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1.1 Der Kirchenraum – ein Thema der Liturgiewissenschaft

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In nahezu allen Lehr- und Handbüchern der Liturgik wird, in unterschiedlicher Ausführlichkeit, „der gottesdienstliche Raum“ bzw. „der Kirchenbau“ thematisiert. Dabei stehen häufig ein historischer Abriss der Entwicklung des Kirchengebäudes und Aspekte der Gestaltung des Kirchenraums im Vordergrund der Darstellung.

In dem Standardwerk der katholischen Liturgiewissenschaft „Gottesdienst der Kirche“ wird in einem eigenständigen umfassenden Kapitel „Der gottesdienstliche Raum und seine Ausstattung“ behandelt.2 „Der Kirchenraum ist die räumliche Umschließung für die gottesdienstliche Feier“ (366). Jedoch hatte das Gebäude stets eine schlichte Dienstfunktion für die Gemeinde (353). Der Raum soll der Gemeinde eine bergende Hülle bieten (357). Zu der Beschreibung der Dienstfunktion des Raumes tritt hinzu die Erinnerung daran, dass christlicher Gottesdienst von Anfang an in der Regel an einen Raum gebunden war (357). Und noch etwas Weiteres ist für diese Sicht von Kirchengebäude und -raum konstitutiv: Der Gottesdienstraum soll „seine eigene Würde und Ausdruckskraft haben, … in seinem Zeichen- und Symbolcharakter für die überirdische Wirklichkeit der Mysterien, insofern jede Kirche aus Steinen hinweist auf die im Glauben aufzubauende geistige Kirche“ (368). Dem Kirchengebäude bzw. Kirchenraum kommt hier eine eigene Dignität zu, die zwar an die gemeinsame Feier gebunden bleibt, sich aber nicht in deren aktuellem Vollzug erschöpft.

In evangelischen Werken zur Liturgiewissenschaft wurde der Kirchenraum traditionell den „Voraussetzungen für die Gestaltung des Gottesdienstes“ zugerechnet. Ein solches rein funktionales Verständnis prägte auch weithin die entsprechenden Ausführungen. In den zurückliegenden zwei Jahrzehnten hat es in der Sicht von Kirchengebäude und Kirchenraum entscheidende Entwicklungen gegeben, die auch zu neuen Perspektiven geführt haben. In den letzten Jahren des zurückliegenden Jahrhunderts wurde in der evangelischen Liturgik immer klarer wahrgenommen, dass es dabei nicht nur um Voraussetzungen für den Gottesdienst geht, sondern dass der Raum im Gottesdienst selbst stets präsent ist und eine eigene Sprache spricht – neben der Sprache der Musik, der Sprache der Liturgie, der Sprache der Predigt.3 Die Verhältnisbestimmung von liturgischem Handeln und Raumgestalt wurde als eine zentrale Perspektive aufgenommen. So hat die Aufmerksamkeit für die Bedeutung des umgebenden Raums deutlich zugenommen. Diese Entwicklung ist in den jüngsten Veröffentlichungen zur Liturgik nachzulesen.4 Nicht der Raum ist es, der den Gottesdienst ermöglicht, sondern der Gottesdienst ‚schafft sich Raum‘. Der evangelische Liturgiewissenschaftler K.-H. Bieritz sieht wie die ‚Zeit‘ auch den ‚Raum‘ „als ‚Anschauungsform‘ allem Leben – und damit aller Wahrnehmung und allem Handeln – vorgegeben und eingestiftet. Das heißt: Auch ein Gottesdienst, der Anbetung Gottes ‚im Geist und in der Wahrheit‘ (Joh 4, 24) sein will, greift Raum. Er schafft sich – wenn es sein muss, im aktuellen Zugriff – den definierten, umgrenzten und ausgegrenzten Ort, an dem Menschen sich zu gottesdienstlichem Tun versammeln können.“5 Das Verhältnis von ‚Gottesdienst‘ und ‚Kirchenraum‘ wird durch Interdependenz gekennzeichnet; keinesfalls kann der Raum nur als ‚Voraussetzung‘ für die Gottesdienstfeier betrachtet werden.

Die in ihrer Bedeutung neu wahrgenommene Interaktion von Mensch und Raum im Kontext liturgischer Vollzüge, die – wiederentdeckte – Interaktion von Individuum und Raum, von Raum und Individuum6 ermöglicht es, auch außerliturgische In-Gebrauchnahmen von Kirchenräumen verstehend zu beschreiben.

Geheiligte Räume

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