Читать книгу Lukullische Genüsse - Brigitte Cech - Страница 9

Exklusivinterview
mit Lucius Licinius
Lucullus

Оглавление

Hans, freier Mitarbeiter der Gourmet-Zeitschrift „Tafelfreuden à la Lukullus“, schlägt vorsichtig die Augen auf. Er fühlt sich hundeelend, die pelzige Zunge klebt am Gaumen und in seinem Kopf dröhnt es wie durch die Bässe bei einem Rockkonzert – er hat den monströsesten Kater seines Lebens. Aber das ist noch nicht das Schlimmste. Als er die verschwollenen Augen endlich wirklich aufschlägt, stellt er mit Entsetzen fest, dass er nicht in seinem Hotelbett in Neapel liegt, sondern auf einer Wiese unter freiem Himmel. Wie bin ich bloß hierhergekommen?, denkt er. Nun gut, ich werde mich schon daran erinnern. Das Wichtigste zuerst: Zurück ins Hotel, ein Glas Wasser mit einer Überdosis Aspirin, eine kalte Dusche und ein ausgiebiges Katerfrühstück. Hoffentlich hat mir niemand mein Handy geklaut! Mit der Hand greift er an seine Hosentasche um festzustellen, dass er gar keine Hose trägt. Den Kopfschmerz und das Schwindelgefühl ignorierend, setzt er sich auf. Mit Mühe unterdrückt er einen entsetzten Aufschrei: Er trägt nichts als einen kurzen, mit Rotwein bekleckerten weißen Kittel mit einem aus Goldfäden gewebten Gürtel. Neben ihm liegt ein verwelkter Kranz aus Efeu und Weinlaub. Das darf doch nicht wahr sein! Träume ich noch, oder was ist hier los?

Langsam klärt sich sein vom Alkohol umnebeltes Gehirn und er versucht, die Ereignisse der vergangenen Nacht zu rekonstruieren. Auf der Suche nach Material für seinen nächsten Artikel hat er die Hafenkneipen von Neapel durchstreift. Er wollte das bodenständige Essen der einfachen Leute verkosten und die urtypische Atmosphäre dieser großen Hafenstadt aufsaugen. Zu ziemlich später Stunde, als er sich eigentlich schon auf den Weg in sein Hotel machen wollte, sah er, wie ein blond gelockter junger Mann mit sanften Zügen, aber stechend blauen Augen, der allein an seinem Tisch saß, ihn unaufhörlich anstarrte und ihm schließlich ein Zeichen gab, sich zu ihm zu gesellen. Gesagt, getan – schon saß Hans mit dem Unbekannten, der sich als Dionisio vorstellte, beisammen und erzählte ihm seine Enttäuschung über die laut Reiseführer unvergessliche Stimmung in den Kneipen der Einheimischen in Neapel.

„Komm mit mir mit. Ich zeige dir etwas, das du dein ganzes Leben nicht vergessen wirst“, sagte Dionisio ruhig, aber bestimmt zu ihm.

Kurz kamen ihm leise Zweifel, ob er sich diesem geheimnisvollen Fremdling wirklich anvertrauen sollte, aber natürlich siegte, wie schon so oft, seine Abenteuerlust, und er ließ sich von Dionisio durch immer enger und finsterer werdende Gassen führen, bis sie endlich vor der Tür zu einem alten, mit Efeu und Weinranken umwachsenen Haus standen. Auf Dionisios Klopfen öffnete sich die Tür und sie traten ein. Sofort stürzten sich einige Frauen, deren kurze weiße Gewänder mehr enthüllten als verbargen, auf ihn, rissen ihm die Kleider vom Leib, zogen auch ihm solch einen Kittel über, setzten ihm einen Kranz aus Efeu und Weinranken auf und führten ihn in einen großen Saal.

Wilde Musik ertönt, in Kohlebecken glosendes Räucherwerk verbreitet schwüle, die Sinne betörende Düfte. Im flackernden Licht der Fackeln sieht er, wie Frauen und Männer wild und ekstatisch um einen übermannsgroßen Phallus tanzen. Neben dem Phallus steht Dionisio, in einen ebensolchen Kittel gehüllt, einen Kranz auf dem Kopf, in einer Hand einen eigenartigen Stab und in der anderen einen großen Becher Wein. Ein Panther schmiegt sich an seine Beine.

Unter was für Verrückte bin ich da geraten?, denkt Hans, als ein älterer nackter Mann mit Rauschebart, buschigem Schwanz und freudig emporragender Männlichkeit auf ihn zuspringt und ihm einen Becher Wein in die Hand drückt, den er, ohne viel nachzudenken, in einem Zug leert. Fasziniert beobachtet er das wilde Treiben, das ihm aber doch ein wenig unheimlich ist.

Vielleicht ist es besser, überlegt er, wenn ich meine Neugierde bezähme und schaue, dass ich von hier wegkomme, bevor die Schmusekatze des Dionisio durchdreht und beginnt, ihr Abendmahl einzunehmen. Unauffällig will er sich zur Tür schleichen, aber zwei Frauen nehmen ihn an den Händen und schleppen ihn zurück in den Kreis der Tanzenden. Immer ekstatischer wird die Musik und immer wilder der Tanz. Laut jubelnd schreien sie „Euhoe Bacche!“ und fallen vor Dionisio auf die Knie.

Für den Guru einer derartig schrägen Sekte hätte ich den jungen Mann nie gehalten, denkt Hans, als ihn einer dieser beschwänzten alten Männer an der Hand packt und zu Dionisio zerrt.

„Wer bist du?“, flüstert er.

„Stell keine Fragen, alles wird klar werden“, antwortet Dionisio und reicht ihm einen Becher Wein: „Trink!“

Einen kurzen Moment zögert Hans, aber der Blick, den Dionisio ihm zuwirft, gestattet keine Widerrede, und gehorsam leert er den Becher. Das ist das Letzte, an das er sich erinnern kann.

Irgendwie hat er das Gefühl, die tanzenden Frauen und beschwänzten Männer schon einmal gesehen zu haben – aber wo? Plötzlich dämmert es ihm: Er war vor einigen Tagen im Archäologischen Museum in Neapel und hat römische Reliefs von tanzenden Bacchantinnen und Satyrn gesehen. Je länger er darüber nachdenkt, desto deutlicher erinnert er sich. Die beschwänzten Männer haben tatsächlich wie Satyrn ausgesehen. Und der mit einem Pinienzapfen bekrönte und mit Weinlaub und Efeu umwundene Stab, den Dionisio in der Hand hielt – war das ein sogenannter Thyrsos? Und ist nicht der Panther ein dem Dionysos geweihtes Tier?

Habe ich da wirklich an einem Bacchanal teilgenommen? Dionisio war in der Rolle des Dionysos auf jeden Fall sehr überzeugend – sogar den Namen des Gottes hat er angenommen! Dionysos oder Bacchus, wie ihn die Römer nannten, ist der Gott des Weines und der Ekstase. Dionysoskult im Neapel des 21. Jahrhunderts – das wird ein toller Artikel! Aber jetzt erst einmal zurück ins Hotel. Alle Italiener haben Handys. Ich gehe ins nächste Dorf und bitte irgendwen, mir ein Taxi zu rufen. Eigentlich bin ich ja noch glimpflich davongekommen.

Gesagt, getan – er steht auf und macht sich auf den Weg. Als er endlich die Küstenstraße erreicht, durchfährt ihn der nächste Schreck: Anstelle von Autos fahren Ochsenkarren auf der mit großen Steinen gepflasterten Straße, er hört überhaupt keinen Verkehrslärm, und wo sind die Strom- und Telefonleitungen und die in der Bucht von Neapel allgegenwärtigen Müllberge? Und die zahlreichen Menschen, die auf der Straße unterwegs sind, dürften alle auf dem Weg zu einem Kostümfest sein: Die Männer tragen kurze Kittel und die Frauen bodenlange Kleider. Einer von Zypressen gesäumten Nebenstraße folgend, erreicht er schließlich – jetzt schon ziemlich erschöpft – eine große Villa. Ein riesengroßer, muskulöser Mann öffnet das Tor und schaut ihn fragend an. In seinem besten Italienisch bittet Hans um ein Glas Wasser und um ein Telefon. Als Antwort bekommt er einen unfreundlich klingenden Wortschwall zu hören.

„Was ist eigentlich aus der italienischen Gastfreundschaft geworden?“, schreit Hans, mittlerweile ziemlich wütend geworden.

Als der Riese ihm das Tor vor der Nase zuschlagen will, drängt sich Hans blitzschnell an ihm vorbei und verlangt, den Hausherrn zu sprechen. Durch das Geschrei angelockt, versammeln sich auch andere Hausbewohner im Vorraum und reden in wirrem Kauderwelsch durcheinander.

Was für einen Dialekt reden die eigentlich?, sinniert Hans.

Als ein würdiger, in ein bodenlanges Gewand gehüllter Herr mit langem Rauschebart auf der Bildfläche erscheint, wenden sich die Hausbewohner von Hans ab und reden auf den Neuankömmling ein. Konzentriert lauscht Hans ihrem Gespräch, bis ihm endlich aufgeht, welche Sprache hier gesprochen wird – nämlich Latein! Aus den verborgensten Winkeln seines Gehirns kramt er seine mittelprächtigen Kenntnisse dieser Sprache hervor, die er sich im Laufe eines kurzen, weil frühzeitig abgebrochenen Studiums der Alten Geschichte angeeignet hatte. Nach endlos scheinendem Palaver nimmt der würdige Herr Hans an der Hand und führt ihn in einen kleinen Garten mit kunstvoll zugeschnittenen Buchsbäumen und Rosensträuchern und bedeutet ihm, auf einer Marmorbank Platz zu nehmen. Eine hübsche junge Frau bringt Oliven, Käse, Brot und stark mit Wasser verdünnten Wein.

Nachdem sich Hans gestärkt hat, stellt der würdige Herr sich vor: „Mein Name ist Philodemus. Ich bin ein Anhänger der Schule des Epikur und lebe als Philosoph im Haus des Imperators Lucius Licinius Lucullus. Darf ich fragen, wer du bist?“

„Ich heiße Hans. Auch ich bin eine Art Philosoph. Besonders interessiere ich mich für gutes Essen und Trinken.“

„Da bist du ja bei uns am richtigen Platz“, antwortet Philodemus lachend, „mein Patron ist berühmt für seine Tafel!“

Langsam dämmert es Hans, dass da irgendetwas nicht stimmt.

„Welches Jahr schreiben wir?“, fragt er.

„Das Konsulatsjahr des Lucius Julius Caesar und des Gaius Marcius Figulus [64 v. Chr.] und heute ist der 13. Tag vor den Kalenden des September [20. August].“

Hans wird blass, der kalte Schweiß steht ihm auf der Stirn: Lucullus, Konsuln, Kalenden – ich bin im 1. Jahrhundert vor Christus gelandet! Das darf doch nicht wahr sein!

Stockend erzählt Hans dem Philodemus seine Erlebnisse der vergangenen Nacht. „Wenn das Ganze kein Traum ist, dann liegt meine Welt über 2000 Jahre in deiner Zukunft!“

„Du bist ein Liebling der Götter“, erwidert der Philosoph, „gestern war Vinalia, das Erntedankfest, an dem wir den Wein des Vorjahres erstmals verkosten [19. August]. Eigentlich ist dieses Fest Jupiter und Venus geweiht, aber Bacchus als Gott des Weines drängt sich natürlich immer mit hinein. Dir ist gestern der Gott persönlich erschienen und hat dir deinen geheimsten Wunsch erfüllt. Du sagst, du interessierst dich für die Freuden des Gaumens. Was kannst du dir sehnlicher erträumen, als bei Lucullus zu Gast zu sein! Lucullus ist ein umgänglicher Mensch, der die sinnlichen Genüsse liebt. – Doch nun gehen wir zuerst ins Bad. Du stinkst ja wie ein brünftiger Ziegenbock und deine Tunika steht vor Dreck. So kannst du dich beim Abendessen am Tisch des Imperators nicht blicken lassen.“

Im Umkleideraum des Bades wartet bereits ein Sklave, der die Tunika des Hans mit angewidertem Gesicht in Empfang nimmt und sie mit spitzen Fingern wegträgt. Philodemus erklärt Hans, wie das Bad zu benutzen ist:

„Nimm dir ein Handtuch und zieh Holzpantoffeln an, denn der Fußboden ist sehr heiß. Lucullus hat vor einigen Jahren ein modernes Bad mit Fußboden- und Wandheizung bauen lassen.“

Im zweiten Raum werden sie von Badesklavinnen in Empfang genommen, die ihre Körper mit wohlriechendem Öl einreiben, anschließend Öl und Schmutz mit einem Striegel abstreifen und sie mit lauwarmem Wasser abspritzen. Die beiden jungen Frauen können das Kichern kaum unterdrücken, als Hans bei den intimen Berührungen einen roten Kopf bekommt.

„Was gibt es hier zu lachen?“, fragt er indigniert. „In meiner Welt werden nur kleine Kinder gewaschen.“

Laut auflachend beginnen die Frauen leise zu tuscheln.

„Du wirst dich daran gewöhnen müssen. Im Haus des Lucullus wird auf Luxus großer Wert gelegt und dazu gehören auch Badesklavinnen. Und außerdem haben die zwei wohl noch nie einen so behaarten Mann wie dich gesehen. Unter den vornehmen Männern ist es üblich, sich zumindest Achsel- und Beinhaare entfernen zu lassen“, klärt Philodemus den Gast auf. „Und jetzt lass uns ins Warmbecken steigen.“

Der nächste Raum ist angenehm warm, und genussvoll seufzend lassen sich die beiden Männer in das warme Wasser gleiten.

„Bei uns lassen sich nur Frauen die Körperhaare entfernen, bei Männern gilt so was als weibisch und verweichlicht“, stellt Hans, noch immer leicht verwirrt, fest und erkundigt sich: „Wie entfernt ihr eigentlich die Körperhaare?“

„Die Haare werden entweder einzeln mit einer Pinzette ausgezupft, mit einer Enthaarungscreme aus Öl und Harz entfernt oder mit heißen Nussschalen abgebrannt. Wenn du willst, kannst du das nach dem Bad machen lassen.“

„Ich glaube, ich bleibe lieber ein behaarter Barbar“, antwortet Hans, als er sich diese schmerzhaften Prozeduren bildlich vorstellt. „Aber gegen eine Rasur hätte ich nichts einzuwenden.“

Während sie sich im warmen Wasser räkeln, bewundert Hans den kunstvollen Mosaikfußboden, den Stuckaturschmuck des Gewölbes und die exquisiten Statuen in den Wandnischen. Die Scheinarchitektur der Wandmalerei lässt den Raum größer erscheinen, als er ist: Es gibt Säulen und Nischen und sogar Fenster, die einen scheinbaren Blick in andere Räume und Gärten gewähren.

Nach dem Bad nimmt Hans auf einer Bank Platz, der Barbier legt ihm ein Handtuch um die Schultern, schabt ihm mit einem scharfen Rasiermesser den Bart ab und hält ihm einen Spiegel aus glänzend poliertem Metall vor das Gesicht.

„Ich würde auch noch einen Haarschnitt empfehlen. Deine Haare sind viel zu lang. Man könnte dich für einen griechischen Lustknaben halten“, stellt er kritisch fest.

Seufzend gibt Hans sein Einverständnis zum Haarschnitt und zum intensiv duftenden Öl, das der Barbier ihm in üppigen Mengen auf die Haare schmiert.

„Das ist Nardenöl aus Indien, das Beste vom Besten. Es ist seit Kurzem sehr in Mode bei den vornehmen Herren.“

Von wegen griechischer Lustknabe! Mit diesem Haaröl schaue ich aus wie ein Zuhälter und rieche auch so. Aber der Barbier wird schon wissen, was er tut, denkt Hans, in sein Schicksal ergeben.

Zum Abschluss der Badeprozedur lassen sich die beiden noch mit teurem Salböl massieren. Wohlig seufzend muss Hans feststellen, dass er sich an dieses Luxusleben ohne Probleme gewöhnen könnte.

Im Umkleideraum warten schon die beiden Badesklavinnen und helfen ihnen, saubere Tuniken und Sandalen anzulegen.

„Ich zeig dir noch schnell dein Zimmer und dann ist es Zeit zum Abendessen. Lucullus ist sicher schon zurück“, sagt Philodemus, während sie wieder in den kleinen Garten zurückgehen.

„Sag mal, du empfängst mich hier als Gast, obwohl der Hausherr mich noch gar nicht zu Gesicht bekommen hat. Wird es da keine Schwierigkeiten geben?“, fragt Hans.

„Lucullus vertraut mir in diesen Dingen. Wenn er nicht zu Hause ist, ist es meine Aufgabe, Gäste zu empfangen, und du kannst sicher sein, dass ihm ein Gast aus der Zukunft sehr willkommen sein wird. Aber nimm dich in Acht, die Götter sind dir zwar sehr gewogen, solltest du jedoch in Hochmut verfallen und mit den Errungenschaften deiner Zeit angeben oder gar versuchen, sie in unsere Zeit zu übertragen, ist dir der Zorn der Unsterblichen gewiss. Und dann möchte ich nicht in deiner Haut stecken! – Aber nun mach dir nicht zu viele Gedanken über die Götter, sondern genieße deinen Besuch bei uns! Hier sind wir schon bei deinem Zimmer.“

Mit einer eleganten Bewegung zieht Philodemus einen Vorhang zurück und führt Hans in ein kleines, fensterloses, mit Wandmalerei ausgeschmücktes Kämmerchen, in dem sich ein Bett, ein Nachttopf, ein Tisch, ein Sessel und eine Truhe befinden. In einer Wandnische am Kopfende des Bettes steht eine Öllampe.

Wie soll ich da bloß wieder zurückfinden in diesem Irrgarten von kleinen Gärten und Innenhöfen?, sorgt sich Hans, während der Philosoph ihn bereits in einen anderen Teil des Hauses führt.

„Das Wichtigste hätte ich fast vergessen: Ich muss dir auch noch zeigen, wo die Latrine ist.“

Erstaunt und ein wenig ratlos betrachtet Hans die Sitze aus Marmor, die an drei Seiten des Raumes angeordnet sind. Es gibt keine Trennwände zwischen den Sitzen! Vor ihnen verläuft eine Wasserrinne, in der ein auf einem Holzstab steckender Schwamm liegt und neben der Tür ist ein Brunnen.

Amüsiert erklärt Philodemus dem Gast, wie diese Anlage zu benutzen ist: „Wie du siehst, fließt auch unter den Sitzen ständig Wasser, sodass die Fäkalien sofort weggespült werden. Wenn du fertig bist, reinigst du dich mit dem Wasser, das in der Rinne fließt, und dann wäschst du dir am Brunnen die Hände.“

„Ich dachte immer, ihr reinigt euch mit dem Schwamm“, antwortet Hans.

„Nein, der Schwamm ist zum Reinigen der Latrine und nicht zur Körperreinigung. Das wäre doch unhygienisch, wenn wir alle denselben Schwamm benutzen würden.“

„Und wo ist die Latrine für die Frauen? Ich will nicht irrtümlich dort landen.“

„Es gibt nur eine Latrine für alle, die hier wohnen“, erwidert der Philosoph.

Das wird ein Problem, denkt Hans, es ist schon schlimm genug, dass wir hier alle nebeneinandersitzen. Wenn es wenigstens nur die Männer wären, aber auch die Frauen! Doch gut, irgendwie werde ich auch das schaffen, ohne mich allzu sehr zu blamieren.

Während Hans noch über die Probleme der Latrine nachdenkt, tritt ein Sklave zu ihnen und lädt sie ein, sich zum Abendessen zu begeben: „Der Herr wartet auf euch in Egeria.“

„Sag ihm, wir kommen sofort“, antwortet Philodemus.

„Wo ist Egeria? Müssen wir jetzt in eine andere Stadt gehen?“, fragt Hans.

Lachend erwidert der Philosoph: „Nein, wo denkst du hin! Lucullus hat in jeder seiner Villen mehrere Speisezimmer, und jedes Zimmer ist nach einer Gottheit benannt. So wissen die Küchensklaven immer, wie luxuriös das Mahl sein soll. Da für heute keine Gäste angekündigt waren, werden wir eher einfach speisen. Aber keine Sorge, das Essen wird vortrefflich sein. Lucullus ist immer bei Lucullus zu Gast, auch wenn er nur mit den engsten Angehörigen seines Haushaltes speist. Egeria ist eine Quellnymphe und das nach ihr benannte Speisezimmer ist unter offenem Himmel und hat einen kleinen Brunnen. Es wird dir sicher gefallen.“

Das möchte ich gar nicht bezweifeln, denkt Hans, dem beim Gedanken, dass er jetzt bald dem berühmten Lucullus gegenüberstehen wird, der kalte Schweiß ausbricht.

Langsam gehen sie durch das große Haus zum Speisezimmer, wo sie vom Hausherrn persönlich in Empfang genommen werden. Hans hat sich den bekannten Schlemmer immer als übergewichtigen, dekadenten Römer vorgestellt. Aber der Mann, der ihn jetzt freundlich begrüßt, ist mittelgroß, ungefähr 50 Jahre alt und hat eine sportliche, schlanke Figur.

„Imperator, das ist Hans, der Gast aus der Zukunft“, stellt Philodemus den Besucher vor.

Hans will schon die Hand zur Begrüßung ausstrecken, erinnert sich aber gerade noch rechtzeitig daran, dass Händeschütteln zur Begrüßung bei den Römern nicht üblich ist.

Lächelnd bittet Lucullus die beiden, auf den mit Matratzen und Polstern bedeckten Speisesofas Platz zu nehmen. Neben Lucullus nimmt ein junger, gut aussehender Sklave Aufstellung, der nur mit einem knappen Lendentuch bekleidet ist.

Während Philodemus seinem Patron die Geschichte des Gastes erzählt, betrachtet Hans das Speisezimmer. Es ist ein relativ kleiner Raum unter freiem Himmel, an einer Wand befindet sich ein qualitätvolles Fresko der Quellnymphe, nach der das Zimmer benannt ist, und an einer Schmalseite ist eine kleine, mit Muscheln, Lavagestein und buntem Glas verzierte Nische, in der ein Brunnen leise plätschert. In Nischen in den Wänden stehen große Öllampen aus Bronze. Die Einrichtung des Raumes besteht lediglich aus drei hufeisenförmig angeordneten Speisesofas, in deren Mitte ein niedriger Tisch aus Marmor steht, auf den Sklaven Schüsseln und Teller mit Vorspeisen stellen. Ein Sklave reicht Hans eine kleine Schüssel mit einem Löffel, und auf ein Nicken des Philodemus folgt er dem Beispiel des Gastgebers und bedient sich an den Vorspeisen.

Das Essen entspricht seinen kühnsten Erwartungen: Es gibt hart gekochte Eier in einer süßsauren Sauce mit klein gehackten Pinienkernen, Miesmuscheln in einer wässrigen Sauce aus Wein und Kräutern, Artischocken mit einer Marinade aus Essig, Wein, Honig und Kräutern, und eine kleine fischförmige Backform enthält einen dunkelbraunroten, mit Pfeffer bestreuten Aufstrich, der sich beim Kosten als pikanter Hühnerleberaufstrich entpuppt.

Verstohlen beobachtet Hans Lucullus, der sich auf dem Bauch liegend, elegant auf den linken Ellbogen gestützt, mit drei Fingern der rechten Hand kleine Häppchen in den Mund schiebt. Etwas weniger elegant versucht Hans, die Tischmanieren des Gastgebers zu imitieren. Kaum merkbar lächelt dieser, als Hans der erste Bissen aus der Hand fällt.

Zum Glück sind wir heute nur zu dritt hier, denkt der Gast, so blamiere ich mich wenigstens nicht vor einer ganzen Schar der sicher sehr vornehmen Freunde des Lucullus.

Während die Sklaven die Vorspeisen wegtragen, plaudert Lucullus ungezwungen mit Hans, der erfreut feststellt, dass sich sein Latein seit seiner Ankunft schon erheblich verbessert hat.

„Ich vermute, unsere Tischsitten sind etwas Neues für dich. Wie du siehst, essen wir im Liegen mit den Fingern oder mit einem Löffel. Messer werden im Speisezimmer nur von den Sklaven verwendet, die Fleisch, Geflügel oder Fisch tranchieren. Du musst wissen, dass wir ein sehr heißblütiges Volk sind, und da bestünde durchaus die Gefahr, dass wir zu später Stunde mit den Messern übereinander herfallen würden. Und ein Blutvergießen beim Gastmahl ist natürlich unerwünscht. Zum Essen trinken wir nur Wasser, erst nachdem wir gespeist haben, wird der Wein kredenzt, den wir mit Wasser verdünnt trinken. Während des Essens konzentrieren wir uns auf den Genuss der Speisen, beim Wein möchte ich mich dann ausgiebiger mit dir unterhalten. Aber hier kommt schon die Hauptspeise. Da wir heute nur im engsten Kreise beisammen sind, gibt es nur gefülltes Huhn.“

Ein Sklave stellt ein braun gebratenes Huhn auf den Tisch, zückt ein großes Messer und schneidet das Geflügel in Scheiben.

Das ist raffiniert, denkt Hans, die haben das Huhn vor dem Braten von innen her so ausgenommen, dass es keine Knochen mehr hat. Vielleicht zeigt mir der Koch, wie man das macht.

Das Huhn stellt sich als wahre Gaumenfreude heraus. In der Füllung entdeckt Hans Getreidekörner und Pinienkerne und macht den feinen Geschmack von Pfeffer und Ingwer aus. Dass Ingwer bereits in römischer Zeit als Gewürz verwendet wurde, war Hans bislang unbekannt gewesen.

Als Lucullus sich zum dritten Mal am Huhn bedienen will, nimmt ihm der neben ihm stehende Sklave ohne viel Federlesens die Schüssel aus der Hand.

Hans wird blass. Ist der wahnsinnig geworden? Ich will nicht schon an meinem ersten Abend Zeuge der Bestrafung eines Sklaven werden, denkt er verzweifelt.

„Das ist schon in Ordnung so. Du musst wissen, ich esse sehr gerne und kann mich manchmal bei Tisch nicht beherrschen. Da ich aber meine gute Figur behalten will, hat dieser Sklave den Auftrag, mich am übermäßigen Schlemmen zu hindern“, erläutert Lucullus lachend, als er das Unbehagen seines Gastes bemerkt.

Keine schlechte Methode, denkt Hans, das sollte man bei uns auch einführen, dann gäbe es vielleicht weniger Übergewichtige.


Lucius Licinius Lucullus (117–56 v. Chr.) brachte die kultivierte Kirsche nach Europa und ist der Inbegriff für Gaumenfreuden. Seine politischen und militärischen Leistungen werden dabei leider oft vergessen. Kupferstich nach antiker Büste, um 1880.

Als Nachspeise gibt es in Scheiben geschnittene Melonen in einer Sauce aus Wein, Honig, Kräutern und einem Gewürz mit leicht bitterem und ein wenig scharfem Geschmack, das Hans nicht zuordnen kann.

„Darf ich fragen, womit die Sauce gewürzt ist?“, wendet er sich an seinen Gastgeber.

Lucullus weiß sofort, was er meint: „Das ist Silphium, eine Pflanze, die aus Nordafrika kommt und die bei echten Feinschmeckern wegen ihres aromatischen Geschmacks sehr beliebt ist. Da man diese Pflanze nicht im Garten züchten kann, sondern in der Wildnis sammeln muss, ist Silphium eines unserer kostbarsten Gewürze.“

„Eine Frage hätte ich noch“, sagt Hans. „Wo ist das Garum, eure berühmte Fischsauce, die ihr doch wie eine Sauce zu allen Speisen esst, wie ich gehört habe?“

„Wer hat dir denn diesen Unsinn erzählt? Garum verwenden wir anstelle von Salz zum Würzen der Speisen. Einfach so schmeckt es scheußlich, aber als Gewürz ist es vorzüglich und gibt den Speisen ein besseres Aroma als Salz“, antwortet Lucullus, herzlich lachend.

Während die Sklaven den Tisch abräumen, waschen sich die Speisenden die Hände in einer Wasserschüssel, die ihnen ein Knabe darreicht. Dann wird das Weinservice aufgetragen: ein großer wunderschöner, alter griechischer Bronzekessel, zwei Krüge, ein Schöpflöffel und ein Sieb sowie Trinkschalen. Zwei kräftig gebaute Sklaven schleppen eine Amphore herein, deren Aufschrift Lucullus kritisch betrachtet.

„Dir zu Ehren trinken wir heute 20 Jahre alten Falerner Wein von meinen eigenen Weingärten“, sagt Lucullus, während er aus einem Krug Wasser in den Bronzekessel gießt, den die Sklaven mit Wein auffüllen. Mit dem Schöpflöffel wird der gewässerte Wein durch das Sieb in den zweiten Krug umgefüllt. Ein ausgesprochen hübscher Knabe schenkt den Wein in die Trinkschalen.

Lucullus, der wie alle aristokratischen Römer großes Interesse dafür hat, was die Nachwelt von ihm denken wird, eröffnet nun das Gespräch: „Was weiß man von mir in deiner Welt? Erinnert man sich in 2000 Jahren überhaupt noch an mich?“

„Doch, du bist einer der bekanntesten Römer. Dein Name ist in aller Munde, du bist der Schutzpatron der Feinschmecker. Auf der ganzen Welt gibt es Tausende Gaststätten und Hotels, die deinen Namen tragen, unzählige Zeitschriften, in denen über Essen und Trinken berichtet wird, sind nach dir benannt, und berühmte Köche nennen ihre Gerichte à la Lucullus.“

Bevor Hans noch erwähnen kann, dass es sogar Hundefutter à la Lucullus gibt, fällt ihm der Gastgeber zum Glück ins Wort. Es erscheint doch eher zweifelhaft, dass er sich über diese fragwürdige Ehre gefreut hätte.

„Und was weiß man sonst noch über mich?“

„Dass du die Kirsche nach Europa gebracht hast, lernen die Kinder schon in der Schule“, antwortet Hans nach längerem Überlegen.

Nachdenklich nippt Lucullus an seinem Wein. „Und meine Erfolge als Feldherr sind total in Vergessenheit geraten? Immerhin habe ich sieben Jahre lang erfolgreich im Osten gegen Mithridates gekämpft, bis meine Gegner im Senat mich abberufen haben, als ich einige Rückschläge erlitt, vor allem weil mein unseliger Schwager Clodius, der als Offizier unter mir diente, meine Soldaten gegen mich aufgehetzt hat. Dann wurde Pompeius hingeschickt, dieser Emporkömmling, der sich selbst den Beinamen ‚der Große‘ gegeben hat. Der hat jetzt leichtes Spiel, nachdem ich alle Vorarbeiten geleistet habe. Seit meiner Rückkehr vor zwei Jahren streite ich mit dem Senat, damit mir endlich der wohlverdiente Triumphzug genehmigt wird. Und meiner Frau Clodia, dieser Schlampe, die es während meiner Abwesenheit recht bunt getrieben hat, habe ich sofort nach meiner Rückkehr den Scheidebrief überreicht. Und was meine zweite Frau, die mit unserem kleinen Sohn in meiner Villa am Stadtrand von Rom geblieben ist, gerade treibt, will ich gar nicht wissen“, ereifert sich der Gastgeber und fügt, zu Philodemus gewandt, hinzu: „Epikur hat schon recht, wenn er sagt, wer ein glückliches Leben führen will, soll sich aus der Politik heraushalten und nicht heiraten. Aber genug der ernsten Dinge, immerhin bin ich nicht ganz in Vergessenheit geraten! Während du bei uns bist, Gast aus der Zukunft, steht dir mein Haus offen. Ich habe eine große Bibliothek, die du gerne benutzen kannst, und Philodemus wird dir alles zeigen. In einigen Tagen gebe ich ein großes Gastmahl zur Einweihung meines neuen Fischbeckens, zu dem natürlich auch ein Speiseplatz unter freiem Himmel gehört. Ich habe beschlossen, diesen Speiseplatz nach dem Gott des Meeres, Neptun, zu benennen.“

Am nächsten Tag führt ihn Philodemus in die Küche, wo reges Treiben herrscht. An Haken hängen große Fleischermesser und Beile, auf Regalen stehen Körbe mit Gemüse, und getrocknete Kräuter hängen an Schnüren entlang der Wände. Auf einem Herd mit mehreren Feuerstellen köcheln Eintöpfe in großen Kesseln, in denen Köche hingebungsvoll mit Bohnenkrautästchen oder Lauchstangen rühren.

Philodemus deutet auf die großen bauchigen Amphoren, die in einer Ecke stehen: „Und da ist unser berühmtes Garum“, erklärt er.

Er gibt Hans einen kleinen Löffel und öffnet eine der Amphoren. Intensiver Fischgeruch breitet sich aus.

Vorsichtig kostet Hans die braune Flüssigkeit, um sofort hustend und spuckend zu bestätigen: „Du hast recht, das schmeckt scheußlich! Aber in Speisen verkocht, ist mir weder die intensive Duftnote noch der unangenehme Geschmack aufgefallen, ganz im Gegenteil, die Würze der Speisen war vortrefflich. Und da ist noch etwas, das ich dich gerne fragen möchte: Bei uns hört man immer wieder, dass ihr euch während des Essens eine Pfauenfeder in den Schlund steckt, um euren Magen zu entleeren, damit ihr mehr essen könnt. Stimmt das?“

„Das ist totaler Unsinn! So etwas wäre undenkbar schlechtes Benehmen. Es kommt schon manchmal vor, dass sich ein Gast übergeben muss, aber deshalb, weil er zu viel Wein getrunken hat, und nicht, um, nachdem er seinen Magen entleert hat, fröhlich weiter völlern zu können“, ereifert sich Philodemus.

Nach der Besichtigung der Küche geht es weiter zur Ölpresse und in das Presshaus, wo Hans die große Weinpresse und die mehrere Hundert Liter fassenden, in den Boden versenkten Keramikgefäße bestaunt, in denen die Gärung stattfindet. Der dafür zuständige Sklave weiht ihn in die Geheimnisse der römischen Kelterei ein. Das alles kann ich mir niemals merken, denkt Hans und bittet Philodemus, ihm einige Schreibtafeln zu geben, damit er sich Notizen machen kann.

Wie im Flug vergeht die Zeit, und immer seltener denkt Hans an seine Welt. Tagsüber durchstreift er gemeinsam mit Philodemus das große Gut des Lucullus, wo er auch die weniger erfreulichen Seiten der römischen Kultur kennenlernt. Mit Entsetzen sieht er, wie aneinandergekettete Sklaven sich nach der Arbeit auf den Feldern in ihre bescheidenen Hütten zurückschleppen. Obwohl es ihm schwerfällt, den stumpfen, in ihr Schicksal ergebenen Gesichtsausdruck der Sklaven zu vergessen, bringt er das Thema weder bei Philodemus noch gegenüber Lucullus zur Sprache, denn es ist ihm klar, dass er als Gast aus einer anderen Welt hier nichts ändern darf und jeder Einwand auf Unverständnis stoßen würde.

Eines Vormittags eröffnet ihm Philodemus: „Heute Abend ist das große Gastmahl am Fischbecken. Unter den Gästen ist auch Cicero, der sich für das Konsulat des nächsten Jahres beworben hat, mit seiner Frau Terentia. Cicero hat Lucullus versprochen, sich im Senat dafür einzusetzen, dass der endlich seinen verdienten Triumphzug abhalten kann. Quintus, Ciceros Bruder, kommt auch mit seiner Frau Pomponia. Die beiden vertragen sich überhaupt nicht. Man kann nur hoffen, dass sie nicht während des Gastmahls einen ihrer Ehekriege austragen! Und Lucius Calpurnius Piso mit seiner Gattin Rutilia ist ebenfalls eingeladen. Calpurnius ist ein ausgesprochen gebildeter Mann. Er hat eine große Villa ganz in der Nähe, in der er auch eine umfangreiche Bibliothek mit allen Werken Epikurs und anderer Philosophen hat, die ich freundlicherweise benutzen darf.“

Hans denkt: Ich werde Cicero, dessen Schriften ich im Lateinunterricht und beim Studium lesen musste, und seinen Bruder kennenlernen, außerdem Calpurnius, den zukünftigen Schwiegervater Caesars!

Philodemus ahnt, was in Hans vorgeht: „Ich sehe an deinem Gesicht, dass du diese Personen kennst. Du darfst auf keinen Fall erwähnen, was du über ihr Schicksal weißt. Der Zorn der Götter wäre furchtbar“, warnt er ihn vorsorglich.

Am Vormittag herrscht im Haus des Lucullus reges Treiben. Sklaven schmücken das Atrium mit Blumengirlanden und stellen kleine Tische und Räucherbecken auf. Kurz schaut Hans in die Küche, macht sich aber ob der dort herrschenden Hektik gleich wieder aus dem Staub und verbringt den Vormittag mit Philodemus im Bad, aus dem sie jedoch mit sanfter Gewalt bald hinaus -geschmissen werden.

„Die Gäste werden nach ihrer Ankunft baden wollen und wir müssen noch saubermachen“, klären die Badesklaven sie auf.

Gegen Mittag kommen die Gäste und werden vom Hausherrn im Atrium begrüßt. Auf den Tischchen stehen Schüsseln mit kleinen Häppchen: gefüllte Eier, in Honig gebackene Siebenschläfer, in dünne Scheiben geschnittene Lukanische Würste und Kräuterkäse. Während sich die Gäste an den kleinen Häppchen laben, stellt Lucullus ihnen Hans, den Gast aus der Zukunft, vor. Wie nicht anders zu erwarten, erkundigt sich Cicero, der ziemlich von sich eingenommen ist, sofort danach, was man in 2000 Jahren noch von ihm weiß.

„Du bist als großer Redner bekannt und deine Schriften werden in der Schule und an der Universität studiert“, beruhigt Hans Cicero, der daraufhin etwas freundlicher wird und zum Glück keine weiteren Fragen nach der Zukunft mehr stellt.

Während Lucullus sich mit den Cicerobrüdern und Calpurnius ins Bad zurückzieht, haben Hans und Philodemus die ehrenvolle Aufgabe, die holde Weiblichkeit zu unterhalten.

Am frühen Nachmittag kommen die Herren aus dem Bad. Lucullus macht einen sehr zufriedenen Eindruck.

„Cicero hat ihm sicher versprochen, sich um seinen Triumphzug zu kümmern“, flüstert Philodemus, „den Göttern sei Dank!“

Vor dem Haus warten schon die Sänften, die sie zum Fischbecken bringen. An ihrem Ziel angekommen, bleibt Hans die Luft weg. Auf der dem Land zugewandten Seite ragt eine große Speiseplattform in das Fischbecken hinein, die einen atemberaubenden Blick auf die Bucht von Neapel bietet.

Neben dem Weg steht ein großes Zelt, aus dem es appetitanregend duftet. Hier erhält das Essen seine letzte Abrundung, sodass es warm und frisch vom Herd serviert werden kann.

Voll Stolz führt Lucullus die Gäste durch die Anlage: „Das Becken hat einen Durchmesser von 118 Fuß. Wie ihr seht, ist in der Mitte ein kleines rundes Becken, von dem vier Mauern weggehen, die das große Becken unterteilen. Die Speiseplattform steht auf Rundbögen, in die abgeschnittene Amphoren eingelassen sind. Hier züchte ich meine Muränen. Wenn ihr genau schaut, seht ihr, wie sie aus den Amphoren herauslugen. Die einzelnen Becken sind durch vergitterte Durchlässe miteinander verbunden. Da ich nicht will, dass sich die Fische gegenseitig fressen, halte ich in jedem der vier Becken andere Fische, darunter auch Rotbarben.“

„Rotbarben sind seit einigen Jahren bei den Feinschmeckern sehr in Mode und daher ziemlich teuer. Wenn wir Glück haben, stehen heute welche auf dem Speiseplan. Das ist der beste Fisch, den du dir vorstellen kannst“, flüstert Philodemus Hans zu.


Liebespaar beim Gelage. Für ehrbare Matronen geziemte sich diese Freizügigkeit nicht. Sie zogen sich rechtzeitig zurück. Fresko aus Herculaneum. Neapel, Archäologisches Nationalmuseum.

Nach der Besichtigung nehmen sie auf den mit Purpurdecken und Seidenpolstern ausgestatteten Speisesofas Platz. Cicero und Calpurnius teilen sich als Ehrengäste mit Lucullus das Speisesofa, Hans liegt mit Philodemus und Rutilia auf einem Sofa und Ciceros Bruder Quintus mit Terentia und Pomponia auf einem weiteren.

Das Festmahl ist ein wahres Schlemmermenü. Selbst Lucullus verzichtet ausnahmsweise auf seinen Diätassistenten und langt kräftig zu. Als Vorspeisen gibt es alle nur erdenklichen Arten von Muscheln in verschiedenen Saucen. Der erste Hauptgang besteht wieder aus Muscheln, gebratenen Singvögeln, Reh- und Wildschweinkoteletts, Hühnerpasteten und der berühmten Rotbarbe. Und wie es sich für eine richtige römische Schlemmerei gehört, wird auch ein zweiter Hauptgang, bestehend aus geschnetzelten Milchleisten von Mutterschweinen, einem ganzen Wildschweinkopf, gebratener Entenbrust und Hasenbraten serviert.

Zum Gastmahl, das sich ob der Fülle an Speisen über Stunden hinzieht, gibt es dezente musikalische Untermalung. Endlich wird der letzte Hauptgang abserviert.

„Zum Abschluss möchte ich euch noch eine besondere Gaumenfreude zum Kosten geben, nämlich in Honig eingelegte Kirschen aus meinem Obstgarten“, kündigt Lucullus die Nachspeise an.

Obwohl alle schon satt sind, langen sie doch bei dieser Rarität mit Begeisterung zu.

Essen im Liegen hat schon etwas für sich, denkt Hans, als er sich mit vollem Bauch auf sein Sofa zurückfallen lässt.

Aber noch ist die Party nicht zu Ende. Der alten Sitte folgend, verabschieden sich die Damen, bevor das Trinkgelage beginnt. Sklaven bringen das Weinservice und eine Amphore besten Falerner Weins. Lucullus als Gastgeber mischt Wein und Wasser im großen Krater, und ein hübscher Knabe reicht den Gästen antike griechische Trinkschalen.

Zu Beginn des Gelages spricht Lucullus einen Trinkspruch aus: „Lasst uns auf Hans, unseren Gast aus der Zukunft, trinken. Möge er uns in guter Erinnerung behalten, wenn er wieder in seine Welt zurückkehrt!“

Verlegen erhebt sich Hans: „Imperator, ich danke dir für deine überwältigende Gastfreundschaft. Es war mir eine große Ehre, dich kennenlernen zu dürfen, und das heutige Festmahl mit all den berühmten Gästen ist der Höhepunkt meines Besuches bei dir.“

Inzwischen ist es dämmrig geworden, und Sklaven schleppen große Feuerbecken herbei und bringen Seidendecken, falls es den Gästen zu kühl werden sollte. Die Musiker beginnen wieder zu spielen, und leicht bekleidete Mädchen treten auf und erfreuen die Trinkenden mit erotischen Tänzen. Unter angenehmem Geplauder über Kunst und Literatur vergeht die Zeit wie im Flug.

Zu fortgeschrittener Stunde verstummen die Gespräche und das Gelächter, es ist Zeit, in die Villa des Lucullus zurückzukehren. Schwankend besteigen die Feiernden ihre Sänften. Unterwegs bemerkt Hans, dass die Sänfte, die er mit Philodemus teilt, nicht zum Haus des Lucullus zurückkehrt.

„Wo führst du mich hin?“, fragt er den Philosophen.

„Lucullus reist morgen gemeinsam mit den Cicerobrüdern nach Rom zurück, und auch für dich wird es Zeit, wieder nach Hause zurückzukehren“, antwortet Philodemus.

Mitten in den Weingärten hält die Sänfte an und Philodemus führt Hans zu einem kleinen Tempel: „Das ist ein Tempel des Bacchus, des Gottes, der dich hierhergebracht hat und der dich wieder zurück in deine Zeit führen wird. Trink!“, fordert Philodemus Hans auf und reicht ihm einen Becher Wein, den Hans ohne viel nachzudenken in einem Zug leert.

Wildes Getöse und Geheul lässt Hans aus tiefem Schlaf aufschrecken. Völlig verwirrt schlägt er die Augen auf – er liegt in seinem Hotelbett in Neapel und der ohrenbetäubende Lärm stammt nicht von feiernden Bacchantinnen, sondern von Mopeds und Autos.

Benommen denkt er: Was hatte ich bloß für einen verrückten Traum. Ich war im 1. Jahrhundert vor Christus und bei Lucullus zu Gast! Aber war es wirklich nur ein Traum?

Auf seinem Nachtkästchen liegen ein verwelkter Blumenkranz, ein gold-durchwirkter Gürtel und einige Schreibtafeln.

Energiegeladen springt er aus dem Bett, nimmt seinen Laptop in Betrieb und beginnt zu schreiben: „Exklusivinterview mit Lucius Licinius Lucullus, dem Schutzpatron aller Gourmets …“


Lukullische Genüsse

Подняться наверх