Читать книгу Gute Welt, böse Welt - Andie Cloutier - Страница 5

3.Kapitel

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Rebecca bezahlte den Taxifahrer und stieg aus. Trotz der eiskalten Regentropfen, die auf sie einschlugen, blieb sie unschlüssig stehen. Der Hintereingang des Gebäudes, in dem ihre Praxis lag, war nur wenige Schritte weit entfernt. Eine leicht zu überbrückende Distanz, wenn da nicht ihre Zweifel wären. Der Problematik war sie sich überaus bewusst. Immerhin hatte sie mal eine Patientin therapiert, die nach einem Überfall monatelang nicht arbeitsfähig, sogar kaum lebensfähig gewesen war. Aber Rebecca wusste genau wie wenig hilfreich es war, sich jetzt ängstlich in der Wohnung zu verschanzen. Die Wahrscheinlichkeit erneut einen solchen Vorfall wie den gestrigen erleben zu müssen, war sehr gering. Sie musste das einfach hinter sich lassen und ihr Leben wie gewohnt weiterführen. Dazu gehörte auch täglich in ihre Praxis zu gehen und ihren Patienten zu helfen. Rebecca straffte die Schultern und ging auf die Tür zu.

Sie fand Natascha und ihre Teilzeitangestellte Sarah im Flur der dritten Etage vor. Die beiden Frauen standen in einigem Abstand zur Praxis und beobachteten zwei in Schutzanzügen gehüllte Personen beim Reinigen des Eingangsbereichs.

Als Natascha sie sah, machte sich Erleichterung auf ihrem Gesicht breit. „Um Himmelswillen, was ist denn hier passiert?“

Rebecca war nicht in der Verfassung irgendwelche Erklärungen abzugeben. Sie hatte es gestern miterlebt und es hatte sie bis in den ohnehin viel zu kurzen Schlaf verfolgt. Das, und diese unglaublich blauen Augen eines bestimmten Polizisten. Sie wollte die Ereignisse nicht auch noch schildern müssen. Jedenfalls nicht jetzt. Auch wenn die beiden Frauen durchaus das Recht auf eine Erklärung hatten. „Es gab Schwierigkeiten“, meinte sie deshalb. Das war eine sehr schwache Beschreibung, wenn man bedachte, dass in diesem Moment die Überreste eines Mannes entfernt wurden, der vor vierundzwanzig Stunden sicherlich noch nichts von seinem baldigen, gewaltsamen Tod geahnt hatte.

„Schwierigkeiten? Das ist doch Blut! Und was ist mit deinem Gesicht passiert? Wurdest du etwa geschlagen?“ Natascha starrte entsetzt auf Rebeccas Wange.

Rebecca holte tief Luft. Sie hatte sich vorhin alle Mühe gegeben ihre verfärbte Wange mithilfe diverser Cremes zu kaschieren. Und nun stellte sich all die Mühe als umsonst heraus. Vorsichtig ging sie an den beiden Reinigungsleuten vorbei in ihre Praxis. In ihrem Sprechzimmer verstaute sie ihre Jacke. Als sie sich an ihren Schreibtisch setzte, fiel ihr Blick auf den großen, dunklen Fleck im Teppichboden. Der war unmöglich auswaschbar. Höchstwahrscheinlich musste der Bodenbelag komplett ausgetauscht werden. Vielleicht sollte sie gleich etwas verlegen lassen, das leichter zu reinigen war. Rebecca hatte sich auf eine Panikattacke gefasst gemacht. Das war eine natürliche Reaktion auf die Geschehnisse. Doch sie verspürte keine Panik, lediglich ein kleines, kontinuierliches Pochen in ihrem Kopf. Leichte Kopfschmerzen waren ihr viel lieber als eine Panikattacke. Also nahm sie sich eine der Akten, die auf ihrem Schreibtisch lag und begann zu lesen. Ein Klopfen unterbrach sie wenig später. Rebecca sah auf. Ein Mann des Spezialreinigungsdienstes stand in der Tür. Es war eine bizarre Vorstellung, dass es für solche Reinigungsfirmen überhaupt einen rentablen Markt gab.

„Die Reinigung des Flurs und des Vorzimmers sind abgeschlossen. Den Teppichboden hier werden Sie austauschen lassen müssen. Melden Sie sich, wenn es soweit ist. Ich übernehme die Entsorgung. Das ist Sondermüll“, teilte der Mann ihr mit.

Rebecca überlegte kurz. Es machte keinen Sinn die Arbeit unnötig aufzuschieben. Außerdem war es weder für sie noch für ihre Patienten ein angenehmer Anblick. „Samstagvormittag wäre mir recht.“

Der Mann überprüfte den Termin in einem Notizbuch. Rebecca musste lächeln. Wer benutzte heutzutage noch altertümliche Notizbücher?

Er nickte zustimmend. „Ich kann das auf elf Uhr legen.“

„Das passt“, entgegnete sie.

„Bis morgen.“ Er hob die Hand kurz zum Gruß und ging.

Rebecca wollte sich erneut auf die Akte konzentrieren und wurde gleich wieder unterbrochen.

Natascha betrat das Sprechzimmer, sparte sich das Anklopfen. Sie starrte auf den großen Fleck am Boden. „Wie kann es sein, dass ich hier arbeite, aber nicht weiß was vorgefallen ist?“

„Wie kann es sein, dass du auf Informationen bestehst, die ich dir im Moment nicht geben kann?“ stellte Rebecca eine Gegenfrage. „Nimm dir doch ein Beispiel an Sarah. Sie geht brav ihrer Arbeit nach ohne Fragen zu stellen.“

„Oh, Sarah möchte auch wissen was hier los war. Sie traut sich bloß nicht zu fragen. Das Problem habe ich nicht.“ Natascha setzte sich in einen Sessel vor dem Schreibtisch. Eigentlich war der Sessel den Patienten vorbehalten.

Rebecca legte die Akte zurück auf den Tisch und schaute ihre Angestellte missbilligend an. Natürlich war das nicht nur ihr Arbeitsplatz, sondern auch der von Natascha und Sarah. Von daher hatten sie selbstverständlich das Recht zu erfahren was vorgefallen war. „Kurz nachdem du gegangen bist kam ein fremder Mann in die Praxis. Er hat mich mit einer Waffe bedroht.“

Nataschas Miene zeigte deutlich ihr schockiertes Erstaunen. „Was? Warum? Hat er irgendwas gesagt? War es ein Überfall? Wurde etwas gestohlen? Wer überfällt eine Praxis? Das ist unglaublich!“

„Seine Tochter kam vor drei Jahren bei einem Verkehrsunfall mit Fahrerflucht ums Leben. Der Unfallfahrer wurde vor ein paar Tagen aus der Haft entlassen. Darüber war der Mann sehr wütend. Ich weiß nicht, was genau er sich von der Aktion gestern erhofft hat. Das weiß ich wirklich nicht“, erzählte Rebecca. Hoffentlich hatte sich das Thema damit erstmal erledigt.

Natascha sah sie mit weit aufgerissenen Augen an. „Er hat dich geschlagen!“

Rebecca verzog das Gesicht. Sie bereute es sofort, denn die Wange schmerzte umgehend. „Ich hatte viel mehr Glück als einer der Gebäudereiniger. Er wurde erschossen.“

Entsetzen löste den Schrecken auf Nataschas Gesicht ab. „Wer wurde erschossen? Wer?“ fragte sie mit schriller Stimme.

„Seinen Namen kenne ich nicht. Es war der Ältere mit dem lichten Haar“, sagte Rebecca.

Natascha schluchzte auf. „Manny? Manny ist tot? Nein, das kann nicht sein! Das darf nicht sein!“ Ihr Schluchzen wurde noch lauter. Sogar als sie regelrecht aus dem Sprechzimmer stürmte. Rebecca sah ihr überrascht nach. Was war denn in Natascha gefahren? Wie gut kannte sie das Reinigungspersonal? So sensibel kannte sie Natascha überhaupt nicht. Die Gute hatte doch normalerweise immer einen kessen Spruch auf den Lippen. Rebecca kramte ein Telefonbuch aus einer Schublade hervor und suchte nach Firmen, die sie mit dem Austausch des Bodenbelags beauftragen konnte.

Abgetragene Gesundheitsschuhe schlurften schwerfällig über einen braunen, gefliesten Boden. Ein alter Mann, mit in allen Richtungen wild abstehenden, weißen Haaren, dicken, buschigen Augenbrauen und einen ebenso buschigen Schurbart, bahnte sich langsam einen Weg durch den von zahlreichen antiken Möbeln gesäumten schmalen Gang. Er kannte jedes einzelne Stück an dem er vorbei schlurfte. Die Herkunft, die Geschichte eines jeden dieser Unikate war ihm bekannt. Sein Wissen bezog sich nicht ausschließlich auf das Mobiliar, es erstreckte sich ebenso auf die anderen Einrichtungsgegenstände. Das war sein Antiquitätenladen, den er seit vielen Jahrzehnten führte. Er liebte diese geschichtsträchtigen, aus massivem Holz erbauten Kunstwerke. Die Arbeit fiel ihm mit jedem Tag der verging schwerer. Seine Kraft, seine Energie, hatten ihn längst verlassen. Das war für einen Mann seines Alters auch nicht weiter erstaunlich. Immerhin war er nun schon über achtzig Jahre alt. Mühsam erkämpfte er sich jeden einzelnen Schritt. Unfassbar, wie aus den kleinsten, alltäglichen Dingen mit den Jahren richtige Herausforderungen wurden. Albert Stein hatte genug von seiner Aufgabe. Über all die Jahre hatte er sich niemals beklagt. Nicht ein einziges Mal. Vor unendlich langer Zeit, als er noch jung und voller Energie gewesen war, hatte die ihm anvertraute Aufgabe ihn sogar mit Stolz erfüllt. Doch das war lange her und nun war er bereit endlich abberufen zu werden. Er erreichte die Kammer hinter dem großen Verkaufsraum, der durch die vielen verkäuflichen Gegenstände hoffnungslos überladen wirkte. Seine von Altersflecken gezeichnete Hand öffnete eine dunkle Holztruhe. Darin befand sich ein mit vielen Schnitzereien verziertes Kästchen. Albert machte sich nicht die Mühe das Kästchen aus der Truhe zu heben. Selbstverständlich hatte er das früher immer getan. Er hatte dieses wertvolle Kästchen aus der Truhe gehoben, diesen besonderen Augenblick, das ganze Ritual regelrecht zelebriert. Doch damit war es seit vielen Jahren vorbei. Er öffnete einfach den Deckel des Kästchens und hob den Inhalt heraus. Bevor er das Herausgenommene näher betrachtete, schloss er erst das Kästchen und dann die Truhe wieder. Nun sah er auf das Kuvert in seiner Hand. Er brauchte es nicht zu öffnen, wusste genau was sich darin befand. Es war immer dasselbe. Diese Prozedur hatte er schon unzählige Male hinter sich gebracht. Der Schlüssel, der sich im Kuvert befand und das dazu gehörige Dokument waren für ihn unwichtige Utensilien. Für ihn zählte nur eines: der Name auf dem Kuvert. Und genau den las er nun: Dr. Rebecca Brandt.

Kaum hatte Rebecca das Telefongespräch mit einer Schreinerei beendet, führte Natascha mit ihren dick verquollenen Augen Eric Richter in ihr Sprechzimmer. Das war eine ungewöhnliche Vorgehensweise. Normalerweise teilte Natascha ihr die Ankunft eines Patienten mit, damit Rebecca den Patienten persönlich in ihr Sprechzimmer bitten konnte. Allerdings war Eric Richter auch nicht ihr Patient, sondern seine Frau Sophia. Und dieser Tag war weder für ihre aufgelöste Sprechstundenhilfe noch für sie selbst normal. Rebecca wusste nicht was Eric Richter in ihrem Sprechzimmer verloren hatte.

„Sophia ist nun bereits einige Wochen bei Ihnen in Therapie, nicht wahr?“ begann er ohne jegliche allgemein übliche, höfliche Einleitung.

Rebecca beobachtete ihn aufmerksam. Nur kurz blieb sein Blick auf dem großen Fleck im Teppich hängen, bevor er sich ihr zuwandte. Er nahm nicht in dem Sessel Platz, wie sie ihm wortlos mit Handzeichen anbot. Stattdessen blieb er stehen.

„Ja, das ist sie“, beantwortete sie nun seine Frage.

Eric Richter war zweifelsohne ein attraktiver, charismatischer Mann. Er trug stets teure Anzüge. Rebecca tippte auf Hugo Boss. Nicht weil sie sich damit auskannte, das war eher Julias Fachgebiet, sondern weil allein der Name schon perfekt zu seiner Ausstrahlung passte. Seine kurzen, dunklen Haare waren perfekt gestylt, wiesen nicht mal einen Hauch von Grau auf, obwohl das für einen Mann seines Alters normal wäre. Ein Mann aus reichem Hause, dessen symmetrischen Gesichtszüge ihm wahrscheinlich viele Vorteile verschafften. Mit seiner Figur und seinem Aussehen könnte er ein überaus vorzeigbares Modell für einen Anzugdesigner sein. Aber das wäre eine unwürdige Beschäftigung und kam für Eric Richter selbstverständlich nicht in Frage. Er hatte monatelang fleißig Wahlkampf betrieben und am Montag erreichte er das Ziel seiner Bemühungen: seine Amtseinführung als Oberbürgermeister. Er musste beliebt bei der Bevölkerung sein, sonst wäre er wohl kaum gewählt worden. Doch das galt keineswegs für sie. Sie kannte den Mann hinter der einnehmenden Fassade. Sophia hatte ihr tiefe Einblicke gewährt.

„Wieso bessert sich der Zustand meiner Frau nicht? Nach all diesen kostspieligen Sitzungen kann ich doch eine Besserung erwarten.“ Er blickte auf Rebecca herab.

Der kalte Ausdruck in seinen stahlgrauen Augen war Grund genug für ihre Antipathie ihm gegenüber. Selbst wenn sie keine Hintergrundinformationen über ihn kennen würde. Seine Augen strahlten nicht die geringste Wärme aus, ließen Rebecca erschaudern. „Sophia macht Fortschritte. Das versichere ich Ihnen, Herr Richter.“

„Am Montag findet meine Amtseinführung statt. Ich kann mich nicht in der Öffentlichkeit mit einer Ehefrau blickenlassen, die ständig grundlos in Tränen ausbricht“, teilte Eric ihr mit.

„Öffentliches Interesse liegt Ihrer Frau auch nicht. Deswegen ist es nicht nur in Ihrem Interesse, wenn Sie auf die Begleitung Ihrer Frau verzichten könnten“, erklärte Rebecca ihm.

Er beugte sich drohend über ihren Schreibtisch, taxierte sie mit seinen kalten Augen. „Machen Sie Sophia für den Montag fit. Ansonsten sehe ich mich dazu gezwungen, sie zu einem anderen Therapeuten zu bringen.“ Nach dieser Drohung verließ er das Sprechzimmer.

Kurz darauf kam Sophia herein. Sie war der komplette Gegensatz zu ihrem Mann. Ihre langen, blonden Haare waren zwar gepflegt, dennoch hingen sie glanzlos, geradezu fade herunter. Ihre Hautunreinheiten ließen sich nicht von den teuren Cremes kaschieren. Durch das farbenfrohe Kleid, sicherlich auch ein Designerstück, wirkte sie gespenstisch bleich. Es hieß, sie wäre vor einigen Jahren noch eine strahlende Schönheit gewesen. Davon war heute nicht mehr viel zu sehen.

Sophia setzte sich in den Sessel, faltete ihre Hände in ihrem Schoss und schaute Rebecca unsicher an. „Am Montag ist die Amtseinführung und Eric will die perfekte Familie vorzeigen.“

„Was wollen Sie, Sophia?“ erkundigte sich Rebecca sanft.

„Ich weiß, was Sie denken, Dr. Brandt. Sie fragen sich, warum ich mich nicht von ihm trenne.“ Sophia wich einem direkten Blickkontakt aus.

„Es ist unwichtig, was ich denke. Es ist Ihr Leben. Sie treffen die Entscheidungen.“

Sophia verfügte über keinerlei Selbstwertgefühl. Und es oblag Rebecca nicht, ihr vorzuschreiben wie sie ihr Leben zu führen hatte. Sie konnte ihr nur ihre Unterstützung anbieten, ihr zu hören und für sie da sein.

„Dennoch halten Sie meine Entscheidungen für falsch“, beharrte Sophia.

„Sind es die falschen Entscheidungen?“ Rebecca musterte Sophia aufmerksam.

„Nein. Ich habe zwei wundervolle Kinder. Das war die richtige Entscheidung“, sagte Sophia bestimmt und ohne Zögern. Sie sah Rebecca besorgt an. „Geht es Ihnen gut, Dr. Brandt? Ich habe von dem Überfall gehört.“

Die Frage und Sophias ehrlich besorgter Gesichtsausdruck machten Rebecca fassungslos. Ihre Patientin hatte mehr als genug eigene Probleme. Dennoch sorgte sie sich um ihre Therapeutin? Sophia hatte jemand besseren als Eric Richter verdient. „Mir geht es gut.“ Diese Antwort wurde offenbar zu einer neuen Angewohnheit.

„Das glaube ich Ihnen nicht. Sie sind sehr blass, meine Liebe“, teilte Sophia ihr mit.

„Sorgen Sie sich nicht um mich, Sophia. Mir geht es wirklich gut. Möchten Sie eine Tasse Tee?“ Es war höchste Zeit das Gespräch wieder auf Sophia zu lenken.

Eric machte es sich in einem der Sessel im Wartebereich gemütlich. Hoffentlich nahm sich die Quacksalberin seine Worte zu Herzen und diente endlich mit Resultaten. Über die Aussicht auf dieses notwendige Gespräch war er nicht sehr erbaut gewesen. Warum konnten die Leute nicht einfach ihren Job anständig erledigen? Was war so schwer daran? Wieso war es zu viel verlangt? Dabei würde es vieles vereinfachen. Glücklicherweise war die Sprechstundenhilfe geschwätzig. So erfuhr er etwas, das er sich zu Nutzen machen würde. Der unliebsame Morgen hatte also doch etwas Positives an sich. Er zog sein Smartphone aus der Jackettasche und betätigte die Kurzwahl. „In Dr. Brandts Praxis kam es gestern zu einem Zwischenfall. Dabei wurde ein Gebäudereiniger namens Manfred Groß erschossen. Er hat einen Sohn, der in Kanada lebt. Spüren Sie ihn auf und schaffen Sie ihn her.“ Eric hörte dem unsinnigen Gelaber seines Assistenten nur halb zu. Ein Neuankömmling im Empfangsbereich der Praxis beanspruchte den größten Teil seiner Aufmerksamkeit. Was für eine Frau! Ihre wilden, langen, roten Haare ließen sie ungebändigt wirken. Wie eine Wildkatze. Ihr Busen schien ihre Bluse jeden Augenblick sprengen zu wollen. Die Wildkatze, und das war sie ganz eindeutig, setzte sich ihm direkt gegenüber in einen Sessel. Ihr Anblick beflügelte seine Fantasie. Es gab viele Dinge, die er nur allzu gerne mit ihr anstellen wollte. Stattdessen musste er sich mit seinem unfähigen Angestellten herumschlagen. „Keine Ahnung, wie Sie das anstellen sollen. Das ist nicht meine Aufgabe, sondern Ihre. Also erledigen Sie das gefälligst!“ Die Frau schlug ihre Beine übereinander. Dabei rutschte der ohnehin recht kurze Rock noch höher. Für einen winzigen Moment erhaschte er einen Blick auf den Saum ihrer Strümpfe. Seine Hose wurde ihm zu eng. Er hatte eine Schwäche für Frauen, die Strapse trugen. Eric beendete das Gespräch, ließ das Smartphone wieder in seine Tasche gleiten und bedachte sein verführerisches Gegenüber mit einem langen Blick. Dann stand er auf und ging durch die Tür der Patiententoilette.

Beim Betreten der Praxis hatte Julia gleich die geschlossene Sprechzimmertür wahrgenommen. Großartig! Rebecca hatte also Kundschaft. Es passte Julia ganz und gar nicht wegen eines oder einer Verrückten Wartezeit in Kauf zu nehmen. Genervt setzte sie sich in den Wartebereich. Ihre schlechte Laune verschwand jedoch augenblicklich, als sie den ihr gegenübersitzenden Mann erblickte. Das Schicksal setzte ihr dieses Prachtexemplar direkt vor die Füße! Und er war alles andere als desinteressiert. Er telefonierte in einem sexy gebieterischen Tonfall und zog sie gleichzeitig mit seinen Blicken aus. Julia mochte multitaskingfähige Männer. Er beendete das Gespräch und bedachte sie mit einem sehr langen und eindeutig einladenden Blick, bevor er zur Toilette ging. Konzentriert lauschte Julia den Umgebungsgeräuschen. Sie hörte das leise Brummen von Nataschas Computer, das sanfte Surren der Lüftungsanlage, das Ticken der Standuhr und endlich den Schließmechanismus der Toilettentür. Die Tür wurde aber nicht geöffnet. Der heiße Kerl hatte die Tür zwar entriegelt, doch den Raum verließ er nicht. Wozu sperrte man auf, wenn man den Raum nicht verlassen wollte? Natascha stand auf und verschwand in dem kleinen Aufenthaltsraum hinter der Empfangstheke. Julia nutzte die Chance und eilte zur Toilette. Sie öffnete die Tür, trat ein und sperrte sofort ab. Der Mann lächelte, zog sie fest an sich und schob seine Zunge zwischen ihre Lippen.

„Ihr Mann ist auf der Toilette“, teilte Natascha Sophia mit, als diese das Sprechzimmer verließ. Sophia nahm in einem der komfortablen Sessel im Wartebereich Platz. Vermutlich nutzte Eric den Aufenthalt auf der Toilette, um in Ruhe zu telefonieren. Er bevorzugte Gespräche in aller Ruhe, fernab von etwaigen Mithörern. So war das auch zu Hause. Sophia war nicht glücklich in dieser Ehe. Eine Scheidung, was wahrscheinlich ganz in Dr. Brandts Sinne wäre, wäre vermutlich für die meisten Frauen sicherlich die beste Wahl. Immerhin waren Scheidungen heutzutage etwas ganz Alltägliches. Für sie kam das jedoch nicht in Frage. Das hatte mehrere Gründe. Zum einen war sie ohne Eric ein Niemand. Mit siebzehn hatte sie ihn kennengelernt, kurz nachdem sie einen lokalen Schönheitswettbewerb gewonnen hatte. Damals war sie noch voller verträumter Flausen gewesen. So unschuldig und naiv wie sie war, hatte sie von einer Zukunft als berühmtes Modell geträumt und sich dank des Sieges bei dem Wettbewerb große Hoffnungen auf die Verwirklichung ihres Traumes gemacht. Doch kaum gekrönt traf sie auf Eric Richter. Sie hatte dem achtzehn Jahre älteren, wohlhabenden und sehr gutaussehendem Mann seine Schwüre von ewiger Liebe abgekauft. Vielleicht hatte er sie damals auch wirklich geliebt. Immerhin hatte er sich wegen ihr mit seinen Eltern überworfen. Eric war durchaus zu einer ewig währenden Liebe fähig, aber mittlerweile bezog sich diese Liebe ausschließlich auf ihn selbst. Wie stolz sie damals gewesen war, dass er sich ausgerechnet für sie interessierte und sie charmant umwarb. Die Hochzeit fand an ihrem 18. Geburtstag statt. Jener Tag an dem sie ihre Träume begrub. Anstatt über den Laufstegen der Welt für berühmte Designer zu laufen oder ihr Foto auf dem Covern von Hochglanzmagazinen zu sehen, fristete sie seit ihrer Hochzeit ein Leben als Hausfrau und Mutter. Kurz nach der Hochzeit wurde sie schwanger. Aus einer Karriere als Supermodell würde nichts mehr werden, doch Sophia wollte zu gerne einen Beruf erlernen, sich ein wenig Selbstständigkeit erarbeiten. Eine berufstätige Frau passte aber nicht in Erics Weltbild oder zu seinen Karriereplänen. Und natürlich beugte sie sich seinen Wünschen. Das tat sie schließlich immer. Was blieb ihr auch anderes übrig? Eric war ein überaus großzügiger Mann. Wie viel oder wofür sie sein Geld ausgab schien ihn nicht zu interessieren. Was sicherlich auch daran lag, dass Sophia nicht viel ausgab. So lange sie sein Geld nicht sinnlos verprasste, war es ihm völlig egal was sie damit machte. Und das war der springende Punkt: sie gab sein Geld aus. Sie lebte in seinem Haus. Alles, was Sophia wirklich selbst besaß, war ein mittelmäßiger Realschulabschluss. Im Falle einer Scheidung würde Eric um die Kinder kämpfen. Nicht, weil ihm etwas an ihnen lag, für ihn waren sie so uninteressant wie Sophia selbst, sondern weil er sie ihr nicht überlassen würde. Er brauchte seine Familie nur, um sie bei offiziellen Anlässen vorführen zu können. Ansonsten war sie für ihn eher ein Klotz am Bein. Trotzdem würde sie die Kinder im Falle einer Scheidung verlieren. Eric würde damit durchkommen. Er hatte viele gute Freunde in hohen Positionen, die ihn dabei tatkräftig unterstützen würden. Sie hingegen hatte niemanden. Nein, allein deswegen war eine Scheidung schon keine Option für sie. Sie beobachtete, wie ihr Mann gut gelaunt die Toilette verließ. Allem Anschein nach war das Telefonat ganz in seinem Sinne verlaufen und hatte ihn das unangenehme Gespräch mit Dr. Brandt zumindest kurzzeitig vergessen lassen. Sophia stand auf und folgte ihrem Mann zur Tür der Praxis, die er ihr galant aufhielt. Das tat er nicht aus Höflichkeit oder weil er sie mochte. Solche Dinge machte er nur in der Öffentlichkeit. Schließlich wusste man nie, wer gerade dabei zusah.

„Hast du die Tabletten?“ hörte sie ihn leise fragen, als sie an ihm vorbei durch die Tür ging.

„Ich muss zur Apotheke. Sie hat mir ein Rezept ausgestellt“, antwortete Sophia ebenso leise.

„Erledige das sofort.“ Es klang nicht nur wie ein Befehl, es war einer.

Schweigend fuhren sie mit dem Fahrstuhl ins Erdgeschoss, gingen nur wenige Schritte durch den strömenden Regen bis zu seinem BMW 750. Über das Dach des mattschwarz lackierten Wagens hinweg, sah er Sophia kurz an. „Ich muss noch kurz ins Büro. Du nimmst ein Taxi.“

Sophias Schuhe saugten sich mit den stetig aus den Wolken stürzenden Wassermassen voll. Sie schaute regungslos Erics Wagen nach, bis er aus ihrem Blickfeld verschwunden war. Sophia blieb allein auf dem Bürgersteig zurück.

Julia wartete exakt fünf Minuten allein auf der Toilette. Eigentlich wollte sie zehn Minuten lang warten, aber was sollte man inmitten einer Toilette und eines Waschbeckens auf einem behindertengerechten WC schon groß zum Zeitvertreib unternehmen? Abgesehen von dem gerade Erlebten zu Träumen?

Eric Richter. Er war ihr gleich bekannt vorgekommen, aber den Namen wusste sie erst seitdem er ihr seine Visitenkarte gegeben hatte. Er war ein Mann ganz nach ihrem Geschmack. Gutaussehend, dominant und er kam gleich, ohne die Zeit mit sinnlosem Vorspiel zu vergeuden, zur Sache. Sie freute sich schon jetzt auf ein Wiedersehen mit ihm und das hatte er ihr ganz klar in Aussicht gestellt.

Eric hatte einen Vorsprung von fünf Minuten, den er hoffentlich genutzt hatte, denn Julia ließ die Toilette hinter sich und ging durch die nun offenstehende Tür in das Sprechzimmer. Sie schlenderte zu dem Sessel vor Rebeccas Schreibtisch und setzte sich zufrieden lächelnd.

„Du bist heute Morgen ja bestens gelaunt“, stellte Rebecca fest.

Julia streckte ihre Beine aus. „Es ist ein großartiger Morgen, findest du nicht? Übrigens, es tut mir leid.“

Rebecca sah sie überrascht an. „Was tut dir leid?“

„Gestern Abend. Ich hätte wirklich mitfühlender sein können“, fand Julia. Sie empfand es zwar nicht so, wusste aber, dass ihre gestrige Reaktion nicht ganz angemessen gewesen war.

„Mitfühlend? Du?“ Rebecca betrachtete ihre Freundin argwöhnisch.

Julia nahm das gelassen hin. „Du hast etwas Schreckliches erlebt und was mache ich? Es tut mir leid.“ Sie verzog reuevoll ihr Gesicht.

„Entschuldigung angenommen“, meinte Rebecca.

„Gut. Und da wir das nun geklärt haben...“, Julia seufzte, „hast du die Karte noch?“

Rebecca schüttelte kaum merklich den Kopf. „Nein.“

„Reg dich ab. Ich will die Karte nicht“, teilte Julia ihr mit.

„Warum hast du danach gefragt?“ wollte Rebecca wissen.

„Ich möchte, dass du ihn anrufst.“

Rebecca sah sie verblüfft an. „Das werde ich nicht machen.“

„Ach, komm schon. Seine unglaublich blauen Augen haben dich doch gestern aus deiner Schockstarre gerissen. Das hat ein bisschen was von Dornröschen, findest du nicht?“ Julia klang wie ein Verkäufer, der unbedingt unsinnigen Trödel loswerden wollte.

„Ich bin nicht Dornröschen“, erinnerte Rebecca ihre Freundin.

Julias Miene wurde ernst. „Rebecca, Ben ist seit zwei Jahren tot. Findest du nicht, dass…“

„Seit fünfundzwanzig Monaten“, unterbrach Rebecca sie.

Julia holte tief Luft. „Zählst du etwa auch die Tage? Du musst es endlich hinter dir lassen. Dein Leben weiterleben und aufhören einem Toten bis in alle Ewigkeit nachzutrauern.“ Julia wusste, dass Rebecca ihren Verlobten mitsamt einem Heiligenschein auf eine Empore gehoben hatte. Dabei war Ben alles andere als perfekt gewesen. Julia hielt sein Verhalten für sehr egoistisch. Immerhin bereiste er als Arzt im Rahmen einer Hilfsorganisation die Welt, begab sich an Orte zu denen kein Mensch mit halbwegs funktionierendem Verstand je gehen würde. Er verließ einen gesicherten Bereich, um in einer Gefahrenzone in die Luft gesprengt zu werden, anstatt hier mit ihrer besten Freundin die Hochzeit zu planen. Welcher normale Mensch machte so etwas?

„Ich kann es nicht hinter mir lassen“, sagte Rebecca leise.

Das war alles Julias Schuld. Wenn sie es auf der Party zu Beginn ihres Studiums nicht mit dem Trinken übertrieben hätte, wäre sie nie mit einer Alkoholvergiftung im Krankenhaus gelandet. Und Rebecca, die sie natürlich besorgt begleitet hatte, wäre nie dem ehrgeizigen, jungen Assistenzarzt begegnet. Ben Marx hatte Rebecca regelrecht aus den Socken gehauen. Das war ja auch verständlich. Ben war stets von Grund auf optimistisch, nie übellaunig gewesen und hatte für jeden ein freundliches Wort. Sogar für Julia, als sie versucht hatte auch bei ihm zu landen. Er brachte es fertig, sie freundlich und nett abzuweisen. Das einzige Manko an Ben Marx war die Tatsache, dass er sich drei Wochen vor dem Hochzeitstermin mit Rebecca irgendwo in Asien oder im mittleren Osten, niemand wusste das genau, hat in die Luft sprengen lassen und nichts, rein gar nichts, zurückließ, wovon Rebecca sich verabschieden konnte.

Julia holte tief Luft. „Als deine Therapeutin sage ich dir, dass du dein Leben weiterleben musst. Glaubst du Ben hätte gewollt, dass du ewig um ihn trauerst? Wenn er es könnte, würde er dir einen Tritt in deinen Hintern verpassen, damit du endlich in die Gänge kommst.“

Rebecca lächelte. Es war nur ein kleines Lächeln, aber immerhin. „Du hast recht.“

Julia sah sie entrüstet an. „Natürlich habe ich recht! Hast du daran etwa gezweifelt?“

Rebecca rollte mit den Augen. „Ich werde darüber nachdenken.“

„Du sollst nicht darüber nachdenken, sondern telefonieren“, sagte Julia.

„Ich werde darüber nachdenken“, wiederholte Rebecca. „Und ich erwarte gleich einen Patienten.“

Julia stand auf. „Ist ja gut. Ich bin schon weg. Aber glaube ja nicht, dass sich das Thema damit erledigt hat. Du wirst ihn anrufen!“

Kaum hatte Julia den Raum verlassen, kündigte Natascha den nächsten Patienten an.

Robert Kurkov war ein großer, stämmiger Mann, der beim Eintreten für einen kurzen Moment den gesamten Türrahmen ausfüllte. Rebecca reichte ihm zur Begrüßung die Hand, obwohl sie wusste wie sinnlos dieses Unterfangen war. Robert war seit Monaten ihr Patient und tat sich seit geraumer Zeit nicht mehr mit einem einfachen Händeschütteln ab. Er zog sie in seine Arme, drückte sie beherzt an seine Brust. „Doc, was für eine schlimme Tragödie!“ Etwas leiser fügte er hinzu: „Die Waffe stammt nicht von mir. Aber falls Sie jetzt eine zum Selbstschutz benötigen, helfe ich Ihnen gerne dabei. Wir finden schon etwas Passendes.“

„Das ist nicht nötig, Robert“, sagte sie ihm und löste sich aus seiner Umarmung. Es fiel ihr sehr schwer, sich an die herzlichen Umarmungen des Mannes zu gewöhnen. Dass er bereits über die gestrigen Ereignisse informiert war, wunderte sie nicht. Er betrieb einen Import- und Exporthandel für Fahrzeuge. Das war zumindest die offizielle Bezeichnung. Doch es war lediglich eine Tarnung für die Geschäfte, denen Robert hinter den Kulissen nachging.

Er verstand ihre Geste und setzte sich nun in den Sessel. „Eine wirklich schlimme Sache. Es gab zwei Tote?“

Rebecca widerstrebte es schon wieder darüber zu sprechen. Warum ignorierte das jeder? „Ja, ein Mann der Gebäudereinigung und der Täter selbst. Genug davon. Wie geht es Ihnen, Robert?“

Roberts Miene war finster. „Der Täter hat Glück, dass er schon tot ist.“ Doch dann leuchtete sein Gesicht auf. „Mir geht es wunderbar, Doc, einfach wunderbar! Lilia und ich haben jetzt zwei Pflegekinder. Ganz süße Racker sind das, die beiden. Ihre Herkunft ist auch so eine tragische Geschichte: der Vater im Knast, die Mutter auf Entzug und die beiden Kleinen mitten drin in dem Chaos. Tragisch, wirklich tragisch.“

Rebecca traute ihren Ohren nicht. Wer, um Himmelswillen, vertraute den Kurkovs zwei Kinder an? Wann war das passiert? Es fiel ihr außerordentlich schwer, sich den Waffenhändler als fürsorglichen Vater vorzustellen. Allerdings musste sie zugeben, dass bei Robert selten etwas in ein allgemein übliches Bild passte. Schlafstörungen hatten ihn vor Monaten zu ihr geführt. Sein Gewissen hatte ihm den Schlaf geraubt. Sie wusste nicht, wie viele Menschenleben er auf dem Gewissen hatte. Aber es schien ihn schwer zu belasten. Sie hatten sich auf eine notwendige Veränderung in seinem Leben geeinigt, damit er wieder ruhig schlafen konnte. Ihrer Meinung nach wäre die Aufgabe des Waffenhandels die richtige Wahl zur Veränderung gewesen. Sie war davon ausgegangen, dass Robert zu demselben Entschluss kam. Doch offenbar war das nicht der Fall. Er hatte sich zu etwas völlig anderem entschlossen.

„Was machen Ihre Schlafstörungen?“

Robert atmete tief durch. „Verschwunden. Seit die beiden bei uns sind, schlafe ich tief und fest wie ein Baby. Es sei denn, eines der Kinder weint. Dann kann man nicht schlafen. Das zerreißt einem das Herz.“

Rebecca lehnte sich etwas vor und betrachtete Roberts Gesicht genau. „Wissen Sie noch, wozu ich Ihnen geraten habe?“

Seine dunkelbraunen Augen erwiderten ihren Blick warmherzig. „Ich weiß. Ich weiß, Doc. Aber wir wissen doch beide, wenn ich das Geschäft aufgebe, wird es ein anderer übernehmen. Das ist wie mit dieser mehrköpfigen Schlange. Wie heißt sie noch gleich?“

„Hydra“, antwortete Rebecca im Reflex.

„Richtig, Hydra. Egal wie viele Köpfe Sie auch abschlagen, es wachsen immer welche nach. So ist das auch in meinem Geschäft. Mir ist es lieber ich bin der Kopf, der sagt wo es langgeht. Man weiß schließlich nicht, was da sonst nachwachsen würde“, entgegnete Robert.

„Sie könnten das eindämmen und Ihren Nachfolger gleich der Polizei melden“, schlug Rebecca ihm vor.

Robert lachte auf. „Sie sind lustig, Doc.“ Dann wurde er wieder ernst. „Sie verstehen das nicht. Aber die beiden Kleinen sind sicher bei Lilia und mir. Es wird ihnen nichts geschehen. Niemand wird ihnen je wieder ein Leid zufügen.“

„Glauben Sie wirklich, es ist gut für die beiden, wenn der Pflegevater sämtliche Widrigkeiten aus dem Weg räumen lässt?“ formulierte Rebecca die Frage vage und leise.

Robert antwortete in demselben leisen Ton. „Lilia und mir sind keine eigenen Kinder vergönnt. Diese beiden Racker mögen nicht aus meinem Fleisch und Blut sein, aber ich liebe sie als wären sie meine eigenen. Ich werde alles, und damit meine ich wirklich alles, für sie tun. Verstehen Sie das, Doc? Leider haben wir uns noch nicht gekannt, als Sie verlobt waren. Vieles wäre anders gelaufen. Ich hätte Ihren Verlobten zum Altar geschleift, ihn angekettet, wenn nötig, um ihn von dieser Reise abzuhalten. Aber verraten Sie mir doch, was würden Sie opfern, um ihn zu retten? Würden Sie gar ein Leben im Tausch gegen seines opfern?“

Rebecca dachte darüber nach. Ja, sie wäre vermutlich durchaus fähig dazu ein Leben für Bens einzutauschen. Aber das war belanglos. Erstens war so etwas nicht möglich und zweitens wäre Ben mit einem solchen Tausch niemals einverstanden gewesen.

Ihr Gesichtsausdruck ließ Robert wissend lächeln. „Sehen Sie, Doc? Tief in unseren Herzen sind wir uns sehr ähnlich. Deswegen mag ich Sie so. Warum kommen Sie nicht einfach bei uns vorbei? Lilia würde sich freuen Sie kennenzulernen. Und Sie können die beiden Kleinen treffen. Wie wäre es mit morgen Mittag?“

„Danke, Robert. Das ist leider nicht möglich“, sagte Rebecca langsam. Sie wollte ihn nicht verärgern. Ein direkter Kontakt mit einer Waffe in ihrem Leben war mehr als genug. Aber seine Einladung musste sie ablehnen. Ein Besuch bei ihm zuhause kam nicht in Frage.

Robert nahm ihr die Absage nicht übel. Er stand auf. „Falls Sie es sich anders überlegen, rufen Sie kurz an. Das gilt auch, wenn Sie in Bezug auf den Selbstschutz Ihre Meinung ändern.“

Gute Welt, böse Welt

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