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Vierzehnter Brief.
Antwort.

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Inhaltsverzeichnis

Ach, allzu unglückliches und zu erregbares Mädchen, bist du denn nur zum Leiden geboren? Es hilft mir nicht, wenn ich dir Schmerzen ersparen will; du scheinst sie unaufhörlich zu suchen und dein Stern ist mächtiger als alle meine Vorsicht. So viel wirklichen Ursachen zum Kummer sollen sich wenigstens nicht noch Hirngespinste beigesellen, und da nun doch meine Zurückhaltung dir mehr schädlich als nützlich ist, so will ich dich von einem Irrthum erlösen, der dich peinigt: vielleicht wird dir auch die traurige Wahrheit weniger schmerzlich sein. Wisse denn, daß dein Traum kein Traum ist, daß es nicht der Schatten deines Freundes war, den du gesehen hast, sondern seine Person, und daß der rührende Auftritt, der dir beständig vor der Seele schwebt, wirklich in deinem Zimmer vorgegangen ist, am dritten Tage nach jenem, wo du am kränksten warst.

Den Abend vorher hatte ich dich ziemlich spät verlassen, und Herr v. Orbe, der mich diese Nacht bei dir ablösen wollte, war im Begriff zu gehen, als wir auf einmal den armen Unglücklichen in einem bejammernswerthen Zustande rasch hereintreten und sich uns zu Füßen stürzen sahen. Er hatte beim Empfange deines letzten Briefes die Post genommen, Tag und Nacht im Wagen, machte er den Weg in drei Tagen und wartete nur auf der letzten Station, um bei der Dunkelheit in die Stadt zu kommen. Ich gestehe dir zu meiner Schande, ich war weniger geschwind, ihm um den Hals zu fallen. als Herr v. Orbe; ohne noch den Zweck seiner Reise zu wissen, sah ich die Folgen vorher. So viele bittere Erinnerungen, deine Gefahr, seine eigene, der verwüstete Zustand, in welchem ich ihn sah, Alles vergiftete eine so angenehme Ueberraschung und ich war zu erschrocken, um ihm sehr freundlich entgegenzukommen. Ich umarmte ihn indessen, mit einem Herzweh, das er theilte, und das sich beiderseits durch stummes Drücken, beredter als Schmerzenslaute und Thränen, zu erkennen gab. Sein erstes Wort war: ,,Was macht sie? Ach! was macht sie? Gebt mir das Leben oder den Tod." Ich sah nun wohl, daß er von deiner Krankheit unterrichtet war, und da ich mir einbildete, er wüßte auch, woran du lagst, so sprach ich davon ohne andere Vorsicht, als daß ich die Gefahr verringerte. Sobald er hörte, daß es die Pocken wären, that er einen Schrei und wurde ohnmächtig. Durch die Anstrengung und das Nachtwachen, im Vereine mit seiner innern Unruhe, befand er sich in einem solchen Zustande von Schwäche, daß wir viel Zeit brauchten, um ihn wieder zu sich zu bringen. Kaum konnte er sprechen; er wurde in's Bett geschafft.

Die Natur siegte und er schlief zwölf Stunden hinter einander, aber so unruhig, daß dieser Schlummer ihn mehr erschöpfen als erquicken mußte. Am Tage neue Verlegenheit; er wollte dich durchaus sehen. Ich hielt ihm die Gefahr entgegen, eine Revolution in deinem Zustande hervorzubringen; er sagte, er wolle warten, bis keine Gefahr mehr wäre, aber schon sein Hiersein war eine furchtbar große. Ich versuchte ihn darauf aufmerksam Zu machen; er fiel mir hart in die Rede. Behalten Sie Ihre unmenschliche Beredsamkeit für sich, sagte er in zornigem Tone, Sie gebrauchen sie zu viel zu meinem Verderben. Hoffen Sie nicht, mich abermals hinwegzujagen, wie damals in meine Verbannung; ich würde hundert Mal vom Ende der Welt herbeikommen, um sie einen einzigen Augenblick zu sehen. Aber ich schwöre bei dem Schöpfer meines Daseins, setzte er heftig hinzu, daß ich nicht von hier weggehen werde, ohne sie gesehen zu haben. Versuchen wir einmal, ob ich Sie erbarmend oder ob Sie mich meineidig machen werden.

Sein Entschluß stand fest, Herr v. Orbe war der Meinung, man müsse ihm seinen Willen zu thun suchen, um ihn dann entfernen zu können, bevor seine Wiederkunft entdeckt würde; denn es kannte ihn Niemand im Hause außer Hans, auf den ich mich verlassen konnte, und wir hatten ihn vor unsern Leuten mit einem andern Namen genannt als dem seinigen [Dieser falsche Name war, wie man in der vierten Abtheilung sieht, Saint Preux.]. Ich versprach ihm, daß er dich in der nächsten Nacht sehen sollte, unter der Bedingung, daß er nur einen Augenblick bleiben, daß er kein Wort sprechen und daß er den andern Morgen vor Tages Anbruch abreisen sollte: ich nahm ihm darauf das Wort ab. Nun war ich ruhig; ich ließ meinen Mann bei ihm und kehrte zu dir zurück.

Ich fand dich merklich besser; der Ausschlag war vollkommen heraus, der Arzt machte mir Hoffnung und Muth, Ich nahm mit Vabi im Voraus Abrede, und da die Rückkehr des Fiebers, obwohl schwächer, dir doch noch den Kopf benommen hatte, so benutzte ich die Zeit, um alle Leute zu entfernen und meinem Manne sagen zu lassen, daß er mit seinem Gaste kommen sollte, indem ich dachte, daß du vor dem Ende des Anfalls nicht wohl im Stande sein würdest ihn zu erkennen. Wir hatten alle Mühe von der Welt, deinen jammernden Vater wegzuschicken, der jede Nacht darauf bestand, diesmal da zu bleiben. Endlich sagte ich ihm zornig, er würde Niemanden eine Mühe abnehmen, ich sei ebenfalls entschlossen zu wachen, und er wüßte wohl, daß seine Zärtlichkeit, wenn er auch der Vater wäre, nicht wachsamer wäre als die meinige. Mit Widerstreben ging er? wir blieben allein. Herr von Orbe kam gegen elf Uhr und sagte mir, daß er deinen Freund vor der Hausthüre gelassen habe; ich ging zu ihm hinaus, ich nahm ihn bei der Hand, er zitterte wie ein Espenlaub. Als wir durch das Vorzimmer gingen, versagten ihm die Kräfte; er athmete mit Mühe und war genöthigt, sich zu setzen.

Dann einige Gegenstände unterscheidend bei dem schwachen Scheine eines entfernt stehenden Lichtes, sagte er mit einem tiefen Seufzer: Ja, ich erkenne den Ort wohl. Einmal in meinem Leben bin ich durchgekommen .... um dieselbe Stunde .... eben so heimlich .... ich zitterte wie heut .... das Herz schlug mir ebenso .... O Vermessenheit! Ich, ein Sterblicher und wagte zu kosten .... Was werde ich jetzt an derselben Stätte sehen, wo Alles die Wollust athmete, von der meine Seele berauscht war, an demselben Gegenstande, der meine Entzückung weckte und theilte? Ein Bild der Vergänglichkeit, einen Jammeranblick, die Tugend mit Leiden geschlagen und die Schönheit sterbend!

Liebe Cousine, ich will deinem armen Herzen die Schilderung dieses wehmüthigen Auftrittes ersparen. Er sah dich und schwieg; er hatte es versprochen. Aber welch ein Schweigen! Er warf sich auf die Kniee; er küßte schluchzend deine Bettvorhänge; erhob die Hände und die Augen empor; er ächzte dumpf; kaum konnte er sich halten, daß er nicht laut schrie vor Schmerzen. Ohne ihn zu sehen, stecktest du mechanisch eine Hand heraus; er ergriff sie mit einer Art Wuth; die glühenden Küsse, die er auf diese wunde Hand drückte, weckten dich besser als das Geräusch und die Stimmen von Allem, was dich umgab. Ich sah, daß du ihn erkannt hattest, und trotz seines Sträubens und Jammerns riß ich ihn augenblicklich aus deinem Zimmer, der Fiebertraum, dachte ich, würde mir einen Vorwand geben, da die Erscheinung nur so kurz war, dir den Gedanken daran auszureden. Aber da ich später sah, daß du mir nichts davon sagtest, so glaubte ich, du hättest sie vergessen; ich verbot Babi, mit dir davon anzufangen, und ich weiß, daß sie Wort gehalten hat. Unnütze Vorsicht, die die Liebe vereitelt hat, und die nur dazu diente, eine Erinnerung recht in dir zum Gähren zu bringen, die zu verwischen jetzt nicht mehr Zeit ist!

Er reiste ab, seinem Versprechen getreu, und ich ließ ihn schwören, sich nicht in der Nähe aufzuhalten. Aber, Liebe, es ist noch nicht Alles. Ich muß dir noch sagen, was dir doch vielleicht nicht lange unbekannt bleiben würde. Milord Eduard kam zwei Tage später durch; er beschleunigte seine Reise, um ihn einzuholen, erreichte ihn in Dijon und fand ihn krank. Der Arme hatte sich die Pocken geholt: er hatte es mir verhohlen, daß er sie nicht gehabt, und ich hatte ihn ohne weitere Vorsicht zu dir geführt. Als ich an die Art dachte, wie er deine Hand geküßt hatte, konnte ich nicht zweifeln, daß er sich selbst angesteckt. Man konnte nicht schlechter vorbereitet sein, aber die Liebe hatte ihn geimpft, es lief glücklich ab. Sie, die Lebengebende, hat dem Zärtlichsten aller Liebenden das Leben erhalten, er ist wiederhergestellt und nach Milord Eduard's letztem Briefe müssen sie jetzt wieder auf dem Wege nach Paris sein.

So kannst du denn, allzuliebenswürdige Cousine, die Leichenphantasien verbannen, die dich ohne Ursache peinigten. Auf die Person deines Freundes hast du längst verzichtet und sein Leben ist in Sicherheit. Denke also nur daran, das deinige zu erhalten, und mit guter Manier das Opfer zu bringen, das dein Herz der Vaterliebe zugesagt hat. Laß endlich ab, der Spielball einer eiteln Hoffnung zu sein und dich mit leeren Träumen zu speisen. Du bist sehr eilig, dir etwas auf deine Häßlichkeit einzubilden; sei demüthiger, ich sage es dir, du hast nur noch zu viel Ursache dazu. Du hast einen harten Anfall bestanden, aber dein Gesicht ist verschont geblieben. Was du für Narben hältst, sind blos rothe Flecke, die bald verschwunden sein werden. Ich bin ärger mitgenommen worden, und doch siehst du, daß ich deswegen noch nicht gar zu übel bin. Du wirst wider deinen Willen hübsch bleiben, mein Engel; und wie sollte wohl der kalte Wolmar, den eine Abwesenheit von drei Jahren von einer Liebe nicht hat heilen können, die er in acht Tagen gefaßt hat, durch deinen jetzigen Anblick geheilt werden? Oh! wenn das deine einzige Zuflucht ist, daß du nicht mehr gefallen werdest, so ist dein Loos verzweifelt.

Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe)

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