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1Chronische Elternkonflikte: Der familiäre Kontext

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Als Frau und Herr B. sich vor etwa 15 Jahren kennenlernten, erlebten sie etwas, das sie noch immer als »Liebe auf den ersten Blick« bezeichnen. In den ersten fünf Jahren waren sie glücklich miteinander, bis das Baby Rahul geboren wurde. Schwangerschaft und Geburt waren sehr schwierig, und Rahul war ein ziemlich anstrengender Säugling. Herr B. hatte eine sehr anspruchsvolle berufliche Position und arbeitete oft lange. Frau B., die früher einmal eine Vollzeitstelle in einer Apotheke gehabt hatte, blieb nun bei dem Baby zu Hause. Beide Eltern waren gestresst und erschöpft und verwickelten sich in Streitigkeiten wegen der Kindesbetreuung, wegen unterschiedlicher Erwartungen und kultureller Gepflogenheiten, wegen der Rolle der beidseitigen Schwiegereltern sowie wegen anderer Dinge. Als zwei Jahre später das zweite Kind, Marina, geboren wurde, befand sich die Beziehung der Eltern in einer tiefen Krise, wie sie sie noch nie erlebt hatten. Frau B. hatte das Gefühl, ihr Mann sei nicht der stets hilfsbereite Vater, der zu sein er ihr versprochen hatte. Er war nur selten zu Hause, und wenn, war er meist gestresst und verhielt sich, als wolle er jeden Schritt seiner Frau und der Kinder kontrollieren. Seiner Frau gegenüber ließ er nur wenig Zuneigung erkennen, und er würdigte auch kaum ihre Arbeit im Heim der Familie. Sie vermutete, er habe eine außereheliche Affäre, doch das stritt er vehement ab. Herr B. seinerseits hatte das Gefühl, das Leben im Heim seiner Familie werde von seiner Schwiegermutter bestimmt, die sich in der Nähe eine Wohnung gesucht hatte und fast täglich auftauchte. Frau B. und ihre Mutter kritisierten ihn oft und bezogen ihn in wichtige Entscheidungen fast nie ein. Deshalb fühlte er sich ausgegrenzt, als würde seine Rolle als Vater seiner Kinder unterminiert, als blieben seine Ansichten und Meinungen ungehört und als wollten die Kinder des Paars nur Kontakt zu ihrer Mutter.

Die Atmosphäre in der Familie wurde immer angespannter, und es kam täglich zu Streitigkeiten; das passierte zunächst nur, wenn die Kinder nicht anwesend waren oder schliefen, doch später fanden die Auseinandersetzungen zunehmend auch vor den Kindern statt. Schon bald häuften sich bei Rahul Wutausbrüche, und Marina bekam Probleme mit dem Essen und litt unter Schlafstörungen. Die Beziehung der Eltern verschlechterte sich immer weiter. Rahul war drei Jahre alt und Marina noch nicht einmal ein Jahr, als Herr B. sich entschloss, aus dem Haushalt der Familie auszuziehen. Er fühlte sich von seiner Frau nicht mehr respektiert und glaubte, ihm werde »verboten«, der Vater zu sein, der er sein wolle. Frau B. hingegen fühlte sich von ihrem Mann verlassen und sah in seiner Entscheidung auszuziehen einen Beweis dafür, dass er sich seiner Familie nicht wirklich verpflichtet fühle. Das Paar vereinbarte, dass Herr B. die Kinder jedes zweite Wochenende zu sich nehmen solle und dass sie außerdem in der Wochenmitte einmal bei ihm übernachten dürften. Frau B. erklärte, sie wolle die Beziehung der Kinder zu ihrem Vater erhalten, machte sich aber andererseits Sorgen wegen seiner mangelnden Erfahrung im fürsorglichen Umgang mit ihnen. Jedes Mal wenn die Kinder von einem Besuch bei ihrem Vater zurückkamen, hatte die Mutter das Gefühl, sie kämen nicht zur Ruhe, und in den folgenden Tagen sei es schwieriger, mit ihnen zurechtzukommen. Nach zwei Monaten erklärte Frau B., sie könne nicht zulassen, dass Marina weiter bei ihrem Vater übernachte, wogegen er erfolglos protestierte. Rahul besuchte den Vater nun allein, sagte aber, er vermisse seine Schwester und seine Mutter. Drei Monate später weigerte er sich, das Wochenende bei seinem Vater zu verbringen. Er wollte sich nicht auf den Besuch vorbereiten und verhielt sich der Mutter gegenüber sehr anklammernd. Er sagte: »Papa ist mürrisch, und er brüllt.« Frau B. rief ihren Mann an und sagte, sie habe »buchstäblich alles« versucht, um Rahul dazu zu bringen, seinen Vater zu besuchen, aber er weigere sich.

In den folgenden vier Monaten sah Herr B. keines seiner Kinder, obwohl er an jedem zweiten Wochenende mit seiner telefonierte, um die Übergabe der Kinder abzusprechen; doch Frau B. erklärte jedes Mal: »Ich habe alles versucht, aber Rahul will dich nicht sehen. Er ist jetzt so alt, dass ich ihn nicht mehr zwingen kann, dich zu besuchen.« Herr B. reagierte zunehmend frustriert darauf, dass die Mutter nicht mehr tat, um seine Beziehung zu ihren gemeinsamen Kindern zu fördern. Er sprach mit Freunden der Familie über seine Sorgen, die daraufhin mit Frau B. redeten und ihr vorwarfen, sie versuche, Herrn B. mithilfe der Kinder dafür zu bestrafen, dass er seine Familie verlassen habe. Im Beisein der Kinder kam es zwischen den Eltern auf der Straße zu hitzigen Auseinandersetzungen, und in einer dieser Situationen rief ein Nachbar die Polizei hinzu. Frau B. erklärte, sie erlebe Herrn B. als verärgert und kontrollbesessen – als tyrannisch –, und die Kinder interessierten ihn im Grunde nicht. Herr B. hingegen erklärte, Frau B. »entfremde« ihm die Kinder absichtlich. Er engagierte einen Anwalt, und zwischen diesem und dem Anwalt seiner Frau entwickelte sich ein immer feindseliger werdender Schriftverkehr. Einige Monate später landete der Streitfall vor Gericht, und unabhängige Sozialarbeiter und andere professionelle Helfer wurden einbezogen. Als Rahul acht Jahre alt war, hatten schon zehn Gerichtstermine stattgefunden, und mehrmals hatten Richter angeordnet, dass die beiden Kinder Zeit bei ihrem Vater verbringen sollten – aber dies passierte einfach nicht. Als das Gericht der Familie schließlich die Auflage machte, unsere Klinik aufzusuchen, hatten beide Kinder ihren Vater seit vier Jahren nicht gesehen und auch nicht mit ihm gesprochen. Rahul sagte, er »hasse« seinen Vater, weil er »mich und meine Mama anbrüllt«, und Marina schien keinerlei Interesse an ihrem Vater zu haben.

Kinder im Kreuzfeuer

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