Читать книгу "Nationalsozialistischer Untergrund" - Группа авторов - Страница 7

Die Entdeckung von 2011

Оглавление

Am 4. November 2011 überfielen Mundlos und Böhnhardt in Eisenach eine Filiale der Sparkasse. Mit solchen Überfällen finanzierten die Neonazis ihr Leben im »Untergrund«. Die Beute von Eisenach – mehr als 70.000 Euro – und die beiden Fahrräder, mit denen die Männer zum Tatort gefahren waren, verstauten die Täter in einem angemieteten Wohnmobil. So hatten sie es früher auch schon gemacht. Doch diesmal ging der Plan nicht auf. Ein aufmerksamer Rentner, dem die Männer mit dem Campingwagen verdächtig vorkamen, alarmierte die Polizei. Als sich Beamte dem Fahrzeug näherten, feuerten die NSU-Terroristen auf die Polizisten, steckten das Wohnmobil in Brand und erschossen sich schließlich selbst. So haben es die Ermittler und später die Richter im NSU-Prozess und die Abgeordneten der Untersuchungsausschüsse rekonstruiert.

Beate Zschäpe soll in der gemeinsamen Wohnung des Trios in Zwickau aus dem Radio vom Tod ihrer Freunde erfahren haben. Nun will sie, getreu einer für diesen Fall getroffenen Vereinbarung, Feuer gelegt haben. Anschließend türmte sie und fuhr vier Tage lang quer durch die Republik, bis sie sich am 8. November 2011 der Polizei stellte. Eineinhalb Jahre später, im Mai 2013, begann die Gerichtsverhandlung in München, an deren Ende – nach fünf Jahren mühsamer juristischer Wahrheitssuche – Zschäpe zu lebenslanger Haft verurteilt wurde. Das Urteil, gegen das Revision eingelegt wurde und das daher zum Zeitpunkt der Drucklegung dieses Buches immer noch nicht rechtskräftig war, sieht Zschäpe als Mittäterin bei allen Verbrechen, die dem NSU zugerechnet werden und mit denen sich die Neonazis in ihrem Video gebrüstet haben.

Der NSU ermordete demnach zehn Menschen, verübte drei Sprengstoffanschläge und 15 Raubüberfälle. Von 1998 bis 2011 lebten Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe unter falschen Namen mitten in Deutschland. Ihr »Untergrund« war, recht besehen, eigentlich sehr »oberirdisch«. Das Trio hatte sich zuletzt in einer normalen, bürgerlich anmutenden Wohnung in einem ruhigen Stadtteil von Zwickau einquartiert. Aufgewachsen waren die drei Neonazis in Jena. Dort flohen sie 1998 vor der Polizei, nachdem diese bei einer Durchsuchung einer Garage, die Zschäpe angemietet hatte, Sprengstoff und rechtsradikales Propaganda-Material gefunden hatte. Zunächst fanden die drei Unterschlupf in Chemnitz, um die Jahrtausendwende zogen sie nach Zwickau.

Die Mordserie begann im Jahr 2000 mit einem Anschlag auf den Blumenhändler Enver Şimşek in Nürnberg. Im Jahr darauf folgten die Morde an Abdurrahim Özüdoğru in Nürnberg, an Süleyman Taşköprü in Hamburg und an Habil Kılıç in München. Im Jahr 2004 erschossen die Rechtsextremisten Mehmet Turgut in Rostock. Ein Jahr später ermordeten sie İsmail Yaşar in Nürnberg und Theodoros Boulgarides in München. Im Jahr 2006 schlugen sie innerhalb von zwei Tagen in Dortmund und Kassel zu und töteten Mehmet Kubaşık und Halit Yozgat. Alle Opfer hatten türkische Wurzeln, bis auf Boulgarides, der Grieche war. Die Neonazis könnten ihn für einen Türken gehalten haben. Der Hass der Terroristen auf Türken ist gut belegt, in Notizen des NSU wurden alle Mordopfer als »Ali« bezeichnet und nummeriert. Bereits in Zschäpes Garage war 1998 auf einer Diskette eine Art Gedicht mit dem Titel »Ali Drecksau – Wir hassen dich« gefunden worden. Darin hieß es: »Ein Türke, der in Deutschland lebt und sagt, er ist auch hier geboren, den sehen wir schon als verloren.«

Wie der NSU seine Opfer aussuchte, ist bis heute nicht widerspruchfrei aufgeklärt. Die Ermittler und das Gericht gehen davon aus, dass die Terroristen es darauf abgesehen hatten, willkürlich türkische Männer zu treffen und damit Angst und Schrecken bei Familien mit einer Migrationsgeschichte zu verbreiten. Doch nicht nur die Angehörigen der Opfer wundern sich darüber, wie die Täter ausgerechnet auf diese, zum Teil sehr unscheinbaren und entlegenen Straßen und Tatorte kommen konnten, die sie für ihre Anschläge aussuchten. Sie fragen sich, ob es ortskundige Komplizen gab.

Bei einem Bombenanschlag des NSU in einer Kneipe in Nürnberg wurde 1999 ein junger Mann, dessen Eltern aus der Türkei stammten, verletzt. Drei Jahre später deponierten die Terroristen einen Sprengsatz, perfide getarnt in einer Christstollen-Dose, in einem kleinen Laden in Köln, den eine deutsch-iranische Familie führte. Als die damals 19-jährige Tochter die Dose öffnete, explodierte die Bombe. Die junge Frau lag wochenlang im Koma und überlebte den Anschlag nur mit großem Glück und intensiver medizinischer Behandlung. Im Jahr 2004 zündeten die Terroristen erneut in Köln eine Bombe. Diesmal hatten sie den Sprengsatz auf einem Fahrrad in die Keupstraße gestellt, in der viele türkische und kurdische Familien leben und arbeiten. Mehr als zwanzig Menschen wurden verletzt. Der Sprengsatz war mit langen Zimmermannsnägeln befüllt, die durch die Gegend geschleudert wurden und sich in die Körper der Menschen bohrten. Wie durch ein Wunder kam bei diesem Attentat niemand ums Leben.

Seinen letzten Mordanschlag soll der NSU im Jahr 2007 in Heilbronn verübt haben. Dort schossen die Terroristen einer Polizistin und einem Polizisten in den Kopf, als diese im Streifenwagen saßen und auf einem großen, freien Festgelände eine Pause einlegten. Die Beamtin Michèle Kiesewetter starb, ihr Kollege Martin A. überlebte den Anschlag schwer verletzt (vgl. den Beitrag von Binninger).



Подняться наверх