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Das Kontroversitätsgebot schulischen Unterrichts. Ein erziehungs- und bildungstheoretisch fundierter Interpretationsvorschlag Thomas Rucker Einleitung

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In modernen Gesellschaften sind öffentliche Kontroversen an der Tagesordnung. Es scheint kaum noch Fragen zu geben, deren Beantwortung nicht neue Fragen sowie alternative Antworten provoziert. Erziehung – dies dürfte bei aller Verschiedenheit der Positionen, die auch in der Beschreibung dieses Sachverhalts ausgemacht werden können, kaum zu bestreiten sein – erfüllt die Funktion, Heranwachsende in eine Gesellschaft einzuführen. Erziehung in Form von schulischem Unterricht trägt in diesem Zusammenhang dem Umstand Rechnung, dass es Sachverhalte gibt, die in der Einheit von Leben und Lernen nicht vermittelt und angeeignet werden können, sondern auf eine künstliche Vermittlung und Aneignung angewiesen sind. Hierzu zählen auch solche Sachverhalte, die in der Öffentlichkeit kontrovers diskutiert werden. Was die Rede vom Klimawandel bedeutet, wodurch dieser verursacht wird, welche Argumente für bzw. gegen einen vom Menschen verursachten Klimawandel vorgebracht werden können etc. – all dies kann nicht im alltäglichen Miteinanderumgehen der Menschen gelernt werden, sondern muss unterrichtlich vermittelt und angeeignet werden.

Versteht man unter Erziehung die Einführung von Heranwachsenden in eine Gesellschaft, und begreift man Unterricht als eine spezifische Grundform von Erziehung, so scheint es keine sinnvolle Option zu sein, öffentlich kontrovers diskutierte Sachverhalte in diesem Zusammenhang auszusparen, will man sich nicht dem Vorwurf aussetzen, die spezifische Situation des Aufwachsens in modernen Gesellschaften zu ignorieren. Um diesem Einwand zu entgehen, hätte Unterricht vielmehr dem Umstand Rechnung zu tragen, dass Schüler/innen in eine Welt hineinwachsen, in der öffentliche Kontroversen über Sachverhalte typisch zu sein scheinen. Von daher stellt sich die Frage nach einem sinnvollen Umgang mit öffentlich kontrovers diskutierten Sachverhalten im Kontext schulischen Unterrichts. Hierbei wäre nicht nur zu fragen, welche dieser Sachverhalte im Unterricht überhaupt behandelt werden sollten. Darüber hinaus gilt es auch und vor allem die Frage zu klären, welche dieser Sachverhalte als kontrovers, d. h. mit offenem Ausgang thematisiert werden sollten.

In diesem Beitrag möchte ich die Frage in den Mittelpunkt stellen, wie das Kontroversitätsgebot schulischen Unterrichts aus pädagogischer Perspektive interpretiert werden kann. In einem ersten Schritt werden die erziehungs- und bildungstheoretischen Voraussetzungen erläutert, die einen pädagogischen Blick auf Sachverhalte eröffnen (1. Abschnitt). In einem zweiten Schritt wird die pädagogische Perspektive eingenommen. Dies bietet die Möglichkeit, schulischen Unterricht als erziehenden Unterricht, genauer: als einen erziehenden Unterricht mit Bildungsanspruch in den Blick zu nehmen (2. Abschnitt). Erkennt man eine solche Ausrichtung von Unterricht als maßgeblich an, so erweist es sich nicht als überzeugend, für die Position zu votieren, jeden öffentlich kontrovers diskutierten Sachverhalt im Kontext von Schulunterricht mit offenem Ausgang zu thematisieren. In einem dritten Schritt werden deshalb zwei Kriterien vorgeschlagen, die in ihrer Kombination eine spezifische Umgrenzung des Spektrums an öffentlich kontrovers diskutierten Fragen erlauben sowie jeweils in Bezug auf den Bildungsanspruch von Unterricht gerechtfertigt werden können (3. Abschnitt).

Dürfen Lehrer ihre Meinung sagen?

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