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Exkurs: Danneckers Statistik

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Wie erwähnt hatte sich Zeitschel kurz vor der Abreise von Abetz nach Berlin Anfang September 1941 an Dannecker gewandt und ihm mitgeteilt, der Botschafter interessiere sich sehr dafür, „wie der Stand der augenblicklichen Einsperrung der Juden in Konzentrationslagern ist“.90 Dannecker übermittelte am 20. Oktober genaue Zahlen: Zu diesem Zeitpunkt befanden sich demnach im Lager Drancy 4.331, in Pithiviers 1.560 und in Beaune-la-Rolande 1.552 Internierte, also insgesamt 7.443 Personen, sämtlich Männer, darunter 1.602 Juden französischer Nationalität und 5.841 ausländische Juden oder Staatenlose, deren größte Gruppe 3.469 Juden ehemals polnischer Staatsangehörigkeit umfaßte.91

Überdies enthielt Danneckers Bericht aber auch neue statistische Angaben zur jüdischen Bevölkerung in Frankreich, die teils auf einer Auszählung der Pariser Polizeipräfektur, teils auf Schätzungen beruhten. Bereits im Oktober 1940 – nach Erlaß der ersten antijüdischen Verordnung des Militärbefehlshabers, die eine Meldepflicht und die Eintragung in ein „Judenregister“ vorschrieb – war eine solche Erhebung durchgeführt worden. Damals wurden im Seine-Departement (Paris und Banlieue) insgesamt 149.734 Juden von der Polizeipräfektur registriert, die Dunkelziffer dürfte nicht allzu hoch gewesen sein; davon waren 85.664 französische Staatsangehörige und 64.070 Ausländer.92 Dannecker besaß also von Anfang an zuverlässige Statistiken, was die Nordzone betraf, dennoch gab er des öfteren Zahlen weiter, die keine empirische Grundlage hatten, sondern der antisemitischen Verfolgungswut entsprangen. So behauptete er Anfang 1941 in jenem schon angeführten Schreiben an die Militärverwaltung, mit dem er die Errichtung von Internierungslagern forderte, in Paris lebten rund 100.000 ausländische Juden. Zeitschel rechnete – unter Berufung auf „gewissenhafte Zählungen“ des SD, die „etwa 65.000 jüdische Haushaltsvorstände“ ergeben hätten – die Zahl aller in Paris lebenden Juden auf 200.000 hoch.93 Im Juli 1941 veröffentlichte Dannecker selbst eine differenzierte, vermutlich auf dem aktuellen Stand des „Judenregisters“ beruhende Statistik, nach der die Anzahl der Juden in „Groß-Paris“ 139.981, im besetzten Gebiet insgesamt rund 160.000 betrug.94 Der Rückgang könnte sich aus den ersten Verhaftungen und den Fluchten über die Demarkationslinie ergeben haben. Da bislang keine Erhebung im unbesetzten Gebiet durchgeführt worden war, verwies Dannecker auf Schätzungen, die sich zwischen 400.000 und 800.000 bewegten.

Die Zahlen, die Dannecker im Oktober 1941 vorlagen und die er an Zeitschel weitergab, sind demgegenüber nicht leicht zu erklären, weil sie auf eine erneute Zunahme deuten würden. Die letzte Auszählung der Polizeipräfektur, auf die Dannecker Bezug nahm, sollte eine „Gesamtzahl von 148.024 Juden in Paris einschließlich Bannmeile“ ergeben haben, und Dannecker setzte demnach die Zahl für das besetzte Gebiet auf „etwa 165.000“ an.95 (Statistische Berichte aus dem gleichen Zeitraum, auf die Klarsfeld verweist,96 bestätigen allerdings eher eine kontinuierliche Abnahme der in der Nordzone registrierten Juden.) Was die Südzone betraf, konnte Dannecker wiederum keine gesicherten Angaben vorweisen, und nunmehr rechnete er mit einer Zahl, „die zwischen 500.000 und einer Million liegen kann“. (Tatsächlich wurden dort bis Ende 1941 ungefähr 140.000 Juden gezählt.)97 Wie dem auch sei, drei Wochen später, am 7. November 1941, reichte der Leiter der Protokollabteilung der Pariser Botschaft, Legationssekretär Krafft von Dellmensingen, Danneckers Schreiben vom 20. Oktober an das Auswärtige Amt weiter. Dort gelangte es am 13. November auf den Schreibtisch des Referats D III, also in die Hände Franz Rademachers, des für „Judenfragen“ zuständigen Mannes.98 Ohne daß sich der weitere Übermittlungsweg oder eine direkte Weitergabe der Statistik von Dannecker an Eichmann nachweisen ließe, ist es doch auffällig, daß sich die – für das besetzte Gebiet annäherungsweise richtigen, für die Südzone jedoch völlig überhöhten – Zahlenangaben Danneckers mit denen des Wannsee-Protokolls decken. In der dort angeführten Länderübersicht über die 11 Millionen Juden, die für die „Endlösung der europäischen Judenfrage“ in Betracht kommen sollten, wird für Frankreich/besetztes Gebiet die Zahl 165.000 und für das unbesetzte Gebiet die Zahl 700.000 (womöglich ein Mittelwert aus Danneckers Schätzung) genannt. Die Herkunft dieser Zahlen dürfte also weniger rätselhaft sein als bislang angenommen, und sie schlossen wohl kaum, wie Götz Aly vermutet hat, die in Französisch-Nordafrika lebenden Juden ein.99

Eichmann und der Unterstaatssekretär Luther, Rademachers Vorgesetzter, waren sich laut Protokoll im übrigen darin einig, daß „im besetzten und unbesetzten Frankreich [...] die Erfassung der Juden zur Evakuierung aller Wahrscheinlichkeit nach ohne große Schwierigkeiten vor sich gehen“ könne. Wohl nicht zuletzt deswegen wurde am 20. Januar 1942 festgehalten, daß Europa „im Zuge der praktischen Durchführung der Endlösung [...] von Westen nach Osten durchgekämmt“ werden sollte, d.h. daß die bevorstehenden Massendeportationen – vom Reichsgebiet und dem Protektorat Böhmen und Mähren abgesehen – zuerst in Westeuropa einsetzen würden.

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