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Paulus’ erste Kontakte mit Christen: Stephanus

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Paulus wurde von seinen Studien so in Beschlag genommen, dass die Botschaft Jesu, der in Galiläa und Judäa zu predigen begonnen hatte, völlig an ihm vorbeiging. Im Jahre 30 war nicht einmal die Nachricht vom Kreuzestod Jesu zu ihm durchgedrungen, zumindest verliert er kein einziges Wort darüber. Wie die meisten anderen Juden war er zu dem Zeitpunkt nicht wirklich an diesem Messias interessiert. Er befasste sich hauptsächlich mit dem Studium der Tora und zog daraus die äußersten Konsequenzen. Paulus’ Verhalten in diesen Tagen lässt sich mit dem moderner ultraorthodoxer jüdischer Glaubensfundamentalisten vergleichen, die aus der westlichen Welt, häufig aus Amerika, nach Jerusalem kommen und sich jüdischer als jüdisch benehmen. Sie vertiefen sich in die alten Schriften und richten ihr Verhalten völlig danach aus. Sie sind unerbittlich, intolerant und nicht bereit, Kompromisse zu schließen. Alles, was nicht mit ihrer Interpretation der von Gott gegebenen Gesetze übereinstimmt, stößt auf heftigen Widerstand. Wird der Sabbat entweiht, ziehen sie lautstark protestierend durch die Straßen. Ihre unerschütterliche Geradlinigkeit prallt oft gegen die großzügigere Interpretation der Tora durch liberalere Juden. In diese Richtung müssen wir denken, wenn wir uns vorzustellen versuchen, wie der Diasporajude Paulus sich in Jerusalem verhielt. Später, nachdem er schon lange den Glauben an Christus angenommen hatte, |55|rühmte er sich, dass er während seiner Suche nach seinem Weg im Judentum in seiner Geradlinigkeit von kaum einem anderen übertroffen wurde und dass er die Gesetze gewissenhaft befolgt hatte.

In den vergangenen Jahrzehnten ist immer wieder vorgebracht worden, es sei fast unmöglich, dass Paulus von der Kreuzigung Jesu nichts mitbekommen habe, da dessen Leidensgeschichte in Jerusalem in aller Munde gewesen sein müsse. Man setzt damit voraus, dass Jesu Hinrichtung das alles beherrschende Gesprächsthema war. Dabei wird jedoch vergessen, dass Jesus am Tag der Vorbereitungen auf das große jüdische Paschafest gekreuzigt wurde. Diese Vorbereitungen werden die Menschen viel mehr beschäftigt haben als der Leidensweg Jesu Christi. Die Hinrichtung Jesu war vor allem für seine Jünger ein Ereignis von großer Bedeutung, doch außerhalb des damals noch kleinen Kreises wurde kaum darüber gesprochen. Juden, die an der strikten Einhaltung des Gesetzes Mose festhielten, betrachteten die christliche Auffassung, der gestorbene und auferstandene Jesus sei der Messias, als subversiv. Sie erwarteten eine kraftvolle Erscheinung und Jesus war in ihren Augen nicht mehr als ein gekreuzigter gescheiterter Unruhestifter. Mit ihrer Botschaft, der Glaube an Jesus sei eine Bedingung, um gerettet zu werden, taten die ersten Christen nichts anderes, als die Grundlage des Gesetzes zu untergraben. Für die meisten Juden waren die Vorstellung von Jesus als dem Messias und die strenge Befolgung des Gesetzes einfach unvereinbar. Die Einhaltung des Gesetzes gehörte für sie zu den Absprachen, die sie mit JHWH getroffen hatten, als er einen Bund mit ihrem Volk schloss.

Während seines Studiums bei den Pharisäern zweifelte Paulus vermutlich nicht daran, dass die Ankunft des Messias noch lange auf sich warten lassen würde. Ob er seine Meinung damals öffentlich vertreten hat, wissen wir nicht, denn Lukas holt ihn erst kurz vor seiner Bekehrung aus der Anonymität. Er lässt ihn in einer vom Anfang bis zum Ende merkwürdigen Erzählung auftreten,29 in der Stephanus die Hauptrolle spielt. Seine Geschichte muss im Kontext des Wachstums der jungen Christengemeinschaft gesehen werden. Die Anzahl der Jünger war schnell gestiegen, und es waren Spannungen zwischen den Hellenisten (zugewanderte griechischsprachige Juden) und den Hebräern (einheimische, aramäisch sprechende Juden) aufgetreten. Der Kernpunkt der Zwistigkeiten war die |56|Benachteiligung der Witwen der Hellenisten. Vermutlich hatten die Kläger das Recht auf ihrer Seite. Die Aktivitäten der Christen spielten sich um die Synagogen herum ab und es ist gut möglich, dass die aramäisch sprechenden autochthonen Juden die griechischsprachigen Frauen bei der Witwenversorgung übergingen. Die Apostel beriefen einen Ausschuss ein, der sich um diese Frage kümmern sollte. Einer dieser „sieben Diakone“ war Stephanus (Apg 6, 1–6).

Dann nimmt Lukas’ Bericht eine wunderliche Wendung. Von der Witwenversorgung ist keine Rede mehr, es geht nur noch um Stephanus als Glaubensverkünder. Er zog durch Jerusalem, predigte und tat Wunder – was längst nicht jedem gefiel. Die sogenannte „Synagoge der Libertiner30 und Kyrenäer und Alexandriner und Leute aus Kilikien und der Provinz Asien“ legten ihm Steine in den Weg (Apg 6, 9). Sie brachten „falsche Zeugen“ bei, die ihn angeblich gegen Mose und Gott lästern gehört hatten. Auf Geheiß der Schriftgelehrten musste Stephanus vor dem Hohen Rat erscheinen.

Als der Hohepriester ihn fragte, ob es wahr sei, dass er gesagt habe, Jesus werde den Tempel zerstören und die Sitten und Gebräuche, die Mose die Juden lehrte, ändern, hielt Stephanus einen Vortrag über Mose und die falsche Sicht auf dessen Taten. Er plädierte für ein freieres Verständnis des Gesetzes Mose. Mit der Kritik am Tempeldienst wird er sich keine Freunde gemacht haben, denn mit seinen dem Buch Jesaja (66, 1–2) entnommenen Worten untergrub er den Glauben an die Tempelrituale:

Der Himmel ist mein Thron und die Erde der Schemel für meine Füße. Was für ein Haus könnt ihr mir bauen?, spricht der Herr. Oder welcher Ort kann mir als Ruhestätte dienen? Hat nicht meine Hand dies alles gemacht? (Apg 7, 49–50)31

Die Rede des Stephanus ist die längste in der Apostelgeschichte. Er schließt seine eindrucksvolle Verteidigung mit einer Anklage gegen seine Richter und Ankläger ab, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig lässt:

Ihr Halsstarrigen, ihr, die ihr euch mit Herz und Ohr immerzu dem Heiligen Geist widersetzt, eure Väter schon und nun auch ihr. Welchen der Propheten haben eure Väter nicht verfolgt? Sie haben die getötet, die die |57|Ankunft des Gerechten geweissagt haben, dessen Verräter und Mörder ihr jetzt geworden seid, ihr, die ihr durch die Anordnung von Engeln das Gesetz empfangen, es aber nicht gehalten habt. (Apg 7, 51–53)

Stephanus ahnte, dass seine Worte den Zorn der Juden nur noch schüren würden. Kurz bevor die Gewalt nicht mehr gezügelt werden konnte und der Beschuldigte gesteinigt wurde (der Verfasser lässt offen, ob es sich bei der Steinigung um eine aus dem Ruder gelaufene Vollstreckung eines Todesurteils oder um eine spontane Lynchaktion der versammelten Meute handelte), rief Stephanus erfüllt vom Heiligen Geist: „Ich sehe den Himmel offen und den Menschensohn zur Rechten Gottes stehen.“ Seine Gegner erhoben ein lautes Geschrei, „stürmten gemeinsam auf ihn los, trieben ihn zur Stadt hinaus und steinigten ihn.“ Seine letzten Worte waren: „Herr, rechne ihnen diese Sünde nicht an!“ (Apg 7, 54–60).

Ganz unvermittelt wird Paulus hier unter seinem jüdischen Namen Saulus in die Geschichte eingeführt. In wenigen Textzeilen wird nicht mehr erzählt, als dass die Steinewerfer ihre Kleider zu Füßen eines „jungen Mannes“32 niederlegten, „der Saulus hieß“. Und wenig später heißt es: „Saulus aber war mit dem Mord einverstanden“ (Apg 7, 57–60; 8, 1). Warum er es war, sagt Lukas nicht, doch er suggeriert, dass Paulus als fanatischer Schriftgelehrter bei dieser Hinrichtung an der Seite der Gegner des Stephanus stand. Paulus lebte in dieser Zeit, wie er selbst später in seinem oben bereits zitierten Brief an die Philipper schrieb, „als Pharisäer nach dem Gesetz“, verfolgte jedoch auch „voll Eifer die Kirche“ (Phil 3, 6). Er war sich der unerbittlichen Härte, die er in dieser Zeit an den Tag gelegt hatte, bewusst, denn in seinem Brief an die Galater lässt er wissen, dass er „die Kirche Gottes [maßlos] verfolgte und zu vernichten suchte“ und sich „mit dem größten Eifer“ für die Überlieferungen seiner Väter einsetzte (Gal 1, 13–14).

Der Verfasser der Apostelgeschichte ließ Paulus sicherlich aus gutem Grund an dieser Stelle in Erscheinung treten. Er wusste, dass er einige Seiten später die große Veränderung im Leben des Christenverfolgers beschreiben würde. Indem er Paulus in die Steinigung einbezog, gab er seiner späteren Bekehrung eine tiefere Bedeutung. Es ist sogar nicht auszuschließen, dass die Umkehr in Paulus’ Leben damit bereits begann. Während der Steinigung des Stephanus hatte er Bewunderung für dessen |58|Standhaftigkeit und Todesverachtung verspürt. Seine Worte hatten ihn berührt, das felsenfeste Gottvertrauen eines Märtyrers im Todeskampf hatte ihm zu denken gegeben. Unmittelbar nach der Steinigung wehrte er diese Gefühle noch ab; er konnte sie sich auch nicht eingestehen, dazu war die Distanz zwischen ihm und dem Märtyrer zu groß. Es wäre unglaubwürdig gewesen, wenn er in dieser Situation eine gewisse Anteilnahme am Leiden eines Christen gezeigt hätte. Um jeden Argwohn von vornherein auszuschließen, machte er sich mit noch größerem Eifer daran, als frommer Jude jeden Aberglauben zu beseitigen. Doch hinter diesem Fanatismus verbarg sich vielleicht ein Zweifel, der immer größer wurde und Paulus schließlich dazu brachte, seine Maske abzulegen.

Paulus

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