Читать книгу Honoré de Balzac – Gesammelte Werke - Оноре де'Бальзак, Honoré de Balzac, Balzac - Страница 53

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Der Graf von Fon­taine, das Haupt ei­ner der äl­tes­ten Fa­mi­li­en Poi­tous, hat­te der Sa­che der Bour­bo­nen mit In­tel­li­genz und Mut wäh­rend der Kämp­fe der Ven­déer ge­gen die Re­pu­blik ge­dient. Nach­dem er al­len Ge­fah­ren ent­ron­nen war, die die roya­lis­ti­schen An­füh­rer in die­ser stür­mi­schen Epo­che der zeit­ge­nös­si­schen Ge­schich­te be­droht hat­ten, pfleg­te er scher­zend zu sa­gen: »Ich bin ei­ner von de­nen, die sich auf den Stu­fen des Throns ha­ben tö­ten las­sen!« Die­ser Scherz hat­te et­was Wah­res bei ei­nem Man­ne, den man an dem blu­ti­gen Tage von Qua­tre-Che­mins für tot lie­gen ge­las­sen hat­te. Ob­gleich durch die Kon­fis­ka­tio­nen rui­niert, wei­ger­te sich die­ser ge­treue Ven­déer be­harr­lich, eine der ein­kömm­li­chen Stel­lun­gen an­zu­neh­men, die ihm der Kai­ser Na­po­le­on an­bie­ten ließ. Un­beug­sam in sei­nen ari­sto­kra­ti­schen An­schau­un­gen, han­del­te er auch blind nach die­sen Grund­sät­zen, als er es an der Zeit hielt, sich eine Le­bens­ge­fähr­tin zu wäh­len. Trotz der ver­füh­re­ri­schen An­ge­bo­te ei­nes rei­chen re­pu­bli­ka­ni­schen Par­ven­üs, der sich eine sol­che Hei­rat viel Geld hät­te kos­ten las­sen, ver­ehe­lich­te er sich mit ei­nem Fräu­lein von Ker­ga­rou­et, die ver­mö­gens­los, de­ren Fa­mi­lie aber eine der äl­tes­ten der Bre­ta­gne war.

Von der Re­stau­ra­ti­on wur­de Herr von Fon­taine über­rascht, als er be­reits eine zahl­rei­che Fa­mi­lie be­saß. Ob­wohl es dem vor­nehm den­ken­den Edel­mann nicht in den Sinn ge­kom­men wäre, eine Gunst für sich zu er­bit­ten, gab er doch dem Wun­sche sei­ner Frau nach, ver­ließ sei­nen Land­sitz, des­sen be­schei­de­ner Er­trag kaum für die Be­dürf­nis­se sei­ner Kin­der aus­reich­te, und ging nach Pa­ris. An­ge­wi­dert von der Be­gehr­lich­keit, mit der sei­ne al­ten Ka­me­ra­den auf die Stel­lun­gen und Wür­den, die die kon­sti­tu­tio­nel­le Re­gie­rung zu ver­ge­ben hat­te, Jagd mach­ten, war er schon im Be­griff, auf sein Land­gut zu­rück­zu­keh­ren, als er einen Brief des Mi­nis­ters er­hielt, in dem ihm eine ziem­lich be­rühm­te Ex­zel­lenz sei­ne Er­he­bung zum Ran­ge ei­nes Feld­mar­schalls mit­teil­te, auf Grund der Or­don­nanz, wo­nach es Of­fi­zie­ren der ka­tho­li­schen Ar­meen ge­stat­tet war, sich die ers­ten zwan­zig Jah­re ei­ner fin­gier­ten Re­gie­rung Lud­wigs XVIII. als Dienst­zeit an­zu­rech­nen. Ei­ni­ge Tage spä­ter emp­fing der Ven­déer auch noch, ohne dar­um ge­be­ten zu ha­ben, son­dern von Amts we­gen, das Kreuz des Or­dens der Ehren­le­gi­on und das Sankt-Lud­wigs­kreuz. Durch die­se auf­ein­an­der­fol­gen­den Gna­den­be­wei­se wur­de er in sei­nem Ent­schlus­se wie­der schwan­kend, da er sie dem Um­stan­de zu­schrei­ben zu müs­sen glaub­te, daß der Mon­arch sich sei­ner er­in­nert habe; er be­gnüg­te sich nicht mehr da­mit, sei­ne Fa­mi­lie alle Sonn­ta­ge, wie er es un­ver­brüch­lich ge­tan hat­te, in den Mar­schall­saal der Tui­le­ri­en zu füh­ren und dort, wenn sich die Prin­zen in die Ka­pel­le be­ga­ben, »Es lebe der Kö­nig« zu ru­fen, son­dern er such­te um die Gunst ei­ner be­son­de­ren Au­di­enz nach. Die­se so­fort be­wil­lig­te Au­di­enz hat­te aber kei­nen be­son­de­ren Cha­rak­ter. Der Saal im Schlos­se war voll von al­ten Die­nern, de­ren ge­pu­der­te Köp­fe, aus ei­ner ge­wis­sen Höhe ge­se­hen, ei­nem Tep­pich aus Schnee gli­chen. Hier traf der Edel­mann alte Ka­me­ra­den, die ihn aber et­was kühl be­grüß­ten; die Prin­zen al­ler­dings er­schie­nen ihm »an­be­tungs­wür­dig« – ein Aus­druck, der ihm in sei­nem En­thu­si­as­mus ent­schlüpf­te –, als der lie­bens­wür­digs­te sei­ner Herr­scher, dem der Graf nur dem Na­men nach be­kannt zu sein glaub­te, zu ihm her­an­trat, ihm die Hand drück­te und ihn als den ech­tes­ten Ven­déer be­zeich­ne­te. Trotz die­ser Hul­di­gung kam aber kei­ner der er­lauch­ten Per­sön­lich­kei­ten auf den Ge­dan­ken, ihn über die Höhe sei­ner Ver­lus­te oder der Be­trä­ge, die er in ge­neröser Wei­se den Kas­sen der ka­tho­li­schen Ar­mee hat­te zu­flie­ßen las­sen, zu be­fra­gen. Er er­kann­te ein we­nig spät, daß er Krieg auf ei­ge­ne Kos­ten ge­führt hat­te. Ge­gen Ende des Abends glaub­te er eine geist­rei­che An­spie­lung auf den Stand sei­ner Ver­mö­gens­ver­hält­nis­se wa­gen zu dür­fen, der dem vie­ler an­de­rer Edel­leu­te glich. Sei­ne Ma­je­stät lach­te herz­lich, weil je­des Wort, das von Geist zeug­te, im­stan­de war, sein Ge­fal­len zu er­re­gen; aber sie ant­wor­te­te nur mit ei­nem der kö­nig­li­chen Scher­ze, de­ren Lie­bens­wür­dig­keit mehr zu fürch­ten war, als ein im Zorn aus­ge­spro­che­ner Ta­del. Ei­ner der in­tims­ten Ver­trau­ten des Kö­nigs zö­ger­te auch nicht, sich dem schlau­en Ven­déer zu nä­hern, und gab ihm mit ei­ner fei­nen höf­li­chen Be­mer­kung zu ver­ste­hen, daß der Mo­ment noch nicht ge­kom­men sei, wo man den Herr­schern sei­ne Rech­nung prä­sen­tie­ren kön­ne: auch be­fan­den sich auf dem Ti­sche noch vie­le Denk­schrif­ten, die äl­ter wa­ren als sein An­lie­gen, und die si­cher von Wich­tig­keit für die Ge­schich­te der Re­vo­lu­ti­ons­zeit wa­ren. Der Graf ent­fern­te sich klüg­lich aus der ver­eh­rungs­wür­di­gen Grup­pe, die re­spekt­voll einen Halb­kreis um die er­lauch­te Fa­mi­lie bil­de­te; dann, nach­dem er sei­nen De­gen, der ihm zwi­schen sei­ne dün­nen Bei­ne ge­ra­ten war, wie­der zu­recht­ge­scho­ben hat­te, be­gab er sich zu Fuß über den Hof der Tui­le­ri­en zu sei­nem Miets­wa­gen, den er am Quai hat­te hal­ten las­sen. Mit der Hals­star­rig­keit, die den Adel vom al­ten Schla­ge aus­zeich­net, bei dem die Erin­ne­rung an die Liga und die Bar­ri­ka­den noch nicht er­lo­schen ist, schimpf­te er in sei­nem Wa­gen so laut, daß er sich da­durch kom­pro­mit­tie­ren konn­te, über die Ver­än­de­rung, die bei Hofe ein­ge­tre­ten war. »Ehe­mals«, sag­te er zu sich, »sprach je­der­mann frei mit dem Kö­ni­ge über sei­ne pri­va­ten An­ge­le­gen­hei­ten, die Edel­leu­te konn­ten nach ih­rem Ge­fal­len ihn um eine Gna­de und um Geld bit­ten, und heu­te soll man, ohne Lärm zu ma­chen, nicht ein­mal die Rück­zah­lung von Gel­dern ver­lan­gen kön­nen, die man in sei­nem In­ter­es­se vor­ge­streckt hat? Zum Don­ner­wet­ter! Das Sankt-Lud­wigs­kreuz und der Rang ei­nes Feld­mar­schalls sind doch kein Aus­gleich für die drei­hun­dert­tau­send Fran­ken, die ich rund und nett für die Sa­che des Kö­nigs her­ge­ge­ben habe. Ich will noch mal mit dem Kö­ni­ge re­den, von An­ge­sicht zu An­ge­sicht in sei­nem Ka­bi­nett.«

Die­ser Vor­gang kühl­te den Ei­fer des Herrn von Fon­taine um so mehr ab, als sei­ne Ge­su­che um eine Au­di­enz be­stän­dig un­be­ant­wor­tet blie­ben. An­de­rer­seits muß­te er se­hen, wie Ein­dring­lin­ge vom kai­ser­li­chen Hof her mehr­fach Char­gen er­hiel­ten, die un­ter der al­ten Mon­ar­chie nur den Mit­glie­dern der bes­ten Häu­ser vor­be­hal­ten ge­we­sen wa­ren.

»Es ist al­les ver­lo­ren«, sag­te er ei­nes Mor­gens zu sich. »Der Kö­nig ist un­zwei­fel­haft nie­mals et­was an­de­res als ein Re­vo­lu­tio­när ge­we­sen. Hät­ten wir nicht sei­nen Bru­der, der nicht wankt und der Trost sei­ner ge­treu­en Die­ner ist, dann wüß­te ich nicht, in wel­che Hän­de ei­nes Ta­ges die Kro­ne Frank­reichs ge­ra­ten kön­ne, wenn die­se Art zu re­gie­ren so wei­ter geht. Ihre ver­damm­te kon­sti­tu­tio­nel­le Ver­fas­sung ist die schlech­tes­te al­ler Re­gie­rungs­for­men, und Frank­reich wird sich ihr nie­mals an­pas­sen. Lud­wig XVIII. und Herr Beugnot ha­ben uns in Saint-Ouen al­les ver­dor­ben.«

Der Graf, der alle Hoff­nun­gen auf­ge­ge­ben hat­te, schick­te sich an, auf sein Land­gut zu­rück­zu­ge­hen und gab groß­mü­tig alle sei­ne An­sprü­che auf Schad­los­hal­tung auf. In die­sem Mo­ment kün­dig­ten die Er­eig­nis­se des zwan­zigs­ten März einen neu­en Sturm an, der das le­gi­ti­me Kö­nig­tum und sei­ne Ver­tei­di­ger mit fort­zu­rei­ßen droh­te. Gleich den zart­füh­len­den Leu­ten, die einen Die­ner bei Re­gen­wet­ter nicht aus­schi­cken, nahm Herr von Fon­taine Geld auf sei­ne Be­sit­zung auf, um dem auf der Flucht be­find­li­chen Kö­nigs­hau­se fol­gen zu kön­nen, ohne zu wis­sen, ob sein An­schluß an die Emi­gran­ten für ihn nutz­brin­gen­der sein wür­de, als es sei­ne Hin­ge­bung in der ver­gan­ge­nen Zeit ge­we­sen war; da er aber be­merkt hat­te, daß die Exil­ge­nos­sen mehr in Gunst stan­den, als die Tap­fe­ren, die einst­mals sich ge­gen die Auf­rich­tung der Re­pu­blik mit be­waff­ne­ter Hand auf­ge­lehnt hat­ten, so durf­te er viel­leicht hof­fen, aus die­sem Auf­ent­halt in der Frem­de grö­ße­ren Vor­teil zu zie­hen, als durch tä­ti­ge und ge­fähr­li­che Dienst­leis­tun­gen im Lan­de. Die­se Er­wä­gun­gen ei­nes Hof­manns wa­ren kei­ne Spe­ku­la­tio­nen ins Blaue hin­ein, die auf dem Pa­pier glän­zen­de Re­sul­ta­te ver­hei­ßen, aber bei ih­rer Aus­füh­rung zum Ruin füh­ren. So wur­de er, nach dem Auss­pruch des geist­reichs­ten und ge­wand­tes­ten uns­rer Di­plo­ma­ten, ei­ner von den fünf­hun­dert ge­treu­en Die­nern, die das kö­nig­li­che Exil in Gent teil­ten, und die in ei­ner An­zahl von fünf­zig­tau­send aus ihm zu­rück­kehr­ten. Wäh­rend die­ser kur­z­en Ab­we­sen­heit des Kö­nigs­hau­ses hat­te Herr von Fon­taine das Glück, von Lud­wig XVIII. zu Diens­ten ver­wen­det zu wer­den; und es fand sich mehr als eine Ge­le­gen­heit, da er dem Kö­ni­ge den Be­weis großer po­li­ti­scher Zu­ver­läs­sig­keit und treu­er An­häng­lich­keit ge­ben konn­te. Ei­nes Abends, als der Mon­arch ge­ra­de nichts Bes­se­res zu tun hat­te, er­in­ner­te er sich an das Bon­mot, das Herr von Fon­taine da­mals in den Tui­le­ri­en ge­äu­ßert hat­te. Der alte Ven­déer ließ sich eine sol­che Ge­le­gen­heit nicht ent­ge­hen und er­zähl­te sei­ne Ge­schich­te geist­voll ge­nug, so daß der Kö­nig, der nichts ver­gaß, sich zu ge­eig­ne­ter Zeit dar­an er­in­nern konn­te. Dem er­lauch­ten Li­te­ra­ten fiel auch die ge­wand­te Form auf, die ei­ni­ge No­ten zeig­ten, mit de­ren Re­dak­ti­on der dis­kre­te Edel­mann be­traut wor­den war. Die­ses un­be­deu­ten­de Ver­dienst präg­te Herrn von Fon­taine dem Ge­dächt­nis des Kö­nigs als einen der loyals­ten Die­ner der Kro­ne ein. Nach der zwei­ten Rück­kehr wur­de der Graf zu ei­nem der au­ßer­or­dent­li­chen Send­bo­ten er­nannt, die die De­par­te­ments be­reis­ten und die Auf­ga­be hat­ten, über die Be­güns­ti­ger der Re­bel­li­on das ent­schei­den­de Ur­teil zu fäl­len; aber er mach­te nur mä­ßi­gen Ge­brauch von sei­ner furcht­ba­ren Macht­voll­kom­men­heit. So­bald die­se tem­po­rä­re Recht­spre­chung er­le­digt war, konn­te sich der bis­he­ri­ge Ge­ne­ral­pro­foß auf ei­nem der Stüh­le des Staats­rats nie­der­las­sen, wur­de De­pu­tier­ter, als wel­cher er we­nig sprach, aber auf­merk­sam zu­hör­te, und än­der­te sei­ne An­schau­un­gen er­heb­lich. Meh­re­re den Bio­gra­phen un­be­kannt ge­blie­be­ne Um­stän­de lie­ßen ihn mit dem Kö­ni­ge so ver­traut wer­den, daß der bos­haf­te Mon­arch ihn ein­mal beim He­r­ein­tre­ten mit den Wor­ten emp­fing: »Fon­taine, mein lie­ber Freund, ich wür­de mir nicht ein­fal­len las­sen, Sie zum Ge­ne­ral­di­rek­tor oder zum Mi­nis­ter zu er­nen­nen! We­der Sie noch ich könn­ten, wenn wir ein sol­ches Amt hät­ten, bei un­sern An­schau­un­gen dar­in ver­blei­ben. Das Re­prä­sen­ta­tivsys­tem hat die gute Sei­te, daß es uns die Pein­lich­keit er­spart, die wir frü­her emp­fan­den, wenn wir un­se­re Staats­se­kre­tä­re sel­ber fort­schi­cken muß­ten.Un­ser Staats­rat ist zu ei­nem Wirts­haus ge­wor­den, in das die öf­fent­li­che Mei­nung uns häu­fig selt­sa­me Rei­sen­de schickt; aber schließ­lich wer­den wir doch im­mer wis­sen, wie wir uns­re ge­treu­en Die­ner un­ter­zu­brin­gen ha­ben.« Nach die­ser bos­haf­ten Er­öff­nung er­ging eine Or­don­nanz, durch die Herr von Fon­taine mit der Ver­wal­tung ei­ner Do­mä­ne, die Pri­vatei­gen­tum der Kro­ne war, be­traut wur­de. In­fol­ge der ver­ständ­nis­vol­len Auf­merk­sam­keit, mit der er die Sar­kas­men sei­nes kö­nig­li­chen Freun­des an­hör­te, kam sein Name im­mer Sei­ner Ma­je­stät auf die Zun­ge, so­bald eine Kom­mis­si­on ge­bil­det wer­den muß­te, de­ren Mit­glie­der rei­che Ge­häl­ter emp­fin­gen. Er war klug ge­nug, über die Gunst, mit der ihn der Mon­arch beehr­te, Still­schwei­gen zu be­wah­ren, und ver­stand es, den Kö­nig durch sei­ne pi­kan­te Er­zäh­lungs­kunst bei den ver­trau­li­chen Plau­de­rei­en gut zu un­ter­hal­ten, die Lud­wig XVIII. eben­so sehr lieb­te, wie ge­fäl­lig ab­ge­faß­te Bil­letts, po­li­ti­sche An­ek­do­ten und, wenn man sich die­ses Aus­drucks be­die­nen darf, di­plo­ma­ti­sche oder par­la­men­ta­ri­sche Kan­k­ans, die da­mals im Über­fluß zir­ku­lier­ten. Man weiß, daß De­tails über sei­ne »Re­gie­rungs­be­fä­hi­gung«, ein Aus­druck, den der er­lauch­te Spöt­ter auf­ge­nom­men hat­te, ihn au­ßer­or­dent­lich be­läs­tig­ten.

Dank der Klug­heit, dem Geist und der Ge­wandt­heit des Gra­fen von Fon­taine konn­te je­des Glied sei­ner zahl­rei­chen Fa­mi­lie, so jung es auch war, sich schließ­lich, wie er sich ge­gen sei­nen Herrn scherz­haft aus­drück­te, wie ein Sei­den­wurm auf die Blät­ter des Etats set­zen. So er­hielt durch kö­nig­li­che Gna­de sein äl­tes­ter Sohn eine her­vor­ra­gen­de Stel­lung in der un­ab­setz­ba­ren Richter­schaft. Der zwei­te, vor der Re­stau­ra­ti­on ein­fa­cher Haupt­mann, be­kam un­mit­tel­bar nach sei­ner Rück­kehr aus Gent das Kom­man­do ei­ner kai­ser­li­chen Le­gi­on; dann kam er, an­läß­lich der Um­wäl­zun­gen im Jah­re 1815, wäh­rend de­ren man sich nicht an das Re­gle­ment hielt, in die kö­nig­li­che Gar­de, von da wie­der zu den Gar­des-du-Corps, wur­de dann noch­mals zur Li­nie ver­setzt und war schließ­lich, nach der Af­fä­re des Tro­ca­de­ro, Ge­ne­ral­leut­nant mit ei­nem Kom­man­do bei der Gar­de. Der Jüngs­te, zum Un­ter­prä­fek­ten er­nannt, wur­de bald Ge­ne­ral­steuer­ein­neh­mer und Ab­tei­lungs­di­rek­tor bei der Pa­ri­ser Stadt­ver­wal­tung, wo er vor al­len Ge­fah­ren ge­setz­ge­be­ri­scher Um­wäl­zun­gen ge­bor­gen war. Die­se un­auf­fäl­li­gen Gna­den­be­wei­se, die eben­so ge­heim blie­ben wie die Gunst, in der der Graf stand, er­gos­sen sich, ohne Auf­se­hen zu er­re­gen, über die Fa­mi­lie. Ob­gleich der Va­ter und die drei Söh­ne nun je­der ge­nü­gend Si­ne­ku­ren be­saß, um sich des Ge­nus­ses ei­nes si­che­ren Ein­kom­mens zu er­freu­en, das fast so groß war wie das ei­nes Ge­ne­ral­di­rek­tors, so er­reg­te ihr Glück, das sie ih­rer po­li­ti­schen Stel­lung ver­dank­ten, doch nie­man­des Neid. In die­ser Zeit der ers­ten kon­sti­tu­tio­nel­len Ein­rich­tun­gen hat­ten nur we­ni­ge einen rich­ti­gen Be­griff von den fried­li­chen Re­gio­nen des Bud­gets, in de­nen ge­schick­te Günst­lin­ge Er­satz für zer­stör­te Ab­tei­en zu fin­den ver­stan­den. Der Graf von Fon­taine, der sich noch vor kur­z­em ge­rühmt hat­te, daß er die Ver­fas­sung nie ge­le­sen habe, zö­ger­te nicht, sei­nem er­ha­be­nen Herrn zu be­wei­sen, daß er eben­so­gut wie er den Geist und die Hilfs­quel­len des »Re­prä­sen­ta­tivsys­tems« be­grif­fen habe. Aber trotz der si­che­ren Kar­rie­ren, die sich sei­nen drei Söh­nen er­öff­net hat­ten, trotz der pe­ku­ni­ären Vor­tei­le, die sich aus den vier Stel­lun­gen er­ga­ben, stand Herr von Fon­taine doch an der Spit­ze ei­ner zu zahl­rei­chen Fa­mi­lie, als daß er schnell und leicht wie­der zu Ver­mö­gen hät­te kom­men kön­nen. Sei­ne drei Söh­ne wa­ren reich an Zu­kunfts­hoff­nun­gen, Gunst und Be­ga­bung; aber er be­saß noch drei Töch­ter und muß­te fürch­ten, die Güte des Mon­ar­chen zu er­mü­den. Er hat­te sich da­her vor­ge­nom­men, im­mer nur von ei­ner die­ser Jung­frau­en mit ihm zu re­den, wenn sie die Hoch­zeits­fa­ckel ent­zün­den woll­ten. Der Kö­nig be­saß einen zu gu­ten Ge­schmack, als daß er sein Werk hät­te un­voll­en­det las­sen wol­len. Die Hei­rat der äl­tes­ten mit ei­nem Ge­ne­ral­ein­neh­mer, Pla­nat de Bau­dry, kam zu­stan­de auf Grund ei­nes kö­nig­li­chen Auss­pruchs, der nichts kos­te­te und Mil­lio­nen ein­brach­te. Ei­nes Abends muß­te der Mon­arch, der schlech­ter Lau­ne war, lä­cheln, als er von der Exis­tenz ei­nes zwei­ten Fräu­leins von Fon­taine hör­te, die er dann mit ei­nem jun­gen Rich­ter ver­hei­ra­te­te, der zwar, es ist wahr, von bür­ger­li­cher Her­kunft, aber reich und von großer Be­ga­bung war, und den er zum Baron mach­te. Als aber im nächs­ten Jah­re der Ven­déer von Fräu­lein Emi­lie von Fon­taine sprach, da er­wi­der­te ihm der Kö­nig mit sei­ner schwa­chen rau­hen Stim­me: »Ami­cus Pla­to, sed ma­gis ami­ca Na­tio.« Dann, ei­ni­ge Tage spä­ter, ver­ehr­te er sei­nem »Freun­de Fon­taine« einen ziem­lich harm­lo­sen Vier­zei­ler, den er ein Epi­gramm nann­te, und in dem er über sei­ne drei Töch­ter scherz­te, die er so ge­wandt un­ter der Form ei­ner Tri­ni­tät vor­ge­bracht hät­te. Wenn man der Chro­nik Glau­ben schen­ken darf, so hat­te der Kö­nig mit sei­nem Bon­mot auf die gött­li­che Drei­ei­nig­keit an­spie­len wol­len.

»Wür­de sich der Kö­nig nicht her­ab­las­sen, sein Epi­gramm in ein Hoch­zeits­ge­dicht um­zu­wan­deln?« sag­te der Graf, in­dem er ver­such­te, die­se Lau­ne zu sei­nen Guns­ten zu len­ken.

»Wenn ich auch die Rei­me dazu fän­de, so könn­te ich doch kei­nen Sinn hin­ein­brin­gen«, er­wi­der­te scharf der Kö­nig, der einen sol­chen Scherz über sein Dich­ten, wie mil­de er auch war, nicht lieb­te. Von die­sem Tage an wur­de sein Ver­kehr mit Herrn von Fon­taine we­ni­ger freund­lich. Die Kö­ni­ge sind wi­der­spruchs­vol­ler, als man ge­wöhn­lich glaubt. Wie fast alle spät ge­bo­re­nen Kin­der, war Emi­lie von Fon­taine der von al­ler Welt ver­wöhn­te Ben­ja­min. Die Küh­le des Kö­nigs war da­her dem Gra­fen um so schmerz­li­cher, als nie­mals eine Hei­rat schwe­rer zu­stan­de zu brin­gen war, als die die­ser ge­lieb­ten Toch­ter. Um alle die­se Schwie­rig­kei­ten zu ver­ste­hen, muß man sich in das In­ne­re des schö­nen Hau­ses be­ge­ben, in dem der Lei­ter der Do­mä­ne auf Kos­ten der Zi­vil­lis­te un­ter­ge­bracht war. Emi­lie hat­te ihre Kind­heit auf dem Fa­mi­li­en­gu­te ver­bracht, wo ihr alle Wün­sche der frü­hen Ju­gend reich­lich er­füllt wur­den; ihr ge­rings­tes Ver­lan­gen war für ihre Schwes­tern, ihre Brü­der, für die Mut­ter und selbst für den Va­ter Ge­setz. Alle ihre An­ge­hö­ri­gen wa­ren in sie ver­narrt. Als sie ins Al­ter der Er­wach­se­nen ge­langt war, ge­ra­de zu der Zeit, da die Fa­mi­lie sich der größ­ten Gunst der Ge­schi­cke er­freu­te, setz­te sie ihr ver­gnüg­tes Le­ben fort. Der Pa­ri­ser Lu­xus er­schi­en ihr eben­so selbst­ver­ständ­lich, wie der Reich­tum an Blu­men und Früch­ten und wie der Über­fluß auf dem Lan­de, der das Glück ih­rer ers­ten Le­bens­jah­re aus­ge­macht hat­te. Eben­so wie sie nie­mals in ih­rer Kin­der­zeit auf einen Wi­der­spruch ge­sto­ßen war, wenn sie ihre Wün­sche nach ir­gend­ei­nem Ver­gnü­gen er­füllt se­hen woll­te, eben­so sah sie, daß sie nur zu be­feh­len brauch­te, als sie sich im Al­ter von vier­zehn Jah­ren in den Stru­del des Ge­sell­schafts­trei­bens stürz­te. Schritt­wei­se an die Genüs­se, die der Reich­tum ge­währt, ge­wöhnt, wur­den ihr aus­ge­sucht fei­ne Toi­let­ten, reich ge­schmück­te Sa­lons und kost­ba­re Equi­pa­gen eben­so un­ent­behr­lich, wie wah­re oder falsche schmei­chel­haf­te Kom­pli­men­te und die Fes­te und das nich­ti­ge Ge­trie­be bei Hofe. Wie die meis­ten ver­wöhn­ten Kin­der ty­ran­ni­sier­te sie alle, die sie lieb­ten, und spar­te ihre Lie­bens­wür­dig­keit für die Gleich­gül­ti­gen auf. Ihre Feh­ler wur­den mit den Jah­ren nur im­mer schlim­mer, und ihre An­ge­hö­ri­gen soll­ten bald die bit­te­ren Früch­te ei­ner so ver­derb­li­chen Er­zie­hung zu kos­ten be­kom­men. Mit neun­zehn Jah­ren hat­te Emi­lie von Fon­taine noch kei­ne Wahl un­ter den zahl­rei­chen jun­gen Män­nern tref­fen wol­len, die Herr von Fon­taine mit Ab­sich­ten zu sei­nen Ge­sell­schaf­ten ein­lud. Ob­wohl sie noch jung war, er­freu­te sie sich in der Ge­sell­schaft al­ler Frei­heit, die ei­ner geist­vol­len Frau zu­ge­stan­den wird. Wie die Kö­ni­ge, hat­te sie kei­ne Freun­de und sah über­all um sich nur Dienst­fer­tig­keit, ein Ver­hal­ten, dem auch eine bes­se­re Na­tur als sie wohl nicht hät­te wi­der­ste­hen kön­nen. Kein Mann, selbst kein al­ter Mann, war im­stan­de, den An­sich­ten ei­nes jun­gen Mäd­chens zu wi­der­spre­chen, von dem ein ein­zi­ger Blick auch ein kal­tes Herz zu ent­flam­men ver­moch­te. Sorg­fäl­ti­ger als ihre Schwes­tern er­zo­gen, mal­te sie ziem­lich gut, sprach ita­lie­nisch und eng­lisch und spiel­te Kla­vier so gut, daß an­de­re Spie­ler an sich ver­zwei­fel­ten; end­lich be­saß ihre von den bes­ten Leh­rern aus­ge­bil­de­te Stim­me eine Süße, die ih­rem Ge­sang einen un­wi­der­steh­li­chen Zau­ber ver­lieh. Geist­voll und in al­len Li­te­ra­tu­ren zu Hau­se, hät­te sie an den Auss­pruch Mas­ca­ril­les glau­ben ma­chen kön­nen, daß be­deu­ten­de Leu­te schon al­les wis­sen, wenn sie zur Welt kom­men. Es wur­de ihr leicht, über die ita­lie­ni­sche oder die nie­der­län­di­sche Ma­le­rei, über Mit­tel­al­ter oder Re­naissance zu spre­chen, sie gab aufs Ge­ra­te­wohl ihr Ur­teil über alte und neue Bü­cher ab und wuß­te in grau­sa­mer geist­rei­cher Wei­se die Feh­ler ei­nes Wer­kes deut­lich zu kenn­zeich­nen. Ihre ein­fachs­ten Auss­prü­che wur­den von ei­ner in sie ver­narr­ten Men­ge auf­ge­nom­men wie ein »Fet­fa« des Sul­tans von den Tür­ken. So blen­de­te sie ober­fläch­li­che Leu­te; tiefe­re Geis­ter er­kann­te sie mit an­ge­bo­re­nem Takt her­aus, und ih­nen ge­gen­über ent­fal­te­te sie so viel Lie­bens­wür­dig­keit, daß sie durch die­ses be­zau­bern­de We­sen sich ei­ner stren­ge­ren Prü­fung ent­zie­hen konn­te. Hin­ter die­ser ver­füh­re­ri­schen Ober­flä­che ver­barg sich ein un­emp­find­li­ches Herz und die vie­len jun­gen Mäd­chen ge­mein­sa­me An­schau­ung, daß nie­mand hoch ge­nug ge­stellt war, um den Adel ih­rer See­le be­grei­fen zu kön­nen, dazu noch ein Stolz, der sich eben­so auf ihre Her­kunft, wie auf ihre Schön­heit stütz­te. Da ihr je­des hei­ße Emp­fin­den, das frü­her oder spä­ter in dem Her­zen ei­ner Frau Ver­wüs­tun­gen an­rich­tet, fern lag, kam ihr ju­gend­li­ches Feu­er nur in ei­ner maß­lo­sen Sucht nach Aus­zeich­nung, ver­bun­den mit der tiefs­ten Ver­ach­tung der bür­ger­li­chen Ka­nail­le, zum Aus­druck. Sehr hoch­fah­rend ge­gen­über dem neu­en Adel, mach­te sie alle An­stren­gun­gen, da­mit ihre An­ge­hö­ri­gen sich auf glei­chen Fuß mit den be­rühm­tes­ten Fa­mi­li­en des Fau­bourg Saint-Ger­main stel­len konn­ten.

Die­se Emp­fin­dun­gen wa­ren dem auf­merk­sa­men Auge des Herrn von Fon­taine nicht ent­gan­gen, der nach der Ver­hei­ra­tung sei­ner bei­den äl­tes­ten Töch­ter mehr als ein­mal über die Sar­kas­men und Bon­mots Emi­lies seufz­te. Lo­gisch Den­ken­de wer­den er­staunt dar­über sein, daß der alte Ven­déer sei­ne äl­tes­te Toch­ter ei­nem Ge­ne­ral­ein­neh­mer ge­ge­ben hat­te, der zwar wohl meh­re­re frü­he­re ad­li­ge Gü­ter be­saß, vor des­sen Na­men sich aber der Par­ti­kel nicht be­fand, dem der Thron so vie­le Ver­tei­di­ger ver­dank­te, und sei­ne zwei­te Toch­ter ei­nem Be­am­ten, des­sen Baro­nie noch zu jung war, um ver­ges­sen zu las­sen, daß sein Va­ter Holz­händ­ler ge­we­sen war. Der be­mer­kens­wer­te Um­schwung in den An­schau­un­gen des Edel­manns, der ein­trat, als er sein sech­zigs­tes Le­bens­jahr er­reich­te, ein Al­ter, in dem die Men­schen nur sel­ten ih­ren al­ten Stand­punkt auf­ge­ben, war nicht nur dem Auf­ent­halt in dem mo­der­nen Ba­by­lon, wo alle Pro­vinz­ler schließ­lich ihre Herb­heit ein­bü­ßen, zu­zu­schrei­ben; die neue po­li­ti­sche Mei­nung des Gra­fen von Fon­taine war auch das Re­sul­tat der Ratschlä­ge und der Freund­schaft des Kö­nigs. Die­ser phi­lo­so­phi­sche Fürst hat­te Ge­fal­len dar­an ge­fun­den, den Ven­déer zu den Ide­en zu be­keh­ren, die der Fort­schritt des neun­zehn­ten Jahr­hun­derts und die Er­neue­rung der Mon­ar­chie for­der­ten. Lud­wig XVIII. woll­te Par­tei­en schaf­fen, wie Na­po­le­on Ein­rich­tun­gen und Män­ner ge­schaf­fen hat­te. Der le­gi­ti­me Kö­nig, der viel­leicht eben­so geist­voll war wie sein Ri­va­le, han­del­te in ent­ge­gen­ge­setz­tem Sin­ne. Das letz­te Haupt des Hau­ses Bour­bon war eben­so be­müht, dem drit­ten Stand und den Män­nern des Kai­ser­reichs, den Kle­rus in­be­grif­fen, Ge­nü­ge zu tun, wie der ers­te der Na­po­le­ons sich be­ei­fert hat­te, die Grands­eigneurs an sich zu zie­hen und die Kir­che zu be­rei­chern. Ver­traut mit den Ge­dan­ken des Kö­nigs, war der Staats­rat un­merk­lich ei­ner der ein­fluß­reichs­ten und klügs­ten Füh­rer der ge­mä­ßig­ten Par­tei ge­wor­den, die im Na­men der na­tio­na­len In­ter­es­sen leb­haft eine Ei­ni­gung der po­li­ti­schen An­sich­ten wünsch­te. Er pre­dig­te die kost­spie­li­gen Prin­zi­pi­en ei­ner kon­sti­tu­tio­nel­len Re­gie­rung und un­ter­stütz­te mit al­ler Kraft das Spiel der po­li­ti­schen Schau­kel, die sei­nem Herrn ge­stal­te­te, in­mit­ten der Um­trie­be die Re­gie­rung Frank­reichs fort­zu­füh­ren. Vi­el­leicht schmei­chel­te sich auch Herr von Fon­taine mit dem Ge­dan­ken, bei ei­nem der ge­setz­ge­be­ri­schen stür­mi­schen Um­schwün­ge, de­ren merk­wür­di­ge Er­geb­nis­se da­mals auch die äl­tes­ten Po­li­ti­ker über­rasch­ten, zur Pairs­wür­de zu ge­lan­gen. Ei­ner sei­ner starrs­ten Grund­sät­ze be­sag­te, daß er in Frank­reich kei­nen an­dern Adel an­er­ken­nen kön­ne als den der Pairs, de­ren Fa­mi­li­en die ein­zi­gen sei­en, die Pri­vi­le­gi­en be­sä­ßen.

»Ein Adel ohne Pri­vi­le­gi­en«, pfleg­te er zu sa­gen, »ist ein Griff ohne Mes­ser.«

Der Par­tei Lafa­yet­tes eben­so fern­ste­hend wie der Par­tei La Bour­don­nayes, ver­such­te er eif­rig, die all­ge­mei­ne Ver­söh­nung durch­zu­set­zen, aus der eine neue Ära und eine glän­zen­de Zu­kunft für Frank­reich ent­ste­hen soll­te. Er be­müh­te sich, die Fa­mi­li­en, die in sei­nem Hau­se ver­kehr­ten, und die, die er be­such­te, da­von zu über­zeu­gen, wie we­nig güns­ti­ge Chan­cen zur­zeit die mi­li­tä­ri­sche und die Be­am­ten­kar­rie­re böte. Er emp­fahl den Müt­tern, ihre Kin­der frei­en und in­dus­tri­el­len Be­ru­fen zu­zu­wen­den, in­dem er ih­nen zu ver­ste­hen gab, daß die ho­hen Stel­lun­gen beim Heer und bei der Ver­wal­tung schließ­lich doch ganz kon­sti­tu­tio­nel­ler­wei­se den jün­ge­ren Söh­nen der Adels­fa­mi­li­en der Pairs vor­be­hal­ten blei­ben müß­ten. Nach sei­ner An­sicht habe die Na­ti­on sich einen ge­nü­gend großen An­teil an der Ver­wal­tung durch die ge­wähl­te Volks­ver­tre­tung er­obert und durch ihre Plät­ze in der Richter­schaft und der Finanz, die, wie er mein­te, im­mer, wie frü­her auch, das Erb­teil der her­vor­ra­gen­den Män­ner des drit­ten Stan­des sein wür­den. Die­se neu­en Ide­en des Fa­mi­li­en­haup­tes der Fon­tai­nes und die klu­gen Ehe­schlie­ßun­gen sei­ner bei­den äl­te­ren Töch­ter, die de­ren Re­sul­tat wa­ren, hat­ten star­ken Wi­der­stand in sei­nem Hau­se er­fah­ren. Die Grä­fin von Fon­taine blieb ih­ren al­ten Grund­sät­zen treu, die eine Frau, die müt­ter­li­cher­seits zu den Ro­hans ge­hör­te, auch nicht gut ver­leug­nen konn­te. Aber wenn sie sich auch eine kur­ze Zeit dem Glück und dem Reich­tum, der ih­ren bei­den äl­te­ren Töch­tern wink­te, wi­der­setzt hat­te, so füg­te sie sich doch nach ei­ni­gen ver­trau­li­chen Auss­pra­chen, wie sie Ehe­leu­te abends mit­ein­an­der zu hal­ten pfle­gen, wenn sie auf dem­sel­ben Kopf­kis­sen ru­hen. Herr von Fon­taine be­wies sei­ner Frau mit küh­ler ge­nau­er Rech­nung, daß der Auf­ent­halt in Pa­ris, die Ver­pflich­tung, hier zu re­prä­sen­tie­ren, der Glanz ih­res Hau­ses, der sie für die Ent­beh­run­gen, die sie so tap­fer mit­ein­an­der hin­ten in der Ven­dée er­tra­gen hat­ten, ent­schä­di­gen soll­te, und die Aus­ga­ben, die sie für ihre Söh­ne ge­macht hat­ten, den größ­ten Teil ih­res fes­ten Ein­kom­mens ver­schlan­gen. Man muß­te also die Ge­le­gen­heit, die sich bot, ihre Töch­ter so reich zu ver­hei­ra­ten, wie eine gött­li­che Gna­de an­se­hen und er­grei­fen. Wür­den sie nicht ei­nes Ta­ges ein Ein­kom­men von sech­zig-, acht­zig- oder hun­dert­tau­send Fran­ken Ren­te ha­ben? So vor­teil­haf­te Par­ti­en bo­ten sich nicht alle Tage für Mäd­chen ohne Mit­gift. Es wäre auch schließ­lich Zeit, ans Spa­ren zu den­ken, um das Gut der Fon­tai­nes zu ver­grö­ßern und den al­ten Land­be­sitz der Fa­mi­lie wie­der­her­zu­stel­len. Die Grä­fin füg­te sich, wie es alle Müt­ter an ih­rer Stel­le und viel­leicht mit schnel­le­rem Ent­ge­gen­kom­men ge­tan hät­ten, so über­zeu­gen­den Grün­den; aber sie er­klär­te, we­nigs­tens müß­te ihre Toch­ter Emi­lie so ver­hei­ra­tet wer­den, daß der Stolz, den man un­glück­li­cher­wei­se in die­ser jun­gen See­le mit hat­te sich ent­wi­ckeln hel­fen, zu­frie­den­ge­stellt wer­den wür­de.

So hat­ten die Er­eig­nis­se, die ei­gent­lich Freu­de in die­ser Fa­mi­lie hät­ten her­vor­ru­fen müs­sen, ihr einen klei­nen Keim zur Zwie­tracht ein­ge­pflanzt. Der Ge­ne­ral­un­ter­neh­mer und der jun­ge Rich­ter wur­den mit ze­re­mo­ni­el­ler Küh­le, die die Grä­fin und ihre Toch­ter Emi­lie um sich zu ver­brei­ten wuß­ten, auf­ge­nom­men. Ihr Auf­recht­hal­ten der Eti­ket­te fand noch ein weit grö­ße­res Be­tä­ti­gungs­feld für ihre häus­li­che Ty­ran­nei: Der Ge­ne­ral­leut­nant hei­ra­te­te Fräu­lein Mon­ge­nod, die Toch­ter ei­nes rei­chen Ban­kiers; der Prä­si­dent ver­mähl­te sich ver­stän­di­ger­wei­se mit ei­ner Dame, de­ren Va­ter, zwei- oder drei­fa­cher Mil­lio­när, sein Ver­mö­gen im Salz­han­del er­wor­ben hat­te; schließ­lich be­kann­te sich auch der drit­te Bru­der zu sol­chen bür­ger­li­chen An­schau­un­gen, in­dem er ein Fräu­lein Gros­setête, die ein­zi­ge Toch­ter des Ge­ne­ral­steuer­ein­neh­mers von Bour­ges, zur Frau nahm. Die drei Schwä­ge­rin­nen und die bei­den Schwä­ger fan­den so viel Reiz und per­sön­li­ches In­ter­es­se dar­an, sich in der ho­hen Sphä­re der po­li­ti­schen Macht­ha­ber und in den Sa­lons der Fau­bourg Saint-Ger­main be­we­gen zu dür­fen, daß sie alle ver­eint einen Hof­staat um die hoch­mü­ti­ge Emi­lie bil­de­ten. Die­ser auf In­ter­es­se und Stolz ge­bau­te Pakt war aber doch nicht so fest ge­zim­mert, daß die jun­ge Sou­ve­rä­nin nicht häu­fig Re­vo­lu­tio­nen in ih­rem Hof­krei­se her­vor­rief. Sze­nen, die sich al­ler­dings in ge­mes­se­nen Gren­zen hiel­ten, hat­ten bei al­len Glie­dern die­ser ein­fluß­rei­chen Fa­mi­lie einen mo­kan­ten Ton ent­ste­hen las­sen, der, wenn er auch die öf­fent­lich zur Schau ge­tra­ge­nen freund­schaft­li­chen Be­zie­hun­gen nicht we­sent­lich be­ein­träch­tig­te, doch bis­wei­len im Fa­mi­li­en­krei­se we­nig wohl­wol­len­de Ge­füh­le zum Aus­druck kom­men ließ. So hielt sich die Frau des Ge­ne­ral­leut­nants für eben­so vor­nehm wie eine Ker­ga­rou­et und be­haup­te­te, daß ihre schö­nen hun­dert­tau­send Fran­ken Ein­kom­men ihr das Recht gä­ben, sich eben­so hoch­fah­rend zu be­neh­men wie ihre Schwä­ge­rin Emi­lie, der sie zu­wei­len iro­nisch ihre Wün­sche für eine glück­li­che Ehe aus­sprach, wo­bei sie ihr mit­teil­te, daß die Toch­ter ir­gend­ei­nes Pairs so­eben einen Herrn, der ganz kurz Sound­so hieß, ge­hei­ra­tet habe. Die Frau des Vi­com­te von Fon­taine ge­fiel sich dar­in, durch den Ge­schmack und den Reich­tum ih­rer Toi­let­ten, ih­rer Mö­bel und ih­rer Equi­pa­gen Emi­lie aus­zu­ste­chen. Die spöt­ti­sche Mie­ne, mit der die Schwä­ge­rin­nen und die bei­den Schwä­ger manch­mal die von Fräu­lein von Fon­taine gel­tend ge­mach­ten Prä­ten­tio­nen auf­nah­men, er­reg­te bei ihr einen Zorn, den sie kaum durch einen Ha­gel von bos­haf­ten Be­mer­kun­gen be­schwich­ti­gen konn­te. Als das Haupt der Fa­mi­lie die Ab­küh­lung der ver­schwie­ge­nen und schwan­ken­den Freund­schaft des Mon­ar­chen ver­spür­te, war er um so mehr in Sor­ge, als in­fol­ge der spöt­ti­schen Her­aus­for­de­rung ih­rer Schwes­ter sei­ne ge­lieb­te Toch­ter ihre An­sprü­che hö­her schraub­te als je­mals.

Wäh­rend die Din­ge so la­gen, und zu der Zeit, da die­ser häus­li­che Krieg recht ernst ge­wor­den war, ver­fiel der Mon­arch, bei dem Herr von Fon­taine wie­der in Gunst zu kom­men hoff­te, in eine Krank­heit, die ihm den Tod brin­gen soll­te. Der große Po­li­ti­ker, der sein Schiff durch alle Stür­me zu steu­ern ver­stan­den hat­te, muß­te jetzt un­ab­wend­bar un­ter­lie­gen. In Un­ge­wiß­heit, auf wel­che Gunst er in Zu­kunft wür­de rech­nen kön­nen, gab sich der Graf von Fon­taine die größ­te Mühe, sei­ner jüngs­ten Toch­ter die Eli­te der hei­rats­fä­hi­gen jun­gen Män­ner vor­zu­füh­ren. Wer das schwie­ri­ge Pro­blem, eine stol­ze und phan­tas­tisch ge­sinn­te Toch­ter zu ver­hei­ra­ten, zu lö­sen ver­sucht hat, wird viel­leicht ver­ste­hen, was für An­stren­gun­gen der arme Ven­déer mach­te. Wäre ihm das nach dem Wun­sche sei­nes ge­lieb­ten Kin­des ge­glückt, so hät­te die­ser letz­te Er­folg den Weg, den der Graf seit zehn Jah­ren in Pa­ris zu­rück­ge­legt hat­te, in wür­di­ger Wei­se ab­ge­schlos­sen. In der Art, wie sei­ne Fa­mi­lie sich ihre Ein­künf­te von al­len Mi­nis­te­ri­en er­obert hat­te, konn­te sie sich mit dem Hau­se Ös­ter­reich ver­glei­chen, das durch sei­ne Ver­bin­dun­gen ganz Eu­ro­pa an sich zu rei­ßen droht. So ließ sich auch der alte Ven­déer nicht ab­schre­cken, im­mer neue Be­wer­ber vor­zu­stel­len, so sehr lag ihm das Glück sei­ner Toch­ter am Her­zen; aber nichts war amüsan­ter als die Art und Wei­se, mit der die­ses hoch­fah­ren­de We­sen ihr Ur­teil ab­gab und die Ei­gen­schaf­ten ih­rer An­be­ter kri­ti­sier­te. Man hät­te mei­nen sol­len, Emi­lie wäre, wie eine Prin­zes­sin aus ara­bi­schen Mär­chen, so reich und so schön, daß sie das Recht hät­te, un­ter sämt­li­chen Prin­zen der Welt ihre Wahl zu tref­fen; von ih­ren Ein­wän­den war ei­ner lä­cher­li­cher als der an­de­re: der eine hat­te zu di­cke Bei­ne oder zu kno­chi­ge Kni­en, der an­de­re war kurz­sich­tig, die­ser hät­te den Na­men Du­rand, je­ner hin­ke, fast alle wa­ren ihr zu dick. Leb­haf­ter, rei­zen­der und ver­gnüg­ter als je, stürz­te sie sich, nach­dem sie zwei oder drei Be­wer­ber ab­ge­wie­sen hat­te, in den Tru­bel der Win­ter­fes­te und Bäl­le, wo ihr durch­drin­gen­der Blick die Ta­ges­be­rühmt­hei­ten prüf­te, und wo sie ein Ver­gnü­gen dar­in fand, Be­wer­bun­gen her­aus­zu­for­dern, die sie dann im­mer zu­rück­wies. Für die­se Ce­li­me­nen­rol­le war sie von der Na­tur mit den er­for­der­li­chen Vor­zü­gen über­reich aus­ge­stat­tet wor­den. Groß und schlank, be­saß Emi­lie von Fon­taine ein nach ih­rem Be­lie­ben ho­heits­vol­les oder mut­wil­li­ges Auf­tre­ten. Ihr et­was lan­ger Hals er­laub­te ihr, eine rei­zen­de Hal­tung vol­ler Hoch­mut und Rück­sichts­lo­sig­keit an­zu­neh­men. Sie hat­te die man­nig­fal­tigs­ten Ge­sichts­aus­drücke und weib­li­chen Ges­ten, die so grau­sam und so gut zu ih­ren halb­lau­ten Wor­ten und ih­rem Lä­cheln paß­ten, zur Ver­fü­gung. Schö­nes schwar­zes Haar und sehr star­ke, kräf­tig ge­schwun­ge­ne Au­gen­brau­en ver­lie­hen ih­rer Phy­sio­gno­mie einen stol­zen Aus­druck, den sie mit Hil­fe ih­rer Ko­ket­te­rie und ih­res Spie­gels durch Fes­tig­keit oder Süße des Blicks, durch Starr­heit oder leich­te Be­we­gung der Lip­pen, durch Küh­le oder Lie­bens­wür­dig­keit des Lä­chelns schreck­lich zu ma­chen oder zu mil­dern ver­stand. Wenn Emi­lie ein Herz er­obern woll­te, dann hat­te ihre kla­re Stim­me einen me­lo­di­schen Klang; aber sie konn­te sie eben­so scharf und schnei­dend er­klin­gen las­sen, wenn sie die in­dis­kre­te Spra­che ei­nes Ka­va­liers zum Schwei­gen brin­gen woll­te. Ihr wei­ßer Teint und ihre Ala­bas­terstirn er­in­ner­ten an die durch­sich­ti­ge Ober­flä­che ei­nes Sees, die sich ab­wech­selnd un­ter dem Hauch ei­ner Bri­se kräu­selt und ihre hei­te­re Ruhe wie­der­ge­winnt, wenn der Luft­zug nach­ge­las­sen hat. Mehr als ei­ner von den jun­gen Män­nern, die von ihr ab­ge­lehnt wor­den wa­ren, hat­te sie be­schul­digt, daß sie Ko­mö­die spie­le; aber sie war da­durch ge­recht­fer­tigt, daß sie auch de­nen, die übel über sie re­de­ten, den Wunsch ein­flö­ßte, ihr zu ge­fal­len und sich ih­rer ko­ket­ten Ge­ring­schät­zung zu un­ter­wer­fen. Keins der jun­gen Mäd­chen, um die man sich dräng­te, ver­stand es bes­ser, den Gruß ei­nes be­gab­ten Man­nes ho­heits­voll zu er­wi­dern, oder ih­res­glei­chen mit be­lei­di­gen­der Höf­lich­keit wie Un­ter­ge­ord­ne­te zu be­han­deln und ihre Nicht­ach­tung alle die füh­len zu las­sen, die sich mit ihr auf glei­che Stu­fe stel­len woll­ten. Wo sie sich auch be­fand, über­all schi­en sie mehr Hul­di­gun­gen ent­ge­gen­zu­neh­men als Lie­bens­wür­dig­kei­ten, und selbst im Sa­lon ei­ner Prin­zes­sin hät­te ihr We­sen und ihre Hal­tung, den Stuhl, auf dem sie Platz ge­nom­men, in einen Kai­serthron ver­wan­delt.

Zu spät er­kann­te Herr von Fon­taine, wie sehr die Er­zie­hung sei­ner Lieb­ling­s­toch­ter durch die zärt­li­che Ver­wöh­nung der gan­zen Fa­mi­lie ver­dor­ben wor­den war. Die Be­wun­de­rung, mit der ei­nem jun­gen Mäd­chen zu­erst von der Ge­sell­schaft ge­hul­digt wird, für die sie sich aber spä­ter un­ver­meid­lich rächt, hat­te den Stolz Emi­li­ens noch er­höht und ihr Selbst­be­wußt­sein noch wach­sen las­sen. Der all­sei­ti­ge Dien­stei­fer hat­te bei ihr den na­tür­li­chen Ego­is­mus ver­wöhn­ter Kin­der ent­wi­ckelt, die, ähn­lich den Kö­ni­gen, sich über al­les, was sich ih­nen nä­hert, lus­tig ma­chen. Jetzt ver­bar­gen noch ihre ju­gend­li­che Gra­zie und der Reiz ih­res Geis­tes vor al­len Au­gen die­se bei ei­nem weib­li­chen We­sen um so häß­li­che­ren Feh­ler, als die Frau ja nur durch Hin­ge­bung und Selbst­ver­leug­nung wahr­haft ge­fal­len kann; da aber dem Blick ei­nes gu­ten Va­ters nichts ent­geht, so mach­te Herr von Fon­taine oft­mals den Ver­such, sei­ner Toch­ter die ers­ten Sei­ten in dem rät­sel­haf­ten Bu­che des Le­bens zu er­klä­ren. Das war aber ein ver­geb­li­ches Un­ter­neh­men. All­zu­oft muß­te er über die lau­nen­haf­te Un­be­lehr­bar­keit und die iro­ni­sche Weis­heit sei­ner Toch­ter seuf­zen, als daß er bei den schwie­ri­gen Ver­su­chen, eine so schlim­me Na­tu­r­an­la­ge zu bes­sern, hät­te ver­har­ren kön­nen. Er be­gnüg­te sich da­mit, ihr von Zeit zu Zeit Ratschlä­ge vol­ler Lie­be und Güte zu ge­ben; aber er muß­te zu sei­nem Schmer­ze er­ken­nen, daß auch sei­ne zärt­lichs­ten Wor­te von dem Her­zen sei­ner Toch­ter wie von Mar­mor ab­glit­ten. Vä­ter­li­che Au­gen öff­nen sich so spät, daß es für den al­ten Ven­déer mehr als ei­nes Be­wei­ses be­durf­te, bis er merk­te, mit wel­cher Herab­las­sung sei­ne Toch­ter ihm ihre sel­te­nen Zärt­lich­keits­be­zeu­gun­gen zu­teil wer­den ließ. Sie glich dar­in den klei­nen Kin­dern, die ih­rer Mut­ter zu sa­gen schei­nen: »Mach schnell mit dei­nem Küs­sen, ich will spie­len ge­hen.« Ge­wiß be­saß Emi­lie auch zärt­li­ches Emp­fin­den für ihre An­ge­hö­ri­gen. Aber häu­fig über­kam sie eine plötz­li­che Lau­ne, wie sie sonst bei jun­gen Mäd­chen un­er­klär­lich er­scheint; sie blieb dann für sich al­lein und ließ sich nur sel­ten bli­cken; sie be­klag­te sich dar­über, daß sie die vä­ter­li­che und müt­ter­li­che Lie­be mit All­zu­vie­len tei­len müs­se und war auf alle, selbst auf Brü­der und Schwes­tern, ei­fer­süch­tig. Und wenn sie dann mit größ­ter Mühe Ein­sam­keit um sich ge­schaf­fen hat­te, dann klag­te das merk­wür­di­ge Mäd­chen die gan­ze Welt we­gen die­ser frei­wil­li­gen Ver­ein­sa­mung und we­gen ih­res Kum­mers, den sie sich selbst ver­ur­sacht hat­te, an. Mit der Er­fah­rung ei­ner Zwan­zig­jäh­ri­gen be­klag­te sie ihr Los, ohne zu be­grei­fen, daß die wah­ren Be­din­gun­gen des Glückes in uns sel­ber lie­gen, und ver­lang­te, daß die Din­ge der äu­ße­ren Welt es ihr ge­wäh­ren soll­ten. Bis ans Ende der Welt wäre sie ge­flo­hen, um sol­chen Hei­ra­ten, wie sie ihre Schwes­tern ge­macht hat­ten, zu ent­ge­hen; aber trotz­dem ver­spür­te sie eine ab­scheu­li­che Ei­fer­sucht in ih­rem Her­zen, daß sie sie reich und glück­lich ver­hei­ra­tet se­hen muß­te. Und manch­mal muß­te ihre Mut­ter, die eben­so­sehr wie Herr von Fon­taine das Op­fer ih­res Ver­hal­tens war, auf den Ge­dan­ken kom­men, daß sie eine Spur von Irr­sinn in sich tra­ge. Eine sol­che Ver­ir­rung ist nicht un­er­klär­lich: denn nichts ist ver­brei­te­ter als die­ser heim­li­che Stolz im Her­zen jun­ger Per­so­nen, die zu Fa­mi­li­en ge­hö­ren, die auf der so­zia­len Lei­ter eine hohe Stu­fe ein­neh­men, und von der Na­tur mit großer Schön­heit be­schenkt wor­den sind. Fast alle die­se sind da­von über­zeugt, daß ihre Müt­ter, wenn sie das vier­zigs­te oder fünf­zigs­te Le­bens­jahr er­reicht ha­ben, mit den jun­gen See­len we­der mit­füh­len noch ihre Träu­me ver­ste­hen kön­nen. Sie re­den sich ein, daß die meis­ten Müt­ter auf ihre Töch­ter ei­fer­süch­tig sind, daß sie sie nach ih­rem Ge­schmack klei­den, mit der aus­ge­spro­che­nen Ab­sicht, sie bei­sei­te zu schie­ben und ih­nen die für sie be­stimm­ten Hul­di­gun­gen zu rau­ben. Da­her rüh­ren häu­fig die heim­li­chen Trä­nen und die stum­me Auf­leh­nung ge­gen die an­geb­li­che müt­ter­li­che Ty­ran­nei. Trotz die­ses Kum­mers, der echt ist, ob­wohl er auf ei­ner ima­gi­nären Grund­la­ge fußt, ha­ben sie noch die Ma­nie, sich einen Le­bens­plan zu­rechtzu­ma­chen und sich selbst ein glän­zen­des Ho­ro­skop zu stel­len; ihre Ver­ir­rung be­steht dar­in, daß sie ihre Träu­me für Wirk­lich­keit hal­ten, sie neh­men sich heim­lich, nach lan­gem Grü­beln, vor, Herz und Hand nur ei­nem Man­ne zu schen­ken, der die und die vor­treff­li­chen Ei­gen­schaf­ten ha­ben wür­de; sie ma­len sich in der Ein­bil­dung einen be­stimm­ten Typ aus, dem ihr Zu­künf­ti­ger wohl oder übel ent­spre­chen müs­se. Wenn sie dann die nö­ti­ge Le­bens­er­fah­rung ge­won­nen und mit den Jah­ren ernst­haf­ter über den Lauf der Welt und ih­ren pro­sa­i­schen Gang nach­ge­dacht ha­ben, dann ver­blas­sen die schö­nen Far­ben ih­res Ideal­bil­des; und spä­ter fin­den sie ei­nes Ta­ges im Ver­lauf des Le­bens zu ih­rem Er­stau­nen, daß sie ein ehe­li­ches Glück ohne die Er­fül­lung ih­rer poe­ti­schen Träu­me ge­fun­den ha­ben. Aber Fräu­lein Emi­lie von Fon­taine hat­te auf Grund sol­cher Poe­sie sich in ih­rer leicht zu er­schüt­tern­den Weis­heit ein Pro­gramm zu­recht­ge­macht, dem ihr Zu­künf­ti­ger ent­spre­chen müs­se, wenn sie ihm ihr Ja­wort ge­ben sol­le. Da­her ihr Hoch­mut und ihre Spöt­te­rei­en.

»Jung und von al­tem Adel,« hat­te sie sich ge­sagt, »muß er auch Pair von Frank­reich oder der äl­tes­te Sohn ei­nes Pairs sein! Es wäre mir un­er­träg­lich, wenn ich nicht an mei­nem Wa­gen­schlag mein Wap­pen in­mit­ten der we­hen­den Fal­ten ei­nes him­melblau­en Man­tels se­hen und nicht beim Ren­nen von Long­champ durch die große Al­lee der Champs-Elysées eben­so wie die Prin­zen fah­ren könn­te. Mein Va­ter be­haup­tet ja auch, daß dies ei­nes Ta­ges der höchs­te Rang in Frank­reich sein wür­de. Au­ßer­dem soll er Sol­dat sein, wo­bei ich mir vor­be­hal­te, ihn sei­nen Ab­schied neh­men zu las­sen, und dann will ich, daß er de­ko­riert ist, da­mit man vor uns prä­sen­tiert.«

Aber die­se schon an sich sel­te­nen Ei­gen­schaf­ten wür­den noch nichts be­deu­ten, wenn die­ses er­dach­te We­sen nicht auch noch be­son­ders lie­bens­wert, von gu­tem Aus­se­hen, geist­voll und schlank ge­wach­sen wäre. Die Schlank­heit, die­ser kör­per­li­che Vor­zug, so ver­gäng­lich er auch, be­son­ders un­ter der Herr­schaft des Re­prä­sen­ta­tivsys­tems, war, bil­de­te eine un­er­läß­li­che Be­din­gung. Fräu­lein von Fon­taine hat­te sich ein ge­wis­ses Ideal­maß fest­ge­setzt, das ihr als Mo­dell galt. Der jun­ge Mann, der auf den ers­ten Blick die­sen ge­stell­ten Be­din­gun­gen nicht ent­sprach, emp­fing nicht ein­mal mehr einen zwei­ten.

»Mein Gott, se­hen Sie doch nur, wie dick die­ser Herr ist«, das be­deu­te­te bei ihr den Aus­druck äu­ßers­ter Ver­ach­tung.

Wenn man sie hör­te, wa­ren schon die Leu­te von er­träg­li­cher Kor­pu­lenz kei­ner Emp­fin­dung fä­hig, schlech­te Ehe­män­ner und nicht wür­dig, zur zi­vi­li­sier­ten Ge­sell­schaft zu­ge­las­sen zu wer­den. Ob­gleich ein im Ori­ent hoch­ge­schätz­ter Vor­zug, er­schi­en ihr Fett­lei­big­keit bei Da­men als ein Un­glück; beim Man­ne aber war es ein Ver­bre­chen. Sol­che pa­ra­do­xen An­sich­ten wirk­ten bei ihr, dank ei­ner ge­wis­sen scherz­haf­ten Form der Fas­sung, amüsant. Trotz­dem hat­te der Graf das Ge­fühl, daß die Prä­ten­tio­nen sei­ner Toch­ter, de­ren Lä­cher­lich­keit man­chen eben­so klar se­hen­den, wie we­nig nach­sich­ti­gen Da­men klar wer­den muß­te, spä­ter ein ver­häng­nis­vol­ler An­laß zur Ver­spot­tung wer­den wür­de. Er fürch­te­te, daß die merk­wür­di­gen An­sich­ten sei­ner Toch­ter mit dem gu­ten Ton in Wi­der­spruch ge­ra­ten könn­ten. Und er zit­ter­te da­vor, daß die er­bar­mungs­lo­se Ge­sell­schaft sich viel­leicht schon jetzt über eine Per­son lus­tig mach­te, die be­reits so lan­ge auf der Sze­ne stand, ohne die Ko­mö­die, die sie spiel­te, zu ei­nem be­frie­di­gen­den Ende zu brin­gen. Man­cher Mit­spie­ler, är­ger­lich über sei­ne Ab­leh­nung, schi­en nur auf ir­gend­ei­ne Ge­le­gen­heit zu war­ten, um sich zu rä­chen. Die Gleich­gül­ti­gen und die Be­que­men fin­gen an, der Sa­che müde zu wer­den: Be­wun­de­rung hat für das mensch­li­che Ge­schlecht im­mer et­was Er­mü­den­des. Der alte Ven­déer wuß­te bes­ser als je­der an­de­re, daß man mit ge­schick­ter Kunst den rich­ti­gen Mo­ment wäh­len muß, um auf der Schau­büh­ne der Welt, des Ho­fes, des Sa­lons oder des Thea­ters auf­zu­tre­ten, daß es aber noch schwe­rer ist, zur rech­ten Zeit ab­zu­tre­ten. Da­her ver­dop­pel­te er in dem Win­ter, der dem Re­gie­rungs­an­trit­te Karls X. folg­te, im Ve­rein mit sei­nen drei Söh­nen und sei­nen Schwie­ger­söh­nen sei­ne An­stren­gun­gen, um in den Sa­lons sei­nes Hau­ses die bes­ten Par­ti­en, die sich in Pa­ris und un­ter den Be­su­chern aus den De­par­te­ments bo­ten, zu ver­sam­meln. Der Glanz sei­ner Fes­te, der Lu­xus sei­nes Spei­se­saals und sei­ne mit Trüf­feln ge­würz­ten Di­ners ri­va­li­sier­ten mit den be­rühm­tes­ten Fest­ta­feln, durch die sich die da­ma­li­gen Mi­nis­ter die Stim­men ih­rer par­la­men­ta­ri­schen An­hän­ger si­cher­ten.

Der eh­ren­wer­te De­pu­tier­te wur­de da­her als ei­ner der ein­fluß­reichs­ten Ver­der­ber der par­la­men­ta­ri­schen Ehr­lich­keit der be­rühm­ten Kam­mer be­zeich­net, die an ei­ner Ma­gen­ver­stim­mung zu Ende zu ge­hen schi­en. Ein merk­wür­di­ger Um­stand! Die Ver­su­che, sei­ne Toch­ter zu ver­hei­ra­ten, er­hiel­ten ihn auf­fal­lend in Gunst. Vi­el­leicht be­saß er ins­ge­heim ein Mit­tel, um sei­ne Trüf­feln zwei­mal zu ver­kau­fen. Aber die­se An­schul­di­gung von Sei­ten ge­wis­ser li­be­ra­ler Spöt­ter, die mit ih­rem Wort­schwall über ih­ren ge­rin­gen An­hang in der Kam­mer hin­weg­täu­schen woll­ten, fand kei­ner­lei An­klang. Das Ver­hal­ten des poi­tou­er Edel­manns war ein so durch­aus vor­neh­mes und eh­ren­haf­tes, daß kein ein­zi­ger der An­grif­fe, mit de­nen die bos­haf­ten Zei­tun­gen in die­ser Epo­che die drei­hun­dert Stim­men des Zen­trums, die Mi­nis­ter, die Kö­che, die Ge­ne­ral­di­rek­to­ren, die Eß­fürs­ten und die of­fi­zi­el­len Ver­tei­di­ger des Mi­nis­te­ri­ums Villèle zu über­häu­fen pfleg­ten, ge­gen ihn laut wur­de.

Am Ende die­ser Kam­pa­gne, wäh­rend der Herr von Fon­taine mehr­mals alle sei­ne Trup­pen auf­ge­bo­ten hat­te, glaub­te er, daß dies­mal die Ver­samm­lung von Be­wer­bern von sei­ner Toch­ter nicht mehr wie ein Blend­werk an­ge­se­hen wer­den wür­de. In­ner­lich emp­fand er eine ge­wis­se Ge­nug­tu­ung dar­über, daß er sei­ne Va­ter­pflicht ge­treu er­füllt hat­te. Nach­dem er sol­che Mühe auf­ge­wendet hat­te, hoff­te er, daß sich un­ter so viel Her­zen, wie dies­mal der lau­nen­haf­ten Emi­lie dar­ge­bo­ten wür­den, we­nigs­tens ei­nes fän­de, das sie aus­zeich­nen wür­de. Nicht im­stan­de, die­se An­stren­gun­gen noch ein zwei­tes­mal zu ma­chen, und im üb­ri­gen durch das Be­neh­men sei­ner Toch­ter er­schöpft, be­schloß er ge­gen Ende der Fas­ten­zeit ei­nes Mor­gens, als die Kam­mer­sit­zung sei­ne An­we­sen­heit nicht all­zu dring­lich er­for­der­te, mit ihr zu re­den. Wäh­rend ein Kam­mer­die­ner kunst­voll auf sei­nem gel­ben Schä­del das Del­ta aus Pu­der ab­grenz­te, das zu­sam­men mit den her­ab­hän­gen­den Tau­ben­flü­geln die ehr­wür­di­ge Fri­sur ver­voll­komm­ne­te, be­fahl Emi­li­ens Va­ter, nicht ohne eine ge­wis­se Auf­re­gung, sei­nem al­ten Kam­mer­die­ner, dem stol­zen Fräu­lein zu mel­den, daß es so­fort vor dem Fa­mi­li­en­haup­te er­schei­nen möch­te.

»Jo­seph,« sag­te er, als sei­ne Fri­sur be­en­det war, »neh­men Sie die Ser­vi­et­te fort, zie­hen Sie die Vor­hän­ge vor, stel­len Sie die Ses­sel an ih­ren Platz, schüt­teln Sie den Ka­min­tep­pich aus und le­gen Sie ihn recht or­dent­lich wie­der hin und ma­chen Sie al­les sau­ber. Vor­wärts! Und dann ma­chen Sie das Fens­ter auf und las­sen Sie et­was fri­sche Luft her­ein.«

Der Graf traf noch ver­schie­de­ne An­ord­nun­gen, die Jo­seph au­ßer Atem brach­ten, der, die Ab­sicht sei­nes Herrn ver­ste­hend, die­sem im gan­zen Hau­se na­tur­ge­mäß am meis­ten un­or­dent­li­chen Zim­mer ei­ni­ge Fri­sche ver­lieh, und dem es schließ­lich ge­lang, et­was Har­mo­nie in die Hau­fen von Rech­nun­gen, Map­pen, Bü­cher und Mö­bel in die­sem Hei­lig­tum zu brin­gen, wo die Ge­schäf­te der kö­nig­li­chen Do­mä­ne ab­ge­wi­ckelt wur­den. Als Jo­seph end­lich ei­ni­ge Ord­nung in die­ses Cha­os ge­bracht und, wie in ei­nem Ma­ga­zin von Neu­hei­ten, die Din­ge, die am er­freu­lichs­ten an­zu­se­hen wa­ren oder durch ihre Far­be dem bu­reau­mä­ßi­gen An­strich einen poe­ti­schen Hauch ver­lei­hen konn­ten, in den Vor­der­grund ge­rückt hat­te, blieb er mit­ten in dem La­by­rinth von Pa­pier­mas­sen, die stel­len­wei­se bis auf den Tep­pich her­un­ter her­um­la­gen, ste­hen, be­wun­der­te sein Werk, schüt­tel­te den Kopf und ver­schwand.

Der arme Si­ne­ku­ren­in­ha­ber teil­te die gute Mei­nung sei­nes Die­ners nicht. Be­vor er sich in sei­nem rie­si­gen Lehn­ses­sel nie­der­ließ, warf er einen miß­traui­schen Blick um sich, prüf­te mit un­zu­frie­de­ner Mie­ne sei­nen Haus­rock, ent­fern­te ei­ni­ge Ta­bakss­pu­ren von ihm, putz­te sich sorg­sam die Nase, leg­te die Schau­feln und Feu­er­zan­gen zu­recht, schür­te das Feu­er, zog sei­ne Pan­tof­feln her­auf, nahm sei­nen klei­nen Zopf, der sich quer zwi­schen die Kra­gen der Wes­te und des Haus­rocks ge­scho­ben hat­te, her­aus und ließ ihn ge­ra­de her­ab­hän­gen; dar­auf feg­te er die Asche des Ka­mins zu­sam­men, die des­sen hart­nä­cki­ges Ver­sa­gen be­zeug­te. Dann nahm der alte Herr end­lich Platz, nach­dem er noch ein letz­tes­mal sich in sei­nem Zim­mer um­ge­se­hen hat­te, und hoff­te, daß nun nichts mehr An­laß zu den eben­so lus­ti­gen wie un­be­schei­de­nen Be­mer­kun­gen ge­ben könn­te, mit de­nen sei­ne Toch­ter sei­ne wei­sen Ratschlä­ge zu be­ant­wor­ten pfleg­te. Dies­mal woll­te er sei­ne vä­ter­li­che Wür­de nicht be­ein­träch­ti­gen las­sen. Zier­lich nahm er eine Pri­se Ta­bak und hus­te­te mehr­mals, als ob er sich zum Spre­chen an­schick­te, denn er ver­nahm den leich­ten Schritt sei­ner Toch­ter, die jetzt, eine Me­lo­die aus dem ›Bar­bier‹ träl­lernd, her­ein­trat.

»Gu­ten Mor­gen, lie­ber Va­ter; was wün­schen Sie denn so früh von mir?«

Nach die­sen Wor­ten, die wie ein Re­frain zu ih­rem Lie­de klan­gen, um­arm­te sie den Gra­fen, nicht mit der zärt­li­chen Ver­trau­lich­keit, die ein so sü­ßer Aus­druck kind­li­chen Emp­fin­dens ist, son­dern mit der ober­fläch­li­chen Gleich­gül­tig­keit ei­ner Mätres­se, die über­zeugt ist, daß al­les, was sie tut, Freu­de macht.

»Mein lie­bes Kind,« sag­te Herr von Fon­taine wür­dig, »ich habe dich ru­fen las­sen, um sehr ernst­haft mit dir über dich und dei­ne Zu­kunft zu re­den. Es ist jetzt eine Not­wen­dig­keit ge­wor­den, daß du einen Gat­ten wählst, der dir ein dau­er­haf­tes Glück ver­hei­ßen kann …«

»Lie­ber Va­ter,« un­ter­brach ihn Emi­lie und gab ih­rer Stim­me den schmei­chelnds­ten Klang, »mir scheint, daß der Waf­fen­still­stand, den wir be­züg­lich mei­ner Be­wer­ber ge­schlos­sen ha­ben, noch nicht ab­ge­lau­fen ist.«

»Emi­lie, wir wol­len heu­te über eine so wich­ti­ge An­ge­le­gen­heit nicht scher­zen. Schon seit ei­ner ge­wis­sen Zeit ver­ei­ni­gen alle, die dich wirk­lich lieb­ha­ben, ihre An­stren­gun­gen, um dich an­ge­mes­sen zu ver­hei­ra­ten, und es wäre un­dank­bar von dir, über die­se Be­wei­se von In­ter­es­se, die nicht nur ich an dich ver­schwen­de, so leicht hin­weg­zu­ge­hen.«

Nach die­sen Wor­ten und nach­dem sie ih­ren spöt­tisch prü­fen­den Blick über das Mo­bi­li­ar des vä­ter­li­chen Zim­mers hat­te hin­lau­fen las­sen, nahm das jun­ge Mäd­chen sich einen Ses­sel, der noch am we­nigs­ten von Bitt­stel­lern ab­ge­nutzt er­schi­en, schob ihn an die an­de­re Sei­te des Ka­mins, so daß sie ih­rem Va­ter ge­gen­über­sit­zen konn­te, nahm eine schein­bar so erns­te Hal­tung an, daß man dar­in un­mög­lich einen Zug von Spott über­se­hen konn­te, und kreuz­te ihre Arme über der rei­chen Gar­ni­tur ei­ner Pe­le­ri­ne à la nei­ge, de­ren vie­le Tüll­rü­schen un­barm­her­zig zer­drückt wur­den. Nach­dem sie die sor­gen­vol­le Mie­ne ih­res al­ten Va­ters be­trach­tet hat­te, lach­te sie und brach end­lich ihr Schwei­gen.

»Ich habe Sie nie­mals sa­gen hö­ren, lie­ber Va­ter, daß die Re­gie­rung ihre Mit­tei­lun­gen im Haus­rock macht. Aber«, füg­te sie lä­chelnd hin­zu, »das tut nichts, das Volk darf nicht an­spruchs­voll sein. Hö­ren wir also Ihre Ge­set­ze­sent­wür­fe und Ihre of­fi­zi­el­len Vor­schlä­ge.«

»Es wird mir nicht im­mer so leicht sein, dir wel­che zu ma­chen, du jun­ger Toll­kopf! Höre mich an, Emi­lie. Ich habe nicht län­ger die Ab­sicht, mei­ne Stel­lung aufs Spiel zu set­zen, auf der zum Teil das Ver­mö­gen mei­ner Kin­der be­ruht, in­dem ich die­ses Re­gi­ment von Tän­zern zu­sam­men­brin­ge, die du dann in je­dem Früh­jahr lau­fen läßt. Du bist schon, ohne es zu wis­sen, der An­laß zu vie­len ge­fähr­li­chen Feind­schaf­ten mit ge­wis­sen Fa­mi­li­en ge­we­sen. Ich hof­fe, daß du heu­te die Schwie­rig­kei­ten dei­ner und un­se­rer Lage be­grei­fen wirst. Du bist zwei­und­zwan­zig Jahr alt, mein Kind, und seit bei­na­he drei Jah­ren hät­test du schon ver­hei­ra­tet sein müs­sen. Dei­ne Brü­der und dei­ne bei­den Schwes­tern sind reich und glück­lich ver­sorgt. Aber die Aus­ga­ben, mein Kind, die uns die­se Hei­ra­ten ver­ur­sacht ha­ben, und die Art, wie du dei­ne Mut­ter un­ser Haus zu füh­ren ver­an­las­sest, ha­ben un­se­re Ein­künf­te der­ma­ßen auf­ge­zehrt, daß ich dir kaum eine Mit­gift von hun­dert­tau­send Fran­ken ge­ben kann. Von heu­te ab muß ich an die Zu­kunft dei­ner Mut­ter den­ken, die für mei­ne Kin­der nicht ge­op­fert wer­den darf. Wenn ich ein­mal mei­ner Fa­mi­lie feh­len wer­de, dann soll Frau von Fon­taine nicht von an­dern Leu­ten ab­hän­gig sein, son­dern auch wei­ter­hin die Be­hag­lich­keit ge­nie­ßen kön­nen, mit der ich spät ge­nug ihre Auf­op­fe­rung in mei­nen un­glück­li­chen Zei­ten habe be­loh­nen kön­nen. Du siehst, mein Kind, daß dei­ne un­be­deu­ten­de Mit­gift in kei­nem Ver­hält­nis zu dei­nen großen An­sprü­chen steht. Und auch dies ist noch ein Op­fer, das ich für kein an­de­res mei­ner Kin­der ge­bracht habe; sie ha­ben groß­mü­tig dar­auf ver­zich­tet, der­einst einen Aus­gleich für die­se Be­vor­zu­gung ei­nes all­zu ge­lieb­ten Kin­des zu ver­lan­gen.«

»Bei ih­ren Ver­hält­nis­sen!« sag­te Emi­lie und schüt­tel­te den Kopf.

»Mei­ne lie­be Toch­ter, du darfst die­je­ni­gen, die dich lieb­ha­ben, nie­mals so her­ab­set­zen. Du mußt wis­sen, daß nur die Ar­men groß­mü­tig sind! Die Rei­chen ha­ben stets aus­ge­zeich­ne­te Grün­de, warum sie nicht auf zwan­zig­tau­send Fran­ken zu­guns­ten ei­nes Ver­wand­ten ver­zich­ten wol­len. Also schmol­le nicht, mein Kind, und laß uns ernst­haft mit­ein­an­der re­den. Ist dir un­ter den jun­gen Hei­rats­kan­di­da­ten nicht Herr von Ma­ner­ville auf­ge­fal­len?«

»Oh ja, er sagt ßön, statt schön, be­trach­tet im­mer sei­ne Füße, weil er sie für klein hält und be­wun­dert sich im Spie­gel! Au­ßer­dem ist er blond, ich lie­be die Blon­den nicht.«

»Nun, und Herr von Beau­den­ord?«

»Der ist nicht von Adel. Au­ßer­dem ist er schlecht ge­wach­sen und dick. Er ist al­ler­dings brü­nett. Die bei­den Her­ren müß­ten ihr Geld zu­sam­men­tun, und dann soll­te der eine sei­nen Kör­per und sei­nen Na­men dem an­dern ge­ben, der aber sein Haar be­hal­ten müß­te; dann … viel­leicht …«

»Und was hast du ge­gen Herrn von Ras­ti­gnac ein­zu­wen­den?«

»Frau von Nu­cin­gen hat einen Ban­kier aus ihm ge­macht«, sag­te sie bos­haft.

»Und der Vi­com­te von Por­ten­duè­re, un­ser Ver­wand­ter?«

»Ein Kind, ein schlech­ter Tän­zer, au­ßer­dem hat er kein Ver­mö­gen. Alle die­se Leu­te, lie­ber Va­ter, ha­ben auch kei­nen Rang. Zum we­nigs­ten will ich doch Grä­fin wer­den, wie mei­ne Mut­ter.«

»Du hast also in die­sem Win­ter nie­man­den ge­fun­den, der …«

»Nein, lie­ber Va­ter.«

»Was für einen wün­schest du also?«

»Den Sohn ei­nes Pairs von Frank­reich.«

»Du bist ja toll!« sag­te Herr von Fon­taine und er­hob sich.

Er er­hob die Au­gen zum Him­mel und schi­en aus from­men Ge­dan­ken ein neu­es Quan­tum von Er­ge­bung zu schöp­fen; dann warf er einen Blick voll vä­ter­li­chen Mit­leids auf sei­ne Toch­ter, die be­wegt wur­de, nahm ihre Hand, drück­te sie und sag­te zärt­lich zu ihr: »Gott ist mein Zeu­ge, du ar­mes, be­tör­tes Ge­schöpf, daß ich mei­ne vä­ter­li­chen Pf­lich­ten ge­gen dich ge­wis­sen­haft er­füllt habe; was sage ich, ge­wis­sen­haft? Vol­ler Lie­be, Emi­lie. Ja, Gott weiß es, ich habe in die­sem Win­ter dir mehr als einen eh­ren­haf­ten Mann zu­ge­führt, des­sen Fä­hig­kei­ten, Sit­ten und Cha­rak­ter mir be­kannt wa­ren, und alle wa­ren nach mei­ner An­sicht dei­ner wür­dig. Mei­ne Auf­ga­be ist er­füllt, mein Kind. Von heu­te ab bist du selbst Her­rin dei­nes Ge­schicks, und ich füh­le mich glück­lich und un­glück­lich zu­gleich, daß ich der schwers­ten vä­ter­li­chen Pf­licht ent­ho­ben bin. Ich weiß nicht, ob du noch lan­ge mei­ne Stim­me hö­ren wirst, die un­glück­li­cher­wei­se nie­mals streng war; den­ke aber dar­an, daß das ehe­li­che Glück nicht so sehr auf glän­zen­den Ei­gen­schaf­ten und auf Reich­tum be­ruht, wie auf ge­gen­sei­ti­ger Ach­tung. Solch ein Glück ist, sei­nem We­sen ent­spre­chend, be­schei­den und ohne äu­ße­ren Glanz. Geh, mein Kind; wen du mir als Schwie­ger­sohn bringst, der soll mei­ne Zu­stim­mung ha­ben; soll­test du aber un­glück­lich wer­den, dann be­den­ke, daß du nicht das Recht hast, dei­nem Va­ter Vor­wür­fe zu ma­chen. Ich wer­de mich nicht wei­gern, Schrit­te für dich zu tun und dir zu hel­fen; nur muß dei­ne Wahl ernst­haft und end­gül­tig sein: ich wer­de nicht zum zwei­ten­mal die Ach­tung, die man mei­nen wei­ßen Haa­ren schul­dig ist, aufs Spiel set­zen.«

Der Aus­druck war­mer Zu­nei­gung, der sich in der An­spra­che ih­res Va­ters äu­ßer­te, und ihr fei­er­li­cher Ton gin­gen Fräu­lein von Fon­taine ans Herz; aber sie ließ ihre Rüh­rung nicht ge­wahr wer­den, setz­te sich dem Gra­fen, der sich, noch zit­ternd, wie­der nie­der­ge­las­sen hat­te, auf die Knie, über­häuf­te ihn mit Zärt­lich­kei­ten und schmei­chel­te ihm so rei­zend, daß sich die Stirn des al­ten Herrn ent­wölk­te. Als Emi­lie an­nahm, daß die pein­li­che Er­re­gung ih­res Va­ters sich wie­der be­ru­higt hat­te, sag­te sie lei­se zu ihm:

»Ich dan­ke Ih­nen herz­lich, lie­ber Va­ter, für Ihre lie­bens­wür­di­ge Auf­merk­sam­keit. Sie ha­ben Ihr Zim­mer auf­ge­räumt, weil Sie Ihre Toch­ter emp­fan­gen woll­ten. Sie ha­ben nicht ge­dacht, daß sie so tö­richt und so wi­der­spens­tig sein wür­de. Aber ist es denn, lie­ber Va­ter, so sehr schwie­rig, einen Pair von Frank­reich zu hei­ra­ten? Sie ha­ben doch selbst be­haup­tet, daß sol­che zu Dut­zen­den er­nannt wür­den. Ach, Ihren Rat wer­den Sie mir doch nicht vor­ent­hal­ten.«

»Nein, mein ar­mes Kind, nein, und ich wer­de dir mehr als ein­mal zu­ru­fen: Hüte dich! Be­den­ke doch, daß die Pai­rie ein noch zu neu­es Hilfs­mit­tel für un­se­re Re­gie­rungs­fä­hig­keit ist, wie der hoch­se­li­ge Kö­nig zu sa­gen pfleg­te, als daß die Pairs schon ein großes Ver­mö­gen be­sit­zen könn­ten. Und die, die reich sind, wol­len noch rei­cher wer­den. Der reichs­te un­ter al­len un­sern Pairs hat noch nicht die Hälf­te des Ein­kom­mens, das der ärms­te Lord des eng­li­schen Ober­hau­ses be­sitzt. Des­halb wer­den alle Pairs von Frank­reich nach rei­chen Er­bin­nen für ihre Söh­ne su­chen, gleich­gül­tig, wo sie zu fin­den sind. Die­se Not­wen­dig­keit, rei­che Hei­ra­ten zu ma­chen, wird mehr als zwei­hun­dert Jah­re an­dau­ern. Es ist mög­lich, daß, wenn du auf den glück­li­chen Zu­fall, mit dem du rech­nest, war­test, was dich aber dei­ne bes­ten Jah­re kos­ten kann, dei­ne Rei­ze (man hei­ra­tet in un­serm Jahr­hun­dert ja haupt­säch­lich aus Lie­be!), dei­ne Rei­ze ein Wun­der zu­stan­de brin­gen kön­nen. Wenn sich hin­ter ei­nem so fri­schen Ge­sicht wie dem dei­ni­gen auch noch Welt­kennt­nis ver­birgt, kann man ja auf ein Wun­der hof­fen. Be­sit­zest du nicht zu­nächst schon die Fä­hig­keit, an dem grö­ße­ren oder ge­rin­ge­ren Kör­pe­r­um­fang die in­ne­ren Vor­zü­ge zu er­ken­nen? Das ist kein ge­rin­ges Ta­lent. Ich brau­che da­her ei­ner so klu­gen Per­son wie dir nicht alle Schwie­rig­keit ei­nes sol­chen Ver­su­ches vor­zu­hal­ten. Ich bin über­zeugt, daß du nie­mals bei ei­nem Un­be­kann­ten Klug­heit ver­mu­ten wirst, weil er ein hüb­sches Ge­sicht, oder mo­ra­li­sche Vor­zü­ge, weil er eine gute Hal­tung hat. Und schließ­lich bin ich ganz dei­ner Mei­nung, daß die Söh­ne von Pairs die Ver­pflich­tung ha­ben, ein ei­ge­nes We­sen und sich be­son­ders aus­zeich­nen­de Ma­nie­ren zu be­sit­zen. Ob­gleich man heut­zu­ta­ge nie­man­dem sei­nen ho­hen Rang an­mer­ken kann, wer­den die­se jun­gen Män­ner für dich viel­leicht ein ge­wis­ses Et­was ha­ben, wor­an du sie er­kennst. Üb­ri­gens hältst du ja dein Herz am Zü­gel wie ein gu­ter Rei­ter, der si­cher ist, daß sein Pferd nicht stol­pern wird. Also viel Glück, mei­ne lie­be Toch­ter!«

»Sie ma­chen sich über mich lus­tig, lie­ber Va­ter. Aber ich er­klä­re Ih­nen, daß ich mich lie­ber im Klos­ter des Fräu­leins von Con­dé be­gra­ben will, als daß ich dar­auf ver­zich­te, die Frau ei­nes Pairs von Frank­reich zu wer­den.«

Sie ent­zog sich den Ar­men ih­res Va­ters, und stolz dar­auf, daß sie Sie­ge­rin ge­blie­ben war, sang sie beim Fort­ge­hen die Arie »Cara non du­bi­ta­re« aus der »Heim­li­chen Ehe«. Zu­fäl­lig fei­er­te die Fa­mi­lie an die­sem Tage den Ge­burts­tag ei­nes Mit­glie­des. Beim Nach­tisch sprach Frau Pla­nat, die Frau des Ge­ne­ral­ein­neh­mers, die äl­te­re Schwes­ter Emi­lies, ziem­lich laut von ei­nem jun­gen Ame­ri­ka­ner, dem Be­sit­zer ei­nes un­ge­heu­ren Ver­mö­gens, der sich lei­den­schaft­lich in ihre Schwes­ter ver­liebt und ihr ganz be­son­ders glän­zen­de Aner­bie­tun­gen ge­macht hat­te.

»Ich glau­be, das ist ein Ban­kier«, warf Emi­lie hin. »Ich lie­be die Finanz­leu­te nicht.«

»Aber Emi­lie,« sag­te der Baron von Vil­lai­ne, der Mann ih­rer zwei­ten Schwes­ter, »da du den Richter­stand eben­so­we­nig liebst, so sehe ich nicht, wenn rei­che Leu­te, die nicht von Adel sind, nicht in Be­tracht kom­men, aus wel­chen Krei­sen du dir einen Mann wäh­len willst.«

»Zu­mal, Emi­lie, bei dei­nem Be­ste­hen auf Schlank­heit«, füg­te der Ge­ne­ral­leut­nant hin­zu.

»Ich weiß sel­ber, was ich will«, er­wi­der­te das jun­ge Mäd­chen.

»Mei­ne Schwes­ter ver­langt einen schö­nen Na­men, einen schö­nen jun­gen Mann, schö­ne Zu­kunfts­aus­sich­ten«, sag­te die Baro­nin von Fon­taine, »und hun­dert­tau­send Fran­ken Ren­te, kurz einen Mann, wie zum Bei­spiel Herrn von Mar­say.«

»Ich weiß nur so viel, mei­ne Lie­be,« ver­setz­te Emi­lie, »daß ich kei­ne so tö­rich­te Par­tie ma­chen wer­de, wie ich sol­che so vie­le habe ma­chen se­hen. Und im üb­ri­gen er­klä­re ich, um die­sen Hei­rats­dis­kus­sio­nen ein Ende zu ma­chen, daß ich je­den, der mir noch vom Hei­ra­ten re­det, als Stö­rer mei­ner Ruhe an­se­hen wer­de.«

Ein On­kel Emi­lies, ein Vi­zead­mi­ral, des­sen Ver­mö­gen sich kürz­lich in­fol­ge des In­dem­ni­täts­ge­set­zes um zwan­zig­tau­send Fran­ken Ren­te ver­grö­ßert hat­te, ein sieb­zig­jäh­ri­ger Greis, der sich her­aus­neh­men durf­te, sei­ner Groß­nich­te, in die er ver­narrt war, deut­lich die Wahr­heit zu sa­gen, er­klär­te, um der Dis­kus­si­on ihre Schär­fe zu neh­men: »Laßt doch mei­ne arme Emi­lie in Ruhe! Seht ihr denn nicht, daß sie war­tet, bis der Her­zog von Bor­deaux ma­jo­renn ist?«

»Neh­men Sie sich in acht, daß ich Sie nicht hei­ra­te, Sie al­ter Narr!« ent­geg­ne­te das jun­ge Mäd­chen, des­sen letz­te Wor­te glück­li­cher­wei­se im all­ge­mei­nen Ge­läch­ter ver­lo­ren­gin­gen.

»Kin­der,« sag­te Frau von Fon­taine, um die­se un­be­schei­de­ne Be­mer­kung zu be­schö­ni­gen, »Emi­lie wird eben­so­we­nig, wie ihr alle, sich von ih­rer Mut­ter be­ra­ten las­sen.«

»Nein, wahr­haf­tig, in ei­ner Sa­che, die nur mich an­geht, wer­de ich auch nur auf mich hö­ren«, sag­te Fräu­lein von Fon­taine sehr be­stimmt.

Alle Bli­cke rich­te­ten sich jetzt auf das Haupt der Fa­mi­lie. Je­der schi­en be­gie­rig zu sein, zu se­hen, wie er sich un­ter Wah­rung sei­ner Wür­de dazu stel­len wür­de. Der ver­eh­rungs­wür­di­ge Ven­déer ge­noß nicht bloß in der Ge­sell­schaft großes An­se­hen; glück­li­cher als vie­le an­de­re Vä­ter, wur­de er auch von sei­ner Fa­mi­lie ver­ehrt, de­ren sämt­li­che Mit­glie­der sei­ne be­währ­te Fä­hig­keit, für die Sei­ni­gen zu sor­gen, an­er­kann­ten; ihm wur­de da­her die re­spekt­vol­le Ach­tung ent­ge­gen­ge­bracht, die eng­li­sche Fa­mi­li­en und ei­ni­ge ari­sto­kra­ti­sche Häu­ser des Kon­tin­ents dem Re­prä­sen­tan­ten ih­res Stamm­baums zu be­zeu­gen pfle­gen. Es ent­stand ein tie­fes Schwei­gen, und die Au­gen der Tisch­ge­nos­sen wa­ren ab­wech­selnd auf das schmol­len­de, hoch­mü­ti­ge Ge­sicht des ver­wöhn­ten Kin­des und auf Herrn und Frau von Fon­tai­nes erns­te Mie­nen ge­rich­tet.

»Ich habe es mei­ner Toch­ter Emi­lie über­las­sen, über ihr Schick­sal sel­ber zu ent­schei­den«, war die Ant­wort, die der Graf in trü­bem Tone fal­len ließ.

Die Ver­wand­ten und die Gäs­te be­trach­te­ten Fräu­lein von Fon­taine mit ei­nem Ge­misch von Neu­gier und Mit­leid. Die­ses Wort schi­en an­zu­kün­di­gen, daß die vä­ter­li­che Güte müde ge­wor­den war, ge­gen einen Cha­rak­ter an­zu­kämp­fen, den die Fa­mi­lie als un­ver­bes­ser­lich kann­te. Die Schwie­ger­söh­ne spra­chen lei­se mit­ein­an­der, und die Brü­der war­fen ih­ren Frau­en ein spöt­ti­sches Lä­cheln zu. Ihr al­ter On­kel war der ein­zi­ge, der, als al­ter See­mann, es wag­te, mit ihr eine Breit­sei­te zu wech­seln und ihre Lau­nen zu er­tra­gen, ohne daß er je­mals dar­um ver­le­gen war, ihr Feu­er zu er­wi­dern.

Honoré de Balzac – Gesammelte Werke

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