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Kapitel 5

Gloria September

Gloria deckte den Frühstückstisch im Wintergarten, der an die Küche grenzte. Für sich hatte sie Kaffee gemacht. Morgens verlangte ihr Körper nach Kohlehydraten und Koffein. Jedenfalls redete sie sich das ein. Bei ihren gelegentlichen Versuchen, auf Getreide- oder Malzkaffee umzusteigen, hatte sie jedes Mal Kopfschmerzen bekommen und es wieder aufgegeben. Da ihr Herz völlig in Ordnung war, konnten zwei Tassen Kaffee am Tag nicht schaden. Das hatte auch ihr Hausarzt gesagt. Eberhard schwor auf „Griechischen Bergtee“ zum Frühstück.

Während sie das raue, silbrige Kraut in ein Teesieb löffelte, wanderten ihre Gedanken zu dem kleinen Haus auf Kreta zurück. Und zu den Sträußen des Eisenkrauts, dem Hauptbestandteil des „Griechischen Bergtees“, die sie darin zum Trocknen aufgehängt hatte. In der Kühle des Tagesanbruchs hatte sie auf Zehenspitzen das Haus verlassen, bemüht, weder Eberhard noch Merle zu wecken, und an den Berghängen Kräuter gesammelt, die von Ziegen und Schafen verschmäht worden waren. Immer wieder hatte sie innegehalten und auf das Meer geschaut, das im ersten Morgenlicht glitzerte. „Anbetung“ war vielleicht das richtige Wort für das, was sie dabei empfunden hatte. Sie liebte Kreta und das Meer, obwohl es ihrer Freundin das Liebste genommen hatte.

Der piepsende Wasserkocher riss sie aus ihren Gedanken. Sie goss den Tee auf und sah auf die Wanduhr. Genau zehn Minuten musste er nun ziehen. Inzwischen würde Eberhard zurück sein. Am frühen Morgen hatte sich der Himmel zugezogen. Jetzt regnete es in Strömen. Trotzdem war er mit dem Rad ins Dorf gefahren, um Brötchen zu holen.

„Ich sitze nachher noch lange genug im Auto. Das bisschen Regen macht mir nichts aus.“

Gloria hatte ihn skeptisch angesehen und die Mundwinkel verzogen. Sie wusste, wie leicht er eine Erkältung bekam.

„Wie lange willst du dir das noch antun?“ hatte sie ihn am Vorabend gefragt ohne wirklich eine Antwort zu erwarten.

„Vorgestern bist du aus dem Allgäu zurückgekommen und heute willst du schon wieder los.“

Er hatte mit den Schultern gezuckt und ihr erklärt, wie wichtig der Termin in Brandenburg für ihn sei.

„Zum ersten Mal kann ich einen Betrieb beraten, der ganz auf bio- veganen Anbau umstellen will. Bei dieser Methode kommt man ganz ohne tierischen Dünger aus. Es… “

„Das ist doch ein alter Hut. Das haben wir doch in Kreta schon versucht“, hatte sie ihn unterbrochen, um ihm den Wind aus den Segeln zu nehmen, bevor er in agrarwissenschaftliche Höhen abhob.

„Wir waren eben Pioniere. Heute ist das ein rasant wachsender Markt.“

Sie hatte spöttisch gelächelt.

„Wahrscheinlich geht demnächst das erste Bio-Unternehmen an die Börse.“

„Na und! Was wäre so schlimm daran? Ich würde sofort Aktien kaufen.“

Und damit war es ihm vollkommen ernst gewesen.

Augen rollend hatte Gloria den Disput beendet und den Fernseher eingeschaltet. Sie stand politisch korrekten „Gutmenschen“ mit ökologischen Grundsätzen und ökonomischen Interessen skeptisch gegenüber. Diese Attitüde konnte sie an ihrem Mann nicht ausstehen. Dann hatten sie sich eine Flasche Rotwein geteilt und Wim Wenders Film über die Tänzerin Pina Bausch angesehen. Die Sache mit dem Baumhaus war nicht mehr zur Sprache gekommen.

Als sie die Teekanne auf den Tisch stellte, bog Eberhard um die Hausecke. Schwungvoll stieg er von seinem Rennrad und schob es mit triefnasser Regenjacke in die Garage. Kurz darauf kam er mit frischer Gesichtsfarbe herein, rubbelte sich mit einem Handtuch die Haare trocken und gab ihr einen Kuss.

„Ich bin so schnell wie ich konnte geradelt, aber die Tüte ist trotzdem nass geworden“, lachte er.

Sie schüttete die Brötchen in den Korb.

„Glück gehabt, die sind trocken geblieben.“

Sie goss ihm Tee ein. Er griff sich ein Vollkornbrötchen, schnitt es auf, bestrich die Hälften mit Butter und legte Käsescheiben darauf.

„Ich werde mich morgen mit Merle treffen und dann in Berlin übernachten. Warum kommst du nicht einfach mit?“

Erwartungsvoll sah er sie an.

Sie schüttelte den Kopf. Der Gedanke an Dreck und Hundekot auf den Trottoirs - wie oft war sie damals hineingetreten – Verkehrslärm und lautes Sprachengewirr ließ sie schaudern. Das Berlin, das sie gekannt hatte, existierte nicht mehr. Ganz abgesehen davon, dass sie die Stadt damals schon hässlich gefunden hatte. Das neue Berlin, das sich Hauptstadt nannte, nur weil die Regierung hierher verpflanzt worden war, interessierte sie erst recht nicht.

„Wir könnten uns mit Merle treffen und nach meinem Termin ein paar Tage an die Ostsee fahren?“ versuchte er sie umzustimmen.

„Vielleicht ein andermal.“

Entschuldigend legte sie ihre Hand auf seine Finger, die noch das Buttermesser umklammerten.

„Schade!“

Eberhard gab auf. Es hatte keinen Zweck. Seit langem hegte er den Verdacht, Gloria fürchte sich aus irgendeinem Grund vor Berlin. Bei ihren seltenen Besuchen bei Merle hatte sie unsicher, fast ängstlich gewirkt. Aber woher rührte das? Sie war doch sonst nicht so. In anderen Städten, die sie gemeinsam besucht hatten, wie Barcelona, London oder sogar New York, war es ganz anders gewesen. Dort war Gloria bis tief in die Nacht so agil und unternehmungslustig gewesen, dass er auf Erholungspausen hatte bestehen müssen. Er warf seiner Frau einen fragenden Blick zu, den sie nicht wahrnahm. Oder nicht wahrnehmen wollte. Sie biss von ihrem gebutterten Croissant ab, warf einen Blick in den regennassen Garten und runzelte ärgerlich die Stirn. Auf dem Rasen hatten sich schon wieder Maulwurfshügel gebildet. Vor einigen Tagen hatte sie schon einmal welche entdeckt und platt gestampft.

„Also gut. Ich hoffe, du bereust es nicht“, sagte er mit einem leisen Vorwurf in der Stimme. Dann zupfte er eine Serviette aus dem Ständer, fuhr sich damit über den Mund und stand auf.

„Warum sollte ich es bereuen?“, fragte sie erstaunt.

„Wer weiß?“

Er zuckte mit den Achseln und griff nach seinem benutzten Geschirr, um es in die Spülmaschine zu räumen.

„Lass nur, ich mach das schon.“

„Danke! Ich packe dann mal.“

Während Gloria wieder aus dem Fenster starrte und überlegte, wie sie den Maulwürfen beikommen könnte, verstaute Eberhard im Arbeitszimmer nebenan seinen Laptop und einen Stapel Informationsbroschüren in seiner Umhängetasche. Bald darauf vernahm sie seine gedämpften Schritte im Obergeschoss, wo er Körperpflegemittel seiner Lieblingsmarke „greenman“ sowie Wäsche und Kleidung zum Wechseln zusammensuchte und in einen kleinen Rollkoffer packte. Zum Schluss schob er sein Rasierzeug zwischen die Socken, klappte den Deckel zu und nahm seine geliebte, englische Jacke aus gewachster Baumwolle vom Haken. Er war startklar.

Gloria stand auf, um ihn in die Garage zu begleiten.

„Kannst du deinen veganen Bauern mal fragen, wie man Maulwürfe vertreibt?“

„Wenn ich daran denke. Sonst kümmere ich mich darum, wenn ich zurück bin. Versprochen! Wir sollten es mit diesen Dingern versuchen, die Schallwellen in die Erde senden.“

Gloria verzog skeptisch den Mund und nickte. Sie hatte von solchen Geräten gehört, bezweifelte aber deren Wirkung.

„Hast du deine Gummistiefel?“ fragte sie, als sie das Auto erreicht hatten.

„Die liegen noch im Kofferraum. Ich habe vergessen, sie sauberzumachen.“

Er warf sein Gepäck auf den Rücksitz und wandte sich zu ihr um.

„Pass auf dich auf!“

„Du auch! Und liebe Grüße an Merle.“

Aus alter Gewohnheit küssten sie sich zum Abschied auf den Mund. Dann stieg er ein, startete den Motor und fuhr los.

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