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|28|Die Kanonisierung in theologischer Sicht

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„Mit Hilfe des Kanons als ‚Richtschnur‘ – in der ursprünglichen, griechischen Bedeutung des Wortes – lässt sich ermessen, wer sich ‚in der Wahrheit befindet‘ (Foucault) und wer nicht“.[8] Es ist also durchaus möglich, den Akt der Kanonisierung beispielsweise machtpolitisch zu verstehen – und die uns vorliegende Bibel wäre dann eben das Produkt möglicherweise sogar zufällig vorhandener Machtkonstellationen in der Alten Kirche. Solch ein Urteil greift aus mehrfacher Hinsicht zu kurz. Einmal ist es historisch zu simpel, weil es nicht zwischen einer „Kanonisierung via facti und einer Kanonisierung im Sinne eines Rechtsaktes“[9] unterscheidet – und von einem Großteil der biblischen Schriften ist zu sagen, dass sie sich faktisch in den Gemeinden als heilige Schriften durchgesetzt haben und sie nicht gleichsam „von oben“ dekretiert wurden. Gab es denn Kriterien für die Anerkennung? Hier wird man zurückhaltend sein müssen. Es gab das Kriterium der Apostolizität, aber es ist zu fragen, ob dies immer nur personal verstanden wurde, ohne dass man eine feste „regula fidei“ hatte. Auch war die Übereinstimmung mit den Schriften des ATs entscheidend. Und schließlich war die Durchsetzung in den Gemeinden als solche (via facti) wesentlich. Damit ist aber schon deutlich: Es gibt die Bibel als Kanon, weil es die Kirche gab, die ihn „beschlossen“ hat. Als Grund für die Kanonbildung kann sicher auch der identitätsstiftende Charakter, den v.a. J. Assmann herausgestellt hat, gesehen werden.[10] Deutlich aber ist schon damit, dass die Kanonbildung auch theologisch zu verstehen ist. Denn das Vorhandensein der Bibel Neuen und Alten Testaments ist als Bekenntnis der Kirche zu verstehen: Die „Feststellung als Kanon, seine Bezeichnung und Abgrenzung als solche [ist] ein Akt der Kirche, ein Akt ihres Glaubens, ihrer Erkenntnis und ihres Bekenntnisses“.[11] Die Kirche hat diese Schriften also als Wort Gottes verstanden – oder genauer: dass die Kirche den Kanon „nur als schon geschaffenen und ihr gegebenen Kanon nachträglich nach bestem Wissen und Gewissen, im Wagnis und im Gehorsam eines Glaubensurteils, aber auch in der ganzen Relativität einer menschlichen Erkenntnis der den Menschen von Gott eröffneten Wahrheit“[12] festgestellt hat. Weil nun die Kirche früherer Zeiten die Bibel als Wort Gottes an sie verstand – allerdings nicht im Sinne einer Verbalinspiration, die den menschlichen Charakter der Schriften relativiert oder sogar negiert –, ist bereits die Existenz der Bibel in ihrem vorhandenen Umfang immer auch als Zumutung an uns zu verstehen: Die Bibel gilt als Zeugnis der einen Geschichte Gottes von der Erwählung Israels und der Schöpfung der Welt bis hin zur erhofften Neuschaffung der Welt am Ende |29|der Zeiten – und Mitte der Geschichte Gottes mit der Welt ist das Kommen Jesu Christi, der für die Menschen gestorben und auferstanden ist. Allerdings ist auch zu sehen, dass dieses Bekenntnis auch in der Kirche nicht immer nur auf Zustimmung gestoßen ist. So hat sich seit dem 17. Jh. eine Kanonkritik entwickelt, die dazu führte, die Bibel nicht mehr im Zusammenhang zu verstehen, sondern nur als einzelne Schriften – de facto bedeutete dies eine Dekanonisierung in der exegetischen Wissenschaft. Die Biblische Theologie versucht mit ihrem canonical approach hier eine Gegenbewegung[13] – das ist hoffnungsvoll, weil so dem Kanon als theologische Herausforderung nicht billig ausgewichen wird.

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