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KAPITEL I

Konfrontationen

Als die alliierten Siegermächte des Zweiten Weltkriegs daran gingen, nach den Hauptkriegsverbrechern auch die Führungselite der deutschen Herrschaft über Europa, darunter die ehemaligen Angehörigen des Besatzungsapparats in Frankreich, zu verhören und Gerichtsverfahren gegen sie einzuleiten, stand deren Beteiligung an der Verfolgung und Deportation von Juden in die Vernichtungslager nicht im Vordergrund des Intere sses der Vernehmungsoffiziere. Bekanntlich wurde der Mord an den europäischen Juden bei den Nürnberger Prozessen nicht zum gesonderten Anklagepunkt erhoben, sondern unter dem neu definierten Straftatbestand der „Verbrechen gegen die Menschheit“ behandelt, der Verbrechen gegen Zivilbevölkerungen und die Verfolgung aus politischen, rassischen und religiösen Gründen umfaßte. Ähnlich war das Ermittlungsinteresse der französischen Militärtribunale gelagert. Überdies konnten einige der Akteure aus dem besetzten Frankreich nicht zur Rechenschaft gezogen werden, weil sie entweder verstorben oder nicht auffindbar waren. Das galt für die beiden Leiter des sogenannten „Judenreferats“1 der Gestapo in Paris, Theodor Dannecker und Heinz Röthke, für Alois Brunner, Chef eines nach Frankreich entsandten Sonderkommandos des Reichssicherheitshauptamts, und für den „Judenexperten“ der Pariser Deutschen Botschaft, Carltheo Zeitschel. Bei anderen wiederum blieb ihre Funktion im Zusammenhang der „Endlösung“ damals im Dunkeln.

Dennoch sind die Hauptverantwortlichen für die Judenverfolgung in Frankreich frühzeitig zur Auskunft über ihr Tun genötigt worden, und die Geschichtsforschung kann heute mit Gewinn auf die Verhörprotokolle aus der unmittelbaren Nachkriegszeit zurückgreifen. Man muß sich allerdings vergegenwärtigen, wie rudimentär die Kenntnisse der alliierten Ermittler über die Struktur und Funktionsweise des NS-Staates und die Organisation der Massenvernichtung anfangs gewesen sind, um ihre Aufklärungs- und Dokumentationsarbeit nicht nur als eine epochale Leistung auf dem Feld des internationalen Rechts, sondern als das zeithistorisch-politologische Forschungsprojekt würdigen zu können, das es tatsächlich war.2 Vor allem der Hilfsankläger für die Französische Republik, Henri Monneray, und der stellvertretende US-Ankläger Robert M. W. Kempner bemühten sich in den Kommissionssitzungen des Nürnberger Internationalen Militärtribunals bzw. im Rahmen des Wilhelmstraßen-Prozesses gegen das Auswärtige Amt, die Deportationen aus Frankreich zur Sprache zu bringen, wobei sie unter anderem den Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des SD, Helmut Knochen, und das Personal der Deutschen Botschaft in Paris, Botschafter Otto Abetz, dessen Stellvertreter Rudolf Schleier und den Gesandtschaftsrat Ernst Achenbach zum Verhör vorluden. Als hochrangiger Vertreter der deutschen Militärverwaltung wurde lediglich Werner Best in Nürnberg vernommen, doch blieb seine Mitwirkung – und die der Militärverwaltung insgesamt – an Maßnahmen gegen Juden unbeachtet. Monneray und der französische stellvertretende Hauptankläger Edgar Faure legten dem Nürnberger Gerichtshof zudem eine erste Sammlung von Dokumenten zur Judenverfolgung in Frankreich und den übrigen westeuropäischen Ländern vor3 – deutsche Akten, die bei der Befreiung 1944 in Paris sichergestellt worden waren und die noch in späteren Prozessen, so im Eichmann-Prozeß und in dem Kölner Verfahren gegen die wegen ihrer Beteiligung an der Deportation von Juden aus Frankreich angeklagten und verurteilten SS-Angehörigen Lischka, Hagen und Heinrichsohn, als Anklagematerial verwendet wurden.

Sogleich nach Kriegsende wurde auch die französische Militärjustiz tätig, die Prozesse gegen Otto Abetz, Helmut Knochen und Karl Oberg, den Höheren SS- und Polizeiführer in Frankreich, sowie gegen das Personal einzelner Kommandos der Sicherheitspolizei und des SD vorbereitete. Hier war es insbesondere der Pariser Untersuchungsrichter Lequette, der die Verantwortlichkeiten für die Judenverfolgung zu klären versuchte und der Oberg und Knochen mit einer Fülle von einschlägigen Dossiers aus ihrem einstigen Machtbereich konfrontierte.

Für die NS-Täter, die Beschuldigten oder vernommenen Zeugen, das ist das Gegenstück zu dem mühevollen Zusammenstellen von Beweisstücken und Fakten seitens der Vernehmungs- und Anklageorgane, bildeten die Nachkriegsermittlungen den ersten Testfall zur Erprobung und Standardisierung von Aussage- und Rechtfertigungsstrategien, zum Entwurf eines nach außen vertretbaren Selbstbilds und zur Fabrikation von Legenden, die sich später – als die bundesdeutsche Justiz seit den sechziger Jahren den Ermittlungskomplex „Endlösung der Judenfrage“ in Frankreich noch einmal aufzuarbeiten begann – als hilfreich für einen nunmehr erweiterten Kreis von Tatverdächtigen erweisen sollten. Insofern waren die alliierten Prozesse auch ein Laboratorium für kollektive Erinnerungs- und Geschichtskonstruktionen auf deutscher Seite.

Täter im Verhör

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