation gegeben habe, obwohl zumindest Danneckers Papier vom 21. Januar 1941 das Gegenteil besagte, und dann lieferte er seine Sicht der oben beschriebenen Ereignisse:

In Frankreich ergriff der Militärbefehlshaber administrative Maßnahmen gegen die Juden, doch bereits seit 1941 [sic] hatte die Militärverwaltung Judentransporte nach dem Osten geschickt. Die administrativen Maßnahmen wurden mit Zustimmung einer zentralen französischen Judenbehörde und großenteils von dieser selbst durchgeführt. Unabhängig von den vom Militärbefehlshaber vorgesehenen Verwaltungsmaßnahmen hatten die französische Gesetzgebung und das Generalkommissariat für Judenfragen ebenfalls Maßnahmen vorgesehen; Juden wurden seit 1941, vielleicht schon seit Ende 1940, aufgrund des französischen Gesetzes vom Oktober 1940 festgenommen und interniert. [...]

Das Zentrale Judenamt wurde von Dannecker in Verbindung mit verschiedenen anderen Dienststellen auf den Weg gebracht: persönlich war ich daran in keiner Weise beteiligt; ich habe nicht an den Besprechungen über die Einrichtung dieses Zentralen Judenamts teilgenommen, ich habe keinerlei Vorschläge gemacht [...]. Die Zuständigkeit für die Behandlung von Judenfragen wurde dem Beauftragten des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD nur auf organisatorischer Ebene übertragen; tatsächlich behandelte Dannecker diese Frage allein […].

Lequette: Nach dem [...] von Dannecker unterzeichneten Dokument „Zentrales Judenamt in Paris“ vom 21. Januar 1941 scheint es, als hätten die administrativen Maßnahmen gegen die Juden das Ziel einer sofortigen Evakuierung gehabt?

Knochen: Ich kenne diese Angelegenheit nicht und kann daher zu den Einzelheiten nichts sagen; die Französische Regierung war damit einverstanden, eine Politik gegen die Juden durchzuführen, die sich in Verwaltungsmaßnahmen niederschlug, und die deutschen Stellen ergriffen ebenfalls entsprechende Maßnahmen.

In dem fraglichen Dokument wird im übrigen festgestellt, daß das Judenamt unter französische Leitung gestellt werden sollte; ferner ist eine berufliche Umschichtung vorgesehen, die offensichtlich eine Vernichtung ausschloß; die Endlösung der Judenfrage wird außerdem in dem Dokument erst für die Zeit nach dem Krieg in Aussicht genommen. Der Vermerk vom 28. Februar 1941103 beweist hinlänglich, daß ich in keiner Weise an der Einrichtung des Zentralen Judenamts beteiligt war.104

Alle Dokumente zeigten, so wiederholte Knochen in Paris, das unabhängige Vorgehen Danneckers, während er selbst keine Befehle in „Judenangelegenheiten“ habe geben können. Doch nunmehr schob er – dezidierter als in Nürnberg – dem Militärbefehlshaber in Frankreich und der Deutschen Botschaft eine entscheidende Verantwortung für die Durchsetzung der antijüdischen Politik zu. Die Initiativen waren ihm zufolge von der Botschaft ausgegangen, einzig die Militärverwaltung hatte Maßnahmen gegen Juden ergriffen, Razzien wurden stets von der französischen Polizei durchgeführt, und es war der Militärbefehlshaber gewesen, der Ende 1941 – noch bevor die polizeiliche Exekutive in Frankreich auf die Sipo-SD übergegangen war – die ersten Transporte in den Osten anordnete:

Dannecker hielt mich über die Entscheidungen Berlins auf dem Laufenden, wie er es mit den anderen Dienststellen tat, ich hatte keinerlei Macht, diese Entscheidungen abzuändern. Die Botschaft und der Militärbefehlshaber erhielten ihrerseits Direktiven und nur die Militärverwaltung hat exekutive Entscheidungen in Bezug auf die Juden getroffen, von den Maßnahmen einmal abgesehen, die die französische Verwaltung aufgrund französischer Gesetze ergriff.105

Der springende Punkt ist, daß der ehemalige Chef der deutschen Polizei im besetzten Frankreich – dessen Machtbefugnisse ab Mai/Juni 1942 denen der Militärverwaltung kaum nachstanden – nicht einfach gelogen hat, jedenfalls was den hier diskutierten Zeitraum von 1940 bis 1941 / 42 angeht. Die Mitwirkung der Militärverwaltungsbeamten wie der Gruppe um Botschafter Abetz an allen Verfolgungsmaßnahmen, mit denen die Deportation von Juden aus Frankreich vorbereitet wurde, ist unbestreitbar, und sie war bereits kurz nach dem Krieg so weit dokumentiert, daß Knochen darin eine Grundlage seiner Verteidigungsstrategie finden konnte.

Täter im Verhör

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