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Napoleon und die europäische Einheit

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Ist jedoch heute, zwei Jahrhunderte nach seiner Niederlage in Waterloo und seiner zweiten Abdankung, Napoleons Platz in der Geschichte gesichert? Er kann noch so sehr die Vaterschaft für den Europagedanken beanspruchen, da er doch mit seinem kaiserlichen Projekt bestrebt war, den Kontinent auf eine Weise zu einen, die auf das Europa von 1945 vorauszuweisen schien, doch im Jahrhundert der Europäischen Union mag der Begriff der Einigung durch Gewalt und Eroberung – und nicht durch ein Abkommen unter Gleichberechtigten – überholt erscheinen, und das vor allem in Deutschland, das sich nach 1945 entschlossen gegen den Einsatz von Streitkräften im Krieg gestellt hat. Schon nach dem Einmarsch Napoleons in Russland im Jahr 1812 waren wenige europäische Herrscher für die napoleonische Erzählung empfänglich und 1813 in Leipzig distanzierten sie sich einer nach dem andern vom Kaiserreich, weil sie überzeugt waren, dass Napoleon von seinem guten Stern verlassen worden war, und traten in eine ihm feindlich gesinnte Koalition ein. Die meisten anderen Staatschefs befanden übereinstimmend, dass die europäische Einheit sich nicht an das militärische Modell Napoleons anlehnen konnte. Die meisten sahen schließlich in ihm, wie dies die britische Presse ständig getan hatte, einen Usurpator, der unfähig war, mit seinen Nachbarn in Frieden zu leben. In ihren Augen war keinerlei Kompromiss möglich und Sainte-Hélène, ein abgelegener und windumtoster Felsen im Südatlantik, war die einzige denkbare Bestimmung für den, dessen unstillbare Ambition aus seiner anhaltenden Präsenz in Europa eine Gefahr für die öffentliche Ordnung gemacht hatte. Die anlässlich seines Sturzes publizierten Karikaturen, die ihn als Verbrecher, Dämon und Ungläubigen, den es zu strafen gilt, oder als ein wildes Tier, das eingesperrt werden muss, darstellten, brachten besser als Worte die Wut und die Erleichterung zum Ausdruck, die 1815 den ganzen Kontinent erfassten, als Napoleon als Gefangener Großbritanniens auf der Northumberland von Plymouth aus gen Süden segelte. Und die in London von George Cruikshank, James Gillray und William Elmes publizierten Karikaturen fanden Äquivalente in fast dem ganzen kontinentalen Europa, in Holland, in Deutschland, in Russland und natürlich auch im Frankreich der Bourbonen.

Doch zum Bedauern seiner Feinde geriet Napoleon in Sainte-Hélène nicht in Vergessenheit. Er lebte im öffentlichen Gedächtnis weiter und wurde zu einer der entscheidenden Gestalten des 19. Jahrhunderts, von den einen bewundert, von den anderen verunglimpft. Für seine Gegner war er ein Kriegstreiber, der Millionen Landsleute zu Tod und Elend verurteilt hatte, ein Bild, das einen berühmten Ausdruck in den erschütternden Schrecken des Krieges von Francisco de Goya fand, einer Sammlung von 82 Radierungen, die die Chronik des Leidens des spanischen Volks schilderte und dazu beitrug, den patriotischen Mythos des in seinem Kampf für die Nation gemarterten spanischen Guerillero herauszubilden. Napoleon wurde persönlich verantwortlich gemacht für die Verbreitung des Kriegs, den Einmarsch in das Territorium Spaniens und die Einberufung der Söhne des Landes in die Armee. Er hatte Kirchen geschändet, Städte in Brand gesteckt, Frauen vergewaltigt und das Gemetzel von Priestern angeordnet.

In Spanien, in Portugal und in anderen Regionen des mediterranen Europas existiert der Napoleon-Mythos weiterhin, aber er ist eine schwarze Legende, die von keiner Erfahrung der Gerechtigkeit oder der guten Regierung aufgewogen wird. Auch in den Städten Europas, die seinetwegen gelitten hatten, wie Hamburg und Leipzig, Burgos und Moskau wäre es unmöglich, die Erinnerung an das Kaiserreich von der Erinnerung an die Verwüstung durch die Belagerung und den Krieg zu trennen. Dort ist die von Napoleon hinterlassene Erinnerung nicht die eines großen Gesetzgebers, sondern eher die eines Tyrannen, der Plagen und Massaker über die Städte gebracht und letztlich diese Länder gegen ihn geeint hatte. Diese Erinnerung ist nicht weit von dem Bild des entsetzenerregenden Ogers entfernt, das die britischen Mütter in den Jahren nach Waterloo verwendeten, um ihre Kinder zum Gehorsam zu bringen.

Dennoch ist die Erinnerung an Napoleon nicht gestorben. Selbst die Schriftsteller, die ihn fürchteten oder sich vor ihm hüteten, konnten ihn nicht ignorieren. François-René de Chateaubriand hat die Faszination eingestanden, die er in ihm geweckt hat, während romantische Autoren wie Victor Hugo, Stendhal, Johann Wolfgang von Goethe und Heinrich Heine in ihm den größten Mann seines Jahrhunderts sahen. Für seine Anhänger war Napoleon ein Held, der mit den glanzvollsten Helden der Geschichte vergleichbar war, ein Kaiser – ein Bild, das er selbst vermitteln wollte – in der ruhmreichen Tradition der Antike, ein würdiger Nachfolger Karls des Großen und des Heiligen Römischen Reichs des Frühmittelalters. Mit der Rückkehr seiner Asche und seiner Bestattung im Invalidendom im Jahr 1840 war sein Erbe gesichert. Um die Worte des damaligen Innenministers Charles de Rémusat aufzugreifen: „Frankreich, und Frankreich allein, besitzt nunmehr alles, was von Napoleon bleibt. Sein Grab wie auch sein Andenken wird niemand anderem gehören als seinem Land.“

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