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VII.

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Warum das Stück 1722 in dieser Form zum Druck befördert wurde, ist nicht zu erklären. Die umherziehenden Schauspielgesellschaften hatten wenig Interesse daran, ihren jeweiligen Bestand an Stücken öffentlich und damit auch anderen Truppen zugänglich zu machen. Auch der possenhaft-burleske Charakter des Werkes, das die Konventionen der traditionellen Komödie hinter sich lässt, spricht gegen eine Publikation. Andererseits schmückt sich der unbekannte Verfasser nur allzu deutlich mit Gräzismen, so dass der Bildungshorizont, auf den solchermaßen verwiesen wird, denjenigen des Publikums, welches das Stück zu adressieren scheint, übersteigt.1

Ein Blick auf die Geschichte der Schauspielbühnen im Straßburg des frühen 18. Jahrhunderts vermag ebenfalls keine Einsichten zu Geschichte und Hintergrund des Polter-Geist zu liefern, dokumentiert allerdings das Nebeneinander deutscher, französischer und englischer Einflüsse sowie die Koexistenz einer französisch dominierten städtischen Bühne und umherziehender, deutscher Schauspieltruppen. So kamen im städtischen Opernhaus auch Schauspiele zur Aufführung. Jean Martin François Théodore Lobstein, der die Geschichte des Theaters in der ehemaligen Reichsstadt untersucht hat, schreibt über die Direktion dieser Bühne in den fraglichen Jahren:

Am 31ten Mai 1721 erlangte Jakob Gardinier von Dublin, die Erlaubniß auf dem Stadt-Theater italiänische Comödien zu spielen. Der Magistrat wohnte auf Einladung einer Vorstellung bei, wofür der Direktor ein Geschenk von 160 Livres erhielt.

Am 9ten Juli 1722 gieng die französische Direktion [die zuvor in den Händen der Herren le la Voye und Gaudin lag; S. S.] auf Pierre du Cornier, comédien de Mgr. le duc de Bourbon über, welcher das Rücksichten, von dem Miethzins des Hauses befreit blieb bis zum 15ten August 1727, wo ihm eine monatliche Miethe von 50 Liv. auferlegt wurde.2

Die Aufführungen der deutschen Truppen fanden in den Häusern unterschiedlicher Handwerkszünfte statt:

Indessen spielten deutsche Gesellschaften in dem Zunfthaus zur Tucherstube, unter andern 1716 eine von Stralsund, unter der bloßen Bedingung an den Tagen der französischen Komödie keine Vorstellung zu geben.

Die Theater-Lust fieng in jener Zeit zu Straßburg an allgemein zu werden, besonders fanden deutsche Gesellschaften ihre Rechnung, so daß die Zünfte um die Wette ihre Lokalitäten zur Miethe anboten. Die Maurer-, die Tucher- und die Gerber-Zunft wollten Theater aufbauen.3

Möglicherweise ist die Geschichte des Spenglers Simplicius einem solchen Entstehungszusammenhang zuzuordnen. Die Fokussierung auf die Welt des Handwerks und die Darstellung einer entsprechenden Lebenswirklichkeit auf der Bühne lassen sich zumindest auf diese Weise verstehen.

Curt von Faber rubriziert das Werk unter der Überschrift „The Grotesquely Comical“ und deutet es als ein Volksstück:4 Er schreibt: „A Strasbourg folk play, dealing with the story of an attempted fraud performed by an apprentice raised a ghost.“5 Zudem macht der gelehrte Bibliophile auf die inhaltlichen Parallelen zwischen dem Polter-Geist und dem 1680 unter dem Pseudonym (möglicherweise handelt es sich auch um ein Anagramm) Christian von Gletelberg in Nürnberg veröffentlichten Stück Eryfila. Oder Die Verrrathene Zauber- und Wahrsager-Kunst aufmerksam: „The plot is the same as in Gletelberg’s play, but the milieu is middle class: a Strasbourg tinsmith, named Simplicius after Grimmelshausens’s hero, and this wife Unckenplutz are the deceived ones.“6

Markus Paul, der sich im Rahmen einer Studie mit dem Nürnberger Theater des 17. Jahrhunderts beschäftigt hat, schreibt über dieses Stück:

Von einem Mitglied des Pegenesischen Blumenordens stammt möglicherweise auch das 1680 in Nürnberg im Endterschen Verlag unter dem Pseudonym „Christian à Gletelberg“ erschienenen Stück Eryfila. Oder die Verrathene Zauber= und Wahr-sager=Kunst. Laut Vorrede basiert das 272 Seiten umfassende Werk auf einem französischen Schauspiel, dessen ursprünglichen Autor der Übersetzer nicht zu nennen vermag. Bemerkenswert ist, daß sich in der Vorrede nicht nur ein verstecktes Zitat aus dem Schauspielkapitel von Birkens Poetik findet, sondern dem Stück auch ein Begleitgedicht in sechs Strophen beigegeben ist, das von niemand anderem als dem ‚Pegnitzschäfer‘ Johann Gabriel Meyer unterzeichnet ist. Dabei geht es in dem auf moralische Belehrung abzielenden Stück um die als „Ertz-Aeffin deß Teufels“ titulierte Zauberin Eryfila und um allerlei Verwirrungen, Zauber- und Wahrsagerei. Gespenster, schwarze Kunst sowie den Teufel, der Tiere in Menschen verwandelt[.]7

Die Parallele zwischen den beiden Werken, auf die von Faber hinweist, besteht darin, dass die Geister keine überirdischen Erscheinungen sind, sondern durch menschliche Kunstfertigkeit in der Absicht hervorgerufen werden, andere Menschen zu täuschen. Weil die bewusste Täuschung und willentliche Irreführung einer Mehrzahl von Figuren durch eine einzelne bereits in mittelalterlichen Schwankerzählungen zu finden und spätestens seit Pedro Calderón de la Barcas La Dama duende auch ein beliebtes Motiv der Komödie ist, erscheint von Fabers Überlegung allerdings wenig schlüssig.

Die didaktische Intention tritt in dem Nürnberger Stück, das durchweg als ein Lustspiel angelegt ist, zwar deutlicher hervor als in dem Straßburger Stück; gemeinsam ist beiden jedoch, dass bereits zu Beginn herausgestellt wird, dass keines der auf der Bühne zu sehenden Gespenster Realität besitzt. In diesem Sinne heißt es in der Vorrede zu Eryfila:

Erschrecke nicht allzusehr / geneigter Leser / ob dem ersten Anblick dieses Lust-Spiels / und laß dich ja nicht von einigem Grauen so har urplötzlich überfallen werden / daß du etwa aus unzeitiger Beysorge / ob möchten diese Larv- und Schreck-Gesichter dir die anmutige Nach-Ruhe verstören / und schreckbare Träume verursachen / dieses Büchlein zu kaufen und durchzublättern Bedencken tragen wolltest. Es ist und bleibt ein Lust-Spiel / in dem Wahr-sagen hier als Mahr-sagen / Geheim-Geister als Träum-Geister / Hand- und Stirn-Deutungen als Tand- und Hirn-Theidungen / und mit einem Wort / unter Zäuberern und Räubern / wie wie hierinn beschrieben werden / kein andrer Unterschied gemacht wird / als daß diese mit offenbarer Gewaltthäthigkeit / jene mit allerhand verdeckten Räncken und heimlichen Griffen / die Leid um das Ihrige bringen.8

Die rationale Haltung, welche die Autoren beider Stücke akzentuieren, die Kritik an Leichtgläubigkeit und Aberglauben und die Betonung des Nutzens des literarischen Spiels und daraus zu ziehender Lehren für den Zuschauer, spiegeln Aspekte einer poetologischen Programmatik, die im weiteren Verlauf der literarischen Aufklärung zur Entfaltung gelangen sollte, aber in den Übergängen von Barock und Frühaufklärung schon erkennbar sind.

Während das Nürnberger Stück bereits in seinem Titel auf eine französische Vorlage verweist, Christian von Gletelberg als Übersetzer desselben vor den Leser tritt und die Hinweise auf Bühnenwerke Molières den Bildungshorizont des unbekannten Verfassers und seines Publikums anzeigen, zeigt das Straßburger Stück die Vielfalt an Formen, Inhalten und Traditionen, die für die Bühnen des Barock vor „der klassizistischen Reinigung der Schaubühne“ kennzeichnend ist.9 Nicht die Geschlossenheit der Form und der Handlung, die Symbolhaftigkeit der dargestellten Welt oder das Individuelle der Personen stehen im Vordergrund; stattdessen weist das Stück durch die Reihung von komischen Szenen, Dialogen und Verwicklungen sowie durch das Typenhafte der Figuren auf eine Poetik, die an der unterhaltenden Wirkung des Bühnengeschehens orientiert ist. Das Nebeneinander zweier Handlungen, die Erweiterung um Szenen, denen die Funktion von Zwischenspielen zukommt und die Ergänzung um ein Nachspiel, erscheint daher lediglich aus der Perspektive eines Werkbegriffes als defizitär, der zwischen Sturm und Drang und Romantik entwickelt worden ist. Indem das Straßburger Stück jedoch nicht vor dem Hintergrund der theoretischen Erwägungen späterer Generationen entstanden ist, können diese (ihrerseits nunmehr historischen) Begriffe auch nicht zu seiner Einordnung herangezogen werden.

In diesem Sinne ist der Polter-Geist das seltene Beispiel eines jener Volksstücke, mit denen Wandertruppen des frühen 18. Jahrhunderts ihr ungebildetes (weil nicht belesenes) Publikum unterhielten. Als ein Werk des Überganges steht es zwischen Mündlichkeit im Sinne theatralischer Performanz und Schriftlichkeit im Sinne einer sich ausbildenden Literarizität; es verbindet zwar Momente der französischen, italienischen und englischen Theatertradition, hat sich jedoch bereits von den damit verbundenen Konventionen gelöst. Es ist unterhaltend, erhebt auf eine implizite Weise aber bereits den Anspruch, zugleich lehrreich zu sein.

Das geistige Straßburg im 18. und 19. Jahrhundert

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