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Ich betrat nun die Sänfte und ließ mich auf die gut gepölsterte Sitzbank sinken. Natürlich hatte ich ohne die Sau viel mehr Platz. Arm- und Beinfreiheit waren nicht nur bequem sondern auch sehr gesund. Es sah ganz so aus, als wäre ich in eine Win-Win-Situationen geraten. Aber als Ministerpräsident wusste ich, dass alles zwei Seiten hat, konservativ gerechnet und ohne die ganzen Dunkelziffern. Deshalb würde ich auch nicht auf jeden schönen Schein herein fallen, sondern nur auf den schönsten.

Mit dem Lächeln eines Siegers streckte ich meine Beine aus bis ans Mittelmeer und sah wehmütig ein letztes Mal hinüber aus meinem diesseitigen Sänftenfenster zu meinem guten, alten Sarg. Was würde er jetzt machen ohne mich? Doch es sah aus, als hätte sich seine Zukunft schon geklärt. Er weinte mir offenbar keine Träne nach. Schnell war man vergessen, gerade in der Optik, aber auch im Sport und in der Liebe und in der Familie undsoweiter, undsoweiter. Denn was ich erblickte, bestätigte meine Meinung. Dicht an den Sarg geschmiegt stand das schöne Tier mit der dicken Rippe und umgriff schamlos seinen Deckel. Dann klappte es ihn hoch, so hoch es ging und dann noch ein Stück höher. Der Sarg ließ die Sau herein und klappte den Deckel eifersüchtig schnell wieder zu. Er hatte, was er wollte und die Sau auch. Sie wollte nie mehr heraus. Ich hatte genug gesehen. Außerdem erwartete mich das Wahlvolk schon ungeduldig wegen der Vereidigung im Möbelmuseum. Ich musste los.

In der Sänfte erwartete mich aber nicht nur das Mittelmeer sondern eine weitere Überraschung. Ich war der einzige Passagier. Kein uralter Guru und keine aufgetakelte junge Gespielin waren zu sehen. Mein erster Gedanke war, dass wahrscheinlich etwas Furchtbares passiert war, aber dann merkte ich, dass ich fast auf den erstbesten Gedanken herein reingefallen wäre. Ich vergaß ihn ganz schnell wieder. Er weinte. Aber als Ministerpräsident musste ich Prioritäten setzen. Eine klare Linie war sehr wichtig. Sie war mehr oder weniger das Non-Plus-Ultra der reinen Lehre.

Natürlich war nichts Furchtbares geschehen mit dem Guru und seiner Dame. Es war etwas anderes. Die starken Burschen hatten sich im Laufe der Zeit in einen Kostenfaktor verwandelt. Jetzt, wo sie älter und undynamischer geworden waren, war es deutlich zu sehen. Nur deshalb hatten sich die beiden Turteltauben von ihnen und ihren Dienstleistungen getrennt und sich für ihre Zwecke vier starke Roboter mit luftigen Baströckchen angeschafft. Also alles normal. Ein Grund zur Beruhigung war das aber natürlich nicht, wie immer, wenn alles normal läuft. Mein Geheimdienst würde sich darum kümmern und mir alle geheimen Erkenntnisse über diese kritische Normalsituation unverschlüsselt mitteilen. So hatte jeder was davon. Offene Geheimnisse waren mir immer noch die liebsten. Dieses Mal würde ich als Ministerpräsident meine ganze taktische Raffinesse ausspielen und mindestens für die Dauer von vierundzwanzig Wahlperioden regieren, bis sich die Balkone verbogen oder die vierundzwanzig gut gelaunten Putzfrauen dem Chor der tausend Pferde beitraten.

Die Sänfte wurde angehoben, und los ging´s. Nächster Halt war das Möbelmuseum. Es dauerte lange, bis die starken Burschen es geschafft hatten. Sie keuchten und schwitzten. Ihr Schweiß roch wie der heiße Atem des alten Dinosauriers aus dem Rat der fünf Weisen. Es war mir egal. Ich dachte lieber mit einem anerkennenden Respekt an den uralten Guru und seine Gespielin, meine einstmaligen Sänftennachbarn. Dann hörte ich auf, daran zu denken, denn die Vereidigung wartete schon, und keiner wusste, wie lange sie es noch tun würde.

Sanft und weich setzten die vier starken Burschen die Sänfte in der harten Realität ab. Mit einer eingeübten Präsidentengeste schob ich den geschlossenen Vorhang vor dem Sänftenfenster zur Seite. Meine Fußpflegerin hatte diese Bewegung in nicht enden wollenden Nächten mit mir pädagogisch korrekt einstudiert.

Ich erblickte das Unerwartete. Ich sah, dass das Möbelmuseum schon zu war und das Wahlvolk sich bereits zum heiligen Stadion begeben hatte. Und wieder musste ich an dieses glückliche Paar von damals in der Sänfte denken, vertieft in ihrem kommunikativen Spiel von höchster Qualität. Doch genau in diesem Moment stellte sich mir eine Frage massig und breitbeinig in den Weg. Warum kamen mir solche Gedanken gerade jetzt, wo ich doch gar keine Zeit für irgendwelche Schwärmereien hatte? Vielleicht war es ja auch so, dass es gar nicht meine eigenen Gedanken waren. Vielleicht hatten meine ehemaligen Mitkonkurrenten im Wahlkampf sie mir in den Kopf gesetzt in der hinterhältigen Absicht, meine Vereidigung zu verhindern. Es waren gute Leute, ihnen war alles zuzutrauen. Für mich als Ministerpräsidenten bedeutete es ein großes Glück, aus einem so reichhaltigen Reservoir erstklassiger Talente schöpfen zu können, wenn es darum ging, die Ministerien mit Besetzungen zu erfüllen. Doch nun ging es einzig und allein um das Hier und Jetzt. Ein Wahlvolk konnte nämlich sehr ungemütlich werden, wenn es auf eine Zeremonie zu lange warten musste.

Jetzt half mir nur noch die Zauberei. Ich beherrschte sie natürlich wie einen altertümlichen, klappbaren Holzliegestuhl, sonst hätte ich die vergangene Wahl niemals gewinnen können. Augenblicklich erschien ich mit Pauken und Posaunen und meinem beliebten, dreifach unverbindlichen Erfolgslächeln im Mittelkreis des Stadions. Die Verantwortlichen legten sofort ihren Trauerflor an. Ich war gut gelaunt. Ich sang mein schönstes Siegerlied. Als das Flutlicht eingeschaltet wurde, reichte man mir einen zusammen geknüllten Zettel. Es war die Stromrechnung. Sie erinnerte mich daran, dass ich nun alle vorher jemals gemachten Versprechungen sofort vergessen, löschen, ja komplett eliminieren musste. Feierlich schwor ich diesen heiligen Eid. Das Wahlvolk applaudierte. Dann gab es Freibier. Das Wahlvolk applaudierte wiederum. Das erstaunte mich als Profi selbstverständlich nicht. Es war eines dieser bereits erwähnten offenen Geheimnisse. Das Wahlvolk applaudierte immer, wenn es Freibier gab. Alles war gut gegangen, und ich war nun wieder ein ordentlich vereidigter Ministerpräsident.

Trilogie der reinen Unvernunft Bd. 2

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