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1.7 Selbst- oder fremdbestimmt im Zielbereich

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Im Zielbereich sind wir besonders anfällig dafür, uns fremdbestimmt zu verhalten. So neigt der Beziehungstyp im Handeln dazu, das zu tun, was andere seiner Meinung nach von ihm erwarten, und sich so zu verhalten, dass es gut bei ihnen ankommt. Der Beziehungstyp I (die schizoide Charakterstruktur) gestaltet sein Leben nach dem, was seiner Meinung nach ‚in‛ ist. Dabei zählen Maßstäbe und Meinung einer oft kleinen Zielgruppe, die er seinerseits für ‚in‛ hält. Der Beziehungstyp II (die hysterische Charakterstruktur) richtet sich mehr nach den Wünschen seines Partners, seiner Familie und seiner Freunde. Er möchte Beifall und Liebe von allen Seiten. Beide übergehen dabei ihre eigenen Bedürfnisse.

Nach der Redensart ‚Wie du mir, so ich dir!‛ manipuliert der Beziehungstyp dann auch andere im Bereich Handeln durch Macht- und Retterspiele. Um sich aus diesen selbstangelegten Fesseln zu befreien, tut er gelegentlich genau das Gegenteil von dem, was seiner Meinung nach andere von ihm erwarten. Statt überfürsorglich für sie da zu sein, verhält sich dann der Liebenswürdige extrem egozentrisch oder wechselt der Kontrollierte umgekehrt von kontrollierter Zurückhaltung zu vertrauensseliger Liebenswürdigkeit. Das erinnert etwas an den Versuch, den Teufel mit dem Beelzebub austreiben zu wollen.

Der Sachtyp übernimmt und spiegelt in seinem Beziehungsverhalten die Gefühle anderer. Er reagiert darauf, was ihm der Andere gefühlsmäßig entgegenbringt, ohne auf seine eigenen Gefühle und Bedürfnisse zu hören. Er macht sich damit abhängig von den Launen anderer und leidet darunter. Oder er ist umgekehrt bemüht, sich dagegen zu schützen, indem er Gefühle abblockt und sich betont sachlich und egoistisch benimmt. Er verhält sich dann schon vorbeugend gefühlsneutral und indifferent. Auch er dreht den Spieß herum und versucht andere durch sein Beziehungsverhalten zu erpressen, z.B. indem er innerlich ‚zumacht‛, ein Gespräch abbricht, den Raum verlässt oder es sich demonstrativ schlecht gehen lässt. Seine Opfer- und Zuwendungsspiele zielen oft darauf ab, anderen ein schlechtes Gewissen zu machen.

Der Handlungstyp denkt, er müsse so denken, wie andere es von ihm erwarten seiner Rolle, seiner Stellung, seiner Funktion entsprechend. Das ‚Von mir (uns) als … erwartet man …‛ – Denken oder ‚Für uns (mich) als … gehört sich …‛– Denken setzt er als selbstverständlich und allgemein gültig voraus. Er ist sich nicht bewußt, dass er es übernommen und damit in die Welt gesetzt und sich oder anderen aufgezwungen hat. Er unterwirft sich diesem Denken, ‚dient sich an‛ und erwartet in seinen Verfolger- und Identitätsspielen, dass es andere ebenso tun.

Obwohl die anderen bei diesem Thema mitwirken, gibt es genau genommen keine Fremdbestimmung, denn jeder bestimmt sich selbst fremd. Denn er verhält sich so, wie es andere seines Erachtens von ihm erwarten. Der Eindruck der Fremdbestimmung entsteht dadurch, dass man diese Mechanismen früh gelernt hat und sie so zur Gewohnheit geworden sind, dass sie fast automatisch ablaufen, ohne dass die einzelnen Schritte noch bewusst werden. Oder dass man der Versuchung nicht widersteht, den Spieleinladungen anderer zu folgen. Eine Aufgabe der Psychotherapie kann nun sein, diesen Ablauf wieder genau bewusst zu machen und dann andere Weichenstellungen einzubauen, die autonomes Verhalten ermöglichen.

Wie kommt es, dass sich Menschen fremdbestimmen? Dieses Verhalten galt viele Generationen lang als Tugend. Individuelles Verhalten wurde dort nicht geschätzt. Statt dessen wurde erwartet, dass sich der Einzelne unterordnet, den Interessen der Familie, seines Arbeitgebers, der Kirche und des Staates. Menschen lassen sich leichter beherrschen und ausnützen, wenn sie daran gewöhnt sind, sich fremdbestimmt zu verhalten.

Psychologisch gesehen läuft das Sich-fremd-Bestimmen über die ‚Antreiber‛. Der Beziehungstyp I bestimmt sich fremd mit seinem „Sei stark!“. Er zeigt dann in seinem Persönlichkeitsbereich ein misstrauisches und kontrolliertes Beziehungsverhalten und in seinem Zielbereich ein ehrgeiziges und konkurrierendes Handeln. So verklammert der Antreiber den Persönlichkeits- mit dem Zielbereich und ersetzt ein realistisches und genaues Beobachten und Denken im Entwicklungsbereich. Dieser Antreiber funktioniert automatisch, immer und in jeder Situation, und zwar um so ‚besser‛, je stärker die Stressbelastung ist.

Das „Mach’s anderen recht!“ des Beziehungstyps II wirkt sich ebenfalls im Persönlichkeits- und im Zielbereich aus, dort als liebenswürdige und gewinnende Kommunikation und hier als ein Handeln und eine Lebensgestaltung, die ganz auf die Bedürfnisbefriedigung anderer eingestellt sind. Auch hier verklammert der Antreiber das Beziehungs-Ich und das Handlungs-Ich und scheint eigenes und konsequentes Nachdenken überflüssig zu machen. Denn dieser Antreiber ist ein Rezept, das umgesetzt unmittelbar gut ankommt oder doch anzukommen scheint. Dass es auf längere Sicht zum Burn-out-Syndrom führen kann, wird oft zu spät erkannt.

Der Sachtyp I (narzisstische Charakterstruktur) verbindet mit dem Antreiber „Streng dich an!“ sein Erkenntnis-Ich direkt mit dem Beziehungs-Ich. Er denkt angestrengt nach, sinniert und grübelt, und er strengt sich in Beziehungssituationen an, wichtig und bedeutend zu sein. Der Sachtyp II (depressive Charakterstruktur) mit dem Antreiber „Sei vorsichtig!“ denkt darüber nach, was schief laufen könnte und bemüht sich in Beziehungssituationen nicht anzuecken. Er verhält sich angepasst, unauffällig, diplomatisch. Das „Streng dich an!“ und das „Sei vorsichtig!“ ersetzen eigenständiges und selbstverantwortliches Entscheiden, Wollen und Handeln. Statt zu handeln, geben sich die Sachtypen Mühe, und versuchen etwas zu tun. Das ist anstrengend und ermüdend, und statt etwas zu schaffen, fühlen sie sich geschafft. Auch hier werden der Persönlichkeits- und der Zielbereich kurzgeschlossen und der Entwicklungsbereich durch die Antreiber ersetzt.

Das „Sei perfekt!“ des Handlungstyps I (phobische Charakterstruktur) und das „Mach es perfekt!“ des Handlungstyps II (zwanghafte Charakterstruktur) gilt für sein Beziehungsverhalten und sein Handeln. Statt auf sein Gefühl zu hören, ist er korrekt, macht nichts falsch. Auch wenn er morgens ausschlafen könnte, steht er früh auf, weil sich das so gehört, und damit die anderen nicht über ihn denken, er sei faul oder liederlich. Das Sei perfekt! verklammert das Handlungs- mit dem Erkenntnis-Ich und ersetzt das Beziehungs-Ich. Er hört dann nicht auf seine Gefühle und Bedürfnisse und nimmt auch die der anderen nicht wahr. Dadurch erscheint sein Verhalten hart, unsensibel und manchmal unmenschlich. Doch es ist aus seiner Sicht anständig, den Regeln und der Ordnung entsprechend, korrekt und fehlerfrei.

Nach der Stabilisierung des Persönlichkeitsbereiches und der Entfaltung des Entwicklungsbereiches ist Selbstbestimmung der dritte Schritt. Er setzt voraus, dass die Antreiber abgeschwächt sind und die Fähigkeiten seines Entwicklungsbereiches genützt werden, d.h. der Beziehungstyp klar denkt, der Sachtyp weiß, was er will, und der Handlungstyp seinen Gefühlen folgt. Emanzipatorisches Bemühen ohne diese Voraussetzungen gelingt nicht und schlägt immer wieder um in Macht-, Opfer- und Verfolgerspiele.

Es wird hier schon deutlich, dass es möglich ist mit der prozessorientierten Persönlichkeitstypologie genaue und konkrete Aussagen zu machen. Das bestätigt sich immer wieder, wenn man mit diesem Modell therapeutisch arbeitet. Hier erweist es sich als eine verlässliche Orientierungshilfe. Trotzdem wird sich mancher Leser die Frage stellen: Handelt es sich bei den Persönlichkeitstypen um Realitäten, die man vorfindet, oder um künstliche und vielleicht zweckmäßige Unterscheidungen, die man so oder auch anders hätte machen können?

Die drei Persönlichkeitstypen und ihre Lebensstrategien

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