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Kapitel 2

Am Sonntag nach der Messe trafen sie sich vor dem Hauptportal der Kirche.

»Hallo Onkel Antonio«, freute sich Giulio seinen Paten zu sehen.

»Hallo Ihr zwei, ich wünsche einen schönen Sonntag. Wie geht’s? Darf ich euch zu einem Kaffee einladen? Es würde mich freuen.«

Sie bestellten drei eiskalte Kaffee mit Sahne. Giulio bat noch um einen Eisbecher. Der Ober brachte etwas Gebäck dazu. Es war schon recht warm und Onkel Antonio legte sein Jackett über die Stuhllehne. Nach kurzem Einführungsplausch kam der Onkel zur Sache:

»Was macht die Berufswahl? Hast du schon etwas angepackt?«

Giulio hatte schon einiges unternommen. Ein Vorstellungsgespräch hatte er schon absolviert, zwei standen noch aus. Leider keines bei einem Anwalt. Der aktuellen Situation geschuldet, in der neue Steuergesetze bevorstanden, hatte niemand Lust, das Personal aufzustocken. Im Gegenteil. Alle Freiberufler, ob Anwälte, Makler oder Ärzte mit eigener Praxis würden in Zukunft stärker belastet. Durch neue Vorschriften bei der Dokumentation und im Zahlungsverkehr stieg einerseits die Bürokratie an und dadurch die Kosten und andererseits würde es nicht mehr so leicht möglich sein, Gelder am Fiskus vorbei zu schleusen. Das war er schon als Praktikant gewahr geworden. Er konnte nicht so recht verstehen, warum so viele Leute ihre Steuern nicht bezahlen wollten. Die Leute, die hunderttausend Euro verdienten, hatten doch Geld genug, die Steuern zu bezahlen. So hatte er sich dazu durchgerungen, auch in der Industrie nach Möglichkeiten zu suchen. Eine Hotelkette mit angeschlossenen Reisebüros wollte ihn wohl anstellen, aber die Bedingungen hatten so gar nicht seinen Vorstellungen entsprochen. Er solle in San Remo ein »Büro leiten«. In Wirklichkeit war er dort der einzige Mitarbeiter, der Leute an die Hotels vermitteln sollte. Er hatte auch zwei Bewerbungen an große Firmen in Mailand und in Turin geschickt, die allerdings noch nicht geantwortet hatten. Ging ja auch nicht, wie er wohl einsah. Die Zeit war ja bisher zu kurz. Er rechnete mit drei bis vier Wochen.

»Was hältst du davon, wenn ich dir ein Angebot mache? Es wird bestimmt nicht kleinlich ausfallen. Du weißt, dass ich immer auf der Suche nach guten und vertrauenswürdigen Mitarbeitern bin.«

Noch ehe der Junge antworten konnte, wehrte die Mutter rigoros ab.

»Kommt nicht in Frage! Auf gar keinen Fall! In dem Geschäft deines Onkels hast du nichts zu suchen. Das verhindere die Mutter Gottes!«

Giulio war verdutzt. So kannte er seine Mutter nicht. Sie war sonst immer kulant und auf Ausgleich bedacht. So undiplomatisch hatte er sie noch nie erlebt. Auch der Onkel war recht verwundert.

»Aber Mama!?«

»Nein!«

»Warum?«

»Nein!«

»Sieh mal Maria: die Zeiten sind nicht so, dass man sich die Jobs aussuchen kann wie früher. Selbst hier in Ligurien ist das Angebot …«

»Nein! Basta!«

Die Stimmung war leicht gedrückt, man sah sich nach den Leuten um, die das Café passierten und schwieg. Giulio löffelte stumm den Rest von seinem Eisbecher Napoli und gab die Waffel an seine Mutter weiter, weil sie diese so gerne hatte. Nach einer Weile brachte Onkel Antonio das Gespräch wieder in Gang.

»Wie geht es deiner Familie in Frankreich?«, fragte er Maria möglichst unverfänglich. »Wie lange ist es her mit deinem Vater? Drei Jahre?«

»Jetzt genau drei Jahre und einen Monat. Die Zeit vergeht. Er wäre in diesem Jahr neunundachtzig geworden.« Sie griff zu ihrer Handtasche und zog aus der Seite ein Taschentuch hervor, in das sie kurz schnäuzte. Onkel Toni, davon leicht berührt, sah zu, wie der Ober den Nachbartisch polierte und die Stühle wieder ordentlich rückte. Dann fuhr sie fort: »Jetzt ist meine Mutter an Krebs erkrankt. Sie ist in Behandlung, aber sie verträgt die Chemo nicht. Meine Schwester hat mit dem Arzt gesprochen. Er glaubt, sie wird es nicht mehr lange machen. Vielleicht wird sie das Weihnachtsfest nicht mehr erleben.«

»Wenn ich dir irgendwie helfen kann…«, bot Antonio seine Unterstützung an, aber im Moment war diese nicht von Nöten. Alles was für die Mutter wichtig war, bezahlte die Versicherung. Finanziell kamen sie auch gut klar, wie der Onkel wusste. Die eine Schwester war bei der Hafenpolizei in Bandol, die andere in der Verwaltung der Stadt und beide waren gut verheiratet. Der Bruder war ein höherer Beamter beim Zoll in Marseille. Alle beide hatten ein Eigenheim an dem Südhang, der sich hinter der Stadt herzog, mit wunderbarem Blick auf die Cote d'Azur.

Als die Mutter sich kurz entschuldigte und Onkel Antonio bezahlte, wandte er sich vertraulich an seinen Neffen:

»Was hältst du davon, wenn ich dich in dieser Woche einmal besuche. Vielleicht können wir deine Mutter doch noch umstimmen?«

Der Junge war nicht abgeneigt. »Ich würde gerne mit dir zusammenarbeiten, Onkel Toni. Ich mag dich, das weißt du.«

»Ich mag dich auch.«

*****

Es war gegen Abend, als Onkel Toni mit seinem nagelneuen Maserati GranCabrio vorgefahren kam. Giulio kam gerade vom Einkaufen, was er jetzt öfter tat, seit er so viel Freizeit hatte. Diesen unverkennbar röhrenden Motor hätte er auch im Schlaf erkannt. Er war jedoch sehr überrascht, als er seinen Onkel hinterm Steuer erkannte. Statt des üblichen Hutes trug er eine Baseballmütze mit dem Dreizack. Außerdem trug er einen passenden Schal mit eben diesem Logo.

»Na, was hältst du von dem Maschinchen? Gefällt es dir? Super? Es soll 270 Sachen machen. Ich würde gerne mal nach Deutschland fahren, um es auszuprobieren. Kommst du mit?«

Sie lachten.

Das Dach war geöffnet und der Junge bestaunte die noble Einrichtung des roten Cabrios mit den schwarzen Felgen. Das helle Leder fühlte sich edel an. Er streichelte über das Lenkrad. »Mit Schaltwippen? Nice! Griffig!«, stellte er fest. Er lief um den Wagen herum. Er erkannte sofort die Qualität. »Neues Modell! Wunderbar!«

»Wenn du mich die Einkäufe nach oben tragen lässt, könntest du eine Runde mit dem Auto fahren. Ganz nebenbei könntest du mir sogar einen Gefallen tun. Hole meinen Butler vom Flughafen ab. Er landet gegen halb zehn. Du hast Zeit genug. Kennst du Oscar schon? Er ist bei mir seit April, seit Giovanni seinen verdienten Ruhestand genießt.«

Giulio kannte den neuen Mann, aber im Moment konnte er nicht antworten. Er war sprachlos. Natürlich war der Tausch Gemüse gegen Autoschlüssel schnell beschlossen. Er versprach, vorsichtig zu fahren und Oscar gesund zu seiner Villa zu bringen.

»Hier Junge, nimm die Mütze. Ich habe sie von der Firma geschenkt bekommen. Du darfst sie behalten.«

Der Onkel schaute zu, wie sich sein Neffe mit dem Wagen vertraut machte und dann vorsichtig wendete in Richtung Containerhafen. Als er außer Sichtweite war, klopfte er bei seiner Schwägerin an die Tür und trat ein. Im Sommer stand die Tür immer offen. Maria hantierte in der Küche und bereitete einen Pizzateig. Wegen der mehligen Hände konnte sie ihn nur mit einem flüchtigen Küsschen begrüßen. Dabei hielt sie die Hände weit auseinander. Antonio aber nahm sie in seine Arme und drückte sie.

»Das Essen steht fertig. Bitte setz dich. Der Junge kommt auch jeden Moment. Er ist zum Einkaufen. Er müsste eigentlich schon zurück sein. Na, vielleicht hat er noch jemanden getroffen.«

»Der Junge ist unterwegs zum Flughafen. Ich habe die Einkäufe hier in der Tüte. Er wird eine Weile beschäftigt sein, weil der Flug, mit dem Oscar aus Zürich kommt, mindestens eine halbe Stunde Verspätung hat. Ich habe mit Oscar telefoniert, der auf das Boarding wartet. Sie haben dort ein schweres Gewitter und Hagel. Nichts geht dort.«

»Du hast ihn einfach weggeschickt? Er hätte vorher etwas essen sollen.«

»Meine liebe Maria, mache dir keine unnötigen Gedanken. Der Junge ist erwachsen. Wenn er Hunger hat, wird er schon etwas zu essen finden. Ich habe ihm meinen neuen Wagen anvertraut. Was ist dabei? Er freut sich, dass er fahren darf. Ist eben ein Junge. Ich weiß, dass er damit zurecht kommt. Er ist ja auch schon früher mit meinen Autos unterwegs gewesen. Mache dir bitte keine Sorgen.«

Beim Abendessen vermieden sie es, über die Zukunft des Jungen zu reden. Eigentlich war es Maria, die darüber nicht sprechen wollte. Sie erzählte die neuesten Nachrichten aus Bondol.

Sie lag in seinen Armen. »Du, Antonio, … hast du es am Sonntag ernst gemeint mit der Anstellung in deiner Firma?«

»Natürlich. Was spricht dagegen? Er ist tüchtig und vertrauenswürdig, er gehört zur Familie. Solche Leute brauche ich.«

Sie löste sich von ihm und zog sich an. »Ich finde, er ist einer Aufgabe in deinem Betrieb nicht gewachsen. Er ist zu weich. Kannst du ihm nicht zu einer Anstellung in einer anderen Firma verhelfen. Du hast doch Beziehungen zu allen möglichen Leuten. Vielleicht könnte er bei der Stadtverwaltung anfangen.«

»Maria, der Junge ist zu tüchtig für die Stadtverwaltung. Er kann mehr.«

»Bitte!«

Antonio wog den Kopf hin und her.

»Natürlich ist da etwas zu organisieren … für die ersten Jahre jedenfalls. Aber je früher er bei mir einsteigt, desto eher erfüllt er die Voraussetzungen, in der Firma aufzusteigen. Er soll es weit bringen. Ich habe Großes mit ihm vor. Er muss nur wollen.«

»Toni, ich … habe Angst … ich habe Angst, ihn auch zu verlieren«. Sie stand da und man sah ihr die Furcht an. »Die Geschäfte, die du machst, sind gefährlich.«

»Du denkst an Mario?«

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