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Fraktale Architektur und Filme

Auf dem Städtetag in Berlin im Jahre 2000 haben sich viele beklagt über die sterile heutige Architektur der modernen Städte, seien es die Megastädte der Dritten Welt, die dynamischen Großstädte der nur noch selten so genannten Zweiten Welt oder unsere scheinbar alten europäischen Großstädte, bei denen keiner mehr von der Ersten Welt redet.

All diese neuen Planungen sind auf dem Reißbrett entstanden und damit bereits notwendigerweise Produkte des geordneten, auf der klassischen Mathematik fußenden Designs mit im wesentlichen geraden Linien und allenfalls einigen Abrundungen oder höchstenfalls kreis- oder wellenförmigen Kurven.

Die Schönheit der alten Städte beruht aber nicht auf einer funktionellen Planung, sondern sie sind aus einem anfänglichen Kern durch im Prinzip iteratives, jedoch laufend variiertes Hinzufügen entstanden. Dieses ist genau das Prinzip des fraktalen Wachstums: es gibt einen höchst einfachen Grundcode, aus dem durch ebenso einfache Weiterentwicklungsregeln Gebilde entstehen. Als Beispiel für einen einfachen Fall möge man an die Blätter der Pflanzen denken. Jedoch treten in der Natur gelegentlich Mutationen auf, die in den Grundcode gegebenenfalls integriert werden können. Gegebenenfalls: das heißt, wenn sie sich durchsetzen. Also zunächst einmal Darwinismus.

Dieser alte Kern war aber im allgemeinen ein sakrales Zentrum und unterlag damit besonderen Regeln, was oft bereits besondere Schönheit mit sich brachte. Nun stelle man sich vor, was das bedeutet. Die oft als Paradebeispiel gezeigten zweidimensionalen computererzeugten farbenprächtigen Apfelmännchen-Fraktale entstehen durch Iteration aus der Herzkardoide, also aus nach einer festen Regel erfolgten Verwandlungen der Herzkurve. Solch schöne Resultate erhält man bereits aus einem äußerst einfachen Startset. Wenn nun aber dieser „Set“ bereits ein viel komplexeres schönes Gebilde ist, welche viel weitergehende Resultate können wir dann erwarten. Dieses ist der Ausgangspunkt zum Verständnis der Schönheit und hohen Lebensqualität alter Städte.

Und die Mutationen? Hier spielen gewiss durch Veränderungen im Leben, also vor allem durch Entdeckungen und Kriege bedingte Neuerungen und Zerstörungen eine entscheidende Rolle.

Welche Schlussfolgerung können wir daraus für den modernen Städtebau ziehen? Was mag der entscheidende Punkt in der Entwicklung am Anfang des kommenden Jahrtausends sein?

Wir müssen zugeben, dass Städte wie Lebewesen zu betrachten sind und dass damit im Grunde alle Versuche zum scheitern verurteilt sind, sie als völlig geordnete Wesen am Reißbrett bzw. mit dessen Nachfolger, dem CAD-Programm als Ganzes oder auch nur in größeren Teilen planen zu wollen. Schöne Städte sind gewachsen von innen heraus in Wechselwirkung mit der Bevölkerung, - aus einem Kern nach Regeln mit Mutationen, genau wie sich auch die Menschen selbst weiterentwickeln. Sie sind also ein Abbild. Das aber kann von den momentanen Reißbrettplanungen nur zu einem minimalen Grade sagen. Hier liegt die Wurzel für die Ablehnung, die zur Zeit der neue Baustil erfährt - der angebliche jenseits der „aktuellen“ Moderne liegende Postmodernismus, wenn man der Suggestion der Namensgebung folgen würde.

Ihren praktischen Ausdruck wird eine solche Entwicklung in einem Zurückdrängen der geraden Linien, der rechten Winkel, der einfachen (kreis- und wellenförmigen) Kurven, der rechten Winkel und der einförmigen Farbgebung (sowohl in Muster als auch in Farbauswahl) finden. Höchste Bedeutung wird der Nukleus haben, von dem eine solche Entwicklung im Inneren ausgeht. Der schönste zur Zeit existierende derartige Nukleus ist vielleicht die Hagia Sophia in Istanbul, dicht gefolgt von anderen Kern-Ensembles etwa in italienischen oder ostasiatischen Städten wie Siena oder Kyoto. Aber vielleicht noch größere Aufmerksamkeit erheischt ein völlig neuer moderner Nukleus wie in Berlin der Potsdamer Platz mit dem Sony-Center oder die neue Architektur in Form einer riesigen Auster in Sydney.

Gibt man diesen neuen Kernen die Möglichkeit zur Weiterentwicklung? Schwer ist es zu glauben. Wir dürfen nicht vergessen, dass eine solche Entwicklung eben nicht auf einmal geplant werden kann, sondern sich über längere Zeiträume entwickelt, wobei mit länger die Vergleichbarkeit mit der Lebensdauer von Gebäuden gemeint ist. Das meiste von dem, was jetzt vorhanden ist, wird eben eines Tages abgerissen werden, und nur die wenigen wirklich für kostbar erachteten Gebäude werden als Nukleus für Teilzentren dienen oder zumindest integriert werden.

Damit Hand in Hand gehen muss die Entwicklung von neuen Arbeitsmitteln und Vorgehensweisen. Die heutigen CAD-Computer-Programme können durch fraktale Programme ersetzt werden, die Fertigbauteile durch formbare Teile und die von oben dirigierende Verwaltung durch in die Bevölkerung integriertes Vorschlags- und Mitentscheidungsrecht. Der Wandel sollte, ja muss also höchst grundlegend sein und kann nicht einfach aufgepropft werden.

Solch ein Bewusstseinswandel kann heute nur noch durch die Medien erreicht werden. Diese sind aber bislang noch genauso strukturiert wie unsere Architektur: geplant, funktionell arbeitend (dies entspricht den geraden Linien, rechten Winkeln usw. in der Architektur), nicht von einem Nukleus ausgehend und im Design an die vorherrschende postmoderne Architektur angelehnt. Sowohl die Medien selbst als auch der Umgang mit ihnen müssen sich ändern.

Das grundlegende Medium ist aber der Film. Das Fernsehen und zukünftig auch Computeranwendungen werden sich seiner in immer stärkerem Maße bedienen, gefördert durch die technische Entwicklung, welche uns bald ermöglichen wird, sowohl Fernsehen als auch Computer mit lichtstarken Projektionsgeräten und exzellentem Raumklang zu verwenden, also „wie im Kino“. Der Film muss also buchstäblich revolutioniert werden. Doch wie?

Wieder genauso wie die Architektur; denn die zugrunde liegenden Prinzipien sind dieselben. Filme können, um wirklich entscheidend Neues zu bringen, also um sich mit zu entwickeln, nicht einfach am Reißbrett geplant werden, - ein offenes Geheimnis, das wirklich gute Regisseure längst kennen. Sie gehen ebenso wie die guten Architekten von einem Nukleus aus, von dem sich alles weiterentwickelt. Sie leben von der Verwebung von Darstellung als der Wiedergabe von faktisch Vorhandenem mit Kreativem als Ergebnis eines künstlerischen Schaffensprozesses, wobei künstlerisch künstlich beinhaltet (schön wiedergegeben von der deutschen Sprache, wo das zweite Wort im ersten versteckt ist).

Des weiteren müssen sich auch neue Arbeitsmittel finden: im Prinzip fraktale Methoden, um Filme zu gestalten. Es gibt ja schon seit längerem fraktale zweidimensionale Zeichenprogramme für Computer wie z.B. „Painter“, die leider neben vektororientierten Programmen, wie sie für die heute vorherrschende Grafik hauptsächlich verwendet werden, weniger bekannt sind. Diese Programme werden zur Zeit zu dreidimensionalen Programmen gemacht, die bereits für Filme wie ToyStory 2 mit Erfolg eingesetzt wurden. Doch der entscheidende Moment ist wieder das iterative Verfahren mit einem zeitlichen „Wachstum“. Bislang werden zeitliche Darstellungen jedoch nur als Übergänge einer Szene zu einer anderen in Form von Morphing von Computern bewältigt. Der wichtige Punkt, der uns noch bevorsteht, ist die Schaffung von streckenweise sich selbst entwickelnden Szenen und daraus gestalteten Filmen. Entsprechen die menschlichen Eingriffe in solche Entwicklungen, also ein interaktives Verfahren, dann den Mutationen? Oder wird man in die Programme statistische Mutationsmöglichkeiten mit einer Selektion einbauen, wie es etwa in der genetischen Algebra zum Beispiel zur Entwicklung von Flügelprofilen von Flugzeugen bereits geschieht? Ein weites spannendes Feld liegt noch vor uns.

Juli 2000

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