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Europa als Inspiration

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„Triumphiere, mein Britannien, du hast Einen vorzuzeigen, dem alle Bühnen Europas Verehrung schulden“, schrieb Ben Jonson im Jahr 1623. Shakespeares Werk absorbiert, spiegelt und etabliert einen umfassenden Dialog mit den antiken Kulturen Griechenlands und Roms, aber es interessiert sich vor allem für die britische und europäische Geschichte und Literatur des Mittelalters und der Renaissance. Trotz gelegentlicher kurzer Anspielungen auf China (Was ihr wollt, Die lustigen Weiber von Windsor), Kleinasien (Heinrich IV.), Indien (Ein Sommernachtstraum), Afrika (Antonius und Kleopatra, Othello) und die Neue Welt (Der Sturm) bleibt Europa im Zentrum eines geografischen Universums, das sich von der Bucht von Lissabon (Wie es euch gefällt) und Altrussland (Verlorene Liebesmüh) bis zu den Hunden isländischer Rasse (Heinrich V.) und der Kastalischen Quelle Ovids (Venus und Adonis) erstreckt.

Shakespeares geografische Identität ist die der „europäischen“ Renaissance und spiegelt das wachsende Interesse am griechisch-römischen Erbe Europas, das der Eroberung Konstantinopels durch die Türken 1453 und der einzigartigen Orientierung der orientalischen Völker, ihrer Kulturen und Kulturschöpfungen nach Westen folgte.

Das Werk Shakespeares hat auch Teil an den leidenschaftlichen Bemühungen, die „Neue Welt“ zu Beginn der Neuzeit zu kartografieren. Es bezeugt übrigens auch das zeitgenössische Interesse an den Nationen, ihrer Geschichte und ihrem Nationalcharakter, das durch die Entwicklung der Handelsbeziehungen, aber auch durch die komplexen religiösen Auseinandersetzungen zur Zeit der Reformation, die den Kontinent ab Anfang des 16. Jahrhunderts prägten, geweckt wurde. Diese Art des nationalen Selbstbewusstseins, wie es im Werk Shakespeares zum Ausdruck kommt, muss sicher als eine Form des Patriotismus anerkannt werden, im Unterschied zum Kulturnationalismus, wie er sich in Europa ab dem 18. Jahrhundert zu entwickeln begann. Es besteht jedoch eine gewisse Kontinuität zwischen diesen zwei Konzeptionen der Nation und, wie ebenfalls Leerssen und Rigney zeigen, spielte das Werk Shakespeares wahrscheinlich eine nicht zu unterschätzende Rolle in deren Entstehung. Sich auf Heinrich V. beziehend – und insbesondere auf die Rede des Königs, in der er vor der Schlacht von Azincourt seine Männer auffordert, sich die Zukunft vorzustellen, in der sie wie die heiligen Schutzpatrone des mittelalterlichen liturgischen Kalenders Gegenstand eines jährlichen Gedenkens sein werden –, glauben diese Autoren, dass der „selbstreflexive Historizismus“, der das Herzstück der Dramen Shakespeares bildet, auch den Erinnerungskult um diese Dramen und deren Autor befördert habe.

Die Erinnerungsdynamik der historischen Dramen, der Histories, die den britischen Kult um Shakespeare stimuliert haben, hat diese erstaunlicherweise nicht daran gehindert, sich als kollektiver Bezugsrahmen jenseits der britischen Gestade durchzusetzen. Richard und Cosima Wagner hatten eine klare Meinung über eines dieser Stücke. Als ihnen Friedrich Nietzsche am 9. August 1870 mitteilte, er habe beschlossen, in der preußischen Armee im Krieg gegen Frankreich Dienst zu leisten, notierte Cosima in ihrem Tagebuch, dass ihr Mann und sie angesichts dieser schwierigen Situation Shakespeare gelesen hatten: „Unsere einzige Ablenkung […] bestand in der Lektüre einiger Szenen von Heinrich V.“ Im Lauf des Ersten Weltkriegs zitierte der Rektor der Universität Nancy Auszüge aus der Rede Heinrichs V. vor Azincourt, um die französisch-englische Allianz gegen Deutschland zu unterstützen, während aus Anlass des 300. Todestages Shakespeares 1916 in Calais stationierte britische Truppen Heinrich V. aufführten, wobei die Rolle der französischen Prinzessin von einer ortsansässigen Schauspielerin interpretiert wurde.

Der Engländer Shakespeare genießt nicht nur seit Langem einen ausgezeichneten Ruf in Großbritannien, sondern auch parallel zu den lokalen Literaturgrößen in sehr vielen europäischen Ländern. Er muss also einerseits als englischer oder britischer Autor betrachtet werden, der in der Kultur seiner Heimatinsel eine kanonische Position einnimmt und auf eine lange Gedenktradition zurückblickt, andererseits als ein bilateraler oder multilateraler Autor, der die Verbindung zwischen den europäischen Nationen herstellt, seien es die Beziehungen zwischen Großbritannien und den verschiedenen europäischen Staaten oder komplexere Formen internationaler Beziehungen. Zugleich müsste man Shakespeare als einen Autor würdigen, der eine Reihe von Werten und einen transnationalen kulturellen Rahmen innerhalb dieses europäischen Kontextes mit sich bringt. Schließlich ist nicht zu übersehen, dass unser emblematischer Autor von außereuropäischen Ausländern aufgrund seiner Verdienste und seiner Fehler als „Europäer“ wahrgenommen wird. Diese vier unterschiedlichen Fäden, die „Shakespeare“ und „Europa“ zusammenschließen, unterstreichen ein in der Literatur und der Kultur im Allgemeinen einzigartiges Phänomen, das wir zurecht als „Shakespeare – europäischer Erinnerungsort“ bezeichnen können.

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