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RICHARD TOYE

Der (un)beugsame Churchill

Heute sieht man in ihm die Verkörperung des Muts gegenüber dem nationalsozialistischen Feind während des Zweiten Weltkriegs. Winston Churchill war aber nicht nur der Mann der Reden von „Blut, Schweiß und Tränen“ oder über „die Vereinigten Staaten von Europa“. Er war auch ein durchtriebener und umstrittener Mann der Macht.

Winston Churchill, Bronzestatue (1973) von Ivor Roberts-Jones auf dem Parliament Square in London.

Winston Leonard Spencer Churchill (1874–1965) war zuerst Soldat, dann Journalist und Schriftsteller. Mehr als 60 Jahre lang hatte er einen Sitz im britischen Parlament inne und übte eine Reihe von Regierungsämtern aus, darunter zweimal das des Premierministers (1940–1945 und 1951–1955). Am meisten hat die Öffentlichkeit seine Rolle im Zweiten Weltkrieg, in seiner Hochzeit als Politiker, beeindruckt. Präsent in der Erinnerung ist er aber auch dank einer Reihe von Aussagen und Bildern, die in Fernsehdokumentationen und Kinoversionen weidlich ausgeschlachtet wurden. Churchill ist trotzdem weiterhin eine umstrittene Persönlichkeit und die Erinnerungen – selbst die positiven –, die er hinterlassen hat, gehen weit auseinander. Während er in Kontinentaleuropa, vor allem im Westen, oft – zu Recht oder zu Unrecht – als Vorläufer eines vereinigten Europas dargestellt wird, betrachtet man ihn in Großbritannien als Verkörperung eines fast schon chauvinistischen Patriotismus. In Osteuropa verbindet man mit ihm vor allem die Erinnerung an die Konferenz von Jalta, auf der die Welt neu unter den englischen, amerikanischen und sowjetischen Alliierten aufgeteilt wurde; weite Teile Europas wurden so die Beute Stalins. In Osteuropa ist deshalb das Gefühl geblieben, man sei im Stich gelassen worden.

Der Nobelpreis für Literatur

Churchill hat viel zu seinem historischen Ansehen beigetragen, insbesondere durch seine umfangreichen Memoiren aus der Zeit der zwei Weltkriege, denen es mit zu verdanken ist, dass ihm 1953 der Literaturnobelpreis verliehen wurde. Aber auch, wenn er einiges für seine Reputation getan hat, ganz kontrollieren konnte er sie nie. Denn er ist bereits vor 1914 weltberühmt und innenpolitisch höchst umstritten. Das Fiasko der Dardanellen-Kampagne von 1915 wird auf immer mit seinem Namen verbunden bleiben. Seine Fehleinschätzungen werden freilich von Ort zu Ort unterschiedlich beurteilt. Und auch die Hungersnot in Bengalen im Jahr 1943, während der er ein unverzeihlich gefühlloses und rassistisches Verhalten an den Tag legte, ist natürlich in Indien ein viel heikleres Thema als im Vereinigten Königreich.

In seinen letzten Lebensjahren haben die selbst ernannten Wächter der Erinnerung an ihn, diese „Reputationsunternehmer“, um einen Begriff des Soziologen Gary Alan Fine aufzugreifen, mit der Konsolidierung seines Erbes begonnen. Die erste Generation dieser „Unternehmer“ unterhielt enge persönliche Beziehungen zu Churchill und wollte sein Bild in der Nachwelt vor seinen Kritikern schützen. So hat sein ehemaliger Privatsekretär John Colville alles für die Gründung des Churchill College in Cambridge getan, wo zum einen das Andenken an den Politiker gepflegt und andererseits der naturwissenschaftliche Unterricht in Großbritannien gefördert werden sollte. Colville hat auch viel Energie in die Gründung des Churchill Archives Centre gesteckt.

Die Statue von Ivor Roberts-Jones auf dem Parliament Square ist vermutlich das bekannteste Element der Churchill-Ikonografie. Im Parlament selbst steht eine weitere Statue neben dem Churchill Arch, der ins Unterhaus führt. Der Bogen wurde durch Bombardierungen während des Kriegs beschädigt, aber aus seinen Trümmern wiederhergestellt, um „die Kontinuität unserer Institutionen“ zu symbolisieren, wie Premierminister Clement Attlee laut Times im Oktober 1950 sagte. Chartwell, das Landhaus Churchills in der Grafschaft Kent, gehört dem National Trust. Der Churchill, den man dort den Besuchern auftischt, ist eine Art gezähmte und entpolitisierte Ausgabe seiner Person. Dagegen wird in den Cabinet War Rooms, dem Bunker von Whitehall neben dem St. James’s Park, eher die militärische Seite des großen Mannes betont. Dieser Versammlungsort des Kriegskabinetts, der im Zweiten Weltkrieg als Kommandozentrale diente, wurde 1984 für das Publikum geöffnet. Eine der bemerkenswertesten Churchill-Stätten ist freilich das US-amerikanische National Churchill Museum in Fulton (Missouri). Dort wurde nämlich 1946 die berühmte Rede über den „Eisernen Vorhang“ gehalten. Das Museum ist in der St.-Mary-Aldermanbury-Kirche untergebracht, der 1966 auf dem Campus des Westminster College errichteten Kopie einer Londoner Kirche, die während des blitz, also der deutschen Bombardements, zerstört wurde.

Jahrzehnte nach Churchills Tod wollten einige US-amerikanische Politiker sein Image für ihre eigenen Zwecke nutzen und ein wenig von seiner Aura auf sich selbst übertragen. So ließ Präsident George W. Bush eine von der britischen Regierung geliehene Churchill-Büste von Jacob Epstein gut sichtbar im Oval Office aufstellen.

Churchill wurde mehrfach zum Filmhelden, vor allem in Spielfilmen. Am besten wurde er von dem Schauspieler Simon Ward verkörpert (Young Winston, 1972) und die beste TV-Version ist die von Albert Finney in The Gathering Storm (2002). So exzellent diese Filme sein mögen, die der Komplexität dieser Persönlichkeit gerecht werden, so verstärken sie doch den Mythos, anstatt ihn infrage zu stellen. Theaterstücke wie Soldaten: Nekrolog auf Genf (1967) von Rolf Hochhuth und The Churchill Play (1974) von Howard Brenton zeichnen sich dagegen durch die unverkennbare Absicht, den Mythos zu zerstören, aus. Der Kontrast zwischen den Porträts auf der Leinwand und denen auf der Bühne dürfte das heutige Image Churchills gut widerspiegeln. Sein Name ist auflagensteigernd und treibt die Zuschauerzahlen in die Höhe: Die geringste, noch so banale „Enthüllung“ wird zum Aufmacher in den Medien und er selbst ist weiterhin in vieler Augen ein Held. Doch entsprechend dem Ruf, den er zu Lebzeiten hatte, und auch wenn seine Widersacher in der Minderheit sind, ein unumstrittener Held ist er nie.

Literatur

François BÉDARIDA, Churchill, Paris 1999.

Stefan BUCZACKI, Churchill and Chartwell. The Untold Story of Churchill’s Houses and Gardens, London 2007.

G. A. FINE, Reputational Entrepreneurs and the Memory of Incompetence: Melting Supporters, Partisan Warriors, and Images of President Harding, in: The American Journal of Sociology 101 (1996), S. 1159–1193.

David REYNOLDS, In Command of History. Churchill Fighting and Writing the Second World War, London 2004.

Richard TOYE, The Churchill Syndrome. Reputational Entrepreneurship and the Rhetoric of Foreign Policy since 1945, in: The British Journal of Politics & International Relations 10 (2008), S. 364–378.

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