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3.1 Vorbemerkungen

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Ehe ich direkt zu dieser Frage Stellung nehme, sind zunächst drei knappe Vorbemerkungen erforderlich. Diese sind auf grundlegende Differenzen bezogen, die im Blick behalten werden sollten, wenn eine pädagogische Auslegung des Kontroversitätsgebots unternommen wird.

(1) Sachverhalte können im Unterricht direktiv oder nichtdirektiv thematisiert werden. Direktiv ist ein Unterricht dann ausgerichtet, wenn ein Sachverhalt mit Überzeugungsabsicht thematisiert wird. Das bedeutet, ein Inhalt wird als geklärt behandelt. Lehrer/innen versuchen, Schüler/innen zu der einen richtigen Antwort auf eine bestimmte Frage zu führen. Die Einzelne soll sich die richtige Position aneignen. Nichtdirektiver Unterricht bedeutet demgegenüber, einen Sachverhalt ohne Überzeugungsabsicht zu thematisieren. Das heißt, ein Inhalt wird als offen behandelt. Lehrer/innen versuchen, Schüler/innen in den Streit um die richtige Antwort auf eine bestimmte Frage einzuführen. Die verschiedenen Positionen, die in diesem Zusammenhang eingenommen werden, sollen dabei so neutral wie möglich behandelt werden. Die Einzelne soll die verschiedenen Positionen und ihre Begründungen verstehen, eine eigene Position im Lichte widerstreitender Alternativen entwickeln sowie diese gegen Einwände verteidigen lernen (vgl. Hand 2008, S. 213).

Es gilt an dieser Stelle festzuhalten, dass sowohl direktiver als auch nichtdirektiver Unterricht mit dem Anspruch kompatibel sein können, Heranwachsende zur Selbsttätigkeit aufzufordern, d. h. diesen Mitwirkungsmöglichkeiten in der Entwicklung von Wissen und Haltung zu eröffnen. Unterricht als Aufforderung zur Prüfung von Geltungsansprüchen zu begreifen, verlangt nicht danach, Unterricht entweder direktiv oder nichtdirektiv auszurichten. Umgekehrt können direktiver und nichtdirektiver Unterricht so angelegt sein, dass Schüler/innen nicht zu einer selbsttätigen Auseinandersetzung aufgefordert werden.

(2) In einem erziehenden Unterricht stehen theoretische und praktische Fragen in einem nichthierarchischen Verhältnis zueinander. Die Frage, wie Gentechnik ›funktioniert‹, zu thematisieren, ist nicht wichtiger, als die Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen von Gentechnik für das Leben und Zusammenleben zu erörtern et vice versa. Die Differenz zwischen direktivem und nichtdirektivem Unterricht ist mit der Unterscheidung zwischen theoretischen und praktischen Fragestellungen frei kombinierbar. Es sind nämlich nicht nur praktische Probleme, die in der Öffentlichkeit kontrovers diskutiert werden. So gibt es in der Paläontologie bis heute eine lebhafte Debatte darüber, welches Ereignis zum Aussterben der Dinosaurier geführt hat. Umgekehrt dürfte z. B. kein Dissens darüber bestehen, dass es moralisch verwerflich ist, eine ältere Frau unter einem Vorwand in die eigene Wohnung zu locken, um sie dort zu erschlagen und anschließend von ihrem Geld den eigenen Kinobesuch zu finanzieren (zu diesem Beispiel vgl. Lobkowicz 2003, S. 367). Kurzum: Öffentliche Kontroversen können sowohl in theoretischen als auch in praktischen Fragen ausgemacht werden.

(3) An diesem Punkt stellt sich die Frage, anhand welcher Kriterien entschieden werden sollte, welche Sachverhalte im Unterricht direktiv bzw. nichtdirektiv thematisiert werden sollten. Bei der Beantwortung dieser Frage gilt es in Rechnung zu stellen, dass Schüler/innen in ihrem Lernen nicht vertretbar und in diesem Sinne unhintergehbar sind, weshalb ein erziehender Unterricht in seiner Grundstruktur sinnvoll nur als ein »Subjekt-Subjekt-Verhältnis« (Herzog 2017, S. 129), genauer: als ein Subjekt-Subjekt-Objekt-Verhältnis begriffen werden kann. Diese Einsicht, dass Schüler/innen in einem bestimmten Sinne immer schon als Subjekte aufgefasst werden müssen, hat weitreichende Konsequenzen – auch was die Thematisierung kontroverser Sachverhalte betrifft. So kann angesichts der irreduziblen Perspektivität von Unterricht nicht vorausgesetzt werden, dass ein bestimmter Sachverhalt sowohl von Seiten einer Lehrkraft als auch von Seiten der Schüler/innen als kontrovers erkannt wird. Eine Frage mit offenem Ausgang zu thematisieren, setzt aber voraus, dass die jeweilige Frage überhaupt als eine solche aufgefasst wird, über die sinnvoll gestritten werden kann. Hieraus folgt, dass edukativ überhaupt erst einmal sichergestellt werden muss, dass Schüler/innen einen Sachverhalt als kontrovers erkennen – und zwar unabhängig davon, welche Kriterien von Seiten einer Lehrkraft in Anschlag gebracht werden, um zwischen Sachverhalten zu unterscheiden, die direktiv bzw. nichtdirektiv thematisiert werden sollten (vgl. Yacek 2018). Umgekehrt liefert diese Einsicht keine Antwort auf die Frage, welche öffentlich kontrovers diskutierten Sachverhalte in einem erziehenden Unterricht mit offenem Ausgang thematisiert werden sollten. Die Einsicht, dass die Bi-Subjektivität von Unterricht bei der Thematisierung kontroverser theoretischer und praktischer Fragen Berücksichtigung finden muss, löst nicht schon das Kriterienproblem.

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