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Dreizehnter Brief.
Julie an Frau von Orbe.

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Inhaltsverzeichnis

Es ist also wahr, theure, grausame Freundin, daß du mich zum Leben und zu meinen Schmerzen zurückrufst? Ich habe den glückseligen Augenblick gesehen, da ich mich mit der zärtlichsten der Mütter vereinigen sollte: deine unmenschliche Hülfe und Pflege hat mich gefesselt, daß ich noch länger um sie weinen muß. Und wenn das Verlangen, ihr nachzufolgen, mich der Erde entreißt, so hält mich der Schmerz, dich zu verlassen, hier zurück. Wenn mich etwas tröstet, daß ich noch am Leben bin, so ist es nur die Hoffnung, dem Tode nicht ganz entronnen zu sein. Sie sind nicht mehr, die Annehmlichkeiten meines Gesichtes, die mein Herz so theuer bezahlt hat; die Krankheit, die ich überstanden habe, hat mich von ihnen befreit. Diese glückliche Einbuße wird den rohen Eifer eines Mannes abkühlen, der so entblößt von Zartgefühl ist, daß er mich ohne meine Zustimmung heiraten will. Wenn er an mir das nicht mehr findet, was ihm gefiel, so wird er sich aus dem Uebrigen wenig machen. Ohne meinem Vater wortbrüchig zu werden, ohne den Freund zu beleidigen, dem er sein Leben verdankt, werde ich diesen Zudringlichen zurückschrecken können; mein Mund wird schweigen, aber mein Anblick wird für mich sprechen. Seine Abneigung wird mich vor seiner Tyrannei behüten, und er wird mich zu häßlich finden, um sich herabzulassen, mich glücklich zu machen.

Ach! liebe Cousine, du kanntest ein beständigeres, zärtlicheres Herz, das sich nicht so abschrecken ließe. Sein Gefallen beschränkte sich nicht auf die Züge und das Aeußere; mich liebte er, nicht mein Gesicht; durch unser ganzes Wesen waren wir mit einander verbunden; und so lange Julie dieselbe blieb, mochte doch die Schönheit fliehen, die Liebe wäre immer geblieben. Und doch hat er einwilligen können .... der Undankbare! ... Er mußte ja, da ich es fordern konnte. Wer kann bei ihrem Worte Die festhalten, welche ihr Herz zurückziehen wollen? .... Habe ich denn das meinige zurückziehen wollen? .... habe ich es denn gethan? O Gott! Muß denn Alles unaufhörlich mir eine Zeit zurückrufen, die dahin ist, und Zeiten, die nicht mehr sein dürfen? Umsonst, daß ich aus meinem Herzen dies geliebte Bild reißen will, ich fühle es zu fest damit verwachsen; ich zerreiße es, ohne es loszulösen, und alle meine Anstrengungen, dieses süße Andenken auszulöschen, dienen nur dazu, es tiefer einzugraben.

Wage ich es, dir eine von meinen Fieberphantasien zu sagen, die weit entfernt mit der Krankheit zu vergehen, mich seit meiner Genesung nur noch mehr quält? Ja, wisse und beklage die Geistesverwirrung deiner unglücklichen Freundin, und danke dem Himmel, daß er dein Herz vor der furchtbaren Leidenschaft bewahrt hat, die sie erzeugt. In einem der Augenblicke, da ich am kränksten war, glaubte ich in der Hitze des Fiebers den Unglücklichen neben meinem Bette zu sehen, nicht so wie er in der kurzen Wonnezeit meines Lebens mein Auge entzückte, sondern bleich, entstellt, verstört, Verzweiflung in seinen Mienen. Er kniete, er ergriff eine meiner Hände, und ohne sich zu ekeln vor dem Zustande, in welchem sie war, ohne die Berührung eines so schrecklichen Giftes zu fürchten, bedeckte er sie mit Küssen und Thränen. Bei seinem Anblick empfand ich die lebhafte, köstliche Aufregung, die mir oft sein unerwartetes Erscheinen verursacht hat. Ich wollte mich zu ihm schwingen; man hielt mich zurück; du rissest ihn fort von mir, und am tiefsten erschütterte mich sein Aechzen, das ich zu hören glaubte, während er sich entfernte.

Ich kann dir nicht sagen, was für eine erstaunliche Wirkung dieser Traum auf mich gemacht hat. Mein Fieber ist anhaltend und heftig gewesen; ich lag mehrere Tage ohne Bewußtsein; ich habe in meinem Parorysmus oft von ihm geträumt, aber keiner dieser Träume hat in meiner Phantasie einen so tiefen Eindruck zurückgelassen wie dieser letzte. Der Eindruck ist so stark, daß es mir unmöglich ist, ihn mir aus dem Gedächtnisse zu löschen und aus den Sinnen zu bringen. Jede Minute, jeden Augenblick ist es mir, als sähe ich ihn in derselben Stellung; seine Miene, seine Kleidung, seine Geberde, sein trauriger Blick, Alles ist mir noch vor Augen: ich glaube den Druck seiner Lippen auf meiner Hand zu fühlen; ich fühle sie von seinen Thränen benetzt; der Ton seiner klagenden Stimme durchzittert mich; ich sehe ihn von mir reißen, mache Anstrengungen ihn zurückzuhalten; jeder Umstand erneuert mir einen eingebildeten Auftritt mit mehr Deutlichkeit, als ich mich der Ereignisse erinnere, die mir wirklich begegnet sind.

Ich habe lange Bedenken getragen, dir dies zu vertrauen, ich schämte mich, es mündlich zu thun; aber meine innere Unruhe will sich nicht verringern, sondern nimmt von Tage zu Tage zu, und ich kann nicht mehr dem Verlangen widerstehen, dir meine Narrheit zu bekennen. Ach, bemächtigte sie sich meiner doch ganz! Warum kann ich nicht vollends so die Vernunft verlieren, da das Bißchen Vernunft, das ich noch habe, nur zu meiner Qual dient!

Ich komme wieder auf meinen Traum zurück. Lache mich nur aus,Cousinchen, über meine Einfalt, aber es ist etwas Eigenes, Geheimnißvolles in diesem Gesichte, etwas, das es von gewöhnlichen Fiebererscheinungen unterscheidet. Ist es eine Vorahnung von dem Tode des besten aller Menschen? Ist es eine Anzeige, daß er schon hingegangen ist? Würdigt mich der Himmel wenigstens einmal eines Zeichens, und ladet mich ein, dem zu folgen, zu dem er mir die Liebe gab? Ah, das Geheiß, zu sterben, wird für mich die größte seiner Wohlthaten sein.

Umsonst rufe ich mir all jenes eitle Gerede in's Gedächtniß, welches die Philosophie gefühllosen Menschen zum Spielzeug hinhält; es macht keinen Eindruck auf mich und ich fühle, daß ich es verachte. Man kann Geister nicht sehen, ich will es glauben; aber sollten nicht zwei so innig verbundene Seelen unter sich in einen unmittelbaren Verkehr treten können, unabhängig von Leib und Sinnen? Kann nicht die eine den Eindruck, den sie grades Weges von der andern empfängt, in das Gehirn übertragen und dann von ihm durch Rückwirkung die Empfindungen wieder erhalten, die sie ihm zugeführt hat?.... Arme Julie, was für Fabeleien! Wie machen uns doch die Leidenschaften leichtgläubig! Und wie schwer reißt sich ein heftig bewegtes Herz von seinem Wahne los, selbst wenn es ihn erkennt!

Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe)

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