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2 Der Bund der Sieben Hügel

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Das Leben rund um die Hügel am Fluss kam während des neunten Jahrhunderts deutlich in Schwung: Reisende in Richtung der südlich gelegenen Ebenen Kampaniens oder nach Norden in die Toskana machten immer häufiger dort Halt und nutzten nicht länger die Routen im Landesinneren. Denn während die Etrusker jenseits des Tibers mit Veji, Caere und Tarquinia bereits mächtige Siedlungen gegründet hatten, in denen nicht Latein gesprochen wurde, hatte sich auf dem Albaner-Territorium die Furt zu einem Knotenpunkt entwickelt, der den Austausch mit den mächtigen Nachbarn vom anderen Ufer ermöglichte und gleichzeitig den Zugang zum gesamten Latium kontrollierte.

Inzwischen war es auch an der Zeit, dass die Toten den immer zahlreicheren Lebenden Platz machten: Auf dem sogenannten Germal, dem südwestlichen Bereich des Palatins, wich eine Nekropole aus dem vergangenen Jahrhundert einer Ansiedlung aus großen, ovalen Hütten. Auch auf dem Quirinal, jenseits des Tales, wo sich das Velabrum befand sowie das künftige Forum und die Subura, lässt sich das demografische Wachstum indirekt aus den Gräbern entlang der Via Salaria ablesen. Auf dem Viminal lagen die Gräber in der Nähe der Straße, die in das ebenfalls gerade im Entstehen begriffene sabinische Zentrum Cures führte, und im Osten des Hügelgebiets, auf dem später sogenannten Esquilin, entstand eine größere Nekropole entlang der Straßen in die zukünftigen Städte Gabii und Praeneste. Etwa hundert Gräber wurden dort im 19. Jahrhundert wiedergefunden und, um die Wahrheit zu sagen, eher geplündert als erforscht, als nach 1870 der Ausbau Roms zur neuen Hauptstadt des Königreichs Italien und zu einer modernen Metropole Anlass zu einer Vielzahl von Baustellen und somit Gelegenheit zu archäologischen Entdeckungen gab.1 Die Zahl der Gräber mag bescheiden klingen, hatte sich aber im Vergleich zur Phase davor verzehnfacht. Das bedeutet allerdings nicht, dass auch die Bevölkerung in diesem Maße gewachsen wäre, denn der Anstieg resultierte vor allem daraus, dass der Bestattungsritus nun nicht mehr einer eng begrenzten Elite vorbehalten war. Trotzdem lässt sich mit Gewissheit sagen, dass die Zahl der auf dem Gebiet der künftigen Stadt Rom lebenden Menschen stieg: Umfassten die einzelnen Gruppen im elften und zehnten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung nur jeweils wenige Dutzend Mitglieder, waren es im darauf folgenden Jahrhundert schon einige Hundert, verteilt auf kleine Weiler aus jeweils etwa vierzig Behausungen. Für das neunte Jahrhundert lässt sich die Zahl derjenigen, die beschlossen hatten, ihre Hütte unweit des Flusses und der Furt zu errichten, insgesamt auf einige Tausend schätzen.

Der Bau einer Hütte

Jede dieser Hütten, sei ihr Grundriss nun oval oder rechteckig, wurde von der Familie errichtet, die sie auch bewohnen würde, und zwar aus natürlichen Materialien in der Umgebung (vgl. Karte 2).2 Das erforderliche Holz war auf den dicht bewaldeten Hügeln leicht zu beschaffen: In den Wäldern des ‚Eichenbergs‘ (Querquetulanus Mons, später Caelius) oder denen des ‚Buchenbergs‘ (Mons Fagutalis) wählten die Ältesten der Sippe dank ihrer langen Erfahrung mit sicherem Blick hohe, gerade gewachsene Stämme, die sich für die tragenden Strukturen der Hütte eigneten. Auf dem ‚Weidenhügel‘, dem Viminal (von vimen) und anderswo fanden die Frauen das nötige Material zur Herstellung der Seile, mit denen die einzelnen Bestandteile der Grundkonstruktion verbunden wurden. Lehm für die Wände der Behausung war reichlich am Rand der Sümpfe im Velabrum zu finden und auf dem künftigen Forum, wo das sogenannte Argiletum (Tongrube) lag. Um das Dach zu decken, verwendete man Schilfrohr, das im Winter zuvor am Flussufer gesammelt und getrocknet worden war, und überzog es manchmal noch mit einer dünnen Schutzschicht aus Lehm. Sobald die warme Jahreszeit gekommen und das Getreide, welches das notwendige Stroh lieferte, geerntet war, machte sich die ganze Familie ans Werk: An der zuvor in Abstimmung mit dem Rest des Dorfes ausgewählten Stelle – eine Entscheidung, bei der man sorgfältig die örtlichen Gegebenheiten, die Richtung der Sonne und die vorherrschenden Winde berücksichtigte – markierte man die Position der Stützpfosten. Diese wurden anschließend mithilfe von Seilen aufgerichtet und zum tragenden Element der gesamten Konstruktion. Dann wurde Stampflehm, ein Gemisch aus angefeuchteter Erde, Stroh und Schotter, zwischen zwei später wieder entfernte Holzbretter gepresst und bildete die Wände der Behausung, deren Sockel mit einem zusätzlichen Schutz aus Tuffstein verstärkt wurde. Wenn die Hütte endlich stand und ihr Dach mit Schilf gedeckt war, fehlte nur noch die Verzierung, und die Frauen der Familie bemalten den Lehmputz an den Innen- und Außenseiten der Wände mit den gleichen geometrischen Mustern, die sie auch in ihre selbst hergestellten Tongefäße ritzten. Eine auf diese Weise in etwas weniger als einem Monat erbaute Hütte konnte zwanzig bis fünfzig Jahre halten, vorausgesetzt, sie wurde sorgfältig instandgehalten und bei Bedarf repariert. Spätestens nach einem halben Jahrhundert aber hatte ihr die Witterung – glühende Sonne im Sommer, Wind und sintflutartiger Regen im Herbst und Frost im Winter – derart zugesetzt, dass sie nicht mehr zu benutzen war. Falls sie nicht schon vorher einem Brand zum Opfer gefallen war, wurde doch das Feuer auf dem nackten Erdboden in der Mitte des meist einzigen Raums nie vollständig gelöscht.

Ein großes Rom im neunten Jahrhundert?

Bestanden die kleinen Gemeinschaften, die in jenen wenige Dutzend Hütten umfassenden Siedlungen auf den Hügeln am Fluss lebten, schon aus Römern? Bildeten die Menschen, welche die Höhen des Quirinals, der Velia und des Palatins bewohnten, inzwischen eine homogene Bevölkerung? Haben wir es also im letzten Drittel des neunten Jahrhunderts vor unserer Zeitrechnung, im Latial IIB, bereits mit einer derart beeindruckenden, zusammenhängenden Hüttensiedlung zu tun, dass legitimerweise von einer ersten Stadt, einem ersten Rom zu sprechen wäre?

Viele zeitgenössische Forscher sind mittlerweile davon überzeugt, auch wenn ihre Schätzungen der besiedelten Fläche zwischen hundert und knapp zweihundert Hektar schwanken.3 Ihrer Auffassung nach wäre die Stadt Rom genauso alt wie die großen Etruskerstädte, und das fragmentierte Hügelgelände hätte mit nur wenigen Jahrzehnten Abstand dieselbe Geschlossenheit erreicht wie die riesigen zusammenhängenden Plateaus auf der gegenüberliegenden Flussseite. Worum es bei diesen Überlegungen geht, ist natürlich die Frage nach der Erfindung der Stadt. Diesen Annahmen zu folgen, heißt einzugestehen, dass die Stadt an sich im Westen, anders als lange behauptet, keineswegs eine mit den ersten griechischen Kolonien in Sizilien und Süditalien eingeführte Innovation war, und dass dieses Verdienst, trotz des zeitlichen Vorsprungs und der traditionell angenommenen Überlegenheit auf diesem Gebiet auch nicht den Etruskern gebührt, sondern dass es sich im Wesentlichen um eine römische Erfindung handelt: Auf den Hügeln am Fluss sei mit Rom bereits in der Stufe Latial IIB das Konzept ‚Stadt‘ entstanden, und der beste Beweis dafür sei, so heißt es, die in jenem Zeitraum nachweislich fortschreitende Besiedelung der zentralen Talsenke inmitten der Hügel. Demnach müsse die Entstehung der Esquilin-Nekropole als Zeichen dafür gewertet werden, dass die Nekropole beim Forum aufgegeben und das Gebiet gleich im Anschluss besiedelt worden sei. Dadurch sei es in jenem zentralen und zuvor trennenden Tal zum ersten Mal zu einer Vereinigung der beiden konzentrierten Siedlungsgruppen gekommen, die sich auf der Achse Palatin-Velia-Caelius einerseits und entlang der durch die Kuppen von Kapitol und Quirinal bezeichneten Diagonale befunden hatten. Existierte Rom als Stadt also bereits im neunten Jahrhundert? Tatsächlich scheint eine solche Behauptung mit letzten Zweifeln behaftet zu sein: So zieht man es vor, als ‚Proto-Rom‘ oder eine ‚Proto-Stadt‘ zu bezeichnen, was städtisch war, ohne tatsächlich eine Stadt zu sein … Verstehe das, wer will! Man mag von solchen ‚Proto-Städten‘ träumen, bewohnt von ‚Proto-Männern‘ und ‚Proto-Frauen‘, die sich in einer ‚Proto-Sprache‘ verständigten, doch was so unklar formuliert ist, lässt sich kaum begreifen. Denn im Grunde gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder waren die Hügel zu diesem Zeitpunkt immer noch ein Gebiet mit verstreuten Siedlungen, oder aber es hatte sich bereits ein zusammenhängender Ort gebildet, und in diesem Fall wäre tatsächlich schon von einer Stadt zu sprechen. Und wie wäre diese Stadt zu nennen, wenn nicht Rom? Kann man tatsächlich auch nur für einen Moment annehmen, dass es eine erste zusammenhängende Siedlung auf der Fläche der künftigen Urbs gegeben habe – und sei es auch nur eine Ansammlung von Hütten –, die einen anderen Namen trug als Rom?

In Wirklichkeit stehen einer Verschmelzung der Siedlungen im neunten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung noch zahlreiche Widrigkeiten entgegen. Nicht zuletzt das sicher überwindbare, aber dennoch reale Hindernis der zentralen Senke zwischen Palatin und Quirinal. In regelmäßigen Abständen wurde diese nahezu vollständig vom Tiberwasser überschwemmt, das sich häufig im Velabrum sammelte, was eine dauerhafte Besiedelung unmöglich machte. Das künftige Forum bildete somit einen Grenzbereich, ein Niemandsland, das den Toten und den ihnen zugedachten Ritualen vorbehalten blieb. Und noch heute kennen wir weder die räumlichen noch die zeitlichen Dimensionen des Gräberfelds, das von der modernen Forschung die ‚Nekropole beim Tempel des Antoninus Pius und der Faustina‘ genannt wird aufgrund der räumlichen Nähe zu diesem über ein Jahrtausend jüngeren Bauwerk. Wie verführerisch die Theorie auch sein mag, die Esquilin-Nekropole habe die Forum-Nekropole abgelöst, woraufhin diese Fläche sogleich von den Lebenden für ihre Behausungen beansprucht worden sei, so geht sie doch wahrscheinlich zu weit. Tatsächlich gab es keine Substituierung der einen Nekropole durch die andere, die als Beweis für das Entstehen einer ersten geschlossenen Siedlung dienen könnte, sondern vielmehr ein räumliches und zeitliches Kontinuum, in dem die ursprüngliche Begräbnisstätte durch die sogenannte Esquilin-Nekropole Stück für Stück nach Osten erweitert wurde. Und sollte die Zahl der Hütten tatsächlich schon im neunten Jahrhundert derart angewachsen sein, dass sie sich von den Hügelkuppen den Hang hinab in die Ebene ergossen, wo sie schließlich aufeinandertrafen, nachdem sie die Hügel unter ihrer schieren Masse begraben hatten wie jene Favelas, die im vergangenen Jahrhundert in Rio de Janeiro, São Paulo und anderen stetig wachsenden Megapolen ganze Stadtviertel aus dem Boden wachsen ließen? Eine sicherlich verlockende, aber dennoch trügerische Parallele: Um eine solche Expansion und uneingeschränkte Urbanisierung zu ermöglichen, hätte es einer wahren Bevölkerungsexplosion bedurft, sowohl innerhalb der Siedlungen als auch durch Zuzug von außen. Die erste Option ist aufgrund der sehr schwierigen hygienischen Verhältnisse und der extrem hohen Sterblichkeitsrate in jenen fernen Zeiten nahezu unmöglich. Und die zweite hätte das plötzliche Eintreffen von Zuwanderern erfordert, die aufgrund der geografischen Gegebenheiten in Latium nur aus den Albaner Bergen hätten stammen können. Doch statt einer plötzlichen Entvölkerung oder gar Aufgabe dieses Lebensraums im neunten Jahrhundert beobachten wir dort vielmehr eine besondere Blütezeit,4 in der das Massiv zum religiösen und zweifellos auch politischen Zentrum der gesamten Region wurde, wie wir gesehen haben. Es stimmt, dass die Zeit in Rom mehr als anderswo viele Überreste vernichtet und zahlreiche Spuren ausgelöscht hat. Doch die Verbliebenen deuten nicht auf eine weite Fläche zahlloser, dicht gedrängter Hütten im neunten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung hin: Das Forum blieb zu Beginn dieses Jahrhunderts (Latial IIA) frei von jeglicher Wohnbebauung, und auch die in der Folge (Latial IIB) andernorts zu beobachtenden Hütten waren dünn gesät.5 Denn wo die Pfostenlöcher der Behausungen noch erhalten sind, stellt man fest, dass diese in den meisten Fällen durch eine freie Fläche von der nächsten Hütte getrennt waren. Dort befand sich ein eingezäunter Bereich für Tiere, welche die Familie ernährten und kleideten: Ziegen und Schafe lieferten Wolle und Milch und Schweine das Fleisch, das bereits über ein Drittel der Ernährung dieser Männer und Frauen ausmachte. Die Hütten standen in der Regel in deutlich voneinander abgegrenzten Dreier- oder maximal Vierergruppen zusammen. Jede dieser Gruppen entsprach einer Großfamilie, das heißt einer Gruppe verschiedener Kernfamilien, die von ein und demselben Vater abstammten. Je nach Alter und Geschlecht nahmen die einzelnen Familienmitglieder klar definierte Aufgaben in ihrer jeweiligen Gemeinschaft wahr:6 Während die jungen Männer auf die Jagd gingen oder in den Krieg zogen, spannen die Mädchen die Wolle. Ihren Müttern oblag unterdessen die Herstellung der Kleidung, wozu sie sich hölzerner Webrahmen mit Gewichten aus einfachen Steinen bedienten. Darüber hinaus mussten sie regelmäßig Tongeschirr und Korbwaren für den täglichen Gebrauch der Familie anfertigen oder ausbessern. So verstrich im jahreszeitlichen Rhythmus der Arbeiten das Leben in jener Zeit. Die Dörfer, oder vielmehr Weiler, lagen über das gesamte Hügelareal verstreut und beobachteten einander über die Täler, Sümpfe und Bäche hinweg, die sie voneinander trennten. Man kannte sich natürlich, und gelegentlich lud man sich ein und half sich gegenseitig, vor allem in Zeiten, in denen größtmöglicher gemeinsamer Einsatz gefordert war, etwa bei der Aussaat, der Ernte oder dem Weidewechsel im Rahmen der Transhumanz. Aber jede Gemeinschaft wahrte ihre Eigenständigkeit, die zunächst der Hügel definierte, auf dem sie lebte. Tatsächlich kann eine Nachbarschaft mal von Solidarität und mal von Rivalität geprägt sein, und genau das war hier der Fall, wie die archäologischen Entdeckungen in den Überresten dieser ebenso spärlichen wie über eine riesige Fläche verteilten Hütten und Gräber veranschaulichen.

Die sieben Hügel

Diese etwas unstrukturierte, fließende Situation dauerte mindestens anderthalb Jahrhunderte, sicher noch länger. Das ist der Grund, warum sie im kollektiven Gedächtnis des klassischen Zeitalters eine Spur in Gestalt eines etwas eigenartigen Namens hinterlassen hat: Septimontium.7 Der große Gelehrte Varro, der im ersten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung lebte, spricht in einer berühmten Definition des Begriffs vom „Septimontium, das sich über die Hügel erstreckte, auf denen heute Rom liegt.“8 Wie ist das zu verstehen? Bezeichnen der alte Name Septimontium und der heutige Roma etwa exakt dasselbe, was eine eindrucksvolle Bestätigung jener durch keinen archäologischen Befund gestützten Vorstellung von einem großen Rom des neunten Jahrhunderts wäre? Das Septimontium wäre demnach ein Proto-Rom, dem zwar noch sein endgültiger Name fehlte, was die Stadt gleichwohl nicht daran hinderte, bereits auf einer großen Fläche und mit klar erkennbaren urbanen Strukturen zu existieren … Beweist nicht schon die Etymologie des Namens, wenn man darin ein Kompositum aus septem und montes erkennen möchte, dass das Septimontium bereits in dieser frühen Phase exakt der künftigen berühmten Stadt der sieben Hügel entsprach? Ausgehend davon stellte Varro eine Liste auf, der eine große Zukunft beschieden war: Kapitol, Aventin, Caelius, Esquilin, Palatin, Viminal und Quirinal. Ist die Frage somit also geklärt, und muss man nicht einfach zugeben, dass Rom schon im neunten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung existierte, wenn auch unter anderem Namen? Doch wie offensichtlich diese Schlussfolgerung auch scheinen mag, erweist sie sich bei näherer Betrachtung als optische Täuschung: Man darf die Vergangenheit niemals durch das Prisma künftiger Gegebenheiten betrachten. Aber genau das tut Varro mit seiner Liste, bei der es sich, entgegen allem Anschein, keineswegs um die simple Abschrift eines ehrwürdigen, authentischen Dokuments handelt, sondern vielmehr um das Produkt eines Vorgangs, den man als gelehrte Bastelarbeit bezeichnen könnte. Denn wir kennen die echte Liste der Gemeinschaften, die dieses geheimnisvolle Septimontium bildeten, und sie sieht völlig anders aus.9

Zwanzig Jahre nach Varro liefert der Gelehrte Antistius Labeo, der zum Gefolge von Kaiser Augustus gehörte, nicht ohne Polemik gegen seinen illustren Vorgänger, folgende Definition, deren Eigenartigkeit als Beleg für ihre Authentizität gelten kann: „Septimontium. Dies sind Feste, die die folgenden Hügel betreffen: den Palatin, zu dessen Ehren ein Opfer dargebracht wird, welches Palatuar heißt; die Velia, für die ebenfalls ein Opfer dargebracht wird; der Fagutal, die Subura, der Germal, der Oppius, der Caelius, der Cispius.“ Ein ausgesprochen überraschender Text, nicht nur aufgrund dessen, was er enthält, sondern vor allem durch das, was fehlt: Dass der Palatin in der Aufzählung vorkommt, ist nachvollziehbar, seine Bedeutung von Beginn der latialen Phase an ist durch archäologische Funde belegt, wie wir gesehen haben. Und auch wenn die Velia bereits in der Antike fast vollständig abgetragen wurde, ein Prozess, den die umfassenden Baumaßnahmen der faschistischen Ära vollendet haben, mag das Gleiche für sie gelten, schließlich gehörten ihre Bewohner, die Velienses, zu den Völkerschaften, die auf dem Bundesberg Albanus Mons dem Iuppiter Latiaris opferten. Aber was hat die Subura hier zu suchen, die überdies eher ein Tal gewesen zu sein scheint als eine Anhöhe, oder der Germal, der nur ein kleiner Teil des Palatins ist, genau wie Oppius, Cispius und Fagutal Teile des Esquilins? Und wo bleiben Kapitol und Quirinal, ganz zu schweigen vom Aventin? Nein, diese Liste entspricht ganz unzweifelhaft nicht den wahren römischen Gegebenheiten, und Varro hatte ganz recht, sie anzupassen oder vielmehr komplett neu zu erstellen! Aber wir sind hier nicht auf der Suche nach Varros imaginärem Proto-Rom, der wenngleich gelehrten, so doch reiner Fantasie entsprungenen Vision eines Intellektuellen aus der Zeit Ciceros. Unser Ziel besteht darin, herauszufinden, wie die Realität der sieben Hügel im neunten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung ausgesehen haben könnte. Und in diesem Bestreben ist die merkwürdige Liste fraglos der klassischen, vertrauten, aber trügerischen, weil im Nachhinein vollständig umgeschriebenen Aufstellung vorzuziehen. Was Varro im Sinn hatte, ist offensichtlich: Aus einem Festtag, der an unterschiedlichen, klar begrenzten – und in Wahrheit acht, nicht sieben – Orten begangen wurde, macht er ein riesiges, geeintes Areal. Möglicherweise war sogar er es, der diese so einleuchtend klingende Bezeichnung erfunden hat? Um die Namen von Hügeln in seine Liste aufnehmen zu können, die ursprünglich nicht darin enthalten waren, fasst er benachbarte, aber nicht zusammengehörige Anhöhen unter einer einzigen Benennung zusammen, und die störende Subura streicht er gleich ganz. Auf diese Weise reduziert Varro die antike Liste auf drei Namen, was Platz genug für vier weitere Hügel lässt, die er nun hinzufügen kann. Denn Varros Sicht war nicht eben differenziert: Er wusste nicht, dass einige der römischen Hügel über mehrere Kuppen verfügten und diese in der Frühgeschichte getrennt besiedelt worden waren. Natürlich schrieb er in gutem Glauben, aber da er selbst fast ein Jahrtausend nach den Gegebenheiten lebte, die er zu beschreiben suchte, wurde er zum Opfer der tief greifenden Metamorphosen, die das Areal in der Zwischenzeit durchlaufen hatte: Zahlreiche Kuppen waren mittlerweile eingeebnet und miteinander verbunden worden. Trotz seiner großen Gelehrsamkeit ahnte er nichts von dem, was uns heute sowohl Archäologie als auch Geomorphologie verraten, und daher sind weder seine Rekonstruktion noch die Gleichsetzung des Septimontium mit Rom haltbar. Zudem gibt er uns beinahe unwissentlich einen wertvollen Hinweis, der die wahre Reichweite der jedes Jahr am 11. Dezember begangenen Zeremonien enthüllt: „Es ist nicht das Fest des Volkes, sondern nur das der Hügelbewohner.“10 In seiner Zeit jedoch verwendete man den Begriff ‚Hügelbewohner‘ (montani) noch als Bezeichnung für die Angehörigen kleiner religiöser Gemeinschaften, deren Aufgabe darin bestand, auf Anhöhen wie dem Oppius alte Rituale zu vollziehen. Folglich darf man die Montes, die das Fest des Septimontium feierten, nicht allein als Hügel im geografischen Sinn verstehen, sondern ebenfalls als die dort lebenden menschlichen Gruppierungen. Und diese waren auch weiterhin klar voneinander unterscheidbar, unabhängig und bildeten keine einheitliche Bevölkerung. Mit anderen Worten, obwohl sie alle zum selben Zeitpunkt opferten, blieb es ein Zusammenschluss eigenständiger Entitäten, deren Summe keine namenlose Stadt ergibt.

Umrundete nun also eine Prozession an jedem 11. Dezember die sieben Hügel? Das ist wenig wahrscheinlich. Gleichzeitig ja, aber an unterschiedlichen Orten, das ist das Prinzip des Septimontium, dieser gemeinsamen Feier benachbarter Dörfer. Wir befinden uns folglich im Horizont einer Bundesgenossenschaft, deren unterschiedliche Mitglieder kein homogenes politisches Gebilde formen, aber dennoch so regelmäßige Beziehungen pflegen, dass sie an bestimmten Daten gemeinsame Riten zelebrieren. Das Gleiche ist bereits der Fall für Volksstämme, die sich regelmäßig auf dem Monte Cavo zusammenfinden, und exakt diese polyzentrische Bewegung begegnet uns auch hier wieder, hervorgehoben durch die Tatsache, dass die Opfer an zwei verschiedenen Orten vollzogen werden, auf dem Palatin und der Velia, manchen Interpretationen zufolge vielleicht sogar an allen acht von Labeo genannten Stellen.

Die entscheidende Bezugsgröße ist jedoch nun nicht mehr eine ganze Region, wie das Latium, wo dreißig Albaner-Stämme verstreut lebten, sondern allein das begrenzte Areal der Hügel – zumindest deren südliche Partie – und des Flusses. Und tatsächlich ist diese Gebietsverengung mit der dadurch implizierten Zunahme der Bevölkerungsdichte und Intensivierung der Kontakte ein Zeichen dafür, dass der reduzierte Bund der sieben Hügel im Vergleich zum großen, archaischen Latinerbund der Albaner Berge einen weiteren Entwicklungsschritt und entscheidende Voraussetzung darstellt für das, was später an ebendiesem Ort folgen wird. Varro hat also eine Ansammlung von Feierlichkeiten und Opfern vereinheitlicht, ja romanisiert, die tatsächlich in ihrer Vielfalt die anhaltende räumliche Streuung und Pluralität eines nach wie vor zersplitterten Territoriums widerspiegelte. Am selben Tag, aber an sieben, wenn nicht gar acht verschiedenen Orten begangen, verdeutlichte das alte Fest der Sieben Hügel die Prioriät der Zeit gegenüber dem Raum, der für alle Völkerschaften des latinischen Bundes ein fragmentierter war. In Varros Interpretation, streng genommen seiner Neuschöpfung, ist es genau umgekehrt: Der Raum geht darin der Zeit voraus, aus dem Zeitpunkt Septimontium wird ein Gebiet und zwar in der Darstellung ein bereits geeintes Territorium, das die Zukunft vorwegnimmt und mit den sieben Anhöhen der künftigen Stadt Gestalt gibt. So erscheint die Stadt Rom, obwohl sie noch gar nicht existiert, in seinen Augen wie vorgezeichnet, präformiert durch die sieben Hügel, auf denen sie sich eines Tages erheben wird – mit anderen Worten gleichsam vorherbestimmt. Gelehrter Taschenspielertrick und Metamorphose, die es den Machthabern der Kaiserzeit ermöglichten, das Fest offiziell zu feiern, gleichzeitig aber die Tradition, die man zu bewahren vorgab, konterkarierten. Betrachtet man die wahre Liste des Septimontium, befreit von den durch Varro hinzugefügten Fehldeutungen, so offenbart sie eine noch derart primitive Realität, dass moderne Übersetzer oft genug wie erschreckt ihre Bedeutung abgeschwächt haben. Denn an diesem Festtag opferten die einzelnen Gemeinschaften nicht, wie gemeinhin angenommen, auf, sondern zu Ehren jener Erhebungen, auf denen sie siedelten. Diese Verehrung des Hügels – oder vielmehr der jeweiligen Schutzgottheit – erschien als Ausdruck einer sehr primitiven Religiosität, in der Gottheiten noch keine menschliche Gestalt angenommen hatten, und damit ohne jeden Zweifel als ein Zeichen eines ‚wilden Denkens‘. So brachte im Rahmen des Festes der Sieben Hügel ein Priester, der Flamen Palatualis, auf dem Palatin das Palatuar genannte Opfer zu Ehren der Göttin Palatua (oder Pales) dar.

War die Zahl der sieben – oder acht – Hügel von Anfang an gegeben, oder durchlief der Septimontialbund zunächst frühere Entwicklungsstufen, in denen er weniger Gemeinschaften umfasste? Es wurde vermutet, dass es zunächst ein Dreierbund gewesen sein könnte, dann ein Vierer- und ein Fünferbund, bis schließlich sieben Mitglieder erreicht waren.11 Aber falls es diese Zwischenetappen tatsächlich gegeben haben sollte, haben sie bezeichnenderweise keine Spuren im kollektiven Gedächtnis der Urbs hinterlassen und können von der modernen Forschung nur angenommen werden. Der einzige Bund, an den sich die Römer später erinnern sollten und dessen Name bis in die heutige Zeit überdauert hat, ist der Bund der Sieben Hügel. Dank der Neugier des antiken Gelehrten Labeo auf wundersame Weise erhalten geblieben – auch wenn er sie, nebenbei bemerkt, ein wenig angepasst hat, da die drei letzten Hügel in seiner Fassung Namen tragen, die sie erst viel später erhalten sollten –, erscheint uns die Liste der Teilnehmer am Fest der Sieben Hügel heute gleichsam wie ein Fossil, Zeugnis einer fernen Vergangenheit, in der Raum und Zeit noch nicht in eins fielen: Eine Einheit der Zeit wurde nur einmal im Jahr erlebt, während jene des Raums noch gar nicht erreicht war.

Wir befinden uns somit an der Schwelle zwischen Vergangenheit und Zukunft, zwischen der alten, immer noch aktuellen föderalen Realität der Bünde und der künftigen Urbs, deren Entwicklung bereits eingesetzt hat. Einerseits die fortdauernde räumliche Streuung dieser sieben, ja acht Siedlungen, die alle auf ihrem Hügel hocken und eifersüchtig über ihre Unabhängigkeit wachen, und andererseits die sich zweifellos schon abzeichnende Vorrangstellung der beiden Hügel Palatin und Velia, den beiden Erstgenannten der Liste, wo vielleicht spezielle Opfer dargebracht wurden. Aber noch war selbst die Einheit des Palatins nicht hergestellt, da der Germal, der später als Teil des Hügels aufgefasst werden sollte, hier noch als eigenständige Gruppierung erscheint. So zeugt das Fest der Sieben Hügel ebenso sehr von Tendenzen zur Vereinigung des Areals wie von anhaltendem Separatismus und bewahrt, konserviert durch die Religion, die Erinnerung an eine fließende, im Wandel begriffene Situation: Im Bereich der Hügel am Fluss bildet sich allmählich ein Gemeinwesen heraus, auch wenn dieses noch sehr fragil und lückenhaft bleibt.

Wieso aber fehlen Quirinal und Viminal beim Fest der Sieben Hügel, obwohl sie, wie wir gesehen haben, zu jener Zeit bereits besiedelt waren, genau wie der Saturnische Berg, auf dem sich die allerersten Behausungen fanden? Um dieses Rätsel zu lösen, um zu verstehen, wie die Stadt im römischen Sinne des Wortes in die Geschichte eintreten konnte, müssen wir unseren Blick zunächst auf den Palatin richten.

Urbs

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