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1.1Hochstrittige Eltern und resultierende Familiendynamiken

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Die Familie wird oft als sicherer Hafen bezeichnet. Sie kann aber auch ein gewaltiges Schlachtfeld sein oder dazu werden. Nach Schätzungen enden in den USA und in Großbritannien über 40 % aller Ehen mit einer Scheidung, und in vielen europäischen Ländern scheint es sich ähnlich zu verhalten (OECD 2018). Die Anzahl der minderjährigen Scheidungskinder in Deutschland ist in den letzten Jahren zwar gesunken, aber immerhin gab es 2019 mehr als 122 000 (Statista 2020).2 Etwa zehn Prozent aller Scheidungsfälle sind mit sehr starken Konflikten verbunden (Bream a. Buchanan 2003). Konflikte zwischen Eltern nach der Trennung führen häufig zu Auseinandersetzungen über das Umgangs- und Sorgerecht: zu schwerwiegenden Meinungsverschiedenheiten darüber, wer das alleinige Sorgerecht für die Kinder erhalten soll, wo und bei wem die Kinder leben sollen und wie viel direkten (persönlichen) und indirekten (z. B. telefonischen oder brieflichen) Umgangskontakt sie mit einem oder beiden Elternteilen haben sollen. Solche Meinungsverschiedenheiten und Konflikte greifen oft auch auf die erweiterte Familie sowie auf Freunde und berufliche Netzwerke über. In Szenarien dieser Art können Kinder emotionalen Schaden erleiden, weil sie dem problematischen Konfliktmanagement der Eltern und deren Unfähigkeit, sich zu einigen, schutzlos ausgesetzt sind.

Die meisten Eltern, die sich trennen, sind in der Lage, sich vorrangig um das Wohl ihrer Kinder zu kümmern und sie vor ihrer eigenen Verbitterung über den Expartner zu schützen. Sie tun alles, um ihre Kinder zu unterstützen, eine Beziehung zu beiden Eltern und deren erweiterten Familien- und Freundeskreisen aufrechtzuerhalten. Es gibt allerdings auch Eltern, denen es unmöglich erscheint, von ihren eigenen Konflikten abzusehen – was dann, wie in unserem Beispielfall, dazu führt, dass die Kinder Schritt für Schritt in den elterlichen Konflikt hineingezogen werden und oft am Ende für eine Seite Partei ergreifen. Weil starke Gefühle und noch stärkere Reaktionen bestehende Konflikte noch stärker anfachen, sammeln sich Freunde und Mitglieder der erweiterten Familien um die Partner und unterstützen die eine oder die andere Partei, und es ist nur eine Frage der Zeit, bis in solche Konflikte Anwälte und professionelle Helfer einbezogen werden. Die Ausweitung solcher Auseinandersetzungen auf das Rechtssystem kann derartige Situationen noch weiter polarisieren und verschärfen. Die Aufmerksamkeit der beteiligten Erwachsenen ist dann zunehmend darauf gerichtet, den »Fall« zu gewinnen, und die Leidtragenden sind fast immer die Kinder, deren komplexe Emotionen und Loyalitätsprobleme nicht mehr angemessen berücksichtigt werden, weil zwischen ihren Eltern und den Angehörigen des erweiterten Systems ein stark von Emotionen geprägter Krieg tobt, an dem auch Freunde und manchmal sogar professionelle Helfer parteiisch beteiligt sein können.

Wenn Elternpaare sich trennen oder sich scheiden lassen, haben manche schon seit Langem Partnerschaftsprobleme, und dabei spielen auch vor der Trennung oder Scheidung meist Mitglieder der jeweiligen Ursprungsfamilien eine Rolle. Solche Streitigkeiten können sich über viele Jahre hinziehen, in deren Verlauf die Erzählungen der beteiligten Erwachsenen, oft unter dem Einfluss langwieriger juristischer Auseinandersetzungen, immer starrer werden (Blow a. Daniel 2002; Gorell Barnes 2005). Kinder sind sich der langjährigen Verbitterung ihrer Eltern und deren Streitigkeiten in der Regel sehr wohl bewusst, auch wenn die Eltern beteuern mögen, dafür zu sorgen, dass die Kinder nicht damit konfrontiert würden. Werden die Kinder – direkt oder indirekt – in die Auseinandersetzungen der Eltern verwickelt, geraten sie in Loyalitätskonflikte, die bei ihnen das Gefühl hervorrufen, sie müssten sich einen festen Standpunkt zu eigen machen, indem sie beispielsweise für einen Elternteil gegen den anderen Partei ergreifen. Leben Eltern nach der Trennung in separaten Wohnungen, beginnen die Kinder oft, zunehmend den Elternteil zu idealisieren, bei dem sie leben, manchmal allerdings auch den anderen Elternteil. In vielen Fällen läuft der Elternteil, bei dem die Kinder nicht regulär wohnen, Gefahr, marginalisiert zu werden, und manchmal wird er sogar aktiv verleumdet oder dämonisiert. Wird dann nicht bewusst gegengesteuert oder wird der Zustand absichtlich oder unabsichtlich verstärkt und gefördert, kann er das Geschehen in der Familie über Gebühr belasten. Manchmal werfen Kinder dem ihnen ferner stehenden oder häufiger abwesenden Elternteil frühere schlechte Behandlung vor, wozu sie auf angebliche Situationen von Vernachlässigung, Missbrauch oder Misshandlung verweisen, was der Elternteil, bei dem sie wohnen, dann nutzt, um den Kontakt zum früheren Partner einzuschränken oder völlig zu unterbinden oder um durchzusetzen, dass fortan jeder Kontakt unter amtlicher Aufsicht stattfindet.

Der elterliche Trennungsprozess ist oft eine schwierige Übergangssituation, die eine Umstrukturierung und Anpassung innerhalb der Familie erforderlich macht; in dieser Situation verstricken sich Eltern nicht selten in juristische Auseinandersetzungen, weil sie ihre Identität wahren wollen oder weil sie ihre bisherige Rolle oder Position innerhalb der Familie gefährdet sehen (Gorell Bernes 2017). Sie hegen dann oft die Erwartung, dass die rechtlichen Klärungsversuche ihre komplexen Emotionen, die den früheren Partner betreffen, lindern werden (Trinder et al. 2008). Hat außerdem ein ehemaliger Partner oder haben beide neue Partner gefunden, können sich weitere komplexe Dynamiken entfalten, welche die Beziehungen der Kinder zu einem Elternteil oder zu beiden Eltern negativ beeinflussen. Wie Kinder mit der Trennung ihrer Eltern kurz- wie auch langfristig fertigwerden, hängt stark von Fähigkeit und Bereitschaft der Eltern ab, ihre Kinder trotz der Trennung weiterhin gemeinsam zu betreuen.

Kinder im Kreuzfeuer

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