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Kapitel 1

Meine neue Welt

Januar 2009

Seit zwei Jahren bin ich nun getrennt. Wieder Single. Nach 14 Jahren Ehe ein Leben ohne Kompromisse. Drei Zimmer, Küche, Bad.

Anfangs genoss ich die Freiheit. Doch das hielt nicht lange. Der Alltag holte mich schneller ein als mir lieb war. Ich fühlte mich einsam. Kein Wunder: Nie zuvor hatte ich allein gelebt. Bis zu meinem 15. Lebensjahr zuhause, danach im Internat mit Klassenkameraden, anschließend Zivildienst und wieder bei meiner Mutter. In dieser Zeit lernte ich meine spätere Frau kennen. Wir zogen zusammen in eine kleine Wohnung in der Nähe von München, ich studierte. Dann Hochzeit, erster Job, Umzug, erstes Kind, ein Mädchen, glücklich. Zweiter Job, Umzug, zweites Kind, wieder ein Mädchen, glücklich. Es war ein aufregendes und temporeiches Leben.

Dann: Trennung, Scheidung und zum ersten Mal allein.

Vor wenigen Tagen mein 40. Geburtstag: Ein grauer Dienstag im Januar. Ich denke über mein Leben nach. Blicke zurück, schaue nach vorne. Bilanz: Ich bin gesund, habe einen guten Job und leiste mir hin und wieder ein wenig Luxus. Das Wichtigste: Ich habe zwei wundervolle Kinder, 9 und 5 Jahre alt, die jedes zweite Wochenende bei mir sind. Dann bin ich glücklich. Und traurig, wenn ich die Mädchen sonntagabends wieder nachhause bringe. Danach fühle ich mich noch einsamer. In einem Lied von Heinz Rudolf Kunze heißt es zwar „Abschied muss man üben, sonst fällt er viel zu schwer“, doch dem muss ich widersprechen. Ich übe. Vergebens. Die Leere, die bleibt, wenn sie weg sind, bedrückt mich jedes Mal sehr.

Ich versuche, mir nichts anmerken zu lassen, doch irgendwie spüren Kinder so etwas. Deshalb haben sie mich eines Tages dazu überredet, ihnen einen Hamster zu kaufen. Wie sie mir heute erzählen, nur, damit ich in der Zeit, in der sie nicht da sind, nicht einsam bin. Beim Schreiben dieser Zeilen bin ich wieder gerührt. Ein Hamster gegen Einsamkeit, wie süß.

Er hieß Eddi und wir kauften ihn nicht im Baumarkt oder in der Zoohandlung, sondern bei einer Züchterin. Ja, Du hast richtig gelesen: bei einer Züchterin. Ich hatte mich vorab umfassend informiert und wollte die artgerechte Hamsterzucht unterstützen. Das ist eine meiner Marotten. Ich gebe es zu: Ich bin bei solchen Dingen wenig spontan. Bevor ich mir etwas anschaffe, informiere ich mich sehr gründlich darüber. Ich besorge mir Bücher zum Thema, kaufe Zeitschriften, schaue Videoclips und lese Testberichte. Es läuft nicht nach dem Motto: Kommt Kinder, wir fahren zur Tierhandlung und kaufen uns einen Hamster. Nein: Es besteht die Gefahr, dass die Kinder bereits erwachsen sind, bis der Hamster endlich einzieht.

Bei Eddi ging es schneller. Ich erkundigte mich über Hamster und kaufte einen Käfig. Einen riesigen Käfig. Genauer: ein Terrarium, einen Meter tief, zwei Meter breit. Ein Nager-Paradies, mit einer Ausstattung, von der alle Hamster träumen: Stroh, Sand, Höhle, Kletterzeugs und ein Laufrad der Luxusklasse. Mit einem sehr großen Durchmesser, damit der Rücken meines kleinen Freundes beim Laufen gerade bleibt. Ein Muss, wie ich gelesen hatte.

Jetzt fehlte nur noch der Hamster. Mit einer Züchterin aus dem Rhein-Main-Gebiet hatte ich Kontakt aufgenommen. Am Telefon nahm sie mich ins Kreuzverhör, überzeugte sich, dass es dem Tier bei mir auch gut gehen würde. Danach waren wir uns einig. Sie erklärte mir, der Hamster sei aus dem E-Wurf und ich müsste ihm deshalb einen Namen geben, der mit „E“ beginnt. Ich stimmte zu.

„Sollen wir ihn Ernst nennen?“, frage ich die Mädchen, als ich sie abends ins Bett bringe. „Papa, so heißt kein Hamster“, protestieren sie.

„Erich vielleicht? Oder Egon oder Erwin?“

„Paaaapaaa!“

„Edelbert?“, frage ich und grinse.

„Eeeeedelbert, mein Eeeeedelbert“, sagt die Große. „Wie im Immenhof-Film.“

Du musst wissen, den haben wir uns schon öfter zusammen angeschaut. Sonntagsfilme nenne ich sie, die alten Schinken, die ich ab und zu an verregneten Sonntagnachmittagen mit ihnen gucke. Dabei essen wir Kuchen und lümmeln uns aufs Sofa. Herrlich! Meine Kinder mögen die alten Filme mit Heinz Rühmann, Heinz Erhardt oder Louis de Funès genauso sehr wie ich. Die Immenhof-Filme gefallen ihnen aber besonders gut. Pferde und Ponys eben.

Wir grübeln weiter über einen Namen und mir fällt Eddi Arent ein, den ich auch immer sehr mochte. „Was haltet ihr von Eddi?“ Beinahe gleichzeitig fangen beide an zu hüpfen und rufen: „Jaaa, jaaa, Eddi ist toll!“ Dabei wedelt die Kleine mit den Armen.

„Also gut, dann heißt er Eddi. Und jetzt ab ins Bett.“ Ich gebe ihnen einen Gutenachtkuss und stelle wie immer die gleiche Frage: „Hab‘ ich euch eigentlich schon einmal gesagt, dass ihr meine allergrößten Goldschätze seid?“

„Jaaaa, Papa, schon tausend Mal!“, rufen sie.

„Ehrlich, da kann ich mich gar nicht dran erinnern.“ Wir lachen und ich mache das Licht aus.

Am nächsten Morgen fahren wir in eine kleine Ortschaft in der Nähe von Mainz, um Eddi abzuholen. Als uns die Züchterin die Tür öffnet, wird klar: Nicht nur Hund und Herrchen können sich optisch annähern, das geht auch bei anderen Vierbeinern. Vor uns steht eine kleine Frau, um die 60, mit der Statur eines Goldhamsters. Auch ihr Gesicht hat sich den Nagern angepasst: Hamsterbacken, -augen und - zähne. Mit ihrer Brille sieht sie aus wie eine Hamsterprofessorin, es fehlt nur noch der weiße Laborkittel. Es ist gruselig und lustig, und wir lachen uns heute noch schlapp, wenn wir davon erzählen.

Eddi zog noch am selben Abend bei mir ein. Ins Arbeitszimmer. Dort brachte er das riesige Laufrad jede Nacht zum Quietschen. Bis an mein Bett drang das schrille Geräusch. Hätte ich vorher gewusst, wie viel Krach so ein Hamster macht, hätten wir einen Goldfisch gekauft. Und hätte ich vorher gewusst, wie viel Sand und Stroh nach jeder Reinigung in den großen Käfig passen ... Goldfisch, 100 Prozent Goldfisch.

Den Zweck, den die Mädchen beabsichtigt hatten, erfüllte Eddi. Es war jemand bei mir. Ich war nicht mehr alleine, mein kleiner Freund war da. Unüberhörbar. Nach ein paar Tagen habe ich mich sogar dabei ertappt, wie ich mit ihm rede. Mit einem Hamster. Ich weiß nicht mehr, was ich ihm alles erzählt habe. Anfangs hörte er noch interessiert zu, doch irgendwann wurde ihm anscheinend alles zu viel, und er ergriff die Flucht. Abgelenkt durch eines seiner Kunststücke vergaß ich, die Käfigtür zu schließen. Und dann floh er. Mitten in der Nacht. Weit kam er aber nicht. Ich fand ihn am nächsten Morgen in der Küche. Tot. Er hatte in ein Stromkabel gebissen. Eddi sah aus wie explodiert.

Begraben konnten wir ihn nicht gleich, weil es draußen zu kalt und der Boden steinhart gefroren war. Deshalb lagerte ich Eddi nach seinem tragischen Unfall in einer leeren Vanilleeis-Schachtel im Gefrierfach. Sobald es draußen wieder wärmer würde, wollten wir ihn im Wald begraben.

Wie gut, dass ich zu dem Zeitpunkt noch Single war. Wenn meine Frau nämlich heute ans Gefrierfach gehen, das Vanilleeis herausnehmen und voller Vorfreude die Schachtel öffnen würde, und da wäre der tote Eddi drin, hätte sie entweder einen Herzinfarkt bekommen, und ich wäre jetzt Witwer, oder ich wäre tot. Beides tragisch.

Ein Hamster gegen Einsamkeit

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