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Irrsinn wird als Meinung akzeptiert

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Dieses Paradoxon ist nicht nur zu beobachten, wenn es um gesundheitliche Themen geht, sondern auch bei anderen wissenschaftlichen Fragestellungen, wie etwa der des Klimawandels. Hier begehen insbesondere die zur Neutralität verpflichteten (oder besser verdammten) öffentlich-rechtlichen Medien einen eminenten Fehler: Sie räumen beiden »Seiten« die gleiche Bedeutung ein und versuchen eine Plattform für einen »fairen« Gedankenaustausch zu bieten. Was erst mal ziemlich gut klingt, ist aber unterm Strich ein riesiges Problem. Denn mit dieser Herangehensweise hieven die zahlreichen TV- oder Radioformate Quacksalber und Dummschwätzer auf eine Stufe mit seriösen Wissenschaftlern. Da sitzt dann ein überzeugter Impfgegner oder Coronaleugner oder ein Leugner des Klimawandels neben einem Experten auf diesem Gebiet und der Kampf ist eröffnet. Das hat in ungefähr das Niveau, als diskutierte ein Grundschüler mit dem Mathelehrer über die Aufgaben der letzten Abiturprüfungen. Aber es ist amüsant – und bringt Quote. Der naturwissenschaftlich unkundige Zuschauer bekommt suggeriert, dass sich zwei Menschen um ein Thema streiten, die beide eine bestimmte Position einnehmen und darüber diskutieren, welche die bessere ist. Das stimmt aber nicht. In politischen Fragen mag das öffentliche Ringen um den besten Weg ein probates, wenn nicht notwendiges Mittel sein. Beim Thema Wissenschaft ist es das nicht! Denn hier geht es nicht darum, alternative Möglichkeiten anzubieten, sondern darum, über den aktuellen Stand des Wissens zu einem bestimmten Thema aufzuklären. Mit der Teilnahme von beispielsweise Impfgegnern an einer Diskussion über das Impfen tut man genau das nicht, sondern gibt vor, es gäbe zwei gleichwertige, alternative Wissensstände. Dabei ist es doch völlig absurd, wenn ein studierter Immunologe mit einem Molkereifachmann diskutieren muss. Auch wenn Letzterer selbstverständlich keinerlei Ahnung von der Materie hat, bekommt der Impfgegner doch die Möglichkeit, andere Laien durch Emotionen von einem hochgefährlichen Irrweg zu überzeugen, der am Ende sogar Leben kosten könnte. Gut gemeint ist hier also nicht gleich gut gemacht. Basierend auf dem Gleichheits- und Ausgewogenheitsprinzip verhelfen verschiedene Medien hier hochgefährlichen Typen zu einer Öffentlichkeit, mit der sie großes Unheil anrichten. Hinzu kommt, dass die Anti-Wissenschafts-Lobbyisten in der Regel ein regelrechtes Medientraining durchlaufen haben. Sie wissen sehr gut, wie sie es schaffen, die Emotionen der Zuschauer für sich zu vereinnahmen, und stellen die oft etwas unbeholfenen Wissenschaftler nicht selten derart bloß, dass die sich dreimal überlegen, ob sie sich noch mal einer solchen völlig sinnlosen Diskussion stellen.

Zu beobachten war das auch während der Corona-Zeit. Immer wieder bekamen Pandemieleugner in den Medien eine Bühne zur Verbreitung ihres Blödsinns. Am Ende müssen also wir alle uns fragen, inwiefern unsere Gewohnheiten, Medien zu konsumieren, denjenigen ein Forum bietet, die es absolut nicht bekommen sollten.

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MYTHOS 2: WADENWICKEL HELFEN GEGEN FIEBER

Die Logik ist eigentlich bestechend: Durch Kühlung der Unterschenkel und der dort befindlichen oberflächlichen Venen wird ein Teil des Blutes gekühlt, das sich in der Folge im gesamten Körper verteilt und das Fieber senkt. Leider entbehrt diese vermeintliche Logik jedweder sinnvollen Physiologie des Fiebers. Denn dabei handelt es sich um einen äußerst komplexen Vorgang, der sich nicht mit ein paar Umschlägen umkehren lässt. Bei der Frage nach der Sinnhaftigkeit von Wadenwickeln sollten wir aber noch einen Schritt weiter vorne beginnen und uns fragen, weshalb wir das Fieber überhaupt senken wollen. Die Aufgabe der Erhöhung der Körpertemperatur ist nicht abschließend geklärt. Dass Fieber dabei hilft, Bakterien und Viren abzutöten, weil deren Organismus die Hitze nicht toleriert, ist mittlerweile revidiert und nicht mehr gültig. Fieber ist ein viel komplexerer Vorgang und entsteht eben nicht nur bei Infektionen, sondern auch bei Tumorerkrankungen, Knochenbrüchen oder anderen Traumata. Hinzu kommt, dass Wissenschaftler bereits in den 1990er-Jahren in einer groß angelegten Beobachtungsstudie3 feststellen konnten, dass die Entwicklung von Fieber bei bestimmten Erkrankungen mit einem erheblichen Überlebensvorteil einhergeht. Dabei untersuchten sie über 700 Patienten, die an einer Blutvergiftung erkrankt waren, und stellten fest, dass die, bei denen das Krankheitsbild mit schwerem Fieber einherging, viel schneller genesen konnten. Es ist also, abgesehen vom Unwohlsein, das mit dem Fieber einhergeht, überhaupt nicht sinnvoll, die Körpertemperatur zu senken.

Gefährlich wird es erst, wenn das Fieber über 42 °C steigt. Dann könnten insbesondere Nervenzellen in Mitleidenschaft gezogen werden. Möchte man die Körpertemperatur senken, so stehen einige Medikamente zur Verfügung, die in die komplexen Kaskaden eingreifen. Beispiele wären Ibuprofen oder Metamizol.

Ernsthafte Gefahren

Verfechter der sogenannten »sanften Medizin« empfehlen aber noch heute Wadenwickel oder, noch schlimmer, das Abtupfen des Körpers mit einem feuchten Schwamm. Einige Pseudomediziner raten, die Umschläge in kaltes Wasser zu tauchen und dann anzulegen, was aus einem ungefährlichen Infekt leicht eine lebensbedrohliche Situation machen kann. Denn hier kommen die Kälte des Wassers und die physikalische Verdunstungskälte zusammen und kühlen den Körper gefährlich runter, was im schlimmsten Fall zu schwerwiegenden Herzrhythmusstörungen führt.

In Studien von 20184 konnte gezeigt werden, dass Wadenwickel keinerlei positiven Einfluss auf die Entwicklung von Fieber im Verlauf einer Erkrankung haben – im Gegenteil! Versucht man, durch äußere Kühlung die Körpertemperatur zu senken, reagiert der Körper darauf mit Schüttelfrost, der klassischen Reaktion, um Fieber zu induzieren. Im schlimmsten Fall steigt das Fieber im weiteren Verlauf nicht trotz, sondern wegen der Wadenwickel weiter an! Insbesondere Kinder und Babys werden durch dieses Auf und Ab ernsthaften Gefahren, wie beispielsweise Störungen der Blutgerinnung, ausgesetzt, die im schlimmsten Fall tödlich enden können. Hören Sie also bitte nicht auf die »sanften« Mediziner und tun Sie Ihrem Kind nichts Derartiges an. Es kann wirklich gefährlich werden!

Der belogene Patient

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