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Einleitung

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Der Begriff ‚römische Geschichte‘ umfasst üblicherweise alle Ereignisse, die sich im Laufe von über tausend Jahren auf Gebieten abgespielt haben, die sich vom heutigen Schottland bis zum Irak und von den Niederlanden bis nach Ägypten erstreckten und einer einzigen politischen Autorität unterstanden, die ihren Sitz lange in Rom hatte, wenn auch später wechselnde Städte, insbesondere Ravenna, Mailand oder Trier, von Konstantinopel ganz zu schweigen, eine Vormachtstellung beanspruchten. Die Einigung Italiens, Hannibals Alpenüberquerung, die Eroberung Griechenlands durch die Legionen, die Einrichtung der Provinz Gallia Narbonensis (der heutigen Provence), der Krieg Caesars gegen Vercingetorix, die fortschreitende Urbanisierung der Iberischen Halbinsel, Nordafrikas und später Englands sowie Westgermaniens, die Barbareneinfälle – all das und noch vieles mehr ist somit ‚römische Geschichte‘. Jedes einzelne dieser Themen hat sich darüber hinaus mit der Zeit zu einem eigenen Forschungsgebiet entwickelt und wird von den jeweiligen Spezialisten untersucht. Fast scheint es, als sei durch diese Konzentration auf die Peripherie, durch den Blick auf ferne Horizonte ein wenig der Ausgangspunkt in Vergessenheit geraten, der Ursprung, jener Ort, an dem diese ganze Geschichte ihren Anfang nahm und wo über eine sehr lange Zeit hinweg deren Auswirkungen zu spüren waren. Als habe der Name Rom, bevor er zum größten und beständigsten Reich aller Zeiten gehörte, nicht zunächst für eine Stadt gestanden: für die Urbs, eine anfangs kleine, unbedeutende Siedlung, die sich im Laufe einer Entwicklung, die zweifellos nachgezeichnet zu werden verdient, zur bevölkerungsreichsten und prächtigsten Stadt der antiken Welt wandelte und über mehrere Jahrhunderte hinweg ohne Rivalin blieb.

Die Geschichte dieser Stadt, und nur die ihre, soll hier erzählt werden. Rom intra muros, begrenzt von Mauern, mit denen sie sich, wie wir sehen werden, schon sehr früh umgab. Denn aus einer Vielzahl von Gründen rückt dieser städtische Raum namens Rom nun erneut ins Zentrum der aktuellen Forschung. Natürlich existiert die römische Topografie, diese mit der Lokalisierung antiker Monumente auf dem Stadtplan befasste Disziplin, schon sehr lange! Es ist eine ehrwürdige Wissenschaft, die sich durch eine ganze Reihe ruhmreicher Gelehrter auszeichnet. Als Rom im Jahr 1870 zur Hauptstadt Italiens und daraufhin zu einer modernen Metropole wurde, beginnt eine für die Erforschung der antiken Stadt wesentliche Phase, gingen damit doch eine Vielzahl von Baustellen und ebenso viele archäologische Entdeckungen einher. Nun könnte man meinen, alles, was es im Bereich der römischen Topografie in Erfahrung zu bringen gibt, sei seither in Überblicksdarstellungen festgehalten, die zum größten Teil vom Ende des 19. oder vom Beginn des 20. Jahrhunderts stammen. So bildeten Werke wie das Handbuch von Jordan und Hülsen, wie die Arbeiten des unermüdlichen Rom-Vermessers Rodolfo Lanciani oder auch – als vorläufig krönender Abschluss – das wunderbare Lexikon von Platner und Ashby aus dem Jahr 1929 lange das Alpha und Omega einer topografischen Wissenschaft, die damals ihren vermeintlichen Höhepunkt erreicht hatte.1 Alles Wissenswerte über das antike Rom und seine Monumente scheint in diesen Werken schon beschrieben und analysiert zu sein, von denen das Jüngste mittlerweile immerhin fast hundert Jahre alt ist. In den 1980er-Jahren beginnt sich diese Situation von Grund auf zu wandeln: Zunächst erwachte weltweit – befördert durch eine internationale Pressekampagne – das öffentliche Bewusstsein dafür, dass die antiken römischen Bauten den verheerenden Auswirkungen von Luft- und Umweltverschmutzung nicht mehr lange standhalten, wenn nichts zu ihrem Erhalt unternommen wird. Die daraufhin von der italienischen Regierung in außergewöhnlicher Höhe bewilligten Kredite zur Restaurierung der römischen Ruinen lassen nicht nur überall in der Stadt die Baugerüste emporschießen, sondern lösen gleichzeitig eine wahre Flut von Forschungen und Veröffentlichungen aus, die seitdem unvermindert anhält. Zweifelsohne liegt dieser Entwicklung jedoch mehr zugrunde als eine nur vorübergehende Aufmerksamkeit oder eine tagespolitische Entscheidung. Vielmehr hat sich diese Renaissance der römischen Topografie bereits mit den grundlegenden Arbeiten eines Guglielmo Gatti oder Ferdinando Castagnoli in den 1960er-Jahren angebahnt, einer Zeit, in der sich die historische Forschung insgesamt ausweitet und sich vermehrt den Geistes- und Sozialwissenschaften öffnet. Diese Metamorphose erfasste auch die römische Topografie, die insbesondere unter dem Einfluss von Filippo Coarelli zu einer gleichsam universellen Disziplin wurde, deren Ziel nicht mehr allein darin besteht, den genauen Standort eines Bauwerks zu ermitteln, sondern die darüber hinaus zu einem tieferen Verständnis der historischen, sozialen und ideologischen Gegebenheiten zu gelangen, die dieser spezielle Bau in der Stadtlandschaft artikuliert.

So hat sich in den letzten Jahrzehnten eine intensive Exegese des antiken römischen Terrains und seiner Bauten entwickelt: Jahr für Jahr veröffentlicht eine immer größere Zahl von Spezialisten Dutzende Fachartikel und Monografien, während vor Ort neue Ausgrabungsstätten erschlossen werden und Wissenschaftler in Museumsdepots und -archiven nach bislang unveröffentlichten Informationen über frühere Grabungen und Entdeckungen fahnden. Und auch jenseits der Stadt, auf dem gesamten einstmals der römischen Herrschaft unterworfenen Territorium, sucht man inzwischen im Zusammenhang mit lokalen Projekten häufig nach Verbindungen und Analogien, die ein neues Licht darauf werfen könnten, was gleichzeitig in Rom geschah. Diese fieberhafte Forschung bringt unablässig und ungefiltert neue Thesen hervor, die es im Einzelnen zu überprüfen gilt, unabhängig davon, ob es sich nun um vollkommen neue Annahmen handelt, um die Relativierung von augenscheinlich gesicherten Ergebnissen oder gar um die Bestätigung von scheinbar Überholtem … Um dieser Fülle Herr zu werden, verfügt die Antikenforschung seit etwas mehr als zehn Jahren über das Lexicon Topograficum Urbis Romae, ein umfangreiches sechsbändiges Nachschlagewerk und Inbegriff der Gelehrsamkeit, in dem die Bauten des alten Rom in alphabetischer Ordnung verzeichnet sind. Jeder Eintrag verweist auf die antiken Schriften, in denen das entsprechende Bauwerk erwähnt wird, und fasst die Ergebnisse der archäologischen Forschungen zusammen, die sich mit ihm beschäftigt haben. Diese wunderbare, unter der Leitung der Archäologin Eva Margareta Steinby erstellte Publikation ist ganz zweifellos eine unerschöpfliche Informationsquelle. Sie hat nur einen einzigen Makel: Aufgrund ihrer Faktendichte und ihres schieren Umfangs ist sie ungeeignet für Laien, für jeden, der kein professioneller Archäologe ist und somit weder über die notwendigen Vorkenntnisse noch über die Zeit verfügt, sich anhand dieses Werkes einen Überblick zu verschaffen. Darüber hinaus ist das Lexikon in den beinahe 15 Jahren seit seinem Erscheinen vom Resümee einer wissenschaftlichen Bewegung nunmehr selbst zum Ausgangspunkt einer neuen Phase in der Erforschung des antiken Rom geworden. Denn jene Fragmentierung, jene Zersplitterung in unzählige Detailuntersuchungen, die das Lexicon bündeln wollte, hat aufs Neue eingesetzt und nimmt seither mit jedem Jahr zu. Es fehlte nicht viel, und jeder antiken Ruine in Rom wäre ein papiernes Pendant zur Seite gestellt worden – gefertigt aus sämtlichen alten und neuen Studien zu diesem Bauwerk und in einer Größe, die seiner historischen Bedeutung entspricht! Dem breiten Publikum wird der Zugang zu den jüngsten wissenschaftlichen Erkenntnissen im Bereich der Stadtgeschichte des antiken Rom dadurch allerdings zunehmend erschwert, steht dem Laien, der sich ein Bild von den oft spektakulären Ergebnissen der aktuellen wissenschaftlichen Rückbesinnung auf Rom machen will, doch keine einzige umfassende Überblicksdarstellung zur Verfügung. Zudem stellt – wie bereits Stendhal in Bezug auf die Arbeiten seines Zeitgenossen, des Topografen Antonio Nibby, bemerkte – ein Nachschlagewerk Bauten grundsätzlich in alphabetischer Reihenfolge nebeneinander, während sie tatsächlich jedoch im Verstreichen der Zeit nacheinander existiert haben. Das umgekehrte Problem hingegen besteht bei den im 19. Jahrhundert beliebten Trompel’Œil-Panoramen oder den dreidimensionalen Rekonstruktionen des vergangenen Jahrhunderts von Paul Bigot und später Italo Gismondi, auf die schließlich die virtuellen Modelle moderner digitaler Medien folgen: Wie anschaulich all diese Darstellungen auch sein mögen, sie zeigen doch stets nur einen bestimmten Zeitpunkt in der Entwicklung der Urbs – zumeist den Beginn des vierten Jahrhunderts unserer Zeitrechnung, der gemeinhin als ihr Schluss- und Höhepunkt zugleich gilt.

Dabei gibt es so viele Jahrhunderte davor, so viele unterschiedliche Städte, die nacheinander den großen Namen Rom tragen! Die Siedlung aus strohlehmgedeckten Hütten der frühesten Phasen weicht in der späten Königszeit und frühen Republik jener Stadt der steinernen, mit bemalten Terrakotta-Figuren geschmückten Tempel und der gepflasterten Hauptstraßen. Darauf folgt eine Epoche, in der die alten Heiligtümer inmitten einer Metropole hellenistischer Prägung samt Hafenanlage und Säulenhallen aus Marmor neu errichtet werden. Und all das erhält schließlich unter einer kaiserlichen Herrschaft, deren Interventionsmöglichkeiten alles Bisherige übertreffen, noch einmal ein völlig neues Gesicht. Daher können Listen, dreidimensionale Rekonstruktionen oder digitale Modelle, wie detailreich sie auch gestaltet sein mögen, niemals jene andauernde, teils allmähliche, teils abrupte Verwandlung des großen Dorfes zur Weltmetropole wiedergeben. Denn einer bildhaften Darstellung, mithilfe welcher Technik auch immer, wird es immer an jener vierten Dimension mangeln, die der Geschichte selbst zu eigen ist: der Zeit, die mit ihrem wechselhaften, manchmal gemächlichen, manchmal drängenden Rhythmus und ihren zahlreichen unberechenbaren Akteuren als Einzige das Entstehen und die jahrhundertelange Entwicklung dieser gewaltigen urbanen und menschlichen Gemeinschaft des antiken Rom zu erklären vermag. Entsprechend trägt auch nur eine chronologische Erzählung dazu bei, diese große Geschichte gewissermaßen von innen heraus zu verstehen, und zu einem solch unmittelbaren Zugang habe ich mich entschlossen. Nicht, weil ich so naiv wäre, zu glauben, die antike Geschichte sei in jeder Hinsicht mit der unsrigen und der moderner Megastädte vergleichbar. Aber ich wollte der Leserin, dem Leser im Rahmen des Möglichen den Blick vermitteln, den die Römer der damaligen Zeit auf die Geschichte ihrer Stadt hatten, deren künftige Entwicklung sie, im Gegensatz zu uns, nicht kannten. Auch habe ich mich dazu entschieden, diese Geschichte als Ganzes zu erzählen, ohne auf die zwar höchst bequemen, aber im Hinblick auf die erlebte Realität letztlich falschen thematischen Einteilungen zurückzugreifen. Schon der große Mediävist Jacques Le Goff beschäftigte sich in seinem letzten Buch Geschichte ohne Epochen? in Bezug auf die übliche chronologische Trennung zwischen Mittelalter und Renaissance mit der Frage, ob man „die Geschichte wirklich in Scheiben schneiden“ solle, was er verneinte. Es gibt zweifellos sehr viele und auch hervorragende Bücher über die Stadt Rom, aber fast alle nähern sich der antiken Stadt Thema für Thema, Scheibe für Scheibe, wie Le Goff es ausgedrückt hätte, und behandeln verschiedene Aspekte, sei es die Topografie im eigentlichen Sinne, die Architektur oder eine jener Fragen zur Stadtsoziologie, die sich für das antike Rom ebenso wie für alle anderen großen Ballungsräume stellen, nacheinander und somit getrennt voneinander, wenn sie sich nicht ohnehin auf einen einzigen davon beschränken. So widmen sich bedeutende Werke ausschließlich der Erforschung eines Viertels oder eines einzigen der berühmten sieben Hügel. Andere wiederum versammeln alles, was es über einen bestimmten Gebäude- oder Anlagentypus zu wissen gibt, und beschäftigen sich ausschließlich mit Tempeln, Aquädukten, Stadtmauern, Privathäusern oder Gärten, während wieder andere Bilanz über ein bestimmtes Thema ziehen, etwa die öffentliche Ordnung, die Religion oder die Politik. Und selbst wer einen chronologischen Ansatz wählt, behält das Prinzip dieser Einteilungen im Großen und Ganzen bei.

Weil eine Stadt jedoch nicht in solch abstrakten Kategorien erfahrbar ist und Realität stets eine Summe aller sich gleichzeitig ereignenden historischen Faktoren darstellt, habe ich – auch auf die Gefahr hin, zu verwirren – auf diese praktische Ordnung verzichtet. Denn wie nützlich oder zwingend eine thematische Gliederung auch erscheinen mag, ermöglicht sie doch keine Rekonstruktion jenes unvorhersehbaren Wucherns, jener Vielfalt der Ursachen und ihres kontinuierlichen Wechselspiels, jener Verflechtung von Ereignissen und Ambitionen, die Jahrhundert für Jahrhundert, manchmal sogar Tag für Tag, die Geschichte der Stadt Rom prägten.

Es versteht sich von selbst, dass aus der Vielzahl möglicher Hypothesen hier diejenigen vorgestellt werden, die in der Forschung die größte Zustimmung finden. Die topografische Erforschung Roms gilt zu Unrecht als spekulativ: In Wahrheit ist sie es nicht mehr oder weniger als andere Disziplinen, hier treten lediglich Abweichungen und Widersprüche deutlicher zutage, weil sich ein Bauwerk nun mal nicht an zwei Standorten gleichzeitig befunden haben kann. Heute wissen wir, in welchem Maße Ungewissheit das Los aller Geisteswissenschaften ist, und könnten diese selbst dann besser ertragen, wenn das einzige Ziel dieses Buches darin bestünde, den Standort der zahlreichen beschriebenen oder erwähnten Bauten auf den Meter genau zu bestimmen. Doch ohne solche Fragen der Lokalisierung außer Acht zu lassen, geht die vorliegende Untersuchung darüber hinaus. Es gibt Fälle, in denen die Forschung die Position eines bestimmten Monuments zwar nicht genau präzisieren kann, aber dennoch in der Lage ist, die Absichten seines Erbauers, die Entstehungsumstände sowie die Botschaft zu interpretieren, die es all jenen vermittelte, die es aus dem Boden der Stadt wachsen sahen. Ich habe es wohlgemerkt vorgezogen, auf Fragestellungen, zu denen in der wissenschaftlichen Debatte zu viele divergierende Ansichten vertreten werden, nicht weiter einzugehen. In den übrigen Fällen habe ich eine Wahl getroffen und dabei die Haarspalterei und Polemik unerwähnt gelassen, die in wissenschaftlichen Auseinandersetzungen häufig vorkommen, an dieser Stelle jedoch von keinerlei tieferem Interesse sind. Auch das gesamte Buch im Konjunktiv zu verfassen oder mit Fragezeichen zu spicken, weil die wissenschaftliche Erörterung fast aller angesprochenen Themen noch nicht abgeschlossen ist, wäre unsinnig gewesen. Natürlich darf man nie vergessen, dass eine neue Entdeckung jederzeit wieder infrage stellen kann, was man für gesichert hielt. Doch irgendwann kommt der Punkt, an dem man sich für eine bestimmte Hypothese oder Interpretation entscheiden muss, um ein Urteil nicht in alle Ewigkeit hinauszuzögern und sich dadurch jegliche Gesamtschau zu versagen. Und eben diese aus zahllosen Detailansichten zusammengesetzte Gesamtschau ist es, die ich einem breiteren Publikum bieten will.

Selbst bei einer solchen Konzentration auf das am wenigsten Spekulative ist das Material noch derart umfangreich, dass ich mich zu mehreren ebenso bewussten wie schmerzlichen Beschränkungen gezwungen sah: So habe ich notgedrungen – bis auf wenige Ausnahmen – darauf verzichtet, über das zu schreiben, was außerhalb der Stadtmauern liegt. Diese Mauern, die eine ebenso symbolische wie konkrete Grenze bilden, liefern mir eine Einheit des Ortes, die jede Berücksichtigung dessen, was die Römer suburbium nannten, aufgeweicht hätte. Eine weitere bewusste Einschränkung betrifft Privatgebäude: Da ihre eindeutige Identifizierung nur sehr viel seltener möglich ist als bei öffentlichen Bauten, sind sie hier nur in Ausnahmefällen berücksichtigt. Im Gegenzug habe ich mich bemüht, in diese Erzählung zahlreiche konkrete Details aus den Schriften antiker Autoren einfließen zu lassen. Natürlich mag das eine oder andere erfunden sein, aber immerhin von Autoren, die Rom gut kannten, was selbst ihren fantastischen Ausführungen eine gewisse Plausibilität verleiht.

Was die Akteure dieser Geschichte betrifft, so habe ich versucht, den Text nicht mit allzu vielen Eigennamen zu überfrachten. Die Mitglieder der römischen Elite, das heißt jener soziopolitischen Schicht, welche die Stadtentwicklung vorantrieb, trugen von Generation zu Generation dieselben Familiennamen und in den meisten Fällen auch denselben Vornamen, weshalb eine allzu große Präzision verwirren kann. Daher werden nur die wichtigsten Beteiligten namentlich identifiziert. Bei weniger bekannten Personen scheint es sinnvoll, bloß ihre Familienzugehörigkeit zu nennen und vor allem auf die herausragenden Leistungen zu verweisen, die es ihnen erlaubten, in der Stadt ein Bauwerk zu errichten.

Jeder, der in Rom, und sei es auch nur für kurze Zeit, Macht ausübte, war vom Ehrgeiz getrieben, sich mit einer städtebaulichen Maßnahme oder einem Monument dem urbanen Raum einzuschreiben, woran er im Übrigen von der Bevölkerung auch gemessen wurde. Wie zu sehen sein wird, setzt diese Entwicklung schon sehr früh, in der zweiten Hälfte der Königszeit ein, und sie sollte bis zum Ende des Kaiserreichs andauern: Was wären die Tarquinier ohne den Tempel des Iuppiter Optimus Maximus, was wäre Pompeius ohne sein Theater oder Caesar ohne sein Forum?

Denn die Stadt ist der Ort, an dem die Macht sich unablässig durch Bauten zu manifestieren sucht, die ihre Legimität nachweisen und erhöhen. Als Schauplatz realen Lebens wie als Vision, als Zentrum von immer größerer Anziehungskraft und als einzigartiger Sammelpunkt von Menschen, Reichtümern, Ideen und eben Monumenten lockt Rom die Welt an, absorbiert, schluckt und verschlingt sie, um auf diese Weise seiner fortwährenden Verwandlung neue Nahrung zu geben. Als sei die lange Reihe von Feldzügen der Legionen, die Eroberung so vieler immer größerer und immer fernerer Territorien, als seien die zahllosen erbitterten Schlachten, die Unterwerfung so vieler Völker, als sei all das allein von dem unbeugsamen kollektiven Willen bestimmt, die Stadt auf den sieben Hügeln wachsen und mit immer zahlreicheren, prächtigeren und größeren Monumenten geschmückt zu sehen. Doch diese Monumente sind keine Orte ohne Leben, gemeinsam bilden sie vielmehr eine Art großer Bühne. Sie sind die neuralgischen Plätze, die Dreh- und Angelpunkte jenes symbolischen Gesamtkonstrukts der antiken Stadt, in dem Raum und Zeit eine subtile Verbindung eingehen. Dort werden unzählige Rituale abgehalten, die im Jahresverlauf das Leben der Stadt prägten: Prozessionen, Opfer, Versammlungen, Wettstreite und feierliche Umzüge aller Art. Lange vor unseren postindustriellen Gesellschaften herrschte in Rom, wie in diesem Buch zu sehen sein wird, eine Kultur der Feste und des Spektakels.

Jahrhundert um Jahrhundert, Krieg um Krieg, Monument um Monument haben diejenigen, die sich selbst als Römer bezeichneten – und deren Reihen unablässig durch Neuankömmlinge verstärkt wurden –, den Fortschritt ihrer Eroberungen in den öffentlichen Raum der Stadt eingeschrieben, der so zu einer Art steinernem Denkmal wurde, von dem sie ihre Geschichte ablesen und vor dem sie eine kollektive Identität zelebrieren konnten, die gleichermaßen auf Eroberung wie auf Assimilation beruht. Auf diese Weise vermittelte jedes Monument durch seinen Erbauer, die Umstände seiner Errichtung, seinen Standort, seine Architektur und sein Dekor eine stumme, aber für zeitgenössische Betrachter unmissverständliche Botschaft. Und diese Botschaft gilt es nun in einer Form urbaner Semiotik zu entschlüsseln, und zwar mithilfe aller verfügbaren Quellen, nicht nur der Archäologie, sondern auch literarischer Texte, die hier in hohem Maße herangezogen werden. Wie groß die Lücken in diesen verschiedenen Quellentypen auch sein mögen, so ist die Menge an Informationen, die sie uns liefern, doch gewaltig: Die Details der urbanen Entwicklung Roms in der Königszeit sind auf ein Vierteljahrhundert genau nachvollziehbar, die der ersten Jahrhunderte der Republik auf ein Jahrzehnt genau zu datieren, und ab dem zweiten Jahrhundert v. Chr. kann man sagen, dass wir sie in vielen Fällen sogar auf das Jahr genau kennen. Daher, und um dieses Werk in einem überschaubaren Rahmen zu halten, vor allem aber, weil seine Herrschaft den Abschluss all dessen bildet, was ihm vorausging, endet diese Darstellung mit Augustus.

Was also macht die ‚römische Geschichte‘ in diesem Buch aus? Nichts anderes letztlich als die tiefgreifende, kontinuierliche Wechselbeziehung zwischen einerseits den äußeren und inneren Umständen, die das Leben der Gemeinschaft am Tiberufer geprägt und zur fortschreitenden Gestaltung ihres Lebensraums beigetragen haben, und andererseits der Errichtung von Bauwerken, die nach und nach nicht nur den Ort veränderten, sondern zugleich das Bild dieser Gemeinschaft von sich selbst. Kurzum, es ist eine Geschichte, in der Ereignisse in Bauten Ausdruck finden und in der die Bauten gleichermaßen zum Ereignis werden. Eine Geschichte, die ich hier wieder zum Leben erwecken möchte, geleitet von dem Ehrgeiz oder vielmehr dem unmöglichen Traum, vor den Augen der Leserin, des Lesers eine erzählte, beschriebene und dadurch gewissermaßen neu erbaute und neu erlebte Stadt Rom auferstehen zu lassen!

Urbs

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