Читать книгу Brillant ist nur der Tod - Gerhard Nattler - Страница 12

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Kapitel 6

Einige Tage später fiel nur wenigen auf, dass Abdels Stand nicht aufgebaut war. Die Tische blieben zusammengeklappt und standen verwaist an die Laterne gekettet. Er hatte einen lukrativen Auftrag angenommen, der ihn zunächst nach Dakar führte, dann weiter nach Bakel und schließlich mit dem Auto nach Ballou. Er besuchte dort einen Stammesbruder, ebenfalls Muride, der dort eine mittelgroße Erdnussfarm betrieb und sich mit der Reparatur und dem Verkauf gebrauchter Landmaschinen seinen Lebensunterhalt verdiente. Abdel traf ihn bei der Schreibtischarbeit. Kunta war überrascht, seinen alten Spielkameraden wiederzusehen. Nach langen Umarmungen und einem Begrüßungsdrink, der aus kühlem Wasser mit jeder Menge Eis und ein paar Kräutern und grünen Teeblättern bestand und dem Austausch allgemeiner Freundlichkeiten zum Wiedersehen, kam Abdel auf das Geschäft zu sprechen. Das lief gut, wie Kunta voller Stolz mitteilte. In den letzten Jahren war die Nachfrage nach Erdnüssen und deren Öl deutlich gestiegen, wie er stolz verkündete.

»Ich habe gehört, dass du auch direkt nach Frankreich exportierst. Stimmt das?«

»Woher weißt Du das? So lange mache ich es ja noch nicht selbst.«

»Ich bin ja immer von September bis Mai hier unten im Senegal und arbeite bei der Genossenschaft. Daher habe ich gesehen, dass von dir keine Nüsse dabei waren. Wie lange machst du das nun schon?«

»Seit ein paar Jahren. Zwischenzeitlich habe ich die Nüsse immer von Speditionen abholen lassen, weil sie besser bezahlt haben als die Genossenschaft, aber dann habe ich festgestellt, dass diese Leute immer noch den größten Teil des Erlöses für sich einstecken. Jetzt habe ich selbst vier Lastwagen, alte MAN aus Deutschland, aber sie sind zuverlässig. Die Schwachstelle sind die Fahrer.« Er lachte. »Ich hatte mal einen, der ist mit halb leerem Tank losgefahren und prompt stehen geblieben. Wir dachten, er sei unterwegs. Nach drei Tagen kam er zu Fuß hier an. Viel Zeit haben wir gebraucht, den Wagen wieder in Gang zu setzen und die Früchte auszuliefern.«

»Wohin bringst du die Fracht?«

»Fast immer nach Dakar in die Rösterei und in die dortige Raffinerie. Am Ende der Saison, wenn keine neue Ernte ansteht, und die LKW die letzte Fahrt antreten, fahren wir auch direkt über Mauretanien nach Marokko. Dann geht’s direkt auf die Schiffe nach Palermo zu den großen Röstereien. Die bezahlen deutlich höhere Preise. Außerdem spare ich dann einen Haufen Lagerkosten und Gebühren. Mitten in der Ernte lohnt sich die Fahrt nicht. Die Wagen sind hier vor Ort ständig im Einsatz. Auf dem Rückweg nehmen wir auf jedem Wagen Ersatzteile mit für die Werkstatt oder einen kleinen Traktor oder Erntewagen. Da werden ständig alle diese Dinge versteigert. Hier ist die Nachfrage nach guten Occasionen inzwischen recht ordentlich.«

»Gibt es viel Aufenthalt an den Grenzen? Ich meine Kontrollen?«

»Kontrollen schon, aber es dauert nicht lange. Die Wagen sind alle verplombt. Ein wenig Bakschisch sollte man allerdings schon investieren. Dann gibt es kaum Aufenthalt. Was interessiert du dich plötzlich für dies alles? Willst du auch ins Geschäft einsteigen?«

»Nein, nein. Ich will dir keine Konkurrenz machen, wohl aber ein Geschäft. Dazu brauche ich deine Hilfe.«

Kunta war sichtlich verblüfft. »Du legst den weiten Weg zurück, um mich um Hilfe zu bitten? Was kann ich wohl für dich tun?«

Abdel kam direkt auf den Punkt: »Könntest Du mir die Möglichkeit verschaffen, zunächst mal so um die 250 Leute nach Libyen und dann weiter aufs Meer zu befördern? Wir bringen sie dann mit wirklich seetüchtigen Booten nach Italien. Später, wenn wir mehr Erfahrung haben, werden noch weitere folgen.«

»Seetüchtig? Als seetüchtig gilt hier im Moment alles. Die Organisation kauft, was sie kriegen kann. Sie holt die Schlauchboote schon von hier und schafft sie nach Norden, weil dort der Markt für gebrauchte Boote faktisch nicht mehr existiert.«

»Um es noch einmal klar zu machen: wir haben sichere Boote. Wir wollen, dass die Leute in Italien ankommen. Wir brauchen sie dort. Es wird ihnen gut gehen. Es ist für alle Platz genug. Es ist kein Betrug!«

»Ich kann beim besten Willen nicht helfen. Ich habe keinerlei Kontakte mehr zu irgendwelchen Leuten, die diese Karawanen zusammenstellen. Es lohnt sich auch nicht … Mann! Lass mich! Wenn ich dir einen Rat geben darf: lass die Finger davon! Es gibt nur Ärger!« Er wendete sich ab, ging um den Schreibtisch herum, um sich wieder seine Bücher vorzunehmen und seinem Freund eindeutig klarzumachen, dass er kein Wort mehr darüber verlieren wollte.

»Ich komme im Auftrag von Mustafa Baruka, dem Kalifen. Mein Freund, du kennst ihn!«

»Er hat dich geschickt?« Ein zweifelnder Blick.

Abdel zog einen Briefumschlag aus der Tasche. Er zeigte seinem Kollegen das Papier mit dem Siegel seines Auftraggebers.

Abdel erhob sich von seinem Stuhl. »Das kannst du mir bei Allah versprechen? Kein Bluff? Sichere Boote? Keine Sklaven?«

»Ehrlich! Wirklich!«

»Wozu braucht ihr sie dann? Man hört hier immer von Überfüllung und Unterdrückung. Die Nachrichten sind voll davon. Kein vernünftiger Mensch versteht, warum sich überhaupt noch Leute auf den Weg machen und die Strapazen auf sich nehmen, wo doch jeder wissen müsste, dass es keinen Sinn macht und äußerst gefährlich ist.« Er tippte sich an die Stirn. »Die ersten sind schon wieder hierher zurückgekehrt. Teils weil sie aufgegeben haben, teils weil sie zurückgewiesen wurden. Und du willst mir weismachen, dass ihr die Leute gebrauchen könnt?« Er tippte seinem Freund kräftig mit den Fingern der rechten Hand auf die Brust, so dass dieser zurückwich.

»Es gibt bei uns in Italien Leute, Freunde vom Kalifen, die haben in verschiedenen Gegenden, in Genua und in der Nähe von Neapel mit seiner Hilfe viele Wohnungen aus dem Boden gestampft für die Flüchtlinge. Wenn diese jetzt leer stehen, gibt es Untersuchungen, die diese Leute vermeiden wollen. Du weißt, wie schnell es dann Ärger gibt. Es ist immer ein Geben und Nehmen. Das ist in Italien nicht anders als hier. Was ist nun?«

»Mal ganz vorab: sollen die Leute aus dem Senegal sein? Ich meine wegen der Sprache oder der Stämme, bei denen sie untergebracht werden sollen? Oder kommen auch andere in Frage, die Französisch sprechen oder Englisch. Ich meine, wenn es nur um die Leute geht, dann kann ich dir den Tschad empfehlen. Die Leute können zum großen Teil Französisch. Das kannst du ja auch. Das wäre natürlich die einfachste Variante. Dorthin hätte ich auch Beziehungen. Ich könnte dich an Leute verweisen, mit denen ich auf diesem Gebiet schon zusammengearbeitet habe. Sie könnten dir helfen. Dort gibt es auch … nennen wir es mal … eine Art von ›Treffpunkten‹, an denen sich Leute zusammenfinden, die gleiche Interessen haben.«

Das war völlig egal.

»Will sehen, was ich machen kann. Hast du ein paar Tage Zeit? Bist du untergebracht? Du könntest bei mir übernachten, wenn dir ein kleines Zimmer mit einfacher Liege reicht, und dich derweil ein wenig nützlich machen. Ich muss eine schwere Kardanwelle einbauen. Da kann ich einen starken Mann gebrauchen, der mir zur Hand geht.« Er lachte und fühlte Abdels kaum vorhandene Muskeln. »Komm, mein Freund. Ich zeige dir mal meine Werkstatt. Sollen wir eine kleine Fahrt über die Farm machen. Ich würde dir gern alles zeigen.«

»Fein!«

*****

Schon am nächsten Tag kam Kunta mit umfangreichem Material für das Vorhaben. Er breitete den Inhalt des kleinen Koffers auf dem Tisch aus: gut ausgearbeitetes Kartenmaterial mit Randnotizen über Ausweichrouten, eine Liste mit Ansprechpartnern, Telefonnummern, ein Verzeichnis von Bahnhöfen, die intakt waren, sogar Anlaufstellen für Notfälle. Kunta nahm sich einen ganzen Nachmittag Zeit, Abdel in die Geheimisse der interafrikanischen Reisemöglichkeiten einzuweihen. Dabei warf er sich immer wieder eine Erdnuss geschickt in den Mund.

»Du solltest Reiseführer werden, Safaris veranstalten, so wie du dich hier auskennst. Bringt vielleicht mehr ein als die Reparaturen«.

Er breitete die Karte aus. »Du hast zwei Möglichkeiten, vom Sahel aus ans Mittelmeer zu gelangen. Hier im Westen…«, er führte seinen Stift vom Senegal über Mauretanien nach Marokko, »ist die einfachste Route. Da gibt es Straßen, die gut befahrbar sind. Du musst allerdings mit Pass- und Gepäckkontrolle rechnen. Außerdem kommst du nicht nach Libyen. Die Grenze ist dicht. Nomadenwege natürlich ausgenommen.« Er zog die Karte glatt. »Die andere Seite über Ägypten geht auch. Das ist allerdings weiter weg von Italien. Hier mittendurch würde ich nicht empfehlen. Das können nur die Tuaregs. Die kennen sich hier aus, weil sie seit ewigen Zeiten hier ihr Nomadenleben führen. Aber selbst die trauen sich nicht alle durch die Wüste. Sie kennen immer nur einen kleinen Ausschnitt, den sie bereisen. Dann müsstest du mindestens vier Stämme um Hilfe bitten. Und die Leute wissen inzwischen auch, was man mit dem Euro anstellen kann. Diese Tuaregs sind nicht die fleißigsten Leute, aber wem man Geld abnehmen kann, wissen sie.«

Er sah, dass Abdel nicht so recht mit den Tourenvorschlägen zufrieden war. Dann überlegte er eine Weile und machte dann einen Vorschlag, auf den Abdel gewartet hatte.

»Es gibt noch einen inoffiziellen Weg durch den Tschad. Die alte Schmuggler-Route. Es geht langsam, und nicht ganz sicher. Sicher ist nur, dass es vor Ende Oktober nicht geht wegen der auftretenden Regenfälle. Was du dort brauchst, sind mindestens zwanzig Leute, die mit einer Waffe umgehen können.«

»Mir wäre die Westroute am liebsten. Aus dem einfachen Grunde, weil wir noch wertvolle Ware aus Angola aufnehmen müssen … und die durch die Wüste zu transportieren, ist einfach zu heikel. Gibt es etwa keine einzige Möglichkeit, durch die Sahara zu kommen ohne kontrolliert zu werden? Kann ich fasst nicht glauben, bei dem Ansturm an Flüchtlingen, die ohne Pass bei uns ankommen.«

»Wenn die Ware aus Angola wertvoll ist, empfehle ich dir unbedingt einen Acco. Das wolltest du jedoch vermeiden, wie ich gestern verstanden habe. Du hast bei deinem Vorhaben, so wie du es durchführen möchtest, allerdings keine Wahl. Ich rate dringend, dir die Sache noch einmal durch den Kopf gehen zu lassen. Es gibt einige Führer, die sind wirklich gut! Da kenne ich jemanden, einen Tuareg, nicht mehr der Jüngste, aber fit wie ein Nike, nicht billig, aber sehr zuverlässig, sehr diskret. Er kennt alle Schleichwege. Er hat eine Art Schnellstraße für Flüchtlinge entwickelt. Mit Zubringern von allen Seiten und Grenzübergängen für Leute mit individuellen Ansprüchen, wenn es das ist, was du meinst.«

»Genau so!« Diese Auskunft wollte er mit nach Italien nehmen.

»Wie lange wirst du brauchen, bis alles zur Abreise bereitsteht?«

Kunta wog mit dem Kopf hin und her, schürzte die Lippen, rieb sich das Kinn.

»Wie groß und schwer ist die Ware aus Angola?«

»Nicht groß und nicht schwer. Nur teuer!«

»Reicht ein Koffer wie dieser?«

»Wenn er aus Stahl ist…! Am besten mit Kette!«

Kunta überlegte wieder, malte mit seinem Stift auf seiner Schreibtischunterlage. Dann kam die Auskunft:

»Vierzig Tage, incl. Guide und eine Schar Leute. Du solltest mit 15T$ rechnen … alles zusammen.« Er überlegte, wischte sich mit seiner Handfläche einige Male übers Kinn und die Wangen. »30T$ mit Garantie, dass dir niemand die Auswanderer streitig macht. Dann arbeitet er mit einer Mannschaft von sechs bis acht Leuten und bringt Kamele mit und sogar ein Satelliten-Telefon. Der Koffer wäre ständig unter Beobachtung.« Er tippte mit seinem Zeigefinger unter sein Auge. »Du könntest von den Auswanderern im Schnitt drei bis viertausend Dollar einsammeln. Dann machst du bei zweihundert Leuten noch einen guten Reibach.«

»Hier ist meine Nummer. Gib mir über WhatsApp Nachricht, wenn alles fertig ist, … noch besser: eine Woche vorher. Schreibe einfach: ›herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag‹. Dann weiß ich Bescheid.« Ein Händedruck und das Geschäft war besiegelt.

»Noch eins! Wie zahle ich?«

»Cash im Koffer! Die Hälfte zu Anfang, die andere Hälfte bei Erledigung.«

»Ich kann doch nicht fünfzehntausend Dollar im Koffer durch die Wüste schleppen!? Wie stellt der Mann sich das vor?«

»Dafür lass mich nur sorgen. Wenn du mit dem Geld hier ankommst, verwahre ich es für dich und bezahle nach und nach den Verlauf. Mache dir keine Sorgen. Es ist schon immer so gelaufen.«

»Was ist mit dir? Du arbeitest doch nicht für nothing«.

»Das lass nur meine Sorge sein. Ich werde schon zurechtkommen.«

Brillant ist nur der Tod

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