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Die Apostelgeschichte

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Lukas wird nicht nur als Autor eines der Evangelien genannt, ihm wird auch ein Text zugeschrieben, der die Entwicklung des Christentums in den Jahren nach Jesu Tod und Auferstehung beschreibt: die Apostelgeschichte. Ohne diese Schrift wüssten wir nicht, wie es den Christen nach Jesu Tod erging. Wir wüssten nichts über die Verbreitung des frühen Christentums in der jüdischen und griechisch-hellenistischen Welt und nichts über den Aufstieg der „Bewegung Christi“ zu einer echten Religion mit vielen Gemeinschaften in der östlichen Hälfte des Römischen Reiches. Der erste Teil der Apostelgeschichte spielt sich in Jerusalem ab, der mittlere in der griechisch-hellenistischen Welt und der letzte Teil in Rom. Auf diese Weise konnte der Verfasser zeigen, wie die „jüdische Sekte“ des Jesu von Nazaret über eine lange Wegstrecke bis ins Zentrum des großen |20|Weltreiches vorgedrungen war. Wir dürfen also froh darüber sein, dass es diese Schrift gibt, und ich werde mich im Folgenden häufig darauf stützen. Doch auch hier ergibt sich das gleiche Problem wie bei den Evangelien: Wir haben kaum andere Quellen. Vieles von dem, was in der Apostelgeschichte steht, ist nirgendwo anders zu finden. Vieles, was wir über Paulus wissen, kennen wir nur aus der Apostelgeschichte, einem Text, der gleichfalls aus christlicher Perspektive geschrieben wurde. Das müssen wir uns immer vor Augen halten, wenn wir das Leben der Apostel rekonstruieren wollen.

Die Apostelgeschichte unterscheidet sich insofern von den Evangelien, als der Verfasser sich nicht nur als Geschichtsschreiber profiliert, sondern sich auch stilistischer Kunstgriffe bedient, die wir aus den griechischhellenistischen Romanen kennen. Passagenweise liest sich die Apostelgeschichte tatsächlich wie ein griechischer Roman. Visionen, Wunderheilungen, Austreibungen, wundersame Fluchten, wütende Menschenmengen, die es auf Paulus abgesehen haben, und eine dramatische Seereise, die letztendlich ein gutes Ende nimmt – das alles kommt darin vor. Die literarische Form diente vor allem dem Zweck, ein breites Publikum in der griechisch-römischen Welt auf das Werk aufmerksam zu machen.

Der Titel Apostelgeschichte datiert aus dem 2. Jahrhundert, er wurde dem zweiten Teil einer zweiteiligen Geschichte des Ursprungs des Christentums gegeben. Der erste Teil dieses Diptychons war das bereits genannte Evangelium nach Lukas. Im frühen 2. Jahrhundert wurden die beiden Bücher voneinander getrennt. Das Evangelium wurde mit den drei Evangelien nach Markus, Matthäus und Johannes zum „Tetraevangelium“ (vierfachen Evangelium) zusammengefügt. Es lag nahe, diese Zuordnung vorzunehmen, zeigt doch das Lukasevangelium Ähnlichkeiten mit den anderen Evangelien, während die Apostelgeschichte „anders“ ist und als ein eigenständiges Werk betrachtet werden muss. Auch die Tatsache, dass beide Werke auf gesonderten Papyrusrollen geschrieben waren, kam der Trennung entgegen.

Wer das Werk geschrieben hat, geht aus der Apostelgeschichte nicht hervor. Die Einleitung, in der der Verfasser sich an einen Vertrauten richtet, lässt nur den Schluss zu, dass er und der Autor des Lukasevangeliums ein und dieselbe Person sind:

|21|Im ersten Buch, lieber Theophilus, habe ich über alles berichtet, was Jesus getan und gelehrt hat, bis zu dem Tag, an dem er (in den Himmel) aufgenommen wurde. Vorher hat er durch den Heiligen Geist den Aposteln, die er sich erwählt hatte, Anweisungen gegeben. (Apg 1, 1–2)

Im späten 2. Jahrhundert wird Lukas, den Paulus in seinen Briefen als seinen Weggefährten bezeichnet,5 zum ersten Mal als Verfasser der Apostelgeschichte genannt. Im Kanon Muratori, einem fragmentarischen Verzeichnis der Schriften des Neuen Testaments, das gegen Ende des 2. Jahrhunderts zusammengestellt wurde, ist zu lesen, dass Lukas „das dritte Buch des Evangeliums“ schrieb, während er Paulus auf seinen Reisen begleitete, dass er Jesus nicht leibhaftig gesehen hatte, und dass er der Verfasser der Apostelgeschichte, der „Acta apostolorum“, war.6 Um dieselbe Zeit wurde der Titel „Acta apostolorum“ auch von den christlichen Autoren Irenäus von Lyon und Clemens von Alexandria verwendet, und seither ist dieser Name in Gebrauch geblieben.7 Die eindeutigste Quelle, die Lukas als den Verfasser der Apostelgeschichte nennt, datiert aus dem 4. Jahrhundert: Laut Eusebius, Bischof von Caesarea und persönlicher Freund Kaiser Konstantins, hatte Lukas, Arzt und Reisegefährte des Paulus, inspiriert von Gott zwei Bücher geschrieben – das Evangelium auf der Grundlage der Zeugnisse anderer und die Apostelgeschichte, in der er festhielt, was er selbst erlebt hatte.8

Es lässt sich nicht genau feststellen, wann Lukas die Apostelgeschichte geschrieben hat. Die Aussage der christlichen Autoren des 2. Jahrhunderts, er habe wiederholt die „Wir-Form“ verwendet, um hervorzuheben, dass er Paulus auf mehreren seiner Reisen begleitete, bringt uns nicht viel weiter. Mal abgesehen von der Tatsache, dass, wie sich noch zeigen wird, diese Form an sich schon Fragen aufwirft, lässt die Beteiligung des Autors an Paulus’ Missionsreisen keine erkennbaren Rückschlüsse auf den Zeitpunkt der Niederschrift seiner Erzählung zu.

Weil im Evangelium nach Lukas auf die Zerstörung Jerusalems durch die Römer im Jahre 70 angespielt wird (21, 20–24), nimmt man an, dass sowohl sein Evangelium als auch die Apostelgeschichte nach diesem Jahr aufgezeichnet wurden. Vergleiche mit Passagen aus den Paulusbriefen zeigen übrigens, dass der Verfasser der Apostelgeschichte die Sammlung dieser Briefe, die uns heute zur Verfügung steht, nicht verwendet hat. |22|Man sollte erwarten, dass Lukas aus seinem Gedächtnis schöpfen konnte, da er sich in Paulus’ Gesellschaft befand, als dieser einige seiner Briefe schrieb. Doch aus seinem ganzen Werk geht hervor, dass er ihn zwar gut kannte, vor allem jedoch als einen eindringlichen Redner, der andere mit kraftvollen Worten von seinen Ansichten zu überzeugen suchte, und nicht als Briefschreiber. Da Paulus’ Briefe erst zu Beginn des 2. Jahrhunderts zu einem Korpus zusammengestellt wurden, muss die Apostelgeschichte vor dem Ende des 1. Jahrhunderts, zwischen 80 und 100, geschrieben worden sein. Aber es ist auch nicht auszuschließen, dass die Apostelgeschichte bereits in den 60er-Jahren verfasst wurde. Der Text endet nämlich ziemlich abrupt mit Paulus’ zweijährigem Aufenthalt in Rom, weshalb er noch zu Paulus’ Lebzeiten geschrieben worden sein könnte, im Jahr 62 oder 63 (siehe S. 294f.).

Eigentlich ist der Titel Apostelgeschichte nicht zutreffend. Die „echten“ Apostel treten nur in den ersten Kapiteln auf. Es gibt eine deutliche Zäsur; im ersten Teil ist der Apostel Petrus die Hauptperson, im zweiten Paulus. Petrus hat lange den von Jesus eingeschlagenen Weg fortgesetzt und sich ausschließlich den Juden zugewandt. In seiner ersten Ansprache (Apg 2, 14) redet er seine Zuhörerschaft mit „Ihr Juden und alle Bewohner von Jerusalem!“ an. Danach spricht er von den „Israeliten“ (Apg 2, 22) und dem „Haus Israel“ (Apg 2, 36). In dieser Phase der Geschichte werden ausschließlich Juden bekehrt. Petrus ist jedoch auch der Erste, der einen Nichtjuden bekehrt: den römischen Hauptmann Kornelius (Apg 10–11). Der Apostel musste sich dafür rechtfertigen, und dies tat er mit Vehemenz. Seine Brüder brachten schließlich nur noch diese Worte hervor: „Gott hat also auch den Heiden die Umkehr zum Leben geschenkt“ (Apg 11, 18). Der Wirkungsbereich der Apostel wird hier ausgedehnt. Die echte Initiative, das Wort Gottes auch Nichtjuden zu verkündigen, geht jedoch nicht von ihnen aus, sondern von einem Außenstehenden, von Paulus. In Kapitel 8 erscheint er, noch unter dem Namen Saulus, als Verfolger der Christen auf der Bildfläche, im folgenden Kapitel wird Paulus dann nach seiner Be rufung zur Hauptperson. Ab Kapitel 13 treten die anderen Apostel nur noch als seine Mitspieler auf.

Paulus ist hier also nicht einfach nur einer der zwölf Apostel, er wird als der „Apostel der Heiden“ präsentiert und seine Reisen stellen das |23|Hauptthema der Apostelgeschichte dar. Die ersten zwölf Kapitel können somit als eine Art Einleitung gelesen werden. Sie behandeln den „Beginn der Kirche“, die Verbreitung der Botschaft unter den Samaritanern9 und den Heiden, den Beginn der Verfolgungen und die Bekehrung des Paulus. Die Kapitel 13–20 beschreiben die drei Missionsreisen des Paulus und die Kontroverse, die zwischen den diversen Strömungen innerhalb der christlichen Gemeinschaft über die Aufnahme von Heiden in ihre Mitte geführt wurde. In den letzten acht Kapiteln (21–28) werden Paulus’ letzte Reise nach Jerusalem beschrieben, seine Festnahme und die Prozesse, schließlich seine Seereise nach Rom und die erste Phase seines Aufenthalts in dieser Stadt.

Lukas und Paulus müssen ein gutes Verhältnis zueinander gehabt haben, denn der Verfasser der Apostelgeschichte zeigt ein mehr als nur sachliches Interesse an Paulus’ Missionsarbeit. Er schreibt einfühlsam über Paulus als Person und setzt sich mit dessen Motivation auseinander, die ihn die Christen zuerst verfolgen und später ihren Glauben fanatisch verkündigen ließ. Paulus seinerseits erwähnt in seinen Briefen auch mehrmals Lukas, ohne übrigens nähere Angaben zu dessen Herkunft zu machen. Aufgrund seiner fundierten Kenntnis des Griechischen dürfen wir annehmen, dass Lukas in dieser Sprache aufgezogen wurde. Vermutlich gehörte er zu den Nichtjuden, die schon in einem frühen Stadium bekehrt wurden und sich wie Paulus für die christliche Sache einsetzten.

Paulus

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