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Kapitel 15

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Drei Stunden Weinen. Meine Augen sind blutunterlaufen und schwer und geschwollen. Ich dachte, ich hätte keine Tränen mehr zu weinen, aber es sind noch Sturzbäche geflossen. Meine Kehle ist noch wie zugeschnürt. Mein Hals tut weh vom Schluchzen. Das Salz brennt auf meiner Oberlippe.

Ich habe alle Tränen geweint. Ich schwöre mir, dass, wenn ich aus diesem Bus aussteige, ich mein Leben wieder in die Hand nehme. Ein neues Leben.

Wir passieren das Schild, was unsere baldige Ankunft verkündet: "Berlin". Die schwarzen Buchstaben starren mich vor dem gold-gelben Hintergrund an.

Ich wappne mich.

Wir kurven noch 20 Minuten in dieser zugestopften Stadt umher bis mich die grauen Betonklötze grüßen.

Ich versuche diese hässlichen 70er-Jahre-Bauten nicht mit dem gläsernen -ohnehin auch schon hässlichen- Busbahnhofsgebäude in Hamburg zu vergleichen.

Das ist ein Neuanfang, der zu nichts in Relation steht.

Der Bus kommt zum Stehen. Noch bevor sich die Türen öffnen, stehen die wenigen Passagiere wie aufgereiht im Gang. Niemand möchte die Schande über sich ergehen lassen, der letzte an seinem Gepäck zu sein.

Die Tür öffnet sich und sie rammeln hinaus. Ein Mann tritt der Frau vor ihm in die Fersen, sodass diese stolpert. Sie funkelt ihn und er hebt abwehrend seine Hände.

Der Sturm ist vorbei.

Ich atme tief durch und greife meine Handtasche. Die Sonnenbrille sitzt seit einer viertel Stunde fest auf meiner Nase.

Ich recke mein Kinn und stehe auf. Wortlos stolziere ich an dem Busfahrer vorbei und laufe mit gezielten Schritten an der Meute, die auf ihre Koffer wartet, vorbei, in Richtung U-Bahn.

Ich kann ihre Blicke spüren. Wie tausend kleine Nadelstiche bearbeiten sie meinen Nacken. Würden sie einander kennen, würde mich sicher auch ein Flüstern begleiten. Zu meinem Glück sind sie einander ebenso fremd, wie mir und keiner traut sich, den ersten Schritt auf den anderen zuzugehen, vor allem nicht nachdem man sich drei Stunden lang erfolgreich ignoriert hatte.

Aber ich merke auch wie mich andere Passagiere beäugen. Passagiere, die nichts von den letzten drei Stunden wissen. Und ihre Blicke zeigen Anerkennung, Neid und - die der männlichen Beobachter - Begierde. Zumindest für jene kann ich die Illusion aufrechterhalten. Immerhin trage ich ein schickes Kostüm. Niemand von ihnen weiß, dass ich seit mehreren Tagen nichts anderes getragen habe. Mein Kinn überragt alles, was man leichthin als Arroganz missdeuten - und nicht dem eigentlichen Selbstschutz zuschreiben könnte. Niemand von ihnen weiß, dass die Zielsicherheit nur daher rührt, dass ich in Berlin studiert hatte und daher den Weg vom Busbahnhof zum U-Bahnhof in- und auswendig kenne. Es war nur eine kurze Strecke, die ich damals tausendfach gegangen war - meist voll beladen mit mehr Gepäck als ich eigentlich tragen konnte. Durch die Unterführung, über die Brücke und schon habe ich die erste und meine U-Bahnstation erreicht. Und niemand weiß, dass ich von hier an nicht weiterweiß. Niemand weiß, dass ich in Berlin kein anderes Ziel als die U-Bahnstation, als die Flucht hatte. Aber ich bin außer Reichweite meiner Beobachter und so würde es auch mein Geheimnis bleiben.


Auf der Suche nach Wärme

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