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III

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»Alsdann, was soll er mir da zeigen?«

Der hochgewachsene Mann mit Halbglatze und gediegenem schneeweißen Backenbart hatte die Frage intoniert, als ginge es um Leben und Tod. Leben und Tod des Gefragten, wohlgemerkt. Wilhelm Marx, Präsident der Wiener Polizei, hatte schon als junger Praktikant beim Stiftsgericht des Schottenstiftes gelernt, dass Freundlichkeit nur ausgenutzt und als Schwäche interpretiert wurde. Selbstbewusstes Auftreten mit einem Hang zur Überheblichkeit hingegen brachte einem zumindest Respekt ein. Im besten Falle schüchterte man sein Gegenüber ein, das einem dann zumeist mit vorauseilender Freundlichkeit begegnete. Das erhob einen selbst in die Position, diese Freundlichkeit als Schwäche des anderen zu nützen. Und um unmissverständlich deutlich zu machen, in welcher hierarchischen Position der andere sich befand, sprach Wilhelm Marx alle ihm Untergebenen sowie Fremde grundsätzlich in der dritten Person an.

»Hat er einen Frosch verschluckt oder ist er stumm?«, setzte Marx nach.

Der junge Mann der Sicherheitswache wurde hochrot im Gesicht, nahm eine noch steifere Haltung an und wies auf den Haufen Unrat, der sich in der Ecke türmte. »Es … der Tote liegt dort im Dreck, Herr Präsident.«

Marx sah den Polizisten im dunkelgrünen Waffenrock scharf an. Dann klopfte er ihm väterlich auf den Oberarm. »Beruhig er sich, ist schon recht.«

Der Polizeipräsident trat näher an die Stelle heran, auf die die Sicherheitswache gedeutet hatte, beugte sich vorn über. Inmitten von verwitterten Lumpen, Essensabfällen, abgenagten Tierknochen und vermoderten Holzbrettern lag ein Mann, die rechte Hand Hilfe suchend in die Höhe gereckt. Das Hemd blutbefleckt und zerrissen, das Haupt voller Blutergüsse. Anstatt der Augen nur klaffende Höhlen, in denen sich Maden verköstigten.

Marx betrachtete den Toten genauer. Jedem Finger war das letzte Glied abgetrennt worden, genau im Gelenk, dem glatten Schnitt durch die Haut nach zu urteilen vermutlich mit einem scharfen Messer oder einer Zange. Der Mörder hatte sich also Zeit genommen, den Schmerz des Malträtierten wohlfeil ausgekostet, denn eine solche Tortur nimmt gut und gerne ihre zehn Minuten in Anspruch. Zehn Minuten für den Täter – eine gefühlte Ewigkeit für das Opfer.

Der Präsident verzog das Gesicht. Allerdings war es nicht der faulig-beißende Gestank nach Verwesung, der ihn dazu veranlasste, sondern die Überzeugung, dass es sich hier weder um einen Raufhandel noch um das jähe Ende einer Liebelei handelte. Dieser Mann war förmlich hingerichtet worden – und der Mörder hegte nicht die Intention, dies zu verschleiern.

»Mensch, der arme Tölpel liegt hier noch keine vierundzwanzig Stunden«, tönte die näselnde Stimme eines Mannes hinter Marx, die einen unüberhörbaren norddeutschen Akzent aufwies. »Und lassen Sie sich von den Maden nicht ins Bockshorn jagen. Die sind nicht in den Wunden geschlüpft. Die kommen von den Essensresten und suchen sich was Nahrhafteres.«

Der Polizeipräsident wandte sich um und sah sich einem hageren Mann Mitte dreißig gegenüber, der mit seinem schwarzen Frack und der Nickelbrille auf der Nase wirkte, als wollte er in die Oper oder zu einer Soiree gehen.

Marx’ Brauen zogen sich zusammen. »Und wer bitte ist er?«

Der junge Mann schlug die Hacken zusammen. »Gestatten Sie: Salomon Stricker mein Name.«

Pause. Die Augen des Polizeipräsidenten verengten sich, sodass er wirkte, als wollte er dem anderen jeden Moment einen Schlag mit der Faust verpassen.

»Ich war einst Schüler der Pathologischen Anatomie des geschätzten Herrn Rokitansky«, fügte Salomon eiligst hinzu.

»Freiherr von Rokitansky«, korrigierte ihn Marx scharf. »Mein lieber Freund wurde vor zwei Jahren von Kaiser Franz Josef persönlich in den Adelsstand erhoben.«

»Natürlich«, meinte Salomon mit mildem Lächeln, das sein ohnehin schon scharfkantiges Gesicht eigenartigerweise noch härter wirken ließ. Seine grünen Augen blitzten auf, als wollten sie das Lächeln Lügen strafen, sein schwarzer Oberlippenbart, der zu einer präzisen Linie rasiert war, stand in krassem Gegensatz zur ausufernden Gesichtsbehaarung des Polizeipräsidenten.

»Auch war es Herr von Rokitansky, der mich hierhergeschickt hat«, fuhr Salomon ruhig fort. »Er meinte, ich könne Ihnen behilflich sein.«

»Ah geh. Und wobei soll er mir behilflich sein?«

»Den Mörder zu finden, natürlich.« Salomon rückte irritiert seine Brille zurecht.

»Und warum –«

»Ich habe die Totenbeschau von Michael Jaritz durchgeführt.«

Marx kratzte sich den Backenbart und dachte an die Meldung über jenen Mann, den man vor drei Tagen gefunden hatte – Michael Jaritz, ein einfacher Gehilfe in einem Spezereien- und Delikatessengeschäft in der Karmelitergasse. »Dann hab ich also ihm das Konvolut an Beschreibungen und Mutmaßungen zu verdanken?«

Salomon nahm stolz Haltung an. »Präzision bis ins kleinste Detail kann oftmals entscheiden, ob eine Missetat aufgeklärt wird oder eben nicht.«

»Na, da hat er nicht unrecht«, stimmte Marx versöhnlichere Töne an und sah erneut zu dem Toten. »Was kann er mir aus dem Stegreif über unsere Leiche sagen?«

Salomon machte einen Schritt auf den Toten zu, hob die Brauen und spitzte den Mund, als wollte er einen besonders edlen Wein verkosten. Sein Blick schnellte zwischen den unterschiedlichsten Anhaltspunkten hin und her, als müsste er ein komplexes Muster im Geiste verinnerlichen, um es später nachzeichnen zu können. Schließlich schien er genug gesehen zu haben und wandte sich wieder seinem Vorgesetzten zu.

Der schwieg erwartungsvoll.

»Ein Mann Mitte, Ende vierzig, würde ich aufgrund seines leicht schütteren Haares und dem Zustand seiner Schneidezähne vermuten. Ein Arbeiter, wie sein wuchtiger Körperbau im Allgemeinen und Schwielen und Hornhaut an seinen Händen im Besonderen bezeugen. Unverheiratet, da ihm sowohl ein Ehering fehlt als auch die typische Verjüngung am Ringfinger, hätte er stets einen getragen und man ihn dessen beraubt. Er wurde mit einem harten, stumpfen Gegenstand geschlagen. Und sämtliche Verstümmelungen hat man ihm ante mortem zugefügt, sonst wäre das Blut nicht in alle Richtungen gespritzt.«

Wilhelm Marx wartete einen Augenblick, ob der andere noch etwas hinzuzufügen gedachte. Dann rang er sich ein Lächeln ab. »Rokitansky hat ihn viel gelehrt.«

Salomon schwieg stolz.

»Allerdings ist ihm das eine oder andere entgangen. Den Blutergüssen an den Handgelenken nach zu urteilen war der Mann während seiner Tortur gefesselt, wohl mit Gurten. Ich wette, dass sich an seinen Beinen identische Male finden. Seine grobporige Nase lässt vermuten, dass er dem Wein nicht abgeneigt war, und ich meine in größeren, weniger bekömmlichen Dosen. Und der Mann wurde nicht an diesem Ort ermordet.«

Salomon wirkte verunsichert, suchte nach Schleifspuren oder Ähnlichem. »Bei allem Respekt, woher wollen Sie das wissen?«

»Da braucht es eben jenen Spürsinn, der nicht allen Menschen eigen ist. Oder nur eine klare Sicht.« Marx sah an der Fassade hoch. »Na, das Fenster im dritten Stock über uns ist sperrangelweit offen. Bei dem Gestank, der von hier aufsteigt, lüftet niemand so lange freiwillig seine Behausung.«

Der junge Mann prüfte mit einem schnellen Blick die Richtigkeit der Behauptung, schniefte dann, als wäre er erkältet. »Man kann Ihnen schwer etwas vormachen, Herr Präsident.«

Marx blieb ernst. »Einer wie er mit Sicherheit nicht.«

»Ach, Sie … halten wohl nicht viel von mir?«

»Aber! Wie kommt er denn auf so was?«

»Ist es mein deutscher Akzent? Ich habe durchaus bereits die Erfahrung gemacht, dass dieser in Wien nicht gerade beliebt ist.«

Marx schwieg genüsslich.

»Oder …« Salomon zögerte verunsichert. »Womöglich stört es Sie, dass ich Jude bin?«

»Ein Jud! Na, da irrt er sich gewaltig«, sagte Marx und wandte sich ab. »Ich mag einfach generell die Menschen nicht.«

Donaumelodien - Totentaufe

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