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Kapitel 5

Zwei auf einen Streich

Anfang Juni 2009

Ich habe ein erstes Date. Genauer gesagt: gleich zwei. Und beide übermorgen.

Doch der Reihe nach: Seit meiner Anmeldung im Partnerportal lächeln mir täglich jede Menge Frauen zu. Virtuell. Abends sitze ich vor dem Rechner, betrachte die Fotos und lächle zurück. Ich studiere ihre Profile und male mir aus, wie sie sein könnten. Was mir auffällt: Mir werden ausnahmslos hübsche Frauen vorgeschlagen. Oder empfinde ich das nur so?

Es ist erstaunlich, wie sich Dinge ändern: Als ich Jugendlicher war, gab es nur sehr wenige Mädchen, die mir gefielen. Später wurden es mehr und heute gibt es nur noch sehr wenige Frauen, die mir nicht gefallen. Zumindest optisch. Doch was mit den Jahren mehr und mehr zählt, sind die inneren Werte. Deshalb wird zwar optisch die Auswahl immer größer, doch sie schrumpft in Wahrheit mit steigender Lebenserfahrung. Ich weiß eben heute ganz genau, was ich nicht will.

Hinzu kommen meine eigenen Macken. Außerdem meine Töchter: Die beiden Mädchen spielen in meinem Leben die erste Geige. Da mache ich keine Kompromisse.

Den Suchfilter der Partnerbörse habe ich meinen Vorstellungen angepasst. Zuerst das Alter: Ich bin 40. Meine Partnerin sollte nicht zu jung sein. Ich entscheide mich für „ab 33 Jahre“. Was sollte ich mit einer Jüngeren anfangen. Gut, kurzzeitig hätte ich da schon Ideen, doch ich möchte mit einer Frau zusammenkommen, die in etwa meine Lebenserfahrung teilt und mit der ich nicht in Diskotheken gehen oder zum Ballermann fliegen muss. Auf der anderen Seite sollte sie nicht sehr viel älter sein als ich. „Bis 43 Jahre“ gebe ich an. Die Größe ist mir egal. Rauchen sollte sie aber nicht und sie sollte nicht allzu weit weg wohnen. Ich gebe einen Radius von 150 Kilometern an.

Das System schlägt mir einige Frauen vor, die meinen Suchkriterien entsprechen. Ich stoße auf Sätze wie „Das Schönste an der Liebe ist, wenn aus zwei Leben ein gemeinsames wird“. Und was schreibe ich in meinem Profil? Von einem duftigen Bett. Wie gut, dass ich den Eierlikör nicht thematisiert habe.

Zwei Frauen fallen mir besonders positiv auf, und das System verspricht: Sie sollen beide super zu mir passen. Ramona ist 35 und Lehrerin, Stephanie 38 und Steuerfachfrau. Beide haben keine Kinder und sind aus der Nähe von Wiesbaden. Ich ertappe mich bei dem Gedanken, dass Stephanie im Hinblick auf meine Steuererklärung echt praktisch wäre und lege deshalb bei ihr noch ein paar Bonuspunkte obendrauf.

Ich schreibe beiden. Beide antworten. Nach ein paar Tagen verabreden wir uns. Zwar getrennt, aber am selben Tag. Das bleibt aber mein Geheimnis. Mit Ramona treffe ich mich um 16 Uhr in Wiesbaden, mit Stephanie um sieben. Das spart Zeit und Fahrtkosten. Immerhin ist Wiesbaden von mir 120 Kilometer entfernt.

Samstagmittag. In drei Stunden treffe ich Ramona. Mein erstes Date seit über 20 Jahren. Ich bin aufgeregt. Was ziehe ich an?

Jeans ist klar.

Doch obenrum?

Erster Versuch: ein Sweatshirt. Oh mein Gott, ich muss auf Diät.

Lieber ein Hemd. Ein weites. Und schwarz, denn Schwarz soll ja schlank machen.

Dann Zweifel: Kommt man zum ersten Date in Schwarz? Das strahlt keine große Lebensfreude aus, also lieber farbenfroh und kariert.

Klein- oder großkariert? Probiere eins an und betrachte mich im Spiegel. Sieht aus wie ein Geschirrhandtuch. Wieso besitze ich solche Hemden?

Nächster Versuch.

Entscheide mich am Ende für ein dunkelblaues Hemd. Damit kannst du definitiv nichts falsch machen, glaube ich zumindest.

Gut zwei Stunden später sitze ich in dem Dating-Café in der Wiesbadener Innenstadt. Ich bin zu früh. Eine Stunde. Ich dachte, die Anreise würde länger dauern. „Pünktlichkeit ist die Höflichkeit der Könige“, hat mir mein Opa immer gepredigt. Daran halte ich mich bis heute. Alle paar Minuten schaue ich auf die Uhr. Ich schiebe meine Kaffeetasse nervös hin und her. Innere Unruhe, frage nicht. „Ramona, zum Abschied sag ich dir goodbye“, singe ich leise. Mir geht der alte Schlager seit Tagen nicht mehr aus dem Kopf. Ich bin zuvor noch nie einer Ramona begegnet. Hoffentlich stimmen ihre Angaben und das Foto ist aktuell. Nicht, dass sie am Ende so alt ist wie der Schlager. Wieder schaue ich auf die Uhr, dann zum Eingang. Ich bestelle noch einen Kaffee. Um kurz nach vier erscheint sie.

Ramona ist am Eingang stehen geblieben und schaut sich um. Sie geht weiter und mir fällt auf: Sie geht nicht, nein, sie schwebt. Und strahlt. Der Raum ist heller, seit sie hereinkam. Sie ist noch viel schöner als auf dem Foto. Langes blondes Haar, blaue Augen, volle, rote Lippen und eine tolle Figur, die durch ihre enge Jeans bemerkenswert betont wird. Mit offenem Mund winke ich ihr zu. Sie lächelt mich an und gleitet an meinen Tisch. Ich stehe auf und begrüße sie überschwänglich mit „Hallo, schön dich zu sehen. Gut siehst du aus.“ Sie lächelt mich an: „Du auch.“ Sie setzt sich. Ich stehe immer noch wie versteinert da, kann mich kaum rühren. „Willst du stehen bleiben?“, fragt sie. „Nein, nein“, antworte ich und lasse mich in meinen Stuhl plumpsen. Ramona bestellt sich einen Latte Macchiato, ich noch einen Kaffee.

Ich trinke keinen Latte. Damit habe ich mir schon einmal alles verbrannt. Zuerst die Finger, dann den Rest. Heißer Kaffee mit Strohhalm, vergiss es. Damit kannst du dir die Brandblasen direkt auf die Zunge saugen.

Ramona schaut mir tief in die Augen und spielt mit ihrem Finger am Strohhalm. Dann trinkt sie genüsslich, leckt sich danach über ihre vollen Lippen und lächelt verführerisch. Sie erzählt von ihren Erfahrungen beim Daten, von ihrer letzten Partnerschaft und wie es auseinanderging. Auch ihr Beruf ist ein Thema und wie anstrengend Kinder heutzutage sein können. Ich erzähle ihr von meinen Töchtern, meinem Leben, von der Zauberkunst und wie ich als Kind durch das YPS-Heft dazu kam. Dann zeige ich ihr voller Freude einen kleinen Zaubertrick.

Die Zeit vergeht wie im Flug. Ein Knistern liegt in der Luft. Bis eben, bis zu dem Augenblick als ich auf die Uhr schaue und vollkommen entspannt und unbedacht zu ihr sage: „Oh, schon so spät. Ich muss los. Ich habe um sieben mein zweites Date mit Stephanie, die ist auch aus der Nähe von Wiesbaden, und wir treffen uns gleich hier im Bistro um die Ecke.“ Stille. Dann: schlagartig Sonnenfinsternis. Frage nicht! Kein Strahlen mehr, kein Lächeln. Erinnerst du dich an die Szene im Film „Herr der Ringe“, als sich um Gandalf der Raum verfinstert und er mit teuflischer Stimme zu Bilbo spricht. Genauso war es. Eine Beerdigung mit Gewitter und Hagelschauer ist nichts dagegen.

Dann fällt mir auf: Ramonas Haar ist auf einmal nicht mehr so blond, das Strahlen um sie herum verschwunden. Ihre Nase krumm, ihre Lippen schmal und blass, die Stimme schrill und ihr Blick will mich töten. Nein, nicht ihr Blick. Sie. Sie will mich töten!

Meine Erklärungen von wegen Fahrtkosten sparen und praktisch und Nachhaltigkeit und Umweltschutz machen es nicht besser. Sie steht auf, dreht sich um und stampft aus dem Lokal. Ohne ein Tschüss, ohne ein Adieu, ohne alles. Ihr Zauber ist schlagartig verschwunden. Ich schaue ihr nach und bemerke auf einmal, dass ihre Jeans viel zu eng ist. Definitiv viel zu eng.

Auch ich will mich auf den Weg machen, doch mein Körper hat auf Ramona reagiert. Schweißflecken, riesige Schweißflecken. Frage nicht. Das dunkelblaue Hemd. Ein Fehler. Ein ganz großer Fehler. Was mach ich nur? Toilette! Hoffentlich gibt es dort einen Händetrockner.

Ich öffne die Tür und bin erleichtert: Sie haben einen. Und was für einen. Einen Turbotrockner, der das Wasser regelrecht von den Händen peitscht und mich irgendwie an meinen Dampfstrahler erinnert.

Einziger Nachteil: Die schmale Öffnung, durch die ich mein Hemd zu dem Luftstrom bringen muss. Ich kämpfe gegen die Düsen an und singe dabei „Ramona, zum Abschied sag ich dir goodbye“. Die Hemdsärmel wirbeln dabei nach oben, der Rest des Hemdes flattert kreuz und quer. Ich muss lachen. Was für eine Frau. Was für ein Temperament. Der Wahnsinn. Lehrerin ist sie. Gottseidank nicht meine!

Ein paar Minuten später komme ich in das Bistro um die Ecke. Dort wartet bereits die nächste Überraschung: Die Frau, die mir zuwinkt, hat überhaupt keine Ähnlichkeit mit der Frau aus dem Internet. Entweder lockt mich gerade eine Fremde an ihren Tisch oder ich habe ein Date mit einem Gestaltwandler.

„Hallo, bist du die Stephanie?“, frage ich zögernd. „Ja klar, wer sonst. Und du der Dirk. Du siehst ja genauso aus wie auf deinem Foto“, sagt sie und wirkt überrascht. „Du siehst anders aus“, sage ich. „Ja, ja, das Foto ist schon ein paar Jahre alt, ich hatte kein besseres“, sagt sie und lacht. Sie ist nett und trotz des Täuschungsmanövers sympathisch. Dass ich gerade von einem Date komme, verschweige ich lieber.

Wir kommen ins Plaudern und ich mehr und mehr in die Bredouille. Ich erzähle ihr von meinen Töchtern, von meinem Leben und von der Zauberkunst und wie ich als Kind durch das YPS-Heft dazu kam. Stephanie will alles wissen und stellt eine Frage nach der anderen.

Das Schlimme dabei: Ich habe ständig das Gefühl, alles gerade schon einmal erzählt zu haben. Ein echtes Déjà-vu. Vor beinahe jedem Satz frage ich mich, ob ich darüber gerade eben oder vorhin mit Ramona gesprochen habe. Vielleicht habe ich ja einiges bereits doppelt erzählt und Stephanie bleibt höflich und sagt nichts. Vielleicht schmiedet sie aber schon Fluchtpläne, überlegt wie sie dem Irren entkommen kann.

Pustekuchen. Stattdessen weitere Fragen. Ich bin erschöpft, bin müde, will nichts mehr erzählen, will nachhause, will schlafen. Einfach nur schlafen. Ich sehne mich nach meinem Bett, nach meinem duftigen Bett. Nach Ruhe. Nach himmlischer Ruhe. Ich ganz für mich. Keine Fragen mehr. Bitte! Doch Stephanie bohrt weiter, will noch mehr wissen. Am Ende muss ich ihr sogar noch einen Zaubertrick zeigen. Um kurz nach halb zwölf verabschiede ich mich und fahre völlig erschöpft nachhause.

Stephanie und ich haben uns noch ein paar Mal geschrieben und auch telefoniert, doch getroffen haben wir uns nicht wieder. Es hat irgendwie nicht gepasst. Wenn ich heute an unser Date denke, muss ich lachen. Und wenn Stephanie das hier liest, sie hoffentlich auch.

Ein Hamster gegen Einsamkeit

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