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Vom KdS Reval zum BKA

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Bergmann wurde Leiter der Abteilung AV (Kriminalpolizei),6 war aber während seiner dreijährigen Dienstzeit in Estland – bis zum deutschen Rückzug im September 1944 – auch in verschiedenen anderen Funktionen eingesetzt, nämlich als Außenstellenleiter in Pleskau und Krasnoje-Selo, als Teilkommandoführer in Luga zur Partisanenbekämpfung und vertretungsweise als Leiter der Abteilungen A IV und A II sowie des Referats A I B (Schulung und Erziehung).7 Nach der Wegversetzung des Abteilungsleiters A IV (Gestapo) im März 1944 schließlich übernahm Bergmann dessen Abteilung.8 Der rasche Wechsel und die Übernahme zahlreicher Funktionen wurde durch die Struktur ermöglicht, die der KdS, Dr. Martin Sandberger, seiner Dienststelle gegeben hatte. Eine zahlenmäßig kleine Gruppe deutscher Sicherheitspolizisten übernahm dort die Überwachungs- und Anleitungsfunktionen; die Sacharbeit wurde jedoch von einer sehr viel größeren Anzahl estnischer Beamter geleistet. Zudem reflektiert der beständige Wechsel Sandbergers Bestreben, seine Untergebenen dem Härtetest des Einsatzes in Rußland-Nord auszusetzen und eine Bewährung im Kampfeinsatz zu ermöglichen.9 Schließlich entsprach eine schnell bewegliche, überall einsetzbare Aufsichtsverwaltung auch den ideologischen Prämissen der SS. Es ist nicht verwunderlich, daß Sandberger – von seinen Untergebenen als hochintelligent, ehrgeizig und als „Idealtyp eines SS-Führers“ bezeichnet10 – die von seinem Reichsführer gepredigten Ideale umsetzte. Aber auch Bergmann, der einen verhältnismäßig niederen SS-Rang hatte11 und von Untergebenen und Kollegen als gewissenhafter, „korrekter, keineswegs fanatischer und brutaler“ Beamter12 beschrieben wurde, konnte in diesem System reüssieren.

Nach dem Rückzug aus Estland im Amt VI des Reichssicherheitshauptamts (RSHA) eingesetzt, wurde Bergmann mit seiner Dienststelle von Berlin in die Nähe von Innsbruck verlegt und erlebte dort den ‚Zusammenbruch‘. Bereits im August 1945 kehrte er nach Hause zurück und lebte und arbeitete unbehelligt unter seinem richtigen Namen.13 1955 wurde Bergmann in das 1951 errichtete Bundeskriminalamt (BKA) eingestellt, 1956 zum Kriminalkommissar ernannt und verbeamtet und im Jahr 1962 pensioniert.14 Aus Geschäftsverteilungsplänen scheint hervorzugehen, daß er im Referat Ausbildung und Eignungsprüfungen tätig war.15 Weder Sachakten zu seiner Tätigkeit noch seine Personalakte stehen der Forschung zur Verfügung; eine sehr fragmentarische Korrespondenz zwischen dem Präsidenten des BKA und dem Bundesinnenministerium deutet aber darauf hin, daß 1958 Anschuldigungen gegen Bergmann erhoben wurden.16 Generell vermitteln die Akten den Eindruck, daß die folgenden Faktoren die Einstellung von NS-Tätern trotz gegenteiliger Absicht ermöglichten: die Bevorzugung erfahrener Kriminalisten, eine Überbewertung der ideologischen Motivation bei NS-Verbrechen, was eine manichäische Spaltung zwischen Gestapo und Kripo beförderte, eine Flut apologetisch gefärbter Gutachten und ‚Persilscheine‘ sowie schlichte Ignoranz.17 SS-Ränge von Kriminalpolizisten wurden als zwangsweise Angleichungsdienstgrade angesehen, wenn der SS- oder NSDAP-Beitritt nicht sehr früh erfolgt war.18 Der Lebenslauf eines Heinrich Bergmann paßte völlig ins Bild.

Die Errichtung der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen in Ludwigsburg 1958 brachte staatsanwaltschaftliche Ermittlungen zu Estland in Gang. 1960 vernahm man Bergmann zum ersten Mal und ermittelte anschließend gegen ihn wegen Verbrechen im Bereich des KdS Reval.19 1967 wurde er in U-Haft genommen. Wegen gesundheitlicher Probleme erklärte man ihn jedoch 1970 für verhandlungsunfähig und stellte das Verfahren ein.

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