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2.1.5 Arzt-Patient-Interaktion

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Eine weitere Besonderheit stellt die Arzt-Patient-Interaktion dar. Bei jüngeren Patienten, die einen älteren oder gleichaltrigen Arzt aufsuchen, kann sich der Arzt mit der Entwicklungsgeschichte des Patienten besser identifizieren. Meist kennt er ähnliche Probleme oder hat sich selbst schon einmal in vergleichbaren Belastungssituationen befunden. Er kann sie nachempfinden und auf eigene Reaktionsmuster zurückgreifen. Der Arzt fühlt sich daher in seinem ärztlichen Selbstverständnis bestätigt, da er mit dieser Rolle des Ratgebenden seine Sendungsfunktion als Berater und Ratgeber erfüllt.

Bei älteren Patienten, die einen (meist) jüngeren Arzt aufsuchen, wird das ärztliche Selbstverständnis jedoch gefährdet. Das liegt zum einen daran, dass der Patient altersbedingt über eine längere Lebenserfahrung verfügt und sich meist in einem Lebensabschnitt befindet, den der jüngere Arzt noch gar nicht erlebt hat und was dazu führen kann, dass Ängste vor dem eigenen Älterwerden hervorgerufen werden (Heuft et al. 2006; Maercker 2015). Zum anderen führt diese Situation oft zu einer Umkehr der klassischen Übertragungssituation: Der jüngere Arzt kann in dem älteren Patienten eine Eltern- oder Großelternfigur erkennen, mit allen assoziierten Ängsten, Wünschen, Befürchtungen und Konflikten.

So kann beispielsweise ein affektkontrollierter, kommunikativ eher zurückhaltender älterer Patient mit ausgeprägter Selbstdisziplin an den strengen und gefürchteten eigenen Großvater erinnern, der nie gelacht hat und vor dem man sich immer am liebsten verstecken wollte. Hier können durch die Rollenübertragung des Großvaters auf den älteren Patienten unbewusste kindliche Ängste hervorgerufen werden, die dazu verleiten, diesen Patienten möglichst (vor-)schnell wieder aus der Sprechstunde zu entlassen. Diese Suche nach Distanz zu dem Patienten könnte dann psychodynamisch dem kindlichen Wunsch entsprechen, davonzulaufen und sich zu verstecken.

Eine hochbetagte, gehbehinderte Patientin kann allerdings auch sehr positive Erinnerungen an die eigene verstorbene Großmutter hervorrufen, die einem sehr fehlt. Durch die Rollenübertragung der Großmutter auf die hochbetagte Patientin können sehr positive Gefühle wie Zuneigung und emotionale Nähe hervorgerufen werden, die es einem erleichtern, wegen der Patientin auch mal eine Überstunde oder einen Hausbesuch mehr zu machen, oder ihr mehr Zeit in der Sprechstunde einzuräumen.

Umgekehrt kann der ältere Patient in einem jüngeren Arzt auch sich selbst, seinen Sohn oder Enkel sehen und fühlt sich unwillkürlich in einer Sendungsfunktion, die auf der längeren Lebenserfahrung beruht. Diese Übertragung kann dazu führen, dass der betagte Patient durch den jüngeren Arzt an seinen »inkompetenten« Enkel erinnert wird, der seine Ausbildung zum Ärger des Großvaters abgebrochen hat. Durch diese Erinnerung kann es dazu kommen, dass der Patient auch die Kompetenz des jungen Arztes in Frage stellt.

Genauso ist es auch möglich, dass eine jüngere Ärztin die betagte Patientin an ihre früh verstorbene Tochter erinnert und sie dieser dadurch ganz besonders viel Zuneigung entgegenbringt.

Übertragungsphänomene sind nicht zwangsläufig ein Problem, sie sollten nur grundsätzlich berücksichtigt werden und spätestens dann auch angesprochen werden, wenn sich abzeichnet, dass sich aus ihnen eine konflikthafte und belastende Situation für eine oder sogar beide Seiten zu entwickeln droht.

Psychosomatische Grundversorgung in der Geriatrie

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