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Dreiundzwanzigster Brief.
Milord Eduard an Juliens Liebsten.

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Inhaltsverzeichnis

Ich werde Sie heute nicht umarmen können, mein Lieber, wie ich gehofft hatte, und noch zwei Tage hält man mich in Kensington fest. Der Gang bei Hofe ist, daß man viel arbeitet und nichts verrichtet, und daß sich die Geschäfte jagen, ohne daß eines beendet wird. Das meinige, das mich hier seit acht Tagen fesselt, erforderte nicht zwei Stunden, aber da das wichtigste Geschäft der Minister ist, stets eine geschäftige Miene zu haben, so verlieren sie mehr Zeit damit, mich hinzuhalten, als sie nöthig gehabt hätten, mich abzufertigen. Meine etwas zu sichtbare Ungeduld kürzt die Verzögerungen nicht ab. Sie wissen, daß mir der Hof nicht zusagt; er ist mir noch unerträglicher, seitdem wir mit einander leben, und ich will hundertmal lieber Ihre Melancholie theilen, als die Langeweile der Bedienten, mit denen hier das Land bevölkert ist.

Indessen ist mir im Plaudern mit diesen geschäftigen Müßiggängern ein Gedanke gekommen, der Sie betrifft, und in Folge dessen ich nur Ihre Einwilligung erwarte, um über Sie zu verfügen. Ich sehe, daß Sie, indem Sie Ihren Schmerz bekämpfen, doppelt leiden, von dem Uebel und von der Anstrengung des Kampfes. Wenn Sie nun auch leben und genesen wollen, thun Sie das doch weniger, weil Ehre und Vernunft es fordern, als Ihren Freunden zu gefallen. Mein Lieber, das ist nicht genug: Sie müssen am Leben wieder Geschmack gewinnen, wenn Sie seine Pflichten recht erfüllen sollen, und bei solcher Gleichgültigkeit gegen Alles bringt man nie etwas Rechtes zu Stande. Wir quälen uns beide umsonst, die Vernunft allein wird Sie nicht wieder zur Vernunft bringen. Es ist nöthig, daß ein Wechsel von neuen und ausfallenden Gegenständen Ihnen einen Theil der Aufmerksamkeit abgewinne, die Ihr Herz jetzt nur dem schenkt, wovon es eingenommen ist. Damit Sie wieder zu sich kommen, ist es nöthig, daß Sie aus sich selbst herausgehen, und nur in der Unruhe eines thätigen Lebens können Sie die Ruhe wieder finden.

Es bietet sich, um einen Versuch damit zu machen, eine Gelegenheit dar, die nicht zu verachten ist; ein großes schönes Unternehmen ist im Werke, eines, desgleichen man in vielen Menschenaltern nicht erlebt. Es hängt von Ihnen ab, ob Sie daran Theil nehmen und dabei mitwirken wollen. Sie werden das großartigste Schauspiel sehen, das Menschenaugen berühren kann, Ihr Beobachtungstrieb wird reichliche Nahrung finden. Das Geschäft, das Ihnen übertragen werden soll, ist ehrenvoll und erfordert, nebst den Fähigkeiten, die Sie besitzen, nur Muth und Gesundheit. Sie werden dabei auf mehr Gefahr als lästigen Zwang stoßen; desto mehr also wird es Ihnen zusagen. Endlich das Engagement ist nicht auf lange. Ich kann Ihnen heute nicht mehr sagen, weil der Plan, obgleich zum Aufbrechen reif, doch noch ein Geheimniß ist, das ich nicht verrathen darf. Ich will nur hinzusetzen, daß, wenn Sie diese glückliche und seltene Gelegenheit versäumen, sich Ihnen schwerlich wieder eine gleiche darbieten, und daß es Sie vielleicht Ihr Leben lang reuen wird.

Ich habe meinem Läufer, der Ihnen diesen Brief bringt, Befehl gegeben, Sie aufzusuchen, wo Sie auch seien, und nicht ohne Ihre Antwort zurückzukommen; denn es hat damit Eile, und ich muß die meinige geben, ehe ich von hier abreise.

Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe)

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