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Kapitel 3

Tag der Entscheidung

April 2009

Ich bin krank. Ich sterbe. Jetzt.

Zumindest habe ich eine Vorstellung davon, wie es sich anfühlen könnte, wenn es so weit ist. Gliederschmerzen, Husten, Fieber. Ich liege im Bett, schwitze und friere im Wechsel. Schüttelfrost. Es ist die Hölle.

Mir wird bewusst, wie allein man ist, wenn man allein ist. Wenn du als Kind krank im Bett liegst, umsorgen dich die Eltern. Die Mutter kocht Tee, macht dir ein Süppchen und Wadenwickel. Später übernimmt das deine Frau. Und jetzt: Koche ich mir das Süppchen selbst. Mit letzter Kraft. Was ist, wenn ich jetzt sterbe, geht mir durch den Kopf. Ich schlafe ein und träume von meinem Ende und der Schlagzeile: „Der einsame Tod des Dirk O.“. Darunter eine Notiz über die Leiche, die wochenlang in der Wohnung lag, und der Kommentar des Nachbarn, der wenig über mich sagen kann, der jedoch als Erster die vielen Fliegen bemerkte und den Geruch, der ins Treppenhaus waberte. Dann meine Wohnung in RTL 2 und in der Bild. Schweißgebadet wache ich auf.

Zwei Wochen später bin ich wieder gesund und mein Freund Patrick überredet mich, mit ihm in die Sauna zu gehen. „Das stärkt deine Abwehrkräfte. Außerdem sind dort immer jede Menge Frauen. Vielleicht lernst du ja eine kennen.“

„Ja klar, in der Sauna“, sage ich. „Wir gehen schon in eine normale Sauna und nicht in den Sauna-Club Gabi?“ Wir lachen. Auf meinen Hinweis, dass ich so schon genügend schwitze und deshalb noch nie in der Sauna war, beruhigt er mich: „Das wird dir gefallen. Du musst auch nichts können. Außer sitzen und schwitzen. Den Rest erklär ich dir dann.“ Ich vertraue ihm, schließlich ist er in Sachen Sauna ein echter Profi. Einmal die Woche macht er das, direkt nach dem Sport. Das Fitness-Studio, in dem er trainiert, hat nämlich auch einen großen Wellnessbereich.

Ich treibe keinen Sport. Da bin ich konsequent. Entweder ganz oder gar nicht, lautet meine Devise. Beim Sport habe ich mich für Letzteres entschieden. Gegen körperliche Anstrengung habe ich grundsätzlich nichts. Ich gehe wandern. Regelmäßig. Das war‘s aber auch schon. Mit Sport hatte ich nie was am Hut. Das fing schon in der Schule an. Den Sportunterricht habe ich gehasst. Hasste Boden- und Geräteturnen, die Leichtathletik und den Völkerball. Und den ganz besonders.

Zurück zur Sauna: Patrick hatte mich tatsächlich überredet, mit ihm dorthin zu gehen. Wir fuhren zu seinem Fitnessclub, und ich durfte als Gast mit rein. Nachdem er mir die Regeln erklärt hatte, ging‘s los. Da ich weder Nudist bin noch Swingerclubs besuche, war es für mich die erste Begegnung mit so vielen Nackten. Um mich herum gut 20 Männer und Frauen. Mein erster Eindruck: alle sportlich. Alle nackt. Alle interessant.

Als Mann schaust du nämlich nicht nur bei den Frauen genauer hin und studierst die weiblichen Rundungen. Auch die unterschiedlichen Dödel vergleichst du mit deinem eigenen. Dabei stellst du fest: Das männliche Geschlechtsteil ist kein schöner Anblick. Hier hätte Gott sich ruhig etwas Besseres einfallen lassen können. Was er sich dabei bloß gedacht hat? Ich habe da so meine eigene Theorie: Er muss sich bei den Frauen vollkommen verausgabt haben und knetete uns Männern danach mit allerletzter Kraft dieses Würstchen.

Ich sehe mich weiter um und mir fällt auf: Ich bin der einzige Unsportliche, alle anderen sind durchtrainiert. Ob es daran liegt, dass die Sauna zu einem Fitnessstudio gehört, weiß ich nicht. Ich habe ja keinen Vergleich. Was mir außerdem auffällt: Alle sind gebräunt und tätowiert. Einige haben sogar Schmuck untenrum. Und mittendrin ich. Der Exot, käseweiß, Speckbauch und kein einziges Tattoo.

Fasziniert bin ich aber noch von einer ganz anderen Sache: der Schambehaarung. Um mich herum sind sie entweder komplett rasiert oder haben ihren Rasen kunstvoll getrimmt. Natur pur ist offenbar nicht mehr in Mode.

Während ich alles genau beobachte und stark schwitzend vor mich hin sinniere, spüre ich auf einmal einen brennenden Schmerz. Mitten im Gesicht. Bei all den Regeln, die ich vorhin beachtet habe, vergaß ich, meine Brille abzusetzen, die nun beinahe glüht. Ich springe auf, drehe mich über mein Handtuch und werfe sie ab. Dabei verbrenne ich mir die Finger, fluche mindestens drei Mal Scheiße und gebe Geräusche wie „au, au, au, uuuuhhhiiii, joooiiuuii“ von mir. Quasi Veitstanz. Schlagartig habe ich die Aufmerksamkeit meiner neuen Sauna-Freunde. Auch die der Damen. Applaus gibt es allerdings keinen, stattdessen Kopfschütteln. In ihren Geschichten bin ich von nun an der Typ, der mit Brille in der Sauna saß und sich beim Spannen den Rüssel verbrannte. Lustig, lustig. Jetzt musst du aber wissen, ich bin stark kurzsichtig und hätte ohne Brille wirklich nichts gesehen. Was echt schade gewesen wäre.

Patrick wollte mich das nächste Mal wieder mitnehmen. Doch ich bin seitdem nie wieder in der Sauna gewesen. Das Kapitel hat sich für mich ein für alle Mal erledigt. Schwitzen konnte ich auch woanders. Und Frauen in der Sauna kennenlernen? Vergiss es. Das ist, wie wenn dir jemand einen Zaubertrick erklärt, bevor er ihn zeigt.

Doch wo konnte ich eine Frau kennenlernen? Wo eine neue Liebe finden? Ich lebe seit Jahren in einem kleinen Dorf in der Südpfalz. Hier ist nichts los, außer einmal im Jahr beim Weinfest, dann steppt der Bär. Doch sind Weinfeste geeignet, die Partnerin fürs Leben an Land zu ziehen?

Vielleicht.

Was gibt es sonst noch?

Partys?

Finden keine mehr statt. In meinem Alter trifft man sich mit anderen Pärchen zum Essen.

Diskotheken?

Dafür bin ich zu alt.

Kneipen?

Ungeeignet.

Internet? Partnerbörse?

Ja klar, wo sonst!

Ich fasse noch am Abend nach meinem ersten Saunabesuch einen Entschluss: Ich werde mich morgen zur Partnersuche im Internet anmelden.

Ein Hamster gegen Einsamkeit

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