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Otfried Jarren

Medien- und Öffentlichkeitswandel als fundamentale Herausforderung für Hochschulen und das Wissenschaftssystem

Natürlich: Wenn ein Kommunikationswissenschaftler schreibt, so ist es nicht überraschend, dass er auf die große, die gestiegene Bedeutung von Kommunikation und auf die besondere Relevanz von Wissenschaftskommunikation in allen ihren Facetten aufmerksam macht. Und damit zugleich für das Fach und für entsprechende Ausstattungs- und Forschungsnotwendigkeiten wirbt. Doch: Der Medien- wie Öffentlichkeitswandel findet statt, betrifft somit auch das eigene Fach – vielleicht dieses Fach sogar in besonderer Weise.

«Mediengesellschaft» und «Medialisierung» heißen die Stichworte. Hochschulen wie Wissenschaftsorganisationen bauen ihre entsprechenden Stabsstellen auf und aus, etablieren ganze Abteilungen, differenzieren die für Kommunikation zuständigen Organisationseinheiten nach Kanälen wie Zielgruppen. An einigen Universitäten wird bereits über die Institutionalisierung von dezentralen Kommunikationsabteilungen gesprochen. Warum? Es kommen, auch in kommunikativer Hinsicht, erkennbar weitere Aufgaben auf die Universitäten zu: Outreach-Aktivitäten gewinnen ebenso wie Formen von Citizen Science an Bedeutung. Die Open-Bewegung hat die Universitäten erfasst: Open Access, Open Science. Also noch mehr Kommunikation?

Neben der Pressearbeit, die schon lange eigentlich Medienarbeit ist, sind Studierendenmarketing, Tage der offenen Tür, Science Cafés, Science Slams, Einsatzformen von Social Media, YouTube-Kanäle, Wissenschaftsmagazine gedruckt wie digital im Netz, Veranstaltungen, Messebeteiligungen usw. usf. zum Standardrepertoire geworden.

Und natürlich wird nicht nur gegen außen immer mehr und differenzierter kommuniziert, sondern auch nach innen. Zwar gab es das stets, doch sind die Ansprüche der Mitarbeitenden gestiegen, meint das Führungspersonal. Aber die Hochschulleitungen wollen, zumal wenn sie unternehmerisch unterwegs sind, Führungskommunikation und Leadership. Deshalb wird der interne kommunikative Aufwand erhöht, werden die Kommunikationsrollen auf der akademischen Stufe ausdifferenziert. Es soll nach Möglichkeit strategische Kommunikation im Sinne eines integrativen Ansatzes betrieben werden. Bei so viel externen Anforderungen und steigenden internen Ansprüchen ist der Ruf nach integrierter Kommunikation geradezu zwangsläufig. Aber: Würde das geschehen, wären die Universitäten klar strukturierte und geführte Organisationen. Schluss mit jeglicher Matrix, Schluss mit Selbstverwaltung. Die Universitäten wären in der Unternehmenswelt angekommen. Ziel erreicht? Was aber macht die Institution Universität aus – oder ist die Universität eine x-beliebige Organisation?

Tatsächlich gibt es einen starken Veränderungstrend in der universitären Kommunikation, neu gerne als Hochschulkommunikation bezeichnet, den ich – zugespitzt – soeben dargestellt habe: Über die Vermittlung von besonderen wissenschaftlichen Erkenntnissen und Leistungen und besonderen institutionellen Begebenheiten hinaus, über die man Externe wie Interne gerne orientiert, ist eine nach Binnen- und Außenkommunikation differenzierte Kommunikationspraxis entstanden. Doch: Diese Veränderung – das ist die zentrale Ausgangsthese des Beitrages – wurde nicht reflektiert und geplant. Sie ist das faktische Ergebnis zweier Einflussgrößen: Zum einen sind es die vielfältigen externen Umwelteinflüsse, die zu einer neuen Governance an Hochschulen wie Wissenschaftsorganisationen geführt haben. Vielfach werden diese Einflüsse mit den Schlagworten «Ökonomisierung», «Politisierung» und eben «Medialisierung» benannt. Zum anderen sind es die Folgen der Steigerung der Binnenkomplexität jeder einzelnen Hochschule bzw. Wissenschaftseinrichtung. Veränderungen in der Kommunikation sind eben nicht allein, auch wenn das gerne als legitimierende Begründung genannt wird, auf externe Anfordernisse, sondern auf das eigene selbstverantwortete Binnenwachstum wie auch auf veränderte Ansprüche von Hochschulangehörigen wie -leitungen zurückzuführen.

1Kommunikationskonzepte – ein Thema für die Hochschulen?

Das führt zu einer ersten These: Ob Medienarbeit, Wissenschaftskommunikation, Hochschulkommunikation, Marketing oder strategische Kommunikation – alle diese Begriffe finden wir nun an den Universitäten gleichermaßen vor. Über alle damit verbundenen Herausforderungen wie Folgen wird aber allenfalls ansatzweise reflektiert. Ein mehr oder minder institutionell gemeinsam geteiltes Verständnis von dem, was Hochschulkommunikation sein soll, das existiert nicht (vgl. Fähnrich, Metag, Post & Schäfer, 2018). Begriffe wie Konzepte werden derzeit vor allem, vielfach arg naiv, entlehnt – so aus dem Wirtschaftssystem. Über strategische oder gar integrierte Kommunikation hat man aber nicht gesprochen, auch weil es dafür keinen gemeinsamen Ort, etwa ein Gremium an der Universität, gab – bislang. Doch passen Konzepte der strategischen Kommunikation für Universitäten überhaupt? Und wo sind die Konzepte für Open Science?

Zum einen sind es externe Umwelteinflüsse, die zu neuen Kommunikationsaktivitäten zwangen. Einige Beispiele:

–Die Erhöhung der Autonomie der Hochschulen hat erweiterte Formen des institutionellen Austauschs mit Anspruchsgruppen aus der Gesellschaft mit sich gebracht: Universitäts- oder Hochschulräte. Zwar keine Stakeholder, denn nach wie vor bestimmen dominant die Politik und der Staat, aber ein wenig Stakeholder-Management wurde dann doch nötig. Diese neuen Gremienmitglieder wollen Sichtbarkeit, in der Region, in der Wirtschaft, für sich selbst. Weshalb sitzen sie sonst in diesem Gremium?

–Der durch staatliche Akteure ausgelöste Wettbewerb um Forschungsressourcen, so beispielsweise die Exzellenzinitiativen in Deutschland oder der NCCR-Wettbewerb in der Schweiz, haben Universitäten dazu gezwungen, nicht nur exzellent zu sein, sondern «Exzellenz» zu kommunizieren – nicht nur, um Gutachterinnen und Gutachter zu beeindrucken. Wir sind exzellent: Diese Aussage wird zu einem Verkaufsargument. Und sie wird dann zum Problem, wenn man nicht mehr bei den Gewinnern ist. Exzellenz- wie Programmförderung heißt: «Hochschulen müssen nicht nur gut sein, sondern auch gut aussehen» (Marcinkowski, Friedrichmeier & Geils, 2014, S. 122). Es geht einerseits um das Bild für außen. Es geht andererseits auch um die Kommunikation nach innen: Intern muss die Leitung deutlich machen, warum man in einen Wettbewerb einsteigt und warum man verloren, was man daraus gelernt und welche Folgen das nun hat. Wird «Double Talk», wie Uwe Schimank (2017) es nennt, zu einem Kommunikationsmodus?

–Die mit der Bologna-Reform wie mit Akkreditierungen verbundenen Maßnahmen führten ebenso zu Formen von Werbung und Marketing: Studieren am See. Schaut auf unsere Master-Angebote. Ein – wie wir eigentlich alle wissen: nur scheinbarer – Wettbewerb um Studierende wurde ausgelöst. Wie ist es faktisch mit der Mobilität auf der BA-Stufe? Egal, wir werben mit unseren Mobilitätsfenstern.14

Es ließen sich viele weitere Beispiele anführen.15

Aus der vormals sehr zurückhaltenden Wissenschafts- und Institutionenberichterstattung entwickeln sich Formen der institutionellen wie werblichen Kommunikation. Die institutionelle Kommunikation hat markant zugenommen. Das ist aufgrund der Wettbewerbssituation verständlich, denn die Universitäten stehen sowohl in einem nationalen wie globalen Wettbewerb untereinander als auch im Wettbewerb in einem erweiterten Konkurrenzfeld: Andere Hochschultypen, wie Pädagogische Hochschulen, Fachhochschulen, Einrichtungen der dualen Ausbildung, aber auch private Universitäten, sind nun dabei.16

Zudem agieren im Forschungsmarkt neue öffentliche wie auch private Einrichtungen. Die Notwendigkeit des Einwerbens von Mitteln zur Grundfinanzierung wie von – staatlichen wie privaten, von evaluierten wie nicht evaluierten – Drittmitteln kommt als Wettbewerbsfaktor hinzu. Aus den Erfolgen bei der Einwerbung von Projekt- wie Drittmitteln kann man Daten generieren – und diese kommunizieren.17

Nun lösen diese institutionellen Formen der Kommunikation weitere soziale Prozesse aus.

2Universität: Institution oder Organisation?

Dazu die zweite These: Aus der Institution Universität wird mehr und mehr eine Organisation.

Die Organisationswerdung der Universität hat viele Ursachen. Natürlich kamen und kommen viele Anstöße von außen. Es gibt zum anderen aber auch interne Treiber. Dafür einige Beispiele:

–Die Einführung von Formen des New Public Management erfordert die Definition von Strategien, macht mehrjährige Planungen nötig oder hat neue Formen der internen wie öffentlichen Rechenschaftsablegung zur Folge. Dazu bedarf es eines organisationalen Verständnisses: Definition von Rollenträgern, Definition von Prozessen – und deren kommunikativer Begleitung.

–Wenn ein soziales System wie die Universität familiengerecht, nachhaltig oder sonst was sein möchte, so muss sie sich zertifizieren lassen. Mit der Akkreditierung werden Regeln wie durchzuführende Prozesse akzeptiert, die intern durchgesetzt werden müssen. Und es müssen Rollenträger, meist zudem mit einer Kommission verbunden, etabliert werden. Was weitere Kommunikation auslöst.

–Und wenn die Institution Universität auf die Idee kommt, dass man Kindern eine Kinder-Universität, begabten Schülerinnen und Schülern eine Form von Studium, den mittelalten Absolventinnen wie Absolventen ein Weiterbildungsangebot und den alten Menschen eine Senioren-Universität schuldig sei, so schafft man letztlich viele kleine, zum Teil eigenständige Organisationseinheiten.18 Noch mehr Kommunikation als Folge.

Externe wie interne Anstöße haben Effekte, eben nicht nur die Kommunikationsformen selbst betreffend: Durch Kommunikation wird die Institution bzw. Organisation verändert. Vermittels Kommunikation werden Entscheidungen getroffen, werden Regeln und Normen definiert, bilden sich Strukturen. Kommunikation ist ein sozial folgenreiches und insoweit immer auch riskantes Vorhaben. Werden die möglichen organisationalen wie institutionellen Folgen von Kommunikation abgeschätzt?

Die Institution Universität ist längst nicht mehr nur eine Organisation loser Kopplungen (vgl. Weick, 1976) zwischen wissenschaftlichen Einheiten, die von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern nebenbei und auf Zeit «geführt» werden, sondern wird zu einer Art Superorganisation: Die moderne Universität vereint höchst unterschiedliche Organisationstypen mit verschiedenen Handlungsrationalitäten unter ihrem Dach. Die Folgen sind zu bewältigen. Die internen Schnittstellen nehmen laufend zu. Die Managementnotwendigkeiten in einer Mehr-Ebenen-Matrixstruktur steigen damit. Es muss delegiert werden: Spezialisierte Stäbe und weitere Stabsstellen werden aufgebaut. Mit «Third Space» wird nicht mehr nur experimentiert, es ist realisiert.19

Die Binnenkomplexität von Universitäten allein im Kerngeschäft von Forschung und Lehre war immer schon hoch, doch nun hat man diese Komplexität massiv erhöht. Das hat Folgen für das Führen dieser Supertanker. Und das hat natürlich Folgen für die Kommunikation – nach außen wie nach innen –, die nun vor sich hinwuchert. Wohl deshalb erschallt jetzt der Ruf, man benötige strategische Kommunikation. Strategische Kommunikation als Rettungsanker? Wohl kaum. Mit Kommunikation kann man die entstandenen organisationalen Herausforderungen natürlich nicht lösen. Die Frage ist: Was eigentlich will die Universität sein? Was ist ihr Kerngeschäft? Wie will sie verfasst sein?

Das vormalige dreigeteilte Organisationssystem – Forschung, Lehre, Verwaltung – steht auf dem Prüfstand. Universitäten als kollegiale Interessengemeinschaften mit einem hohen Grad an Autonomie wie Selbstbestimmung, so über Organisationsformen wie Führungspersonen und -prozesse, eben mit Fakultäten und Dekanen auf Zeit usw., werden hinterfragt. Die bislang vorherrschenden hochgradig informellen Abstimmungs- und sogar Entscheidungsformen, ein Modus aus der Wissenschaftlerinnen- wie Wissenschaftlerkultur, werden mehr und mehr formalisiert und mit wirksamen Autoritätsstrukturen hinterlegt.20 Nun gibt es den Dienstweg wirklich.

Durch Leistungs- und Zielvereinbarungen werden spezifische Hierarchiestrukturen eingezogen. Funktions- und Leistungsbereiche werden definiert, ob durch wettbewerbliche Gewinne oder interne Entscheidungen. Leistungs- wie Zielerreichung will überprüft, muss dokumentiert, muss kommunizierbar sein. Der Prozess der Organisationswerdung ist sicher noch offen, aber die Universitäten sind auf dem Weg dorthin. Aber es ist wie in der ganzen Gesellschaft, die Uwe Schimank zu Recht als eine Organisationsgesellschaft begreift: Wir wollen durch Organisationen stabilisieren, Umweltkontrolle erlangen, soziale Gewissheiten schaffen und etablieren deshalb Strukturen. Die Universitäten als Organisation müssen dann aber, was alle Organisationen müssen: Sie haben Leistungen zu definieren und zu erbringen, sie müssen liefern.

Warum aber kommt es zu diesem Organisationswerdungsprozess? Warum bildet sich die Universität zu einem multireferenziellen Sozialsystem aus – wenn doch niemand dieses Ziel explizit verfolgt hat?

3Folgen der segmentären Differenzierung als Herausforderung für die Hochschulen

Das führt zu einer zentralen, der dritten These: Die Universitäten haben nicht nur auf externe wie interne Anforderungen reagiert, sondern sie sind mit den Folgen der segmentären Differenzierung konfrontiert. Segmentäre Differenzierung bedeutet: Individualisierung, Wertepluralismus, Wahlhandlungen, Wechselverhalten, Streit um Wissen (vgl. Reckwitz, 2017). Den Folgen der segmentären Differenzierung sind die Universitäten hinter ihren eigenen Mauern ebenso ausgesetzt wie durch gesellschaftliche Anfragen. Die soziale Vielfalt wird intern wie extern größer. Für die Organisation Universität steigt damit die interne und die gesellschaftliche Umweltkomplexität zugleich stark an.

Externe Umwelt: Die Notwendigkeit von vielfältigen, direkten wie indirekten, Austauschbeziehungen nimmt zu. Die Anforderungen an Hochschulen kommen nicht mehr allein von der (institutionellen) Politik, sondern direkt aus der Gesellschaft. Und weitere gesellschaftliche Anforderungen werden wiederum auch über die Politik herangetragen. Die Legitimation der aus Steuermitteln finanzierten Hochschulen bleibt zwar direkt von politischen Akteuren und deren Entscheidungen abhängig, aber diese bedürfen für das Investment mehr und mehr der gesellschaftlichen Zustimmung. So auch bei gesellschaftlich wenig etablierten Akteuren.

In der hoch differenzierten, pluralistischen, dynamischen Gesellschaft aber sind die Erwartungen an Hochschulen vielfältig, vor allem aber sind sie widersprüchlich. Und sie werden direkt adressiert, an Forscherinnen wie Forscher, an Institute. Der etablierte Kommunikationsweg zwischen der institutionellen Politik («dem Ministerium») und der Hochschulleitung («dem Rektorat») wird um weitere Austauschwege erweitert. Bedürfen diese Kommunikationswege einer Regelung (Dienstweg)?

Auf diese vielfältigen, sich schnell wandelnden wie widersprüchlichen Anforderungen haben Universitäten organisational wie kommunikativ eher unbewusst denn bewusst reagiert: zuerst mit vielen neuen Angeboten und Formen der direkten Ansprache, also dem Einbezug von Zielgruppen, sodann mit individualisierten Partizipationsangeboten (Open Science). Im Ergebnis heißt das: Die Universität wird zunehmend vergesellschaftet (vgl. Loprieno, 2016).21

Die segmentäre Differenzierung hat Wertevielfalt wie -streit, soziale wie kulturelle Pluralität und ein steigendes Maß an Individualismus zur Folge. Alle dominanten Intermediäre haben an Bündelungsfähigkeit wie an Aggregations- und Durchsetzungsmacht verloren. Vor allem haben sie ihre bislang weitgehend anerkannte Selektionskompetenz eingebüßt: Ihre Entscheidungs- wie Beglaubigungsprogramme und Expertendeutungen (Peer-System) sind umstritten, lösen keine starke Folgebereitschaft mehr aus. Das Gottvertrauen schwindet, das Selbstvertrauen wächst. Ob Pfarrer, Lehrerinnen und Lehrer oder Professorinnen wie Professoren, also alle Amts- und vormaligen Respektspersonen, müssen sich immer wieder neu beweisen, müssen direkt, immer wieder neu überzeugen.22

Folgen des Medienwandels kommen hinzu: Die Massenmedien berichten in allgemeiner, aber nicht in spezifischer Form über den gewachsenen Hochschulsektor wie das Wissenschaftssystem und über das dort gewonnene Wissen, das sich zudem massiv erweitert hat. Experten- wie Wissensexplosion: Wissenschaftseinrichtungen produzieren und kommunizieren immer mehr Daten, Befunde usw. – doch die können immer weniger in den Massenmedien verarbeitet und verbreitet werden. Zudem: zu viel Wissen, zu spezielles Wissen. Open Data als Lösung? Das reicht wohl kaum aus. Open Science? Wer und was kann erreicht werden?

Doch: Allgemeine Vermittlung bleibt relevant. Durch die vor gut zehn Jahren beginnende Medien- wie Journalismusfinanzierungskrise haben sich die Vermittlungschancen durch Dritte verringert, die Wissenschaftsberichterstattung wird reduziert. Die Universitäten haben auf diese Entwicklung mit eigenen Maßnahmen reagiert und ihre kommunikativen Aktivitäten erhöht. Übrigens mit Folgen, so für den (Wissenschafts-)Journalismus.

Eine Folge der schwächelnden Intermediäre ist: Universitäten können sich nicht mehr hinter den Intermediären, so den politischen Parteien, verstecken, sie sind direkt angesprochen. Zahllose Gruppen, Grüppchen, Akteure wie Milieus sind neben den etablierten gesellschaftlichen Akteuren entstanden. Dort werden Interessen formuliert, ausgehandelt und zu Issues entwickelt. Dabei nimmt man auf Expertinnen und Experten wie Wissen Bezug. Wissen in jeglicher Form ermöglicht nämlich Differenzmarkierung. Mit Wissen kann man Interessen zur Geltung bringen und versuchen, Durchsetzungsmacht zu erlangen.23 Man sucht vielfach nach den opportunen Zeugen, so auch an Universitäten wie in Wissenschaftsorganisationen.

Nicht erst seit dem Internet und Social Media sind diese Gruppen wie Wissensgemeinschaften vorhanden, doch nun sind sie sichtbar, für viele beobachtbar und schlagkräftiger geworden. Unterhalb der Massenmedien gab es ein breites Segment an Medien, in denen Interessen wie Wissen verhandelt wurden. In den zahlreichen Publikumszeitschriften, in Spezial- wie Fach- oder Verbandszeitschriften, in den Organen der zahllosen NPOs wie NGOs fand und findet eine dichte Binnenkommunikation statt, in der man auch auf wissenschaftliche Befunde Bezug nimmt. Ob Luftgrenzwerte, Impf- oder Ernährungsfragen – darüber gab es Austausch. Der fand in Zeitschriften statt und wurde von Fachjournalistinnen und -journalisten begleitet. Von dort gelangten Themen wie Positionen in die Massenmedien und somit in die allgemeine Öffentlichkeit. Es mussten also allerlei Zugangs- wie Selektionshürden übersprungen werden. In der allgemeinen Öffentlichkeit kam dominant nur das vor, was es in die Massenmedien geschafft hatte. Das waren hierarchische Prozesse. Internet und Social-Media-Plattformen sind ohne Filter. Sie haben die kommunikativen Möglichkeiten massiv erweitert und verändert. Nicht journalistische Profis, sondern Interessenorganisationen wie Einzelne wählen aus, leiten weiter, können potenziell die Gesamtgesellschaft direkt erreichen. Wir erleben derzeit, was auf Plattformen alles diskutiert, bestritten oder zustimmend beglaubigt werden kann. Wir erleben die Stärke von Kampagnen, so shit storms, gegen Einzelne. Fake news sind zwar nur ein Schlagwort, das aber immer mehr in den medialen Sprachgebrauch eingedrungen ist. Und wir erfahren, wie gegen Beglaubigungsinstanzen und -verfahren, gegen Befunde wie Erkenntnisse, gegen Eliten und auch gegen die sogenannten «Systemmedien» wie die «Lügenpresse» agiert werden kann. Wenngleich diese Phänomene nicht in allen europäischen Ländern auszumachen sind: Die Problematik ist ähnlich.

4Medien- und Öffentlichkeitswandel als weitere Herausforderung für die Hochschulen

Mit dem Internet und den Social Media wird es – vierte These – zu einem beschleunigten Medien- wie Öffentlichkeitswandel kommen, der die institutionelle Grundordnung der gesellschaftlichen Kommunikation wie aber auch die Öffentlichkeit grundlegend verändert. Die Social Media sind Ausdruck, Beschleuniger wie Katalysator der segmentären Differenzierung. Mit Folgen auch für die Universitäten wie Wissenschaftsorganisationen.

Das Wissenschaftssystem, und somit auch die Hochschulen, wird nun noch mehr mit den Folgen der segmentären Differenzierung zu kämpfen haben. Social Media geben der segmentären Differenzierung Ausdruck wie Form. Die vielfältigen Maßnahmen in der Kommunikation, die Open-Initiativen sollen nun helfen. Doch: Ist es eine bewusste Reaktion?

Es ist zu beachten, dass von diesen Herausforderungen nicht allein die Hochschulen betroffen sind, sondern auch die Institutionen der Politik. Also jene Instanzen, die die Bedingungen für Lehre und Forschung festlegen. Die staatlich-institutionelle Politik hat sich bereits zurückgezogen und zum Teil gesellschaftlichen Kräften Raum gegeben (Universitätsräte). Für die Hochschulen bedeutet dies, dass sie die durch segmentäre Differenzierung ausgelösten und durch die digitalen Medien verstärkt auftretenden direkten Anforderungen an sie weniger denn je aus dem Hintergrund, gleichsam mit den politischen Akteuren an der Spitze oder im Schutz des Staates und begleitet von den Massenmedien, werden bewältigen können. Die Beziehung zwischen Hochschulen und Gesellschaft war lange Zeit, eben zu Zeiten starker Politik, eher mittelbar, nun wird sie mehr und mehr unmittelbar, direkt und dynamisch. Von der sozialen Disruption, ausgelöst von den digitalen Medien, bleiben die Universitäten nicht verschont. Die Legitimationsbeschaffung für die Wissenschaft, und damit auch für die Hochschulen, erfolgt aufgrund des Medien- und Öffentlichkeitswandels, nicht mehr dominant und allein über das politisch-administrative System mit seinen Akteuren. Die Zeiten des Korporatismus alter Schule sind vorbei.

Das Wissenschaftssystem wie das politische System sind elementar von den Folgen der segmentären Differenzierung, die Formen einer fluiden Beständigkeit (Schwarmlogik) hat, betroffen (vgl. dazu Kersten, 2017). Hochschulen müssen, wenn sie politisch Zustimmung erhalten und damit Ressourcen erlangen wollen, sich bei Politik wie Gesellschaft selbst kommunikativ bemühen. Das erklärt den Anstieg an Kommunikationsaktivitäten, den beständigen und zunehmenden medialen Schönheitswettbewerb von Universitäten. Es geht um staatliche wie private Mittel, es geht letztlich um institutionelle Legitimität.

Legitimität aber wird durch Fremdreferenz erzeugt, und hier sind publizistische Medien – sei es in Form der Massenmedien wie auch in anderer Form – maßgeblich: Journalistinnen wie Journalisten wählen aus, sie berichten und fokussieren, und durch sie erhalten soziale Ereignisse Relevanz. Der Einbezug von politischen, kulturellen, ökonomischen Entscheidungsträgern wie auch der Bürgerinnen und Bürger in das Universitätssystem erfolgt maßgeblich über Medien. Deshalb ist Medienarbeit, deshalb ist die Präsenz in den Medien zentral – weniger die Präsenz wie das Eigenlob auf der eigenen Homepage oder in der Imagebroschüre. Die Erhaltung von Fremdreferenz, trivialer gesagt: die Existenz unabhängiger Medien und eines qualitativ hochwertigen (Wissenschafts-)Journalismus ist für das System Wissenschaft wie für die Hochschulinstitutionen von existenzieller Bedeutung.

Es bildet sich derzeit ein neues institutionelles Medien- und Kommunikationssystem aus. Ein soziales Teilsystem, das sowohl den Anforderungen der funktional wie auch der segmentär differenzierten modernen Gesellschaft entsprechen muss. Ob und welche Rolle wissenschaftliche Einrichtungen wie Universitäten darin spielen werden, das ist derzeit noch offen. Ein Ausbau allein der kommunikativen Instrumente wie eine Ausweitung der kommunikativen Aktivitäten reichen aber nicht aus, weil es sich nur um eine Reaktion auf einen Veränderungsprozess handeln würde, der sich allein oder dominant auf Fragen der Kommunikation konzentriert. Die Veränderungen aber sind institutionell wie auch organisational und somit elementar, und das weist über instrumentelle Kommunikationsmodelle weit hinaus. Wir befinden uns in einem fundamentalen Neuinstitutionalisierungsprozess.

Danksagung

Ich bedanke mich sehr herzlich für die Unterstützung bei der Literaturrecherche und für die Lektoratsarbeit bei Frau Daniela Mahl, BA.

Literatur

Fähnrich, B., Metag, J., Post, S., & Schäfer, M. S. (Hrsg.) (2018). Forschungsfeld Hochschulkommunikation. Ein Handbuch. Wiesbaden: Springer VS.

Kersten, J. (2017). Schwarmdemokratie. Der digitale Wandel des liberalen Verfassungsstaats. Tübingen: Mohr Siebeck.

Loprieno, A. (2016). Die entzauberte Universität. Europäische Hochschulen zwischen lokaler Trägerschaft und globaler Wissenschaft. Wien: Passagen.

Marcinkowski, F., Friedrichmeier, A., & Geils, M. (2014). Transparenz oder PR? Die Koinzidenz von Managementmodell und Medialisierung an deutschen Hochschulen. In R. Krempkow, A. Lottmann & T. Möller (Hrsg.), Völlig losgelöst? Governance der Wissenschaft (S. 127–140). Berlin: Institut für Forschungsinformationen und Qualitätssicherung. Online: www.forschungsinfo.de/Publikationen/Download/working_paper_15_2014.pdf. [24.11.2017].

Reckwitz, A. (2017). Die Gesellschaft der Singularitäten. Zum Strukturwandel der Moderne. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Schimank, U. (2017). Universitätsreformen als Balanceakt: Warum und wie die Universitätsleitungen Double Talk praktizieren müssen. Beiträge zur Hochschulforschung, 39(1), 50–60.

Weick, K. E. (1976). Educational Organizations as Loosely Coupled Systems. Administrative Science Quarterly, 21(1), 1–19.

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