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VII

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»Ich danke Ihnen.« Die krächzende Stimme der Gestalt klang ehrlich und eigenartig warm.

»Dann … lassen Sie nun von mir ab?« Den Mann mit der Glatze und den buschigen grauen Augenbrauen überfiel ein heftiger Hustenanfall, der ihn und den Stuhl, an den er gefesselt war, gehörig beutelte.

»So einfach ist es nun auch wieder nicht.«

»Was wollen Sie denn noch von mir?« Tränen liefen dem alten Mann über die Wangen und lösten sich erst auf, als sie dessen kurze graue Bartstoppeln berührten. Die Augen hielt er fest zugepresst. Von hinten legte sich eine behandschuhte Hand auf seine Schulter, verweilte dort beruhigend, beinahe väterlich.

»Was nun folgt, hat nichts mehr mit Ihnen zu tun«, sagte die Stimme ruhig. »Es hat etwas mit mir zu tun, mit mir ganz alleine. Kommen Sie, öffnen Sie die Augen.«

Der Alte schüttelte trotzig den Kopf, gleich einem Kind, das nicht einsehen wollte, dass das von ihm Verlangte nur zu seinem Wohle war.

»Öffnen Sie die Augen oder ich schneide Ihnen die Lider ab. Sie wissen sehr wohl, was das bedeutet.«

»Ich kann nicht!« Der Trotz war einem Wimmern gewichen.

Die Gestalt packte ein Tischchen, das unweit des Gefesselten stand, und zog es ruckartig zu diesem, ungeachtet der großen Vase darauf, die zu Boden stürzte und ohrenbetäubend zerschellte. Dann legte sie die Beißzange und den ehernen Dorn darauf, nahm ein Skalpell in die rechte Hand und setzte dieses am Lidansatz des alten Mannes an.

Der riss die Augen auf.

»Hören sie doch auf, um Himmels willen!«

In diesem Augenblick wurde ihm gewahr, warum er die Augen so fest verschlossen gehalten hatte. Nur wenige Fuß weit entfernt saß Stephania, seine Gemahlin, den Rücken an den breiten Türstock gelehnt, die Arme schlaff zu Boden hängend. Den Hals so weit aufgeschlitzt, dass der Kopf wie ein lästiges Anhängsel vom Torso hing.

Die Lippen des Alten bebten, immer wieder flüsterte er den Namen seiner Frau. Dann schien ein Ruck durch ihn zu gehen, sein Blick wurde klar, sein Körper spannte sich an.

»Wissen Sie was? Nehmen Sie mein Leben. Ohne meine Stephania ist es doch nicht mehr lebenswert.«

»Ah«, raunte die Gestalt. »Die Erkenntnis darüber, was das Leben in seinem Kern ausmacht. Am Ende sind es immer die gleichen Dinge, nicht wahr? Nicht der Reichtum, der einem Halt gibt, nicht der Zuspruch von anderen, der einen antreibt. Es ist einzig der Wunsch, nicht allein auf dieser trostlosen Welt zu sein. Und wenn man diesen letzten Anker lichtet, von dem die meisten glauben, sie würden ihn brauchen wie einen Bissen Brot, dann treibt man im Geiste mutterseelenallein auf dem Ozean der Zeit einem Abgrund entgegen.«

Der Alte sah die Gestalt verwundert an.

»Mir deucht, Sie hatten solch tiefsinnige Worte von mir nicht erwartet? Wissen Sie, wenn man, so wie ich, alles verloren hat, jener besagte Anker nicht mehr ist als ein sichtbarer Hauch in einer kalten Wintersnacht, dann beginnt man, die abstrusesten Gedanken zu spinnen. Ich glaube gar von mir behaupten zu können, mehr über das Leben und seine Unbilden nachgedacht zu haben als ein Sokrates, ein Platon oder ein Aristoteles.«

»Das reine Nachdenken macht aus einem noch keinen Philosophen. Nur wer die richtigen Rückschlüsse zu ziehen imstande ist, den ereilt die Erkenntnis.«

Die Gestalt lachte auf. »Da ist er ja wieder, der belehrende Tonfall, der mir so gut in Erinnerung geblieben ist. Das arrogante Hinwegsetzen eines Mannes über andere, der überzeugt war, er stünde über diesen. Und der vermeinte, er verstünde sie auch noch.«

»Ich wollte doch nur helfen, nach bestem Wissen und Gewissen.«

»Nun, mit dem Gewissen ist das so eine Sache, nicht wahr? Georg Büchner schrieb dazu: ›Das Gewissen ist ein Spiegel, vor dem ein Affe sich quält.‹ Und wenn man etwas mit seinem Gewissen in Einklang zu bringen vermag, so lässt sich auch schnell die Moral ad acta legen.« Die Gestalt lächelte. »Ich jedenfalls kann das, was nun folgt, sehr wohl mit meinem Gewissen vereinbaren. Sehen Sie sich noch einmal gut Ihre Frau an, die so rein gar nichts mit all dem zu schaffen hat. In Wahrheit sind Sie ihr Mörder.«

Die Gestalt nahm den Dorn in die Hand. »Ich muss Sie warnen. Das könnte nun ein wenig unangenehm werden.« Mit diesen Worten bohrte sich der Dorn in das linke Auge des alten Mannes.

Donaumelodien - Totentaufe

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