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1.8 Wie real sind die Persönlichkeitstypen?

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Während sich manche Fachleute aus ‚wissenschaftlichen‛ Gründen mit den Persönlichkeitstypen schwer tun – Wissenschaftlichkeit ist für sie identisch mit dem empirisch-naturwissenschaftlichen Konzept –, so haben viele Laien damit Schwierigkeiten aus ‚zeitgeistlichen‛ Überlegungen. Dass Menschen auf eine typspezifische Weise verschieden sein sollen, stört sie. Ihnen ist die Vorstellung sympathischer, dass Menschen trotz mancher äußerer Unterschiede weitgehend ähnlich seien. Diese Auffassung passt auch zu einer durch das amerikanische Denken, durch Werbung, Absatz und Konsum geprägten Weltkultur.

Anderen ist umgekehrt der Gedanke unangenehm, dass Menschen auf eine typspezifische Weise ähnlich sein sollen. Das passt nicht zu ihrer Vorstellung von der Individualität des Einzelnen, ein eher aus europäischer Tradition und der Romantik stammendes Ideal. Doch die neuen Erkenntnisse der prozessorientierten Persönlichkeits-Psychologie widersprechen weder den Ansprüchen an Wissenschaftlichkeit noch der Gleichwertigkeit oder der individuellen Selbstverwirklichung des Menschen. Möglicherweise müssen diese Ziele jedoch neu formuliert werden.

Ein Teilnehmer in einem Fortbildungsseminar drückte es so aus: „Für mich war das wie ein Kulturschock, dass Menschen nicht gleich, sondern verschieden sein sollen!“ Wer jedoch dieses Wissen akzeptieren kann, wer genau hinsieht und hinhört, wer sensibel ist im Umgang mit anderen, wird immer wieder überrascht sein, wie Menschen sowohl deutlich verschieden als auch gleichartig sind. Weit mehr als man das bisher wahrgenommen und für möglich gehalten hat, unterscheiden sie sich oder stimmen sie überein in ihrem Verhalten, in ihrem Denken, in ihrem Erleben und in der Art, wie sie ihr Leben gestalten, wie sie auf Situationen reagieren, was sie wertschätzen, aber auch, womit sie Schwierigkeiten haben, wie sie sich Probleme schaffen oder Lösungen realisieren.

Dass das, was man für unverwechselbare Individualität gehalten hat, etwas Persönlichkeitstypisches ist, kann eine weitere Herausforderung sein für das eigene Selbstbild. Dazu kommt, dass man sich in der diagnostischen Literatur oft genauer beschrieben findet, als man das bisher selbst wahrgenommen hat. Und es tut besonders weh, wenn es sich herausstellt, dass individuelle Besonderheiten, auf die man vielleicht sogar stolz war und sie kultiviert hat, nur neurotische oder unentwickelte Aspekte des eigenen Persönlichkeitstyps sind. Das erinnert an eine Bemerkung Bandlers: „Ich habe noch nie verstanden, wieso ein Mensch weniger Mensch ist, wenn man ihn verändert und dadurch sein Leben glücklicher macht. Aber ich habe wohl gemerkt, wie viele Leute die Fähigkeit besitzen, ihren eigenen Partnern, Kindern und sogar vollkommen fremden Menschen schlechte Gefühle zu bereiten, bloß indem sie ‚sie selbst‛ sind. Ich frage die Leute manchmal: ‚Warum bestehst du darauf, du selbst zu sein, wenn du statt dessen etwas ganz Wertvolles sein könntest?‛“4

Das bedeutet nicht, dass es keine Individualität oder Persönlichkeit mehr gäbe, im Gegenteil, dieses Wissen macht den Weg frei für Selbstfindung und Selbstverwirklichung. Doch man wird sie jetzt woanders suchen und realisieren müssen. Und ob es jemand gefällt, dass es die Persönlichkeitstypen gibt, oder ob es ihm nicht gefällt, entscheidend ist die Beantwortung der Frage: Sind die Persönlichkeitstypen etwas Reales oder sind es willkürliche oder zweckmäßige Unterscheidungen, künstliche Einteilungen, um sich besser orientieren zu können?

Wir kennen in anderen Lebensbereichen beides. Etwa in der Geographie ist der auf einer Landkarte wiedergegebene Verlauf eines Flusses oder eine Küstenlinie etwas Reales, Vorgegebenes, während die Längen- und Breitengrade etwas Künstliches, zwischen Menschen Vereinbartes sind. Ich gehe davon aus, dass die Persönlichkeitstypen Realitäten sind. Was spricht dafür, dass sie in der menschlichen Wirklichkeit vorgefunden und eindeutig identifiziert werden können? Es gibt dafür viele Hinweise. Im Folgenden sollen hier einige aufgeführt werden.

Der erste Hinweis auf die Realität der Persönlichkeitstypen ist ihr Wiedererkennen im Alltag, und zwar in den Grundzügen ihrer Wesensart, Denk- und Verhaltensweise. Man kann den eigenen Persönlichkeitstyp oder den von anderen identifizieren und in den unterschiedlichsten Lebenssituationen in der Form typspezifischer Eigenschaften und Verhaltensweisen bestätigt finden. Das gilt für die positiven Seiten eines Persönlichkeitstyps ebenso wie für dessen typische Schwächen. Kenner bestätigen immer wieder, dass dieses Wissen, auch wenn es manchmal wehtut, sich im alltäglichen Umgang mit anderen und mit sich selbst bewährt. Es ist jetzt so, als ob man plötzlich die Sprache verstehen würde, in der der andere sich ausdrückt. Und was vielleicht noch überraschender ist, das gilt auch im Umgang mit sich selbst. Eine Frau, ein attraktiver, doch etwas herber Handlungstyp, sagte ganz erleichtert: „Nun verstehe ich zum ersten Mal, warum ich so bin, wie ich bin!“

Dabei sollte man sich allerdings bewusst sein, dass das Erkennen und Unterscheiden von Persönlichkeitstypen ein längerer Lernprozess ist, also nicht auf Anhieb gelingen kann und muss. Man lernt auf Dinge zu achten, die man bisher nicht bewusst wahrgenommen hat, etwa auf den Klang der Stimme, den Ausdruck der Augen, auf den Gang und die Bewegungen, darauf, wie jemand auf Situationen reagiert und damit umgeht. So wie jeder Fachmann gelernt hat, seine Aufmerksamkeit auf das zu richten, was für ihn informativ ist und dies mit geschulten Augen und Ohren wahrnimmt und wieder erkennt, etwa wenn ein Dirigent seinem Orchester zuhört, ein Maschinenbauer eine technische Zeichnung studiert oder ein Biologe eine blühende Wiese betrachtet, so braucht es auch in der Menschenkenntnis Übung und Erfahrung, die vielfältigen Signale, die Menschen mitteilen, bewusst wahrnehmen und zuordnen zu können.

Ein zweiter und dritter Hinweis auf die Realität der Persönlichkeitstypen ist, dass geübte Diagnostiker bei einer und der selben Person unbeeinflusst voneinander zum gleichen Ergebnis kommen, um welchen Persönlichkeitstyp es sich bei dieser Person handelt, und dass dies bei richtiger Diagnose lebenslang Gültigkeit hat. Die Diagnose mag in Einzelfällen schwieriger sein und länger brauchen, es kann vorübergehend zu Fehlurteilen kommen, doch, wenn genügend Informationen zugänglich sind, ist es grundsätzlich immer möglich, zu einer korrekten Einschätzung zu kommen. Wenn dies gelungen ist, so bestätigt sich die Diagnose über viele Jahre hinweg. Ich kenne kein einziges Beispiel dafür, dass es bei entsprechender Diagnose nicht früher oder später zu einer eindeutigen Typbestimmung gekommen wäre, noch dafür, dass jemand im Laufe der Zeit seinen Typ gewechselt hätte oder es notwendig gewesen wäre, einen Mischtyp zu diagnostizieren.

Ein vierter Hinweis für die Existenz stabiler Persönlichkeitstypen sind die unterschiedlichen Modelle zur Menschenkenntnis, die unabhängig voneinander entwickelt worden sind und die trotzdem weitgehend übereinstimmen. In der vergleichenden Zusammenschau bestätigen und ergänzen sie sich gegenseitig. Beispiele dafür sind die psychotherapeutischen Modelle der Menschenkenntnis, etwa die psychoanalytischen Charaktertypen5, die homöopathischen Konstitutionstypen6 und die Typen des Enneagramms.7

Neben diesen differenzierten Modellen gibt es noch viele andere, weniger ins Detail gehende Typologien, die erkennbar die gleichen Typen beschreiben, etwa Huters Drei-Typen-Lehre8, die transaktionsanalytischen Skriptmuster9 oder Schirms Struktogramm.10

Verwirrend dabei ist, dass sich die Fachleute nicht einig darin sind, wie viele Persönlichkeitstypen es gibt, manche beschreiben zwei (Jung), andere drei (Huter, Freud, Schirm), wieder andere vier (Riemann), sechs (König), neun (im Enneagramm) oder mehr als zwanzig Typen (Homöopathie). Es kann auch nicht vorausgesetzt werden, dass dann, wenn zwei Autoren die gleiche Anzahl von Typen beschreiben, diese tatsächlich identisch sind. So sind beispielsweise Kretschmers drei Körpertypen nicht identisch mit den drei psychologischen Grundtypen.

Die bisherige, phänomenologische Betrachtungsweise in der Menschenkenntnis konnte dieses Problem nicht oder nur unzureichend lösen. Das, was beobachtet und mit Hilfe umgangssprachlicher Begriffe identifiziert und beschrieben wird, ist dafür zu unscharf und zu vieldeutig. Die prozessorientierte Persönlichkeits-Psychologie ist in zweierlei Hinsicht genauer. Die Beobachtungen auf der Erlebens- und Verhaltensebene werden immer im Zusammenhang gesehen mit dem Wissen um die sie verursachenden Prozesse.

Die Entdeckung, dass die Psyche des Menschen deutlich strukturiert ist, kann als eine fünfte Erklärung dafür genommen werden, dass es auch klar abgrenzbare Persönlichkeitstypen gibt. Freud beschreibt sie als das Instanzen-Modell Über-Ich, Ich und Es, Berne als die drei Ich-Zustände Eltern-Ich, Erwachsenen-Ich und Kind-Ich und ich als das Prozess-Modell der drei Ichs, Beziehungs-Ich, Erkenntnis-Ich und Handlungs-Ich. Mit dem Modell der drei Ichs kann das eingelöst werden, was die Transaktionsanalyse schon immer postuliert hat, nämlich dass es sich dabei um psychische Organe handelt, die eigenständig, gleichwertig und gleich wichtig sind. Darüber hinaus können mit Hilfe dieser drei Ichs die drei unterschiedlichen Persönlichkeitstypen als drei unterschiedliche Prozesse beschrieben werden (Abb. 2).

Ein sechster Hinweis dafür, dass Persönlichkeitstypen Realitäten sind, zeigt sich in der Theorie und Praxis der Integrierten Kurztherapie.11 Das Wissen über die Persönlichkeitstypen, ihre psychologischen und ontologischen Bedingungen, war die Voraussetzung dafür, Fragen praktisch beantworten zu können, wie: Welche kurztherapeutische Methode eignet sich besonders für welchen Persönlichkeitstyp, für welches Thema und für welchen Lösungsprozess? Die prozessorientierte Menschenkenntnis ist in der Praxis zugleich hilfreich und bestätigend. Sie lässt sich vorausblickend einsetzen, um Klienten die richtigen Fragen stellen und ihnen auf die Sprünge helfen zu können, und rückblickend, um Schritt für Schritt zu überprüfen, ob man sich auf dem typspezifischen Lösungsweg befindet.


Abb. 2: ‚Ich‛-Modelle in der Psychotherapie.

Diese typbezogene wissensgeleitete Vorgehensweise ergänzt und unterstützt das pragmatisch-analytische Vorgehen in den lösungsorientierten Psychotherapien. Eine Psychotherapie, die sich auf die unterschiedlichen Persönlichkeiten der Klienten einstellt und jeweils das optimal wirksame Therapie-Konzept anwendet, war bisher wohl eher ein Glücksfall. Denn Klienten sind unerfahren darin, über sich selbst Bescheid zu wissen, und auch Therapeuten schließen gerne von sich auf andere. Ohne das Wissen über die Andersartigkeit der anderen und deren typspezifische Lösungswege neigen selbst große Therapeuten dazu, von ihren eigenen Erfahrungen auszugehen, wie Probleme bewältigt und Lösungen realisiert werden können, und diese auf ihre Klienten zu übertragen.12

Ein siebter Hinweis für die Realität der Persönlichkeitstypen sind die typspezifischen Weisen, wie Menschen ihre Wirklichkeit erleben und wie sie gestalten. Egal ob man die alltägliche Wirklichkeit eines Menschen betrachtet, wie er sich gibt, kleidet, seine Wohnung einrichtet, wie er Situationen erlebt, unter was er leidet, was ihn erfreut, was er verabscheut oder wertschätzt, immer wird darin auch sein Persönlichkeitstyp erkennbar. Und wenn man wie Berne oder C. Steiner die Lebenskonzepte, die Skripts13 eines Menschen analysiert, zeigt es sich, dass sie ebenfalls persönlichkeitstypisch sind. Hier wird der Blick nicht auf den Persönlichkeitstyp gerichtet, sondern sie schauen auf dessen typspezifische Lebensgestaltung. Das Gleiche gilt für die Werke von Dichtern, Künstlern, Philosophen, politischen Persönlichkeiten oder Religionsstiftern. Es ist möglich aus ihren Schöpfungen ihren Persönlichkeitstyp zu erschließen. So durchzieht das ursprüngliche Lebensthema wie eine Melodie das Denken, Fühlen und Tun eines Menschen. Das, was er als Kind nicht bekommen hat, sucht er sein ganzes Leben lang und – darin liegt die Tragik oder Komik des menschlichen Lebens – und wehrt es oft zugleich ab.

Nun zum achten und wichtigsten Hinweis auf die Realität der Persönlichkeitstypen. Ihre ursächliche Basis ist nicht psychologischer, sondern ontologischer Natur, die Eigengesetzlichkeit der drei Lebensbereiche Beziehung, Erkennen und Handeln und die daraufhin organisierten drei Ichs, das Beziehungs-, Erkenntnis- und Handlungs-Ich. Diese Eigengesetzlichkeit lässt sich sowohl aus den Lebenserfahrungen wie philosophisch deutlich machen. Und da wir uns im äußeren Leben besser auskennen als in unserer Psyche, können diese Hinweise auf die Eigengesetzlichkeit der drei Wirklichkeitsbereiche entsprechend leichter nachvollzogen werden.

Auch hier betreten wir Neuland, denn die philosophische Ontologie, die das Wesen der menschlichen Wirklichkeit zu erfassen sucht, lässt uns hier im Stich. Es gibt dort zwar Abgrenzungen zwischen einzelnen Lebensbereichen, etwa wenn Heidegger die Wesensart des Erkennens von der des Handelns unterscheidet. Aber es ist mir kein Denker bekannt, der die Eigengesetzlichkeiten und das Zusammenwirken aller drei Lebensbereiche deutlich erkannt und beschrieben hätte. Dieser ontologische Hintergrund unserer Lebenswirklichkeit bildet die Basis sowohl der drei Ichs als auch der drei Persönlichkeitstypen. Versteht man wie grundlegend verschieden diese drei Lebensbereiche sind, dann ist es verständlich, dass sich auch die drei Persönlichkeitstypen, die ihrer Herkunft nach in einem dieser Lebensbereiche beheimatet sind und ihn als exemplarische Lebenswirklichkeit erfahren haben, sich deutlich unterscheiden.

Die drei Persönlichkeitstypen und ihre Lebensstrategien

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