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Bevor ich mich nun aufmachte, um mein weiterhin flüchtiges Regierungspersonal zu suchen, nahm ich noch schnell zur Stärkung eine geheime, flüssige Mixtur zu mir, die sogar Spuren von Erdmännchen enthalten konnte. Im Volksmund wurde sie salopp als Ministerpräsidentendoping bezeichnet. Es war das einzige legale Doping weit und breit. Dafür hatte ich mit meiner ersten Amtshandlung, dem sogenannten präsidentialen Federstrich, auf Anraten eines bekannten Fahrradmechanikers, längst gesorgt. Die Sterberate war im praktischen Gebrauch von überzeugender Höhe. Das Dopingmittel sah aus wie ein preisgünstiger Industriepudding, schmeckte deswegen auch sehr lecker und war ausschließlich aktiven wie passiven Ministerpräsidenten vorbehalten, weil nur sie diese hochkarätigen Inhaltsstoffe überhaupt verantwortlich aushalten konnten. Das neidische Wahlvolk hatte mal wieder keine Ahnung von Verantwortung und verlangte stumpfsinnig und ohne jeden Faktencheck nach Pudding. Keine Ahnung haben, aber Pudding wollen! Ich versorgte es stattdessen großzügig mit neuen, ungebrauchten Zahnbürsten. Ich legte sogar noch zwei Bananen und einen fetten, geräucherten Aal obendrauf. Dieses unwiderstehliche Angebot riss, wie ich erwartet hatte, seine Hemmschwellen nieder wie Feuer das Wasser. Das Wahlvolk rottete sich in laut lärmenden Rotten zusammen vor dem Großen Grünen Fertighaus des Wahlvolkes und rief immer denselben Satz:

„Wir wollen Pudding! Wir wollen Pudding! Wir wollen Pudding!“

Nicht einmal die kleinste Variation, wie zum Beispiel: „Wir wollen Schokoladenpudding“ oder „Wir wollen Vanillepudding“, hatte eine Chance. Ich kannte natürlich die genaue Formel für das Dopingmittel, hinter der die ganzen Friseure da draußen her waren. Aber wenn ich sie ihnen verraten sollte, mussten sie mir ein deutlich verbessertes Angebot unterbreiten. So billig, wie sie es sich vorstellten, konnten sie mich nicht aus der Verantwortung kaufen. Wenn alle Stricke rissen, und sie nicht genug Geld zusammen rasieren konnten, würde ich die Formel einfach gegen ihr Gejammer und zur Befriedigung der gierig danach lechzenden Verbraucher in den ungeschützten Umlauf bringen. Dafür genügte ein handelsübliches Männermagazin und eine stinknormale Frauenzeitschrift. Der Rest war Realität. Damit hatte ich dann aber nichts mehr zu tun. Von dieser Verantwortung war ich befreit.

Mit dem Elan der zwei Herzen und des doppelten Darms machte ich mich frohen Mutes auf den Weg. Schon mein erster Schritt ließ alle Vögel verstummen. Ich blieb kurz stehen und fragte zur Sicherheit noch einmal, um welchen Weg es sich handelte, auf dem ich wandelte. Dafür begab ich mich geistesgegenwärtig in den scheintoten Zustand des erfahrenen Ministerpräsidenten. Bald schon wusste ich mehr. Ich wusste, dass ich mich von dieser Frage am besten fernhielt und von Fragen anderer Art besser auch. Ich war sehr froh damit. Ein solcher Zustand war natürlich auch für das Wahlvolk sehr empfehlenswert. Als Ministerpräsident sah ich es als meine Pflicht an, dafür die Weichen zu stellen, zum Wohle selbstverständlich, wie ich es bei der Vereidigung im Stadion geschworen hatte, weil das Möbelmuseum ja damals schon zu war.

Keine Fragen, keine Antworten und dazu ein unbekannter Weg, das war mal wieder ganz nach meinem Geschmack. Ich pfiff ein altes, grausames Piratenlied durch meine geputzten Zähne. Nicht mal in der Hölle hätte ich es besser antreffen können. Doch dann erblickte ich auf meinem Weg ein verkohltes Stück Bauchspeck. Ich prüfte es nach allen Regeln eines eingespielten Streichquartetts. Es gehörte dem Riesenkalmar. Vermutlich hatte er hier eine Grillparty veranstaltet und sich so einiges aus den Rippen geschnitten. Ich zerbrach den verkohlten Bauchspeck, und er zerfiel in zwei gleichgroße Teile, mit den gleichen Winkeln, den gleichen Gewürzen, den gleichen Hormonen. Schlagartig wurde mir klar, dass das natürlich auf der Nordhalbkugel unmöglich war, und ich wusste sofort, wo ich mich befand und dass es eine Botschaft an mich war. Wenn mir der Riesenkalmar begegnete, würde ich ihn dazu befragen. So ersparte ich mir das lästige Rätselraten. Wichtig war jetzt, ihn zu finden. Aber das war leicht. Der Riesenkalmar, mein alter Freund und Widersacher, besaß nämlich kulinarische Fähigkeiten, die meinen Appetit auf ihn beflügelten und so einiges andere auch. Solche Leute wie er konnten sich meiner Verfolgung nicht entziehen. Ich wollte ihn unbedingt verpflichten als Mitglied meiner regierungsamtlichen Blaskapelle.

„Ich bin unmusikalisch“, hörte ich eine Stimme.

Es war der Riesenkalmar. Er hing vor mir an einem seidenen Faden. Er hatte wohl wieder einmal meine Gedanken gelesen. Illegal natürlich.

„Das merkt keiner“, sagte ich, „weil du viel schöner als unmusikalisch bist.“

Bei dieser Antwort griff er unwillkürlich nach seinem Gehirn und sah hinein.

„Du hast recht“, sagte er nach kurzer Betrachtung und nickte, „das merkt wirklich keiner!“

„Nicht mal die Musik“, antwortete ich, „und die muss sich nun tatsächlich ordentlich verbiegen, bis sie sich deiner Schönheit angepasst hat.“

Ich hatte ihn damit wohl bis in seine Haarspitzen überzeugt, und er griff sich eine Trompete. Der Rest war laut. Damit hatte er auch mich überzeugt. Für das Wahlvolk war es ein schönes Bild. Zwei Überzeugte standen überzeugt nebeneinander. Natürlich kriegte er sofort das Ministerium für Blaskapellenfragen von mir. Es verfügte sogar über eine eingebaute Badewanne. Darin konnten wir dann samstags immer gemeinsam baden. Über alles weitere ließ ich das Wahlvolk natürlich im Dunkeln, sonst wären ja jegliche Spekulationen unmöglich gewesen. Dann hätte es garantiert wieder Zusammenrottungen gegeben vor dem Großen Grünen Fertighaus des Wahlvolkes und alle hätten gerufen:

„Wir wollen spekulieren! Wir wollen spekulieren! Wir wollen spekulieren!“

Aber so genau erzählte ich dem Wahlvolk das alles natürlich nicht. Ich trug meine Verantwortung als Ministerpräsident verborgener, als man es mir ansehen konnte. Und auch ich selbst hatte es zu meiner höchsten Zufriedenheit schwer, sie zu entdecken, wenn ich mich im Spiegel betrachtete. So, genau so, liebte ich meine Verantwortung am meisten.

Trilogie der reinen Unvernunft Bd. 2

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