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Kapitel 4

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Als ich wieder aufwachte, ging draußen schon fast die Sonne unter. Ich war zwar ausgeschlafen, ärgerte mich aber dennoch darüber, denn bei einem Jetlag, bei dem man nach Westen reist, hieß es ja, man soll so lange wie möglich wach bleiben. Na ja, ändern konnte ich das nun nicht mehr.

Ich ging in das kleine Badezimmer, spritzte mir etwas Wasser ins Gesicht und richtete meine Haare ein wenig, sodass ich halbwegs präsentabel aussah. Meine Großtante und mein Großonkel saßen vor dem Fernseher, als ich die Treppe hinunterstieg. Barbara schaute auf.

„Hey, da bist du ja. Hast du gut geschlafen?“ Sie lächelte mich an. „Ich habe dir ein bisschen Salat aufgehoben. Und Pommes sind auch noch da. Entschuldigung, wir leben nicht sehr vegetarisch.“

„Klingt doch gut“, sagte ich. Barbara stand auf und ging in die Küche, um die Sachen zu holen.

„Hast du schon einen Plan für die nächste Zeit?“, fragte Barbara, als ich fertig war und ich mich zu meinem Großonkel und meiner Großtante vor den Fernseher gesetzt hatte.

„Irgendwie noch nicht so wirklich“, gestand ich. „Also eigentlich würde ich gerne arbeiten gehen, aber ich weiß noch nicht so wirklich, wie ich das anstellen soll.“

„Du könntest einfach mal in den Cafés und Geschäften fragen. Die Kanadier sind da sehr offen und stellen auch mal spontan junge hübsche Frauen ein.“ Als sie das sagte, merkte ich, wie ich wieder ein klein wenig rot wurde.

„Ja, das kann ich tatsächlich mal probieren“, stimmte ich ihr zu.

„Hast du deiner Mutter überhaupt schon gesagt, dass du angekommen bist?“, fragte mich Barbara nach einem kleinen Moment der Stille.

„Oh, Mist. Das habe ich total vergessen“, fiel es mir wieder ein. „Ich denke, das werde ich wohl eher morgen machen, jetzt ist es in Deutschland zu spät.“

Der Rest des Abends verlief eher schweigend. Auch wenn ich ein wenig wacher war (was mich ein paar Stunden wahrscheinlich wieder einholen würde), wusste ich irgendwie nicht, worüber ich mit meiner Familie reden sollte. Allerdings war mir diese Stille auch irgendwie ein bisschen unbehaglich. Warum redeten Barbara und Jack nicht miteinander? War es wegen mir? Oder hatten sie sich schon alles erzählt, weil sie schon so viel Zeit ihres Lebens miteinander verbracht hatten? Ich wünschte beiden eine Gute Nacht und ging wieder auf mein Zimmer.

Dort setzte ich mich auf mein Bett und holte meinen Laptop heraus. Einer der wenigen, weil wertvollen, Dinge, die ich in mein Handgepäck gepackt hatte. Gleichzeitig konnte ich gar nicht in Kontakt mit der Außenwelt treten, da ich hier natürlich kein Internet hatte und ich wollte auch nicht noch einmal runtergehen und wegen so einer Banalität wie dem WLAN-Schlüssel fragen. Sofern es überhaupt welches gab. Was für ein komisches Gefühl: ich war weit weg von zu Hause und da ich kein Internet hatte, war ich ja fast schon ein wenig abgeschnitten, und trotzdem fühlte ich mich auf eine Weise wie neu geboren, so motiviert, etwas Neues zu beginnen. Ich hatte auf einmal Lust, alles aufzuschreiben, was mir hier passieren würde und da ja so ziemlich alles in meinem Koffer war, begann ich, alles in meinem Computer zu schreiben.

Eine gute halbe Stunde später klappte ich meinen Laptop zu. Was würde die Zeit mir hier bringen? Was würde wohl alles passieren? Ich war etwas aufgeregt aber zugleich auch nervös.

Am nächsten Tag beim Frühstück bot Jack mir an, mich ein wenig herumzufahren, mir die Gegend zu zeigen und dass wir bei ein paar Cafés anhalten könnten, damit ich fragen könnte, ob sie vielleicht eine Aushilfe brauchten. Ich war einverstanden und so machten wir uns nach dem Frühstück sofort auf den Weg. Jack und Barbara wohnten etwas außerhalb vom Stadtzentrum – oder zumindest dem, was ich als Stadtzentrum verstand. Gut, Munster hatte 16.000 Einwohnern, das konnte man einfach nicht mit 2,6 Millionen Einwohnern – und damit der größten Stadt Kanadas – vergleichen. Somit staunte ich nicht schlecht, als Jack mir diese private Stadtrundfahrt anbot und wir unter anderem am CN Tower vorbeifuhren.

You look like you have never seen something like this before“, sagte er.

True“, war meinte Antwort als ich aus dem Staunen nicht mehr herauskam. Ich erklärte ihm, dass ich bislang aus meiner Heimatstadt nicht wirklich herausgekommen war, bis auf die kurze Reise in die USA vielleicht.

I loved Germany but I wanted to go back to Canada.“ Ich nickte verständnisvoll. Jack machte am Straßenrand halt und stellte den Motor ab. „Here is one of our favorite diners. I know the owner since ever. We served together in the army.“

Wir stiegen aus und betraten den Laden. Kaum war die Tür hinter uns wieder zugefallen, kam ein alter Mann aus der Küche. „Jack, how are you doing? Haven‘t seen you for ages“, sagte er lachend und umarmte seinen Freund. Mein Großonkel erwiderte die Umarmung und stellte mich vor. „Ick liebe Deutschland“, sagte er und irgendwie hatte ich das Gefühl, dass war so ein Standardsatz, denn alle Kanadier früher oder später lernten. „My great-niece is looking for a job. Do you need someone here?“, fragte Jack rundheraus. Ich war etwas überrascht von dieser Offenheit. Der Besitzer, der sich als Mick vorstellte, schüttelte den Kopf. „Die Zeiten waren schon mal besser“, sagte er auf Englisch. „Ich meine, ich komme klar, aber so gerne ich auch möchte, ich kann‘s nicht. Sorry.“

„Okay, kennst du jemanden, der eine Aushilfe gut gebrauchen kann?“

„Ich werde mich mal umhören, momentan fällt mir aber niemand ein.“

„Okay, danke.“

„Komm mal wieder vorbei!“, rief Mick uns noch nach, als wir schon fast wieder an der Tür waren. „Ich werde versuchen, es einzurichten“, versprach Jack. „See you.“

Als ich Mick gesehen hatte, ist mir zum ersten Mal bewusst geworden, wie alt mein Großonkel eigentlich war. Ich hatte ihn noch gar nicht genau danach gefragt, aber er sah im Gegensatz zu Mick richtig jung aus.

„Warum macht Mick das alles noch?“, fragte ich Jack.

Because he loves it. He has done this since ever and he doesn‘t want to stop.“

„Hat er keine Frau, keine Kinder?“, bohrte ich weiter.

Lost them“, sagte Jack traurig. „His wife died a few years ago and his only daughter got hit by a car.“

Ich musste schlucken. Das war wirklich traurig.

Wir stiegen wieder zurück ins Auto und hielten noch ein paar Mal an, aber nirgendwo hatten wir Glück. Stillschweigend fuhren wir wieder nach Hause. Vielleicht war ich zu optimistisch und hatte mir die ganze Sache irgendwie einfacher vorgestellt.

Zu Hause erwartete uns Barbara schon freudig. „Und wie ist es gelaufen?“, aber eigentlich sah sie die Antwort schon in unseren Gesichtern.

„Anscheinend braucht gerade keiner eine Aushilfe“, erklärte ich trotzdem.

„Ach komm, das wird schon“, meinte meine Großtante aufmunternd.

„Übrigens kommen Oscar und Julie heute zum Abendessen. Ich habe ihr von dir erzählt und sie freut sich darauf, dich kennenzulernen“, teilte sie uns weiter mit.

Die falsche Ecke der Heide

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