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Durch die Bibel lehren und lernen
(Die Bibel als Katalysator umfassenden Lernens)

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„Leben zu lernen ist der Endzweck aller Auferziehung“.[11] Dieses pädagogische Grundbekenntnis Pestalozzis lässt sich ebenso auf die Bibel übertragen.[12]

In der Diktion Luthers lautet das so: Die Bibel „enthält nicht Lesewort (…), sondern eitel Lebewort (…), die nicht zum speculiren und hoch zu tichten sondern zum leben und thun dargesetzt sind“.[13] Das Lernen mit der Bibel erschöpft sich nicht in einer Zur-Kenntnisnahme von Inhalten oder einer medialen Inspiration, sondern schließt auch einen umfassenderen Lernprozess im Blick auf das Selbst- und Weltverständnis ein. Die Beschäftigung mit der Bibel kann dann im gelingenden Fall auch zur Lebensorientierung und -bewältigung im Horizont der Gotteserfahrung beitragen.[14]

Bereits das Konzept einer ‚Lebenswelthermeneutik‘ reduziert das Verstehen eines Textes nicht auf das Aufdecken einer intentio auctoris oder intentio operis, |5|die historische oder objektivierende Distanz zwischen dem Gegenstand und dem verstehenden Subjekt schaffen. Verstehen ist nicht bloßes Decodieren eines externen Sinns. Verstehen bedeutet mit Ricœur vor allem auch „Sich verstehen vor dem Text“.[15] Auf diese Weise kann der Lernprozess mit der Bibel zur veränderten Selbst- und Weltsicht[16] sowie zu neuen Handlungsmöglichkeiten führen. Lebensbewältigung kann gemäß biblischer Anthropologie und Soziallehre aber kein einzelnes Individuum für sich allein erreichen. Der Mensch ist eingebunden in eine Gemeinschaft mit anderen. Auch die Lernprozesse mit der Bibel vollziehen sich in Gemeinschaft, im kollektiven Erinnern und Orientieren und in der gemeinschaftlichen Suche nach Sinn und Wahrheit. Dies gilt auf unterschiedlichen Ebenen, sei es in kleinen Lerngruppen wie Schulklasse oder Konfirmandengruppe, in Bibelkreisen von Gemeinde und Altenheim, aber ebenso auch auf der Ebene der Wissenschaften an der Universität. Bibeldidaktik kann so gesehen auch einen Beitrag zum „Orientierungswissen“[17] der Geisteswissenschaften leisten.

Lebensorientierung und schon gar -bewältigung schließt im Sinne der biblischen Botschaft jedoch immer schon das ‚extra nos‘ mit ein. Man kann Lebensgewinn nicht ‚machen‘ oder anerziehen. Die grundsätzliche Unverfügbarkeit von gelingenden Lernprozessen kann dann im Blick auf die Bibeldidaktik als Wirken des Heiligen Geistes oder als Geschenk von Hoffnung und Glauben im Lernprozess mit der Bibel beschrieben werden. Wenn biblisches Lernen Identitätsbildung und Lebensbewältigung ermöglicht, dann schließt das deshalb u.E. eine theologische Dimension immer schon mit ein.[18] Erst jetzt, im Prozess der aneignenden Sinnfindung, wird die Bibel zum ‚lebendigen Wort Gottes‘, das sich vom toten Buchstaben eines vergangenen Kulturguts abhebt. Gleichwohl muss dies nicht bedeuten, dass die Bibeldidaktik erst dann zum Ziel kommt, |6|wenn die „Schüler/innen zu Christen“[19] werden. Der Lebensgewinn kann auf unterschiedlichen Ebenen und mit unterschiedlicher Reichweite und Graden an Bewusstsein einsetzen. Es ist jedoch die im engeren Sinn theologische Dimension, d.h. die ökumenische Überzeugung, dass die Bibel wirklich bleibend etwas mit Gott zu tun hat, die den Lebensgewinn des biblischen Lernens von jedem anderen Lernen mit Literatur unterscheidet.

Die drei Ebenen des biblischen Lernens hängen eng zusammen. Nehmen wir als Beispiel das Erzählen. Die großen „Meistererzählungen“[20] der Bibel von der Geschichte Gottes mit dem Volk Israel und die Jesusgeschichte ebenso wie kostbare Erzählminiaturen gilt es, zunächst als Bildungsgut kennen zu lernen und etwa mit narratologischen Methoden zu analysieren oder ihren historiographischen Wert als Erinnerungsmedien wahrzunehmen.[21] Das Medium biblischen Erzählens ermöglicht und fördert wiederum eigene Erzählkompetenz, mit der Vergangenheit erinnert und Gegenwart kommuniziert werden kann. Weil Menschen „in Geschichten verstrickt“ sind (Schapp[22]), brauchen sie Geschichten, um die Welt und sich zu verstehen. Wenn nun die „zwei Erzählwelten“ der Bibel und des Rezipienten aufeinandertreffen und miteinander in Dialog treten,[23] kann „narrative Identität“[24] entstehen, die Lebensbewältigung |7|ermöglicht, besonders wenn die eigene Lebensgeschichte in den Horizont der biblisch vermittelten Gottesgeschichte eingezeichnet wird.

Handbuch Bibeldidaktik

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